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Distinktion und Kontrolle
ОглавлениеBis jetzt lautete mein Argument, dass die Möglichkeit der Verfeinerung, Modifizierung und Neuschaffung von Formen sozialer Differenzierung eine wichtige Triebkraft hinter der Vermehrung und Vergrößerung bestimmter teurer publikumsgerichteter Rituale war. Soweit wir sehen können und es die Geschichte der Rituale betrifft, war dieser Prozess nicht vorrangig von der Modifizierung traditioneller Wettbewerbe, Opfer und ähnlichem geprägt, sondern durch die Schaffung neuer Rituale, die neuen Akteuren, zumeist Magistraten, die Möglichkeit bot, sich von anderen zu unterscheiden. Die Formierung einer neuen Adelsschicht, die Integration von Patriziern und Ämter bekleidenden Plebejern zur Nobilität seit dem Ende des vierten Jahrhunderts verlangte eine intensivierte Kommunikation zwischen ihren Mitgliedern genauso wie zwischen Nobilität und Volk. Die Entwicklung einer „Literaturkultur“ von Drama und Epos (und die Finanzierung von beidem) ist ein Ergebnis dieses Kommunikationsbedürfnisses und der jeweiligen rituellen Kontexte ihrer Aufführung, nämlich Bankette (und den ihnen vorangehenden Opfern) und ludi scaenici.36
Die Bevölkerung brauchte Platz für Kommunikation untereinander auch für andere Dinge. Dieses Bedürfnis war nicht in erster Instanz dazu gedacht, das dominierende Verständnis von Bürgerschaft und dem eigenen politischen Verbund zu festigen – es gab dafür genug blutgetränkte Möglichkeiten, das heißt Kriege. Andere Probleme brauchten trotzdem eine Möglichkeiten von Kommunikation, eines Publikums und damit einer Gemeinschaft: Wie der zuvor zitierte Prolog des Plautus zeigt, saßen in so einem Publikum auch Frauen und Sklaven. Die Tragödien, vor allem aber die Komödien thematisieren genau dieses: Lust und List, Geld und Geist.
Distinktion war nicht das einzige Ziel, das von diesen Entwicklungen profitierte. Auch soziale Kontrolle wurde erhöht. In wahrscheinlich dem gleichen Jahr, in dem das Drama bei den Megalesien, dem Fest der Mater magna deum Idaea (191 v. Chr.), eingeführt wurde, wurden erstmals Sitze für Senatoren reserviert.37 Gelegenheiten waren zu gleichem Maße auch Kanäle: Genauso wie die Einrichtung eines normativen Rahmens für politische Karrieren die Möglichkeiten kriegerischer Erfolge kanalisierte oder, um es etwas allgemeiner zu sagen, die Ausübung adliger Exzellenz, kanalisierte auch das Spektrum der Rituale öffentliche Kommunikation. Soziale Kontrolle wurde geschaffen, indem die Mitglieder der Oberschicht gezwungen wurden, den Rahmen der öffentlichen Rituale zu nutzen, und zugleich der Zugang zu diesen begrenzt wurde. Die Organisation der Spiele war bestimmten Magistraten zugeteilt oder zurückgekehrten Generälen, der Triumph musste durch den Senat nach ausführlicher Diskussion des Erfolges des Feldzuges fallweise genehmigt werden. Kontrolle wurde auch ausgeübt, indem man den Bau von dauerhaften Theatern verzögerte, was den potenziellen Organisatoren die zusätzlichen Kosten des Baus von temporären Theatern für ein einzelnes Ritual auferlegte, aber auch durch die Debatten darüber und über neue Baulizenzen für Tempel.38 Um zu verhindern, dass Einzelpersonen massenhaft Widerspruch gegen diese neuen Rahmenbedingungen äußerten und sie unterliefen, musste dem Ritual hohes Ansehen verliehen werden, zum Beispiel durch die Öffnung des prestigeträchtigsten Tempels für Iuppiter Optimus Maximus für die Durchführung des Triumphes, durch die Gestattung der Nutzung des Circus maximus oder durch die Verlängerung von Spielen. Aber Widerspruch war trotzdem möglich, oder, um es anders zu sagen, die soziale Einigkeit innerhalb des Adels blieb riskant. Generäle organisierten weiterhin inoffizielle Triumphzüge (die sogenannten Triumphe in monte Albano) ohne die Zustimmung des Senats, errichteten überall in der Stadt Statuen, verteilten unglaubliche Mengen an Kriegsbeute an ihre Soldaten und hielten üppige munera, Gladiatorenspektakel, für die Leute ab.
Die Folgen dieser Ritualkontrolle können deutlicher gesehen werden, wenn wir die Seiten beleuchten, in denen solche Kontrolle fehlte. Weder die öffentlichen Aufzeichnungen über die Kriegführung noch die Vorführung der Kriegsbeute, die in den Prozessionen getragen wurde, noch die Begräbnisprozessionen und ihre Lobreden richteten sich rituell an die Götter, waren sacra publica. Sie waren eher für die Zuschauer gemacht – und waren sehr umstritten. Wie Passagen bei Plautus und Cicero zeigen, wurden in der so eröffneten Massenkommunikation Dörfer zu Städten und Scharmützel zu kriegsentscheidenden Kämpfen, Helden wurden zu Vorfahren und Vorfahren wurden zu Helden – und all das nicht ohne Folgen: Auch Zweifel wurden gesteigert und Debatten angezettelt.39
Die Spiele waren etwas ganz anderes. Bei diesen höchst öffentlichen Events wurden durch das erhöhte Risiko der neuen Kommunikationsarten strukturelle Änderungen vorangetrieben, die Individuen innerhalb des Adels isolierten und den Adel als ganzes von Katastrophen freistellten. Insbesondere in der mittleren und späten Republik traten Adlige weder als Schauspieler noch als Sportler auf. Wettkämpfe wurden komplett den Profis überlassen und dies ist, vor allem in Bezug auf die Rennen und Sportwettbewerbe, eine Veränderung einer früheren Praxis, die die Beteiligung von römischen Adligen und Adligen aus dem Umland kannte. Aber in den sehr ernsthaften Wettkämpfen, die bei großen öffentlichen Ritualen aufgeführt wurden, war eine Niederlage des Sohnes eines Konsuls von der patrizisch-plebejischen Elite der mittleren und späten Republik nicht mehr hinzunehmen. Die Plausibilität dieser Deutung kann durch einen Blick auf jene Wettkämpfe erhärtet werden, an denen Mitglieder der Elite teilnahmen, nämlich die Scheinwettkämpfe etwa zwischen den verschiedenen Gruppen der Luperci im Rahmen des Rituals der Lupercalia oder unter den Scravienses im Rahmen des „Oktoberpferdes“. Nur im Mythos wird der Gewinn folgenreich. Die veränderte Zuschreibung von Sieg und Niederlage durch die Nutzung von Profis hatte zur Folge, dass der organisierende Magistrat keine Verantwortung mehr für das Ergebnis der Wettbewerbe übernehmen musste, auch wenn die Mehrheit durch einen von ihr favorisierten Kämpfer enttäuscht wurde.
Die Götter übten trotzdem Zensur aus. Da sie die Hauptadressaten der Rituale waren, profitierten sie sowohl von den Opfern selbst als auch von den Zuschauern. Letztere – als zweitrangige Zuschauer – beobachteten die zusehenden Götter. So konnten sie sich sicher sein, dass sie Zeugen eines Kulturgeschehens erster Güte waren, wie es die Namen der Stücke, die zuvor genannt wurden, zeigen. Die Götter bekamen griechische oder an Griechischem orientierte Kulturprodukte, die die gleiche Herkunft und Aussehen hatten wie diejenigen, die sich die Adligen aller italischen Gemeinden für ihre Villen und Bibliotheken aussuchten.40 Adlige und Götter schienen den gleichen Geschmack zu haben. Wie konnte die Bevölkerung diese Bewunderung nicht teilen, wenn sie auch, natürlich, nicht darüber verfügte? Um sicher zu gehen, wurden Anpassungen an lokale Gegebenheiten in griechischen Komödien und Tragödien für das italische Publikum gemacht, auch wenn die lokalen Zentren der Produktion sich so entwickelten, dass sie hellenistische Waren mit lokalen Medien, lokalen Techniken und lokalen Vorlieben produzierten. Nichtsdestoweniger ist das gesteigerte Niveau und die unglaubliche Präsenz der griechischen Sprache und Kultur (auch wenn nicht von der Kenntnis der griechischen Originale ausgegangen werden kann)41 erstaunlich. Diese markierte Gegenwart des Griechisch-Nobilitären wurde den Zuschauern vermittelt, indem die Götter positiv auf diese Dinge in einer Art und Weise reagierten, die nachgeahmt werden konnte.