Читать книгу Gor 16 - John Norman - Страница 8
4Der Keil; Rammbock und Scherklinge
Оглавление»Wie viele sind da?«, hörte ich einen Offizier Callimachus fragen, über und hinter mir, auf dem Deck des Vorderstevens.
»Zweiundvierzig«, erwiderte er.
Wir lagen, zweiundzwanzig Schiffe, in einer Doppelreihe. Unsere Ruder waren eingezogen.
»Die Kette hat gehalten«, sagte ein Mann in meiner Nähe.
»Ja«, erwiderte ich.
Im Norden wurde sie durchbrochen, aber hier, näher zum südlichen Ufer des Vosk, hatte sie gehalten. Das erlaubte uns, uns zu gruppieren. Auch war die linke Flanke unserer aktuellen Position noch immer von den gigantischen Gliedern der Kette aus Cos geschützt, die zum Vosk transportiert worden war und zwischen mächtigen Masten hing.
»Wo sind die Schiffe von Callisthenes?«, wollte ein Offizier von Callimachus wissen.
»Sie werden in Kürze eintreffen«, erwiderte Callimachus. »Wir müssen unsere Linien halten, bis sie kommen!«
Selbst so weit im Süden und von der höchsten Stelle des Vorderstevens aus konnte man das südliche Ufer des Vosk nicht sehen.
»Sie formieren den Keil«, sagte ein Offizier neben Callimachus.
Unsere rechte Flanke wurde von sieben Schiffen aus Port Cos geschützt, sieben von den zehn, die ursprünglich auf dem Fluss waren. Wir hatten die Midice und die Tia verloren. Die Ina hatte ihre Steuerbordruder verloren, war geentert und als Beute genommen worden. Die Talia und die Thenta, die erste aus Point Alfred und die zweite aus Jorts Ferry, hatten wir auf dieselbe Weise verloren. Beides waren Handelsschiffe, welche die Schiffe aus Port Cos unterstützten. Aus der Gruppe war es der Sita aus Jorts Ferry und der Tais aus Port Cos gelungen zu entkommen. Während des ersten Kampfes im Norden hatten wir fünf von sieben Schiffen verloren. Voskjard, wie wir erfahren hatten, vier.
»Ja«, sagte Callimachus und reichte das Glas der Erbauer an einen seiner Offiziere. »Es ist der Keil.«
Ich konnte Voskjards Formation von meiner Position aus schlecht sehen, denn ich befand mich an der Steuerbordreling, in der Nähe des Bugs, unter dem Vordersteven.
»Westlich der Kette gibt es noch weitere Schiffe von Voskjard«, bemerkte ein Mann düster.
Das waren die Schiffe, die seit gut einem Tag und einer Nacht, seit der gestrigen Morgendämmerung, den Abschnitt der Kette in unserem Sektor bearbeitet hatten.
»Wir können sie nicht länger fernhalten«, sagte ein anderer Mann.
»Stimmt!«, bestätigte ich.
Die Kette konnte nun ungestraft hinter dem Schutz der nordischen Flotte Voskjards, die sich nun etwa einen halben Pasang vor unseren Bugs befand, bearbeitet werden. Wir waren nicht in der Lage gewesen, eine Bestimmung bezüglich der Schiffe westlich der Kette in unserem Sektor zu treffen. Es wurde jedoch spekuliert, dass die südliche Flotte noch größer war als die nördliche, die erfolgreich in ihrem Schlag gegen die Kette gewesen war.
Basierend auf den Informationen, die wir von Callisthenes erhielten, hatten wir gemutmaßt, dass Voskjard um die fünfzig Schiffe kommandierte. Allerdings hatte sich herausgestellt, dass diese Information substanziell falsch war.
»Inzwischen«, sagte ein Mann, »ist die Kette wahrscheinlich schon durchtrennt.«
Ich erinnerte mich an die gelbe Farbe an einem der Masten. Ohne Zweifel waren auch andere Schwachstellen in ähnlicher Weise markiert worden. Selbst jetzt, hinter dem Schutz der nördlichen Flotte, war es nicht unwahrscheinlich, dass die Schiffe der südliche Flotte ungestraft zwischen den Masten fortfuhren. Die Kette hatte jedoch lange genug gehalten, um uns die Möglichkeit zu geben, uns in südliche Richtung zurückzuziehen und zu sammeln. Auch hielt sie noch immer und schützte unsere linke Flanke im unmittelbaren Umkreis.
»Wir haben wenig Hoffnung«, bemerkte jemand.
»Sie formieren den Keil«, informierte uns ein anderer.
»Wo sind die Schiffe von Callisthenes?«, wollte der nächste Mann wissen.
»Sie werden kommen«, versicherte der vorherige.
»Kapitän«, wandte sich einer der Offiziere an Callimachus.
»Ja«, erwiderte er.
»Soll ich veranlassen, dass die Schiffe aneinandergekettet werden?«
Dieser Befehl kann mithilfe von Flaggen und Hörnern weitergegeben werden.
»Nein!«
»Wie sonst sollen wir dem Druck eines solchen Keils standhalten?«, wollte der Offizier wissen.
»Wir werden unsere Beweglichkeit nicht einschränken und unsere Rammböcke und Scherklingen nutzlos machen«, erklärte Callimachus.
»Wir müssen eine schwimmende Festung aus Holz sein«, entgegnete der Offizier. »Gegen solch eine Konstruktion hämmert ein Keil vergeblich.«
»Die Schiffe unserer Innenlinie könnten so nicht angreifen«, erwiderte Callimachus. »Wir wären dann nichts weiter als ein angeleintes, praktisches Ziel, eines, was man kaum verfehlen kann. Sollten unsere Flanken sich drehen, könnten wir uns nicht mehr schützen. Unsere ungeschützten Planken würden sich dann dem Feind präsentieren. Innerhalb einer Ahn könnte unsere schwimmende Festung aus Holz ein Trümmerhaufen aus treibenden Wrackteilen sein.«
»Dann sollten wir uns zurückziehen«, schlug der Offizier vor.
»Dafür ist es zu spät!«, entgegnete Callimachus.
Mit fahlem Gesicht blickte der Offizier über die Reling des Vorderstevens. »Die Flotte ist in Bewegung«, sagte er.
»Ja«, bestätigte Callimachus.
»Was können wir tun?«, rief der Offizier.
»Wir müssen die Linie halten, bis Callisthenes kommt.«
»Wir können dem Schlag des Keils niemals standhalten!«, widersprach der Offizier.
»Ich gebe hier die Befehle!«, erwiderte Callimachus.
Es war eine Galeere schwerer Klasse und geeignet für das offene Meer. Sie bildete die Spitze des Keils. Ich hatte noch nie eine Galeere gesehen, die sich so schnell fortbewegte. Es befanden sich jeweils zwei Männer an jedem Ruder. Unser Bug war in eine Linie gebracht worden, als ob ihr Rammbock auf unseren auflaufen sollte. Der mögliche Aufprall, so fürchtete ich, würde unseren Kiel entzweien.
Auf unserer Backbordseite lag die Mira, unser Schwesterschiff aus Victoria.
Ich sah, ungefähr hundert Yard entfernt, auf dem Vordersteven der heranrasenden Galeere, wie der Kapitän seinen Arm bewegte. Fast augenblicklich drehte sich die Galeere auf ihre Steuerbordseite. Sie hatte vor, nicht von der Tina gestoppt zu werden, sondern stattdessen zwischen uns und der Mira aufzuschlagen und die Linie zu öffnen. Zwei weitere Galeeren schwammen wie gehorsame Sleens neben ihr, um die Öffnung, die so geschlagen wurde, auszunutzen. Auch befanden sich hinter diesen unterstützenden Galeeren aufgefächert weitere. Und im Kielwasser der ersten Galeere pflügten sich nun weitere durch das Wasser. Unsere Verteidigungslinie, so schien es, musste zerschlagen, unsere Kommunikation unterbrochen werden. Feinde würden sich unter uns befinden. Flanken, die verteidigt werden müssten, würden sich vervielfachen. Wir würden entzweit werden. Versuche, uns neu zu gruppieren und uns gegenseitig zu unterstützen, würden verhindert werden. So aufgeteilt und gejagt konnten wir zusammengedrängt und eingekesselt werden. Wir wären dann eine Belustigung für die Piraten. Voskjard war an der Kette im Süden aufgehalten worden. Ich denke nicht, dass ihm das gefiel. Ich erwartete nicht, dass es Gefangene geben würde.
»Jetzt!«, befahl Callimachus.
Es gab drei Stangen, die normalerweise dazu genutzt werden, um die goreanischen Schiffe vom Hafen abzustoßen. Drei solche Stangen befanden sich natürlich auf der Tina und der Mira. Unsere Ruder waren eingeholt.
Plötzlich, als die feindliche Galeere auf uns zukam, um sich zwischen uns zu werfen, wurden die Schiffe von Männern der Mira mit Stangen und von den Rudern auf unserem Schiff auseinandergetrieben. Es gab Erschütterungen und ein Schaben, aber die feindliche Galeere, die geglaubt hatte, uns mit Gewalt auseinanderzutreiben, traf auf wenig Widerstand und aufgrund ihres Schwungs landete sie fast augenblicklich hinter uns. Fast gleichzeitig zogen die Männer auf der Tina und Mira mit Seilen und Enterhaken die Schiffe wieder näher zusammen. Die zwei Schiffe, die der ersten Galeere gefolgt waren, hatten geplant, dieser in die Lücke der Linie zu folgen. Doch jetzt gab es keine Lücke. Die Spitze des Keils zeigte keine Folgen, abgesehen von Splittern und etwas abgesplitterter Farbe an unserem Rumpf. Sie lag hinter uns. Die unterstützenden Schiffe rieben ihren Rumpf aneinander. Brennendes Pech und Pfeile regneten auf deren Deck. Ich hörte das Aufprallen von Rammböcken sowohl backbord als auch steuerbord. Dann wurde eine der unterstützenden Galeeren im Heck getroffen von einem der nachfolgenden Schiffe, das es nicht schaffte, abzubremsen. Die Piratengaleeren ruderten fieberhaft zurück, um sich zu befreien, aber sie drehten sich dabei so ungeschickt und mussten deshalb unser Feuer über sich ergehen lassen. Zwei weitere Schiffe, die von hinten kamen und es nicht schafften, hinreichend abzubremsen, trafen auf diese herumtreibenden Schiffe.
Ich drehte mich um. Die erste Galeere, die sich isoliert hinter unseren Linien befand, versuchte, sich nach Südosten auszurichten, um die Kette zu meiden und das offene Wasser im Osten zu finden. Während sie dies versuchte, umkreiste die Tais sie und traf sie voll auf der Backbordseite. Der Treffer war hoch, aber dennoch drang Wasser in ihren Laderaum. Ich sah Männer vom Deck springen. Die Galeere lag dann im Wasser, hatte Schlagseite und war unbemannt. Als sie so dalag, wurde der Riss in ihrem Rumpf aus dem Wasser gehoben. Ich sah, wie Männer von der Tais sie enterten und auf dem geneigten Deck herumliefen. Kurze Zeit später, kehrten sie wieder auf ihr Schiff zurück.
»Hisst die Flaggen an den Masten am Vordersteven!«, befahl Callimachus. »Blut für Port Cos!«
Jubel brach auf den Ruderbänken aus.
Ich beobachtete, wie die Tais sich von dem manövrierunfähigen Gefährt zurückzog. Dann sah ich, wie das Heck des Gefährts anfing unkontrolliert hin und her zu schwanken.
»Sie ist auf eine Sandbank aufgelaufen«, sagte ein Mann in meiner Nähe.
»Ja«, bestätigte ich. Sie bewegte sich nicht länger; von der Strömung getragen, steuerte sie träge auf die Kette zu.
»Es ist die Tuka«, stellte ein Mann neben mir fest.
»Ist das ein bekanntes Schiff des Voskjard?«, wollte ich wissen.
»Ja«, erwiderte er.
»Es ist wieder ein Keil!«, rief ein Mann erschrocken.
Ich sah nach vorn über die Reling in nördliche Richtung. Die feindliche Flotte hatte sich neu formiert.
Die Mannschaft der Tuka war westlich über die Kette geschwommen.
»Sie kommen nur mit halbem Schlag näher«, stellte ein Mann fest.
»Sie werden ihren ersten Fehler nicht wiederholen«, meinte ein anderer.
Dieses Mal hatten sie vor, unsere Linie mit konstantem Druck auseinanderzubringen, eine Lawine aus Holz und Stahl, reguliert, kontrolliert. Nicht noch einmal würde die Spitze des Keils so ergebnislos hinter unseren Linien verloren gehen und sich umsonst opfern. Flaggen, die vom Wind hin und her geworfen wurden, wehten an den Masten unseres Vorderstevens: Signalflaggen, dreieckige und viereckige Wimpel in verschiedenen Farben und Ausführungen. Die Männer der Tais erkannten diese Befehle an und hissten sie auf dem Vordersteven.
»Sie hat volle Fahrt«, sagte ein Mann. Die Tais, deren Bug tief im Wasser lag und deren Rammbock halb draußen war, bahnte sich ihren Weg nach Nordosten.
»Der Keil von Voskjard kommt näher!«, rief ein Offizier vom Vordersteven.
»Lass uns unsere Schiffe zusammenbinden, solange wir es noch können!«, flehte ein anderer Offizier.
»Nein!«, widersprach Callimachus.
»Seht!«, schrie ein Mann jämmerlich und hielt sich an der Reling des Vorderstevens fest. »Die Tais verlässt unsere Linien! Die Schiffe aus Port Cos folgen ihr!«
»Unsere Flanke ist unbewacht!«, rief jemand verängstigt. Unruhe breitete sich auf den Ruderbänken aus.
»Voskjard bleibt dem Keil treu!«, sagte ich zu dem Mann neben mir.
»Unsere Flanke ist in keiner unmittelbaren Gefahr«, sagte er und legte einen Pfeil auf seinen Kurzbogen.
»Nein!«, rief ich lachend. »Nein! Schaut! Es ist die Flanke von Voskjard, die jetzt unbewacht ist.«
Die Tais und ihre schnellen, schlanken Schwesterschiffe tauchten unerwartet hinter unseren Linien auf: den Vordersteven tief im Wasser, die Rammböcke halb aus dem Wasser gehoben, nass und glitzernd in der Sonne, in voller Fahrt, die Ruder schlagend, die Trommeln hämmernd. Wie losgelöste Waffen rasten sie auf den Keil zu.
Unsere Ruderer standen jubelnd auf ihren Bänken.
Das vorderste Schiff des Keils versuchte beizudrehen, drehte sich nach steuerbord. Das unmittelbare Folgeschiff, ungefähr fünfzig Yard dahinter, konnte nicht mehr reagieren. Sein Rammbock traf das vorderste Schiff am Heck, Holz splitterte und das Steuerbordseitenruder brach ab. Fast zeitgleich fächerten sich die sieben Schiffe aus Port Cos auf; jedes von ihnen suchte sich einen wehrlosen, ungeschützten Rumpf aus. Die Männer schrien auf, als der Feind von Port Cos auf sie traf; hilflos standen sie dem heranstürmenden Angriff des brutalen Rammbocks gegenüber, ebenso dem Splittern des Holzes und dem hereinströmenden Wasser. Effizient stellten sie sich dem rauen Kriegsgeschehen. Ich konnte nicht nachvollziehen, wie Ar in seinem Streit mit Cos hoffen konnte, solchen Schiffen und Männern auf dem Vosk standzuhalten. Die Schiffe in der Flotte aus Ars Station schienen mehr rund als lang zu sein. Einige von ihnen waren nicht einmal mit Rammböcken oder Scherklingen ausgestattet. Alle waren bemastet. Wenige von ihnen hatten mehr als zwanzig Ruder an Bord. Alle schienen unterbesetzt zu sein. Ar, so dachte ich, täte gut daran, vorsichtig zu sein mit seiner Politik auf dem Vosk.
Die Schiffe aus Port Cos, angeführt von der Tais, zogen sich von den sinkenden Wracks zurück. Voskjards Flotte war verwirrt. Schiff traf Schiff. Unablässig ertönten Signalhörner. Schiffe mühten sich ab, drängten sich zusammen; eingefangen im Keil versuchten sie beizudrehen. Immer und immer wieder, jagend wie ein einziges Wasserraubtier, suchten sich die Tais und ihre Schwesterschiffe, fast nach Belieben, fast wählerisch, neue Opfer in dem Randgebiet dieser verwirrten, trägen Stadt aus Holz.
Wie konnte Ar, fragte ich mich, mit solchen Männern und Schiffen auf dem mächtigen Vosk konkurrieren?
Lächerlich wirkten die jämmerlich kompakten Schiffe aus Ars Station, wenn man sie mit den eleganten Raubtieren aus Port Cos oder sogar mit jenen von Ragnar Voskjard verglich.
»Die Tais hat zum dritten Mal zugeschlagen!«, rief ein Mann.
Jubel brach auf der Tina aus.
Auf jedem Schiff aus Ars Station befinden sich lange schwere Plankenplatten, die durch Querhölzer miteinander verbunden sind. Diese schweren Konstruktionen sind ungefähr fünfundzwanzig Fuß lang und etwa sieben oder acht Fuß breit. Sie sind auf hochgelegenen Plattformen in der Nähe der Masten montiert, eine an jedem Mast, und können auf Rollen von den Masten fortgezogen werden, an denen sie mit verstellbaren Ketten befestigt sind. Nach oben zu lehnen sich diese Konstruktionen rückwärts zu den Masten, wo sie oben mit Seilen gesichert sind. An der Oberkante jeder dieser Konstruktionen ragt wie ein gebogener Nagel ein gekrümmter, riesiger, geschmiedeter Dorn heraus.
»Die Flotte wendet!«, rief ein Mann.
Und so war es. Irgendwie hatte die Flotte Voskjards es geschafft, in dem Gedränge und der Enge selbst gegen den Widerstand der Kette zu wenden.
»Flieht!«, schrie ein Mann in meiner Nähe rüber zur Tais und ihren Schwestern, als ob sie ihn über das Wasser hinweg hören könnten. »Flieht!«
»Sie müssen fliehen oder sie werden zermalmt!«, rief ein anderer Mann. Die Rammböcke der Flotte Voskjards richteten sich auf die Tais und ihre Schwestern. Zwischen ihnen mussten die Wracks von ungefähr achtzehn Schiffen liegen, abdriftend, mit Schlagseite oder überflutet. Einige waren bereits untergegangen.
»Flieht! Flieht!«, riefen jetzt noch mehr Männer in meiner Nähe. Aber die Tais und ihre Schwestern aus Port Cos drehten ebenfalls bei.
»Die Flotte Voskjards hat sich wieder gefangen«, sagte ein Mann neben mir.
»Habt Mitleid mit den mutigen Männern aus Port Cos«, murmelte jener Mann.
»Rudert!«, befahl Callimachus.
»Rudert!«, gab der Offizier weiter.
»Rudert!«, befahl auch der Rudermeister. Hinter uns erklang plötzlich das Dröhnen der Kupfertrommel unter den fellbedeckten Schlägeln.
»Ja! Ja!«, rief ich aus. »Voskjards Flotte bietet uns ihre ungeschützte Flanke an.«
Die Tina und die anderen bewegten sich vorwärts.
»Rückzug! Neu formieren!«, befahl Callimachus.
Diese Insel aus Holz inmitten des Vosk, die aneinanderschabenden Schiffe drehten sich an der Kette. Rammböcke und gewölbte Bugs drohten uns.
Wir zogen uns von dem Wrack zurück.
Wir, die Linie unserer Schiffe, hatten die Flotte Voskjards an ihrer rechten Flanke getroffen, als sie sich gedreht hatte, um die Tais und ihre Schwestern aus Port Cos zu konfrontieren und zu bestrafen. Dieses waghalsige Manöver unsererseits hatte die Flotte von Voskjard überrumpelt. Dass Schiffe wie jene aus Ars Station und aus unabhängigen Städten, zumeist umgebaute Handelsschiffe, es wagen würden, die Sicherheit ihrer Linie zu verlassen und eine eigene Attacke zu starten ohne die Unterstützung der Schiffe aus Port Cos, war ihnen zuvor nicht in den Sinn gekommen. Sie wussten vielleicht nicht, dass ein Mann namens Callimachus bei uns auf dem Vordersteven stand.
Wir zogen uns von dem Wrack zurück, das weitgehend in Flammen stand; der Geruch von Pech hing in der Luft. Dutzende von Schiffen, die versuchten beizudrehen, zu manövrieren, die Schlagseite hatten oder von anderen Schiffen getroffen worden waren, waren an der Kette gefangen. Hunderte Männer befanden sich im Wasser; Hunderte Ruder waren wie Stöcke gebrochen. Schilder von Bogenschützen aus schwerem Weidematerial schwammen auf dem Wasser wie auch Pfosten und Planken sowie Ruderteile. Voskmöwen flogen im Gemetzel herum und tauchten nach Fisch.
»Zurückrudern! Formiert unsere Linien neu!«, befahl Callimachus.
Ich sah eine Piratengaleere in der Nähe der Kette untergehen.
»Zurückrudern! Formiert unsere Linien neu!«, befahl Callimachus wieder. Er war kein Narr. Er würde keine offene Schlacht riskieren, selbst unter gleichen Bedingungen, mit Schiffen wie jenen des Voskjard.
Ich hörte die Besatzung untereinander reden:
»Wir hatten Glück!«
»Ja.«
»Voskjard wird wütend sein!«
»Das befürchte ich auch!«
»Es ist noch Zeit, um zu fliehen.«
Dann drehte die Tina zusammen mit der Mira steuerbord und der Talender backbord zu unseren Linien. Die Schiffe aus Port Cos, jetzt nur noch die Tais und vier andere Schiffe aus Port Cos, nahmen ihre Stellung auf unserer rechten Flanke wieder ein. Hätten wir diese Schiffe aus Port Cos nicht gehabt, wäre es schwer zu sagen gewesen, wie es uns ergangen wäre. Sie hatten dem Feind schweren Schaden zugefügt, bevor der Keil sich ihnen zugewandt hatte. Sie waren verwirrt aufgrund unseres unerwarteten Angriffs mit unabhängigen Schiffen und jenen aus Ars Station, deshalb hatten sie sich wieder umgedreht, um uns zu konfrontieren, was die Tais und ihre Schwestern genutzt hatten, um ihren Angriff auf die Flanke des Feindes erneut aufzunehmen. Ich hielt es nicht für unmöglich, dass Voskjard ungefähr dreißig Schiffe verloren hatte. Jetzt nahmen wir an, dass uns noch immer fünfzig Schiffe gegenüberstanden, da die Kette offensichtlich nicht mehr länger eine Barriere nördlich unserer Position darstellte. Diese Schiffe, die wir so lange davon abgehalten hatten, sich mit Voskjard zu vereinen, verstärkten seine Truppen. Ich konnte nicht anders als ständig daran zu denken, dass wenn Voskjard wirklich nur fünfzig Schiffe gehabt hätte, wie es uns von Callisthenes mitgeteilt wurde, wir der Flotte jetzt zahlenmäßig überlegen wären, die zwanzig Schiffe von Callisthenes, die noch eintreffen mussten, eingerechnet. In solch einem Szenario wäre es nicht unwahrscheinlich gewesen, dass er seine Meinung geändert und sich gemütlich in den Westen zurückgezogen hätte. Jetzt verharrten wir wartend. In unseren Linien befanden sich nur noch siebzehn Schiffe, die Schiffe aus Port Cos eingerechnet, auf die wir maßgeblich angewiesen waren.
Die Gefährten neben mir sagten:
»Die feindliche Flotte richtet sich neu aus.«
»Ist es wieder ein Keil?«
»Ein Schiff ist hinter uns und auf der Steuerbordseite von dem anderen.«
»Sie werden vorsichtig kommen und uns in Paaren jagen.«
»Wir haben noch immer Zeit zu fliehen!«
»Kapitän, ich empfehle einen unmittelbaren Rückzug«, hörte ich einen Offizier über mir auf dem Vordersteven.
»Wir müssen die Linien für Callisthenes halten!«, erwiderte Callimachus.
»Zieh dich zur südlichen Wachstation zurück. Vereine dich dort mit ihm«, drängte ein Offizier.
»Um ausmanövriert und zwischen der Kette und dem südlichen Ufer gefangen zu sein?«, wollte Callimachus wissen.
»Ich empfehle den Rückzug!«, beharrte der Offizier.
»Ihre Schiffe sind schneller als unsere«, entgegnete Callimachus.
»Nicht schneller als die Tina«, sagte der Offizier.
»Ich soll die Flotte im Stich lassen?«, wollte Callimachus wissen.
Verärgert sah der Offizier ihn an.
»Mein Freund, du empfiehlst keinen Rückzug«, sagte Callimachus, »sondern Niederlage und Gemetzel!«
»Was sollen wir dann tun?«
»Auf Callisthenes warten.«
»Zieh dich zurück!«
»Wir sollen Callisthenes alleine lassen mit fünfzig feindlichen Schiffen?«, fragte Callimachus.
»Vergiss Callisthenes«, erwiderte der Offizier.
»Ich werde ihn nicht vergessen!«, widersprach Callimachus. »Genauso wie er mich nicht vergessen würde!«
»Zieh dich zurück!«, wiederholte der Offizier.
»Hier ist die Stelle, wo wir uns mit Callisthenes treffen sollen«, sagte Callimachus. »Und hier ist es, wo ich auf ihn warten werde.«
»Wo ist Callisthenes?«, wollte ein Mann neben mir wissen.
»Ich weiß es nicht!«, erwiderte ich.
Ich bemerkte das Näherkommen der Flotte Voskjards. Die Schiffe bewegten sich in der Paarformation, wobei zwischen den beiden Schiffen mehr als hundert Yard Abstand lagen. Es ist natürlich schwierig für ein einzelnes Schiff, sich vor einem solchen Paarangriff zur Wehr zu setzen. Die beiden beobachten sich gegenseitig, um so von allen Seiten angreifen zu können. Daher ist es unmöglich, sich zu schützen, wenn man zwischen beiden gefangen wird. Eine Wand des Schiffsrumpfes ist so mindestens einem Rammbock ausgesetzt.
»Wir müssen die Linie halten!«, sagte ein Mann neben mir angespannt.
»Ja«, sagte ich, »das stimmt!«
Ein anderer Mann in meiner Nähe hob seinen Bogen, den Pfeil abschussbereit gespannt. Er spannte den Bogen, zog die Sehne nach hinten, den Pfeil in einem steilen Winkel. Dann entspannte er den Bogen, ließ die Sehne jedoch nicht los.
»Sie werden bald in Schussweite sein«, meinte er.
»Zieh dich zurück!«, flehte der Offizier oben auf dem Vordersteven Callimachus an. »Zieh dich zurück!«
»Sie würden uns erreichen, bevor wir beigedreht haben«, erwiderte Callimachus.
Ich hörte, wie der Stahl aus der Scheide gezogen wurde.
»Blast die Kampfhörner!«, befahl Callimachus.
»Blast die Kampfhörner!«, befahl der Offizier neben ihm.
Danach erfüllten die bronzenen Kampfhörner mit ihrem schrillen Tuten die Luft am Vosk. Ich zog mein Schwert aus der Scheide.