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4. Vom sacerdos zum notarius: CCID 381/Zappata
ОглавлениеDas bereits angedeutete Problem unterschiedlicher kultinterner Klassifikationssysteme wird in der Inschrift CCID 381/Zappata 20 besonders deutlich. Die angekündigte – als einen derartigen Gliederungshinweis darf man wohl die pro-salute-Formulierung verstehen – Gliederung in sacerdotes, candidati und colitores huius loci wird nämlich nicht durchgeführt. Die Liste derer, die sich „Iuppiter Optimus Maximus Dolichenus erwählt hat, ihm zu dienen“, beginnt zwar, wie wir aus CCID 373 wissen, mit einem sacerdos, M. Oenopio Onesimus mit dem Beinamen Acacius, dieser wird aber nicht als sacerdos, sondern als notarius qualifiziert. Auch der ihm folgende Septimius Antonius mit dem Beinamen Olympius mag sacerdos sein, bezeichnet wird er aber als pater candidatorum. Für die folgenden patroni kann die Qualifikation als sacerdos sicher ausgeschlossen werden; ein sacerdos folgt erst am Ende der akkusativischen Reihe auf den curator templi Aurelius Severus Veteranus. Die Erweiterung des religiösen Terminus technicus frater carissimus am Anfang um collegas hon(estissimos) dürfte dem Bemühen des Dedikators, des Tettius, entspringen, sich selbst jedem Leser als gleichrangig zu erkennen zu geben und einer allzu weit reichenden brüderlichen Gleichheit unter den Dolichenus-Verehrern einen Riegel vorzuschieben.
Vergleicht man die bisher behandelten Dedikationsinschriften, so fällt die schon angesprochene wechselnde Positionierung des per- beziehungsweise akkusativischen Elementes sowie der Wechsel in der Titulatur des Acacius auf. Nach den auf den Listen auftauchenden Namen zu urteilen, stehen CCID 373/Zappata 13 und 375/ Zappata 1421 zeitlich sehr dicht nebeneinander, während CCID 381/Zappata 20 einer etwas späteren Zeit angehört: Auf einer Reihe von Positionen haben sich Veränderungen ergeben; das Auftreten von Septimius und Severus als Namensbestandteile, die zuvor völlig gefehlt haben, spricht ebenfalls dafür: Dann läge der Beginn der Severischen Dynastie zwischen diesen Texten.22 Die Entwicklung läuft also, auf Acacius bezogen, vom sacerdos zum notarius.
Diese Entwicklung findet eine Parallele in weiteren datierbaren Dedikationsinschriften. Jeweils dem Dolichenum auf dem Aventin zuzuordnen, verwendet CCID 363/Zappata 9 vom 1. März 183 n. Chr. die orthographisch ganz mangelhafte Formulierung sup sacerdotae Aquila Barhadados [statt sub sacerdote] – „unter dem Priester Aquila Barhadados“. Dem Formular nach zeitlich in die Nähe gehört CCID 364/ Zappata 5: Sie beginnt ebenfalls mit der Formulierung Iovi Optimo Maximo Dolicheno ex iussu ipsius und schließt mit der Formulierung per sacerdote(m) Chaibione(m). CCID 380/Zappata 19 dürfte zeitlich dicht an CCID 381/Zappata 20 zu rücken sein: Hier wird die Dedikation ex praecepto statt ex iussu durchgeführt, und zwar per Acacium notarium et Olympium patrem. Wiederum etwas später muss die von dem schon bekannten L. Tettius aufgestellte Inschrift datiert werden, mit der eine Skulptur sub scriba Fonteio Eutycho dediziert wird (CCID 379/Zappata 18). Da es sich bei notarius nicht um einen alt eingeführten Begriff des Dolichenus-Kultes zu handeln scheint, darf man annehmen, dass mit scriba kein neuer Rang, sondern ein Synonym für notarius Verwendung findet: Bei Fonteius Eutychus handelt es sich also um einen Nachfolger des Acacius. Die letzte in diese Reihe zu stellende, sicher datierbare Inschrift stammt vom 10. Oktober 244 n. Chr. Hier wird wohl von einem candidatus (nämlich salvis candidatis) … per C(aium) Fabium Germanum dediziert – ohne eine nähere Spezifizierung des Amtes, das Fabius einnahm (CCID 383/Zappata 40).23
Zur Einordnung dieser Entwicklung ist es wichtig festzuhalten, dass in anderen Inschriften außerhalb des aventinischen Dolichenums, wenn die Inschrift nicht ohnehin von einem sacerdos stammt, die per- beziehungsweise die sup-Formulierung mit einem sacerdos konkurrenzlos ist. Offensichtlich ereignet sich in der personellen Struktur des Dolichenus-Kultes auf dem Aventin ein Wandel. Das zugrundeliegende Muster ist zunächst eine durch religiöse Kompetenz bestimmte Hierarchie, die vom einfachen cultor über candidati zum sacerdos aufsteigt. Mit dieser Hierarchie verbunden, aber nicht klar in sie eingeordnet, erscheinen weitere Funktionsträger: lecticarii dei, das von Crescentianus eingenommene, aber leider unbekannte Amt, schließlich ein curator templi. Unter den sacerdotes, die nicht im Singular bleiben müssen, kann einer die spezielle Funktion des pater candidatorum, eines Betreuers besonders der Kandidaten, einnehmen. Diese Struktur wird schon vor der Severischen Zeit überlagert durch eine Kollegialstruktur, in der eine größere Gruppe patroni die führende Rolle einnimmt und sich dabei am Muster der „ersten zehn“, der decem primi städtischer Dekurionen orientiert. Auch wenn einzelne herausgehobene sakrale Funktionsträger diesem Kreis (in gehöriger Differenzierung) zugerechnet werden, ist die religiöse Qualifikation nicht das Entscheidende: sacerdotes bilden unter ihnen die Ausnahme. Gleichwohl scheinen sie vielfach nach einer religiösen Qualifikation zu suchen und ihre Erwählung oder ihren Status als candidati, den sie mit vielen teilen dürften, zu betonen. Innerhalb dieser engeren Gruppe könnte ein princeps eine jährlich wechselnde Leitungsaufgabe innegehabt haben.24
Die Vielzahl der patroni mag überraschen, die Wahl eines Titels, der normalerweise einem einzelnen vorbehalten ist, für alle Mitglieder eines Leistungsgremiums findet aber in der Vielzahl der für Rom nachgewiesenen jüdischen Archonten (nahezu fünfzig im Vergleich zu einem einzigen presbyter) eine Parallele.25 Der curator templi (CCID 381/Zappata 20) dürfte eine innerhalb dieses Kreises entwickelte Funktion darstellen. Er war kaum in die religiöse Hierarchie eingeordnet.
Die religiöse Hierarchie wird nur verzerrt abgebildet. Dass die sacerdotes jeweils am Ende der Listen herausgehobener patroni auftauchen, zeigt die mangelnde Verrechenbarkeit beider Hierarchien, und das heißt: die gesunkene Bedeutung der traditionellen religiösen Hierarchie. In dieselbe Richtung weist der Titelwechsel des „Oberpriesters“. Mit notarius erhält Acacius einen von jeder religiösen Konnotation befreiten, vermutlich in der zeitgenössischen Wertung auch gegenüber dem Patronus-Titel in Prestige-Assoziationen geringerwertigen Titel. Das Synonym scriba unterstreicht dies: Das sakrale Spitzenamt gerät in eine gegenüber der Spitze des Kollegiums dienende Funktion.
Vergleicht man die Entwicklung am Dolichenum mit den übrigen epigraphischen Zeugnissen, ist angesichts der sehr ungleichen Bezeugung Zurückhaltung bei der Postulierung stadtrömischer Spezifika geboten. Dennoch kann man über die bloße Feststellung lokal unterschiedlicher Organisationsformen und Sozialstrukturen26 hinausgehen. Während sacerdotes/hiereîs überall nachzuweisen sind und candidati wenigstens an zwei weiteren Orten (Carnuntum, Brixia)27 erscheinen, bleiben patroni und principes auf den Aventin beschränkt. Einen scriba, und zwar mit leitender Funktion, findet man schon früher, nämlich 183 n. Chr. in Carnuntum.28 Dass sich Parallelen gerade an dem militärisch geprägten Standort Carnuntum finden, unterstreicht, dass die Entwicklung am Aventin weniger lokalen Ideosynkrasien als vielmehr einer spezifisch römischen Gesellschaftsauffassung zu verdanken ist. Möglicherweise hängt die aventinische Entwicklung mit dem Hinzutreten von Angehörigen der Ritterschicht zusammen.29
Religionsgeschichtlich dürfte noch ein letzter Gewinn aus der Verhältnisklärung von patroni und candidati zu ziehen sein: Es dürfte deutlich geworden sein, dass soziologisch am aventinischen Dolichenus-Heiligtum von „Gemeinde“ nicht gesprochen werden kann. „Patrone und Kandidaten“ ist kein Synonym für „Gemeinde“, für die plebs eines Vereines, sondern eine Bezeichnung der gehobenen Schichten der Mitgliedschaft. Die soziale Qualifikation steht an vorderster Stelle (in „Rangklassen“ wohl nach dem Senioritätsprinzip geordnet – das erklärt die konstante Reihenfolge der Nennungen über die Inschriften hinweg). Gehobene religiöse Qualifikation wird anerkannt, führt aber nur bei den vollen Spezialisten zur Namensnennung – um die Funktion als lecticarius wissen wir nur aus manchen Inschriften. Auffällig ist auch die Verbindung von stabilen Positionen und schnell wechselnden weiteren Namen: Dafür wird man nicht nur biologische Gründe geltend machen können, sondern auch die Stabilität der Zugehörigkeit zum Kult anfragen müssen. Vermutlich hatte die Gruppe um das Heiligtum häufiger das Ausscheiden führender Mitglieder zu verkraften.
Ein Vergleich mit der Ausbildung jüdisch-christlicher Strukturen im Rom des zweiten und dritten Jahrhunderts könnte aufschlussreich sein. Auf vergleichbare Entwicklungen im jüdischen Bereich war bereits kurz hingewiesen worden. Für das Christentum ist einerseits an die starke Stellung der auf sieben begrenzten ständigen Diakone zu erinnern, die vielfach in der Besetzung des Bischofsamtes – das gleichfalls (und zwar schon außerrömisch) einen nichtsakralen Titel (episkopos) führte – erfolgreich waren. Andererseits sind hier Professionalisierungsprozesse zu beobachten, die für das Dolichenum gerade zu fehlen scheinen. Aber das ist ein Bild aus der Vogelschau: Für die Modellbildung zur Beschreibung von Gemeindeentwicklungen im genannten Zeitraum, das Verhältnis von Patronen, Raum- und Geldgebern („Titelkirchen“) zu religiösen Spezialisten können die Befunde vom Aventin hilfreich sein; denn für die Religionsgeschichte des dritten und vierten Jahrhunderts insgesamt ist die Frage von Sakralisierungen und Desakralisierungen politischer, administrativer und religiöser Ämter von hoher Bedeutung.