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2Nacht

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In der Dunkelheit schlich die Tina langsam die Kette entlang. Das Geräusch der Ruder, die sanft ins Wasser glitten, war fast nicht zu hören.

»Sie sind irgendwo da draußen«, mutmaßte Callimachus.

»Noch immer?«, fragte ich nach.

»Natürlich«, erwiderte er.

Zwei Schiffslaternen, die an Stangen befestigt waren und über dem Bug an Steuerbord- und Backbordseite hingen, warfen ein gelbliches Licht aufs Wasser. Im Licht der Laterne auf der Steuerbordseite war die Kette hier und da oberhalb des Wassers sichtbar, da man die dunklen Kettenglieder an bestimmten Masten sehen konnte; normalerweise jedoch ist sie nicht sichtbar und liegt unter der Wasseroberfläche.

»Still!«, befahl Callimachus plötzlich. »Innehalten!«, rief er leise dem Rudermeister zu, der hinter ihm auf dem Vordersteven stand. Die Ruder der Tina wurden angehoben und halb nach innen gezogen. Das Schiff driftete dennoch weiter in südliche Richtung, entlang der Kette.

»Was hast du gehört?«, wollte ich wissen.

Wir sahen über die Seite des Schiffes zur Kette, die hier ungefähr sechs Inch über dem Wasser hing, und über das Wasser, das im Schein der Laterne flackerte.

»Sie waren hier«, sagte Callimachus. »Da bin ich mir sicher. Komm nicht ins Licht.«

Sofort zog ich mich zurück.

»Es ist hoffnungslos«, sagte er düster. »Sie kommen und gehen, wie es ihnen beliebt und ziehen sich zurück, wenn wir näher kommen.«

»Es gibt fast nichts, was wir dagegen tun können«, erwiderte ich.

»Löscht die Laternen!«, befahl Callimachus. »Wartet! Schilde und Schwerter! Schilde und Schwerter, Männer!«

Fast im gleichen Augenblick, als er die Anweisung gegeben hatte, flogen Enterhaken über die Reling und vergruben sich im Holz. Wir sahen, wie sich die Eisen anspannten, als die Männer an den Seilen hochkletterten. Doch als die dunklen Schemen über die Reling kamen, wurden sie sogleich von schreienden und fluchenden Männern empfangen, die sie mit ihren Schilden zurückdrängten und den Stahl in ihre Körper gruben. Die Piraten waren Beibooten entstiegen, mussten nach oben über die Reling klettern. Welle auf Welle versuchten die Piraten, auf unser Deck zu springen. Doch die Vorteile waren auf unserer Seite. Nur einer erreichte das Deck, und wir warfen seinen leblosen Körper, durchbohrt an Dutzenden Stellen, zurück in den Vosk. Danach zogen sich seine Kameraden zurück.

Callimachus wischte das Schwert an seinem Umhang ab. »Zusätzlich haben sie uns auch noch beleidigt«, grinste er. »Glauben die etwa, wir wären nur Kaufleute, die nicht wüssten, wie man sich verteidigt, um uns so kühn und töricht anzugreifen?«

»Als du einen Mann niedergestreckt hast«, sagte ich, »hast du vor Freude aufgeschrien.«

»Habe ich das?«

»Ja«, bekräftigte ich.

»Auch du hast vor Freude geschrien, als du deine Klinge in den Körper eines Mannes gestoßen hast«, bemerkte Callimachus.

»Das kann nicht sein«, entgegnete ich.

»Hast du aber«, grinste er.

»Daran kann ich mich nicht erinnern!«

»Im Eifer des Gefechts«, sagte Callimachus, »ist es schwer, sich an alles zu erinnern, was stattfindet.«

»Du schienst erfreut zu sein«, fuhr ich fort.

»War ich auch«, erwiderte er. »Auch du, so schien es, warst es.«

»Nein, das kann nicht sein.« Doch ich war verunsichert.

»Aber so ist es«, beharrte Callimachus.

»Ich glaube nicht, dass ich mich selbst kenne«, bekannte ich.

»Du bist ein Mann. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich selbst kennenlernst.«

»Wir waren genauso kämpferisch wie sie«, stellte ich verwundert fest. »So schnell, so böse.«

»So scheint es«, stimmte Callimachus mir lächelnd zu.

Ich schwieg.

Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich glaube, wir haben den Männern von Ragnar Voskjard etwas Respekt vor ehrlichen Männern beigebracht.«

»Ja«, erwiderte ich. »Lass es uns so betrachten.«

»Fragst du dich nicht manchmal«, wollte Callimachus wissen, »warum ehrliche Männer, ehrliches Volk, wie wir es sind, erlauben, dass Piraten wie diese existieren dürfen.«

»Warum?«

»Damit wir jemanden haben, den wir töten können«, sagte er.

»Sind wir dann so verschieden von ihnen?«, fragte ich.

»Ich glaube nicht«, sagte Callimachus. »Wir haben mit ihnen viel gemeinsam.«

»Was genau?«

»Dass wir Männer sind.«

»Es ist nicht das Töten«, sagte ich, »denn das Ausführen ist nicht genug.«

»Nein«, stimmte er mir zu. »Die Jagd, das Risiko und das Töten sind gestillt.«

»Man muss aus einem Grund kämpfen«, entgegnete ich.

»Es gibt immer Gründe, damit Männer kämpfen können!«

»Ich bin beunruhigt«, gestand ich.

»Löscht die Laternen!«, befahl Callimachus plötzlich. »Die Piraten könnten noch in der Nähe sein.«

»Lass unser Beiboot zu Wasser«, schlug ich Callimachus vor. »Mit umhüllten Rudern könnten wir unseren Bereich der Kette patrouillieren.«

»Warum sollten wir das tun?«

»Unser Schiff kann, selbst mit erloschenen Laternen, die Kette nicht so still und leise erreichen wie ein Beiboot. Die Piraten an der Kette müssen sich nur zurückziehen.«

»Das Beiboot müsste westlich der Kette sein, damit es sich den Piratenbooten weniger verdächtig nähern kann«, warf Callimachus ein.

»Natürlich«, stimmte ich zu.

»Warum willst du das tun?«, fragte er.

»Na, um die Kette zu verteidigen«, erwiderte ich.

»Tatsächlich.« Callimachus lächelte. »Du hast Blut geleckt«, fuhr er fort. »Du willst mehr!«

»Solche Gedanken sind zu schrecklich, um sie zu haben«, erwiderte ich.

»Ein Schwert muss trinken, bis sein Durst gestillt ist«, sagte Callimachus. Es ist ein goreanisches Sprichwort.

»Ich denke nicht so«, entgegnete ich.

»Betrachte deine Gefühle«, sagte Callimachus. »Findest du, dass du dich so verzweifelt der Kette verpflichtet fühlst und dich daher in ein Unterfangen stürzen willst, das dich in Lebensgefahr bringt? Ist die Motivation jene, dass du lediglich eine gefährliche Pflicht erfüllen möchtest, die niemand dir auferlegt hat?«

»Nein«, antwortete ich.

»Was ist es dann?«

»Ich stand dem Feind gegenüber«, erwiderte ich. »Ich bin begierig darauf, ihm wieder gegenüberzustehen.«

»Das dachte ich mir«, erwiderte Callimachus. »Ich werde ein Beiboot zu Wasser lassen und nach Freiwilligen suchen.«

»Wer ist da?«, rief eine Stimme in der Dunkelheit.

Wir legten die Ruder auf den Ruderdollen ab.

»Bereit«, sagte ich leise zu dem Mann, der mich begleitete. Wir fuhren aus westlicher Richtung auf die Kette zu. Das Beiboot war über die Kette gehoben worden, als die Tina quer gestanden hatte, ungefähr vor einer Viertelahn. Wir waren sogar an Piratenschiffen vorbeigefahren, die sich nur wenige Yards von uns entfernt hatten und auf dem Fluss vor Anker lagen.

»Wer ist da?«, rief jemand.

»Jetzt!«, sagte ich. Plötzlich standen fünf Männer hinter mir auf, den Bogen in der Hand. Die Pfeile wurden fast aus nächster Nähe auf das andere Boot abgefeuert, als wir dagegenstießen. Männer schrien, Werkzeuge wurden weggeworfen. Ich und fünf weitere Männer enterten das andere Boot mit gezogenen Schwertern, schlugen und hieben zu. Keiner von uns sprach. Die Schreie und Rufe kamen nur von den Piraten. Mehr als einer rettete sich, indem er über Bord sprang. Ich warf den Körper eines Piraten auf eine Ruderbank und rollte ihn dann über die Reling ins Wasser.

»Was geht da draußen vor sich?«, rief eine Stimme von einem Piratenschiff, etwas von der Kette entfernt.

Währenddessen drückten wir mit dem Ruder einen Piraten nach unten, der versuchte, das Boot zu erreichen.

»Was geht da draußen vor sich?«, rief die Stimme erneut, als wir langsam wegfuhren.

»Fort mit euch! Fort mit euch!«, schrie eine verängstige Stimme in der Dunkelheit.

»Rudert rückwärts!«, befahl ich. Dann sagte ich: »Ruhig!« Das Beiboot ruhte auf dem Wasser und schaukelte in der Dunkelheit leise hin und her.

»Wir wissen, dass ihr da draußen seid«, rief ein Kerl in die Dunkelheit in der Nähe der Kette. »Wir sind bewaffnet! Nähert euch auf eigene Gefahr! Gebt euch zu erkennen!«

Ich lächelte, nahm seine Angst wahr. Doch ich gab keine Befehle.

»Gebt euch zu erkennen!«, rief die Stimme.

Wir schwiegen. Ich sah keinen Sinn darin, anzugreifen. Wir hatten nicht mehr das Überraschungsmoment auf unserer Seite und drei Beiboote in der Nacht eingenommen. Dass eine Gefahr an der Kette lauerte, war den Piraten jetzt mehr als bewusst. Sie hatten gedacht, sie könnten ungestraft ihre Arbeit verrichten und hatten herausgefunden, dass wir entschlossen waren, dies nicht zuzulassen.

Wir schwiegen weiter.

»Wir kehren zum Schiff zurück«, sagte die Stimme in der Dunkelheit. »Zurück zum Schiff!«

Wir ließen das Beiboot steuerbord vorbeifahren, nur einige Yards entfernt, dem Geräusch der Ruder nach zu urteilen. Danach ließ ich das Beiboot entlang der Kette fahren, wo ich die Kette untersuchte. An einem der großen Kettenglieder konnte ich eine raue Aushöhlung ausmachen, die entstanden war, als ein Werkzeug sich daran zu schaffen gemacht hatte, ausgehöhlt zu einer spitzen, geometrischen präzisen Spalte, zu eng, um hineinfühlen zu können. Ich tastete zu beiden Seiten an dem Kettenglied und der Spalte entlang. Sie war diagonal, ging auf die Mitte des Kettengliedes zu und war ungefähr einen Inch tief.

»Was ist es?«, flüsterte ein Ruderer, der mich begleitete, hinter mir und zu meiner Rechten.

»Sie müssen hier etwa eine Viertelahn gearbeitet haben«, erklärte ich.

»Wie schlimm ist es?«, fragte er.

»Die Kette wurde geschwächt.«

»Was sollen wir jetzt machen?«

»Wir werden die Kette weiter patrouillieren«, erwiderte ich.

»Hast du das gehört?«, fragte einer der Männer, der mich begleitete.

»Ja«, erwiderte ich.

»Ein Fisch?«, fragte der nächste Mann.

»Taucher, denke ich«, gab ich ihm zur Antwort.

»Was machst du?«, fragte der voherige.

»Kommt in fünf Ehn zu mir zurück!«, befahl ich.

Ich legte meine Waffe mit der Scheide auf dem Boden des Beibootes ab, ebenso meine Sandalen und die Tunika.

»Gebt mir ein Messer!«, verlangte ich.

»Hier«, sagte einer meiner Gefährten. Ich nahm das Messer zwischen meine Zähne und ließ mich leise über die Seite des Beibootes ins Wasser gleiten. Ich trieb im Wasser. Das Beiboot war durch die umhüllten Ruder, deren Holz mit Fell an den Hebelpunkten umwickelt war, fast lautlos; die Ruderdollen waren ähnlich verhüllt. Es bewegte sich von mir weg. Das Wasser des Vosk war kalt und dunkel. Einige Ehn später kehrte das Beiboot zurück und ich wurde an Bord gehievt.

»Hier ist dein Messer«, sagte ich an den Mann gewandt, der es mir geliehen hatte.

»War es ein Fisch?«, wollte ein anderer wissen.

»Nein«, erwiderte ich.

»Das Messer ist klebrig«, stellte der Mann fest, dem ich es zurückgegeben hatte.

Ich spuckte in den Vosk. »Spül es ab!«, wies ich ihn an.

»Wie viele waren es?«, fragte ein weiterer Mann.

»Zwei«, erwiderte ich. »Sie waren nicht geduldig. Sie sind zu früh an die Arbeit zurückgekehrt.«

»Was sollen wir machen?«, fragte einer.

»Zur Tina zurückkehren«, erwiderte ich. »Wir werden unseren Schlaf brauchen. Morgen gibt es Krieg!«

»Ist die Kette kaputt?«, fragte ein Mann.

»Ja!«

»Wirklich?«, hakte er nach.

»Ja«, wiederholte ich.

»Das kann an hundert weiteren Stellen auch der Fall sein«, hörte ich.

»Das denke ich auch«, stimmte ich ihm zu.

»Dann wird die Kette morgen nicht mehr standhalten.«

»Ich denke nicht«, bestätigte ich.

»Vielleicht sollten wir fliehen, solange wir noch können.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Lass die Mannschaft und ihre Kommandeure diesbezüglich die Entscheidungen treffen«, erwiderte ich.

»Hast du die beiden Taucher getötet?«

»Ja.«

»Dann wird Voskjard nicht erfahren, dass die Kette an dieser Stelle geschwächt ist«, fuhr der Mann fort.

»Nein, das werden sie nicht erfahren!«

»Aber es wird noch weitere Stellen geben«, sagte der Mann.

»Natürlich«, stimmte ich ihm zu.

»Es ist unmöglich, die Kette zu beschützen!«, resignierte der Mann.

»Früher oder später, wenn nicht diese Nacht, wird sie durchtrennt werden«, sagte ein anderer.

»Voskjard wurde ausgetrickst«, bemerkte einer der Männer. »Es wird behauptet, dass er kein geduldiger Mann sei!«

»Wir sind keine Matrosen«, sagte ein weiterer Mann. »Bei einer offenen Schlacht auf dem Fluss werden wir kaum eine Chance gegen die schnellen Schiffe des Voskjard haben!«

»Wir haben die Schiffe aus Port Cos auf unserer Seite«, warf ein Mann ein.

»Das sind zu wenige«, vermutete jemand. »Wahrscheinlich werden sie sich sobald die Kette durchtrennt ist, zurückziehen, um Port Cos zu schützen.«

»Falls Voskjard sich mit Policrates vereinigt«, sagte noch einer, »und wenn die Kräfte aus Port Cos und Ars Station weiter zerstritten sind, wird keine Stadt entlang des Flusses sicher sein.«

»Die Piraten werden den Vosk besetzen«, merkte der nächste Mann an.

»Wir müssen fliehen«, warf der vorherige ein.

»Entscheidungen in dieser Angelegenheit können am Morgen, von den Kommandeuren und ihren Mannschaften getroffen werden«, sagte ich.

»Aber einzelne Männer könnten fliehen«, warf jemand ein.

»Ich werde den ersten Mann, der seinen Posten verlässt, töten!«, drohte ich.

»Was für ein Mensch bist du?«, fragte man mich.

»Ich weiß es nicht.«

»Befehlige uns!«, rief ein anderer Mann.

»Wendet!«, sagte ich. »Kehrt zur Tina zurück! Wir werden morgen weiter über diese Angelegenheiten nachdenken.«

»Denkst du, Voskjards Urts würden aufhören, an der Kette zu nagen, weil wir beschlossen haben, uns auszuruhen?«, fragte ein Mann.

»Nein«, erwiderte ich.

»Dann müssen wir an der Kette bleiben.«

»Nein!«

Das Beiboot wendete und fuhr langsam in nördliche Richtung, entlang der Kette. Das Schicksal des Flusses, so habe ich gelernt, liegt nicht am Schicksal der Kette. Wir wurden von den Männern eines Piratenschiffes gegrüßt, als wir nahe daran vorbeifuhren, aber wir reagierten nicht.

»Wir haben keine weiteren Beweise für Arbeiten an der Kette gefunden«, stellte ein Mann fest, als wir uns der Ankerstelle der Tina östlich der Kette näherten; eine einzelne Laterne schaukelte am Vordersteven.

»Vielleicht hat Voskjard aufgegeben.«

»Vielleicht wurde nicht weitergearbeitet?«, mutmaßte jemand.

»Vielleicht«, warf jemand ein, »wurde die Arbeit bereits zu seiner Zufriedenheit ausgeführt.«

»Die Kette muss halten«, sagte einer der Ruderer. »Sie muss!«

»Was denkst du, Jason?«, fragte mich ein Mann.

»Lass uns inständig hoffen, dass sie hält«, erwiderte ich.

»Aber denkst du, dass sie es tun wird?«, wurde ich gefragt.

»Nein!«, erwiderte ich.

»Wir müssen fliehen«, sagte ein Mann.

»Willst du den Fluss Männern wie Policrates und Ragnar Voskjard überlassen?«, wollte ich wissen.

»Nein«, erwiderte er.

»Bist du das, Jason?«, rief Callimachus.

»Ich bin es«, gab ich ihm zur Antwort.

Einige Ehn später kam die Tina seitwärts an die Kette. Wir warfen unsere Leinen hinauf.

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