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Dauer und Intensivierung

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Prozessionen stellen eine sehr effektive Maßnahme dar, um eine Öffentlichkeit für ein Ritual zu schaffen und eine sehr diversifizierte städtische Topographie zu zentralisieren. Anders kann die mächtige Anziehungskraft des Triumphes für viele – aber keineswegs alle24 – republikanischen Generäle nicht verstanden werden. Trotzdem impliziert das Betrachten einer Prozession entlang der Prozessionsroute – auch einer Route, deren Rand immer mehr monumentalisiert wird25 – bestimmte Grenzen und Defizite.

Die erste Grenze ist zeitlich. Die Wichtigkeit einer Prozession könnte durch ihre Länge dargestellt werden, doch Tempo und Dauer des natürlichen Lichts setzen dem Grenzen. Triumphprozessionen experimentierten zu Beginn des zweiten Jahrhunderts mit zweitägigen Prozessionen, die im ersten Jahrhundert v. Chr. sogar drei Tage erreichten. Doch die (uns unbekannten) Reaktionen scheinen den Organisatoren solcher Mammutumzüge gezeigt zu haben, dass man sich lieber auf unterschiedliche Kriegsbeuten und Kriegsdarstellungen – zum Beispiel durch je eintägige Triumphzüge zu unterschiedlichen Völkern und Regionen – konzentrieren sollte, anstatt einen unendlichen Zug von Personen und Bildern zu schaffen.26 Die Verlängerung der Wettkämpfe oder szenischen Spektakel in den Spielen war da einfacher. Zur Zeit des Kalenders von Antium wurden jeweils neun Tage im September für die Ludi Magni und im November für die Ludi Plebeii angegeben.

Eine andere Art von Ritual erreicht noch größere Länge, nämlich die supplicationes, auf deren Geschichte ich schon kurz eingegangen bin. Sie waren ein dezentrales Ritual, bei dem alle (oder zumindest viele) Tempel geöffnet waren, um dort Opfer und Bankette über die ganze Stadt hinweg, im zweiten Jahrhundert sogar über ganz Italien,27 möglich zu machen. Als außergewöhnliches Ritual der Bitte oder des Dankes dauerte es meist einen bis drei Tage während der mittleren Republik – hier sind erneut die annalistischen Geschichtswerke nicht vertrauenswürdig genug, um die Entwicklung präzise nachzuvollziehen –, bevor die Zahl während des letzten Jahrhunderts der Republik explodierte. Drei Supplikationen von fünfzig Tagen in den Jahren 45, 44 und 43 v. Chr. markieren den Gipfel dieses Trends. Offensichtlich, wie ich ebenfalls bereits bemerkt habe, erlaubte eine solche Dauer keine Unterscheidung zwischen außergewöhnlichem Ritual und Alltag. Kein Wunder, dass dieser Ritualtyp seit der Augusteischen Zeit an Bedeutung verlor. Obwohl der Fokus dieses Buches auf pragmatischen und politischen Aspekten der Religionsgeschichte und besonders auf dem Wandel in der Natur, der Struktur und der Kohärenz der Nobilität liegt, soll ein langfristiger Effekt dieser rituellen Entwicklung nicht übersehen werden. Ich behaupte, dass das Phänomen des täglichen Kultes in Form von kleinen täglichen Opfern, Hymnen oder Lampen, wie wir sie aus einigen Tempeln kennen und wie sie in der Kaiserzeit an Bedeutung gewannen, teilweise aus der Idee der Vergrößerung der Ritualeffizienz durch immer weiter verlängerte tägliche Kulte an den gleichen Tempeln entstanden ist.28

Prozessionen implizieren nach der zeitlichen noch eine zweite Einschränkung: Die Interaktion zwischen den Teilnehmern ist eingeschränkt, auch wenn natürlich Zuschauer miteinander interagierten. Ovid wusste davon: In seiner Ars Amatoria empfiehlt er den männlichen Zuschauern das Theaters, den Zirkus, Gladiatorenwettkämpfe (munera) und den Triumph als Orte, um neue weibliche Bekanntschaften zu machen, und stellt sich die verbale Kommunikation vor, die dort stattfinden würde.29 Der Prolog von Plautus’ Komödie Poenulus (1–45) gibt uns ein noch lebendigeres Bild:

Achillem Aristarchi mihi commentari lubet: inde mihi principium capiam, ex ea tragoedia ‚sileteque et tacete atque animum advortite, audire iubet vos imperator‘ – histricus. bonoque ut animo sedeant in subselliis, 5
et qui esurientes et qui saturi venerint: qui edistis, multo fecistis sapientius, qui non edistis, saturi fite fabulis; nam cui paratumst quod edit, nostra gratia nimia est stultitia sessum impransum incedere. 10
‚exsurge, praeco, fac populo audientiam.‘ iam dudum exspecto, si tuom officium scias: exerce vocem, quam per vivisque et colis. nam nisi clamabis, tacitum te obrepet fames. age nunc reside, duplicem ut mercedem feras. 15
‚Bonum factumesse, † edicta ut servetis mea.‘ scortum exoletum ne quis in proscaenio sedeat, neu lictor verbum aut virgae muttiant, neu dissignator praeter os obambulet neu sessum ducat, dum histrio in scaena siet. 20
diu qui domi otiosi dormierunt, decet animo aequo nunc stent, vel dormire temperent. servi ne obsideant, liberis ut sit locus, vel aes pro capite dent; si id facere non queunt, domum abeant, vitent ancipiti infortunio, 25
ne et hic varientur virgis et loris domi, si minu’ curassint, quom eri reveniant domum. nutrices pueros infantis minutulos domi ut procurent neu quae spectatum adferat, ne et ipsae sitiant et pueri pereant fame 30
neve esurientes hic quasi haedi obvagiant. matronae tacitae spectent, tacitae rideant, canora hic voce sua tinnire temperent, domum sermones fabulandi conferant, ne et hic viris sint et domi molestiae. 35
Quodque ad ludorum curatores attinet, ne palma detur quoiquam artifici iniuria nive ambitionis causa extrudantur foras, quo deteriores anteponantur bonis. et hoc quoque etiam, quod paene oblitus fui: 40
dum ludi fiunt, in popinam, pedisequi, inruptionem facite; nunc dum occasio est, nunc dum scribilitae aestuant, occurrite. haec quae imperata sunt pro imperio histrico, bonum hercle factum pro se quisque ut meminerit.30 45

An des Aristarch „Achilles“ euch zu erinnern, kommt

die Lust mich an: Aus diesem Trauerspiel

wähl ich den Anfang mir: „Verstummt und schweiget still

und wendet euch aufmerksam her: Mir euer Ohr

zu leihen, befiehlt der General“ – der Schauspieler.

Behaglich nehmen alle auf den Bänken Platz,

er möge hungrig oder satt gekommen sein.

Ihr, die ihr schon gespeist habt, tatet klüger dran,

ihr, die noch nüchtern, sättigt euch an unserem Stück:

Denn wem das Mahl parat steht, der wär allzu dumm,

käm unseretwegen ohne Frühstück er daher. –

„Auf, Herold, öffne du das Ohr dem Publikum!“

Schon lange wart ich, ob du deine Pflicht auch kennst.

Erheb die Stimme, die dich nährt und kostümiert;

denn schreist du nicht, zwickt Hunger dich, den Schweigenden. –

Gut, setze dich, damit du doppelt Lohn empfängst. –

„Es sei wohl getan, dass ihr beachtet mein Edikt!“

Kein feiles Weibstück nehm im Vordergrunde Platz,

kein Lictor sprech ein Wort, kein Stecken rühre sich,

kein Platzanweiser lauf auch uns Schauspielern

vor der Nase herum, noch führ er, während wir im Spiel

begriffen sind, Zuschauer zu den Sitzen hin.

Wer mit Nichtstun daheim die Zeit verschlafen hat,

der lasse sich’s gefallen, dass er stehen muss,

im anderen Falle schlaf er künftig weniger.

Auch für die Sklaven ist kein Raum zum Sitzen hier,

den Freien nur gehört er; oder sie mögen sich

die Freiheit kaufen. Wer das nicht erreichen kann,

geh heim und meide so zweifaches Ungemach:

Dass nicht die Ruten hier ihn bläuen und der Strick daheim,

falls was versäumt ist, wenn der Herr nach Haus’ zurück.

Die Ammen mögen ihre kleinen Kinderlein

daheim besorgen, nicht ins Schauspiel mitbringen,

auf dass sie selber nicht der Durst, die Kinder nicht

der Hunger quäle, dass sie wie die Böckchen schreien.

Die Damen mögen still zuschauen, auch still lachen,

dem Klingklang ihrer hellen Stimme werde Ruh;

sie sollen, um zu schwätzen, nur nach Hause gehen

und nicht auch hier den Männern lästig sein wie dort.

Was nun die Veranstalter der Spiele anbelangt,

so werde keinem Künstler unverdient der Preis,

auch keiner wer aus Eifersucht hinweggedrückt,

noch ziehe den geringeren man dem besseren vor,

und noch ein Punkt, vergessen hätt ich den beinah:

Solang gespielt wird, stürzt ihr, der Bediententross,

der Küche zu – gar schön ist die Gelegenheit –,

jetzt, wo die Käsekuchen dampfen, macht euch frisch daran!

Das ist’s, was die Theaterpolizei verlangt;

gut geht es, wenn sich’s jedermann zu Herzen nimmt.

Der Text – und dem dient die Wahl einer metrischen Übersetzung – ist keine ethnologische Beschreibung, sondern polemische Aussage eines Impresarios. Aber durch die Klage hindurch wird die enorme Attraktivität dieses Typs von Ritual deutlich – und die Folgen, die das für die Durchführung selbst, aber auch im Umfeld haben kann. Im Circus Maximus gab es Sitze, aber aufgrund ihrer geringeren Größe ermöglichten Theater – die für die längste Zeit der Republik temporäre Einrichtungen waren, die teilweise innerhalb eines Zirkus aufgebaut wurden – intensivere Kommunikation mit dem Publikum als Ganzes. Das enorme Wachstum der ludi scaenici während des zweiten Jahrhunderts v. Chr. kann nicht von dieser Tatsache getrennt werden. Auch wenn moderne Theorien über die politischen Funktionen der dramatischen Vorführungen in Rom mehrheitlich auf Beobachtungen erst Ciceros ruhen, muss jede unvoreingenommene Beschreibung anerkennen, dass die Intensität der politischen Kommunikation innerhalb dieses Rituals enorm anstieg.

Rituale in kleineren Kreisen, die nicht identisch mit Primärgruppen wie Familien sind, boten eine noch intensivere Form der Kommunikation.31 Das Bankett als aristokratische Praxis hatte schon die Möglichkeit geboten, Luxusgüter in den aristokratischen Kreisen der frühen latinischen Städte zu zeigen. In der mittleren und späten Republik wurde es entweder wiederbelebt oder als soziale Praxis intensiviert. Die Ausbreitung von Villen in den Gegenden um Rom bot einen wachsenden Raum für verfeinertes Speisen. Professionelle Poeten wie Ennius boten attraktive und neidvoll beobachtete Formen der Unterhaltung. Dies war keine rein säkulare Form des Festes. Literarische Dialoge operierten typischerweise mit der Fiktion, dass sie an religiösen Daten und während deren Banketten stattfanden. Nach den Fasti Praenestini gab der neu eingeführte Kult der Großen Mutter der Götter Anlass zu mutitationes, gegenseitige Einladungen zum Essen innerhalb des Adels. Die massiven Veränderungen des Banketts als Ort sozialer Selbstdarstellung und Distinktion werden indirekt bezeugt durch ihre herausragende Rolle in den Luxusgesetzen dieser Epoche, die sich bemühten, Ausgaben zu begrenzen und die Bankettzirkel in den offenen, das heißt öffentlichen und kontrollierbaren, Raum zu drängen.32 Diese Entwicklung begann weit vor dem frühen zweiten Jahrhundert mit seinen überlieferten Gesetzen. Die Reformen der Priesterkollegien durch die lex Ogulnia des Jahres 300 v. Chr. verwandelte sie den Mitgliederzahlen nach in „bankettfähige“ Kreise von neun Personen (drei für jedes triclinium); das längste erhaltene Fragment der Protokolle des pontifex maximus gibt uns Details eines solchen priesterlichen Essens.33 Wenn 196 v. Chr. eine neue Priesterschaft geschaffen wurde, die einzige derartige Innovation, die zu einer neuen Gruppe führte, die das Prestige der Auguren, Pontifices und (Quin-)Decimviri erreichte, waren dies die tresviri epulonum, deren Pflichten vor allem aus der Organisation senatorischer Bankette bestand, die mit den großen Iuppiter-Festen im September und November einhergingen.

Römische Religion in republikanischer Zeit

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