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Der Traum des Tarquinius Superbus
ОглавлениеDas längste überlieferte Fragment des Accius ist der Traum des Königs Tarquinius Superbus, dass aus zweiundzwanzig Versen im Vorwort des Brutus (651–672 D) besteht. Es wurde vermutlich um 136 nach der Rückkehr des D. Iunius Brutus, des Konsuls des Jahres 138, aus Spanien31 erstmals aufgeführt. Das Fragment zeigt Accius’ rationale Beschäftigung mit literarischen und religiösen Themen und die Ergiebigkeit, diese Beschäftigung im Lichte eines breiteren Verständnisses zeitgenössischer Veränderungen religiöser Praxis und Diskurse zu untersuchen.32
Die historisch-religiösen Motive des Auszugs haben schon lange das Interesse am Traum beflügelt.33 Interessant für eine Argumentationsgeschichte ist aber weder das Traummotiv noch der Inhalt seiner Interpretation, sondern die Interpretation eines professionellen Deuters durch eine genaue Theorie der Träume:
Rex, quae in vita usurpant homines, cogitant, curant, vident,
quaeque agunt vigilantes agitantque, ea si cui in somno accidunt,
minus mirum est; sed in re tanta haud temere improviso offerunt (663–665 D).34
König, was die Menschen im Leben beschäftigt, was sie denken, umsorgen, sehen und was sie im Wachzustand tun oder zu tun gedenken: Wenn diese Dinge irgendjemandem im Schlaf zufallen,
nimmt es nicht wunder, aber in einer Angelegenheit dieser Größenordnung bieten sie sich nicht ohne Grund und unerwartet dar.
Die Traumtheorie, die hier angeboten wird, wurde zuvor nicht in lateinischer Sprache formuliert.35 In Plautinischen Werken beispielsweise bekommen detaillierte Traumszenen ihre thematische Bedeutung aus den Ähnlichkeiten von Traum und Realität, aber das Thema des Traumes ist der Gegensatz der Realität, die sofort auf den Traum folgt.36 Plautus’ Traumtheorie, die im Dämonen-Prolog des dritten Akts des Rudens wie auch dem Mercator enthalten ist, unterscheidet sich in offensichtlichen Punkten von der des Accius:
Miris modis di ludos faciunt hominibus,
mirisque exemplis somnia in somnis danunt:
ne dormientis quidem sinunt quiescere.37
In wunderbaren Weisen spielen die Götter Spiele mit den Menschen, in wunderbaren Fällen geben sie Träume im Schlag:
Nicht einmal den Schlafenden gestatten sie zu ruhen.
Die Götter spielen ihre Spiele mit den Menschen und dies ist „wundersam“: Diese Charakteristik dient dazu, das gesamte Phänomen von einer rationalen Erklärung auszunehmen. Im Gegensatz dazu ist Accius, wo er an diese Sprache anknüpft, polemisch: mirium, das Wundersame, ist genau das, was negiert wird. Selbst das zugegebenermaßen Übernatürliche, das genau der Gegenstand der Überlegungen des Traumdeuters ist,38 wird durch den Traumdeuter als einer gewissen (wenn auch vagen) Notwendigkeit folgend beschrieben: Es ist „nicht ohne Grund.“ Die Bemühung einer rationalen Erklärung innerhalb der Rahmenbedingung eines Weltbildes, das fraglos die Existenz von Göttern annimmt, ist deutlich genug. Erneut lässt sich ein vergleichbares theoretisches Vorgehen bei der Traumdeutung nicht in der früheren lateinischen Literatur finden.39
Bemerkenswert in den Worten des Traumdeuters ist eine Verbindung von Träumen zu anderen Formen der Divination. Der Inhalt des Traumes selbst hat gewissermaßen gleich zwei divinatorische Elemente: ein missglücktes Tieropfer und ein ungewöhnliches astronomisches Ereignis, eine Veränderung des Sonnenlaufes. Diese Hinweise dienen der Vereindeutigung.40 Der private Bezug der ersten Handlung, ein Angriff durch das Opfertier, ist meines Wissens in der römischen Divinationspraxis nicht klassifiziert, aber eindeutig negativ. Es steht in Verbindung mit der genauen Klassifizierung eines schlechten öffentlichen Omens (ostentum) (668–672 D):
… nam id quod de sole ostentum est tibi,
populo commutationem rerum portendit fore
perpropinquam. haec bene verruncent populo! nam quod [ad] dexterum
cepit cursum ab laeva signum praepotens, pulcherrume
auguratum est rem Romanam publicam summam fore.
… denn das, was Dir von der Sonne gezeigt wurde: Es sagt voraus, dass für das Volk eine Umwälzung sehr nahe bevorsteht. Möge das dem Volk gut ausgehen! Denn dass ein übermächtiges Zeichen von links seine Bahn nach rechts hin nimmt, hat am schönsten angezeigt, dass das römische Gemeinwesen an der Spitze stehen wird.
Die astronomische Irregularität ist, nach ihrem Bezug und ihrer Richtung, ein Gegenstand der Augurallehre.41 Hier sehen wir erneut Accius’ Bemühungen, den Erfolg einer Divinationstechnik zu sichern, indem er mehrere Techniken gleichzeitig auf die Deutung von Zeichen anwendet.