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2. Der Text

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Mit viertausend „Versen“ nach der Zählung des auf das vierte Jahrhundert zurückgehenden Kanons des Codex Claromontanus ist der Pastor Hermae deutlich länger als jedes andere neutestamentliche Buch, es folgen nach der Zählung desselben Kataloges mit zweitausendneunhundert Versen das Evangelium des Lukas, dann Matthäus und die Apostelgeschichte mit jeweils zweitausendsechshundert. In der traditionellen Zählung der sicher sehr alten Überschriften wird der Text in fünf Visionen (visiones), zwölf „Gebote“ (entolaí, mandata) und zehn Gleichnisse (similia) eingeteilt. Die zwölf Mandata stellen Diktate einer Erscheinung in Gestalt des namengebenden Hirten dar. Es sind zum Teil kurze Texte, zum Teil längere paränetische, ermahnende Ausführungen, die Dialoge und weitere Visionen (zum Beispiel mand 11) einschließen können. Themen sind Tugenden wie Glaube, Wahrheit und Keuschheit. Im Zusammenhang mit letzterem wird das Problem der Scheidung und Wiederverheiratung besprochen. In den Ausführungen über die Ambivalenz von Glauben, Furcht und Enthaltsamkeit fließen wirkungsgeschichtlich wichtige dualistische Momente ein, die in den Bildern des geraden und krummen Weges und der zwei Engel transportiert werden.

Im Verlauf des zwölften Gebots verwandelt sich die Erscheinung und stellt sich selbst als „Engel der Buße“ vor (mand 12,4,7; 12,6,1). In dieser Gestalt trägt sie nun zehn Gleichnisse vor: unter anderen von der Ulme und dem Weinstock, vom sommerlichen und winterlichen Wald, vom treuen Sklaven und vom Weidenbaum, dem Äste abgeschlagen werden (sim 8). Das neunte Gleichnis ist das längste, länger als sim 1 – 7 zusammengenommen; es wiederholt das bereits in der sogenannten dritten Vision geschilderte Turmbaugeschehen, nun in eine präzisere Ortsbeschreibung eingebunden, um einige Personengruppen und eine ermüdend vollständige allegorische Deutung bereichert. Dass der Turmbau in „Arkadien“ lokalisiert wird, gehört zu den ungelösten Rätseln des Textes – zumal der Ich-Erzähler innerhalb der Vision für die Nacht nach Hause (also doch wohl nach Rom) zurücklaufen möchte (sim 9,11,2). Es sei nur am Rande erwähnt, dass diese Lokalisierung zu der Vermutung geführt hat,8 Hermas sei eine fiktive Gestalt, die an den arkadischen Gott Hermes erinnern solle: eine Hypothese, die wohl mehr Probleme schafft, als sie löst. Das zehnte „Gleichnis“ liefert nur noch eine Nachtragsvision zu der mit Gleichnis 9 abgeschlossenen Reihe. Es expliziert noch einmal einige Elemente der Turmvision, nun aber auf der Ebene eines Dialogs im Hause des Hermas, dem der fortdauernde Beistand der als Jungfrauen allegorisierten Tugenden und der Hirtengestalt zugesagt wird und der noch einmal an die Dringlichkeit der Umkehr erinnert wird.

Verschiedene interne Indizien führen zwingend zu dem Schluss, dass die (nach traditioneller Zählung) Visionen eins bis vier einen ursprünglich selbstständigen Text gebildet haben, während beginnend mit der einleitenden vis 5 ein neues Werk beginnt, das auf das Visionenbuch bereits zurückgreift. Die wichtigsten Punkte seien kurz genannt:9

 Der Hirt als kontinuierlicher Begleiter und Offenbarer tritt erst in der vis 5 auf; zuvor erschienen verschiedene Figuren, unter denen sich die als Frau wechselnden Alters vorgestellte Kirche als zentrale erwies.

 Die komplexen Zeitabläufe auf der biographischen Ebene im kurzen Visionenbuch werden durch eine einzige kontinuierliche Vision von vis 5 bis sim 9 abgelöst, die erst eine Ebene tiefer komplexere zeitliche Abfolgen aufweist, nämlich in den Visionen, die innerhalb der Visionen eintreten und in denen der Ich-Erzähler selbst handelnd beteiligt ist, namentlich in sim 9.

 Es gibt Rückverweise auf das Visionenbuch, aber keine Vorverweise im Visionenbuch.

 Meine umständliche Rede vom Ich-Erzähler soll darauf aufmerksam machen, dass die Anrede des Erzählers durch die Erscheinungsgestalten nur im Visionenbuch mit Hermas erfolgt. Ebenso redet der Autor seine Adressaten nur im Visionenbuch direkt an, und zwar mit Brüder.

 Einige frühe Handschriften scheinen nur den zweiten Teil, die weitaus größere Hälfte, unseres Hirtenbuches beinhaltet zu haben;10 das setzt die selbstständige Überlieferung des Visionenbuches voraus, auf das ja auch in den Textversionen dieser Handschriften verwiesen wird.

Unbeantwortet bleibt, wie groß nämlich der zeitliche Abstand der Produktion der beiden Teile war und ob beide demselben Autor zuzuschreiben sind.11 Für meine Zwecke möchte ich lediglich festhalten, dass am Anfang ein verhältnismäßig kleines Visionenbuch stand, das erst später mit der Darstellung einer umfangreichen Vision verbunden wurde, die mit Recht den Titel Poimēn oder lateinisch Pastor, „Hirt“, trug.12 Vielleicht die Zwischenüberschriften ausgenommen, die die Visionen zählen, lassen sich im Visionenbuch keine Spuren redaktioneller Eingriffe bei diesem Vereinigungsprozess nachweisen. Der Erfolg der ersten Textstufe, des Visionenbuches, auf das ich mich im Folgenden konzentrieren werde, wird sowohl durch die Erweiterung wie durch die Überlieferungsgeschichte des gesamten „Hirten“ belegt – unabhängig davon, ob der zweite Teil noch Hermas selbst oder einem anonymen Autor zuzuweisen ist: Erzählinstanz und die Rahmung der paränetischen Teile und eingebetteten Visionen durch eine Vision im Haus bleiben erhalten. Der veränderte literarische Zugriff zeigt sich schon darin, dass die einheitliche Rahmenvision nun einen Text von etwa viereinhalb Stunden Rezitationsdauer – wenn dieser Text noch als Ganzer vorgetragen würde – umschließt.

Anhand der folgenden Tabelle seien der Inhalt des Visionenbuches, seine Schauplatzwechsel und sein zeitlicher Fortschritt kurz vorgestellt. Die Zählung der vier Visionen bildet zwar akzeptable Sinneinheiten, verdeckt aber den kaum zufällig komplizierten Ablauf der Offenbarungen; ich verwende daher die neutralere Kapitelzählung.

Übersicht über das Visionenbuch im „Hirten des Hermas“

Von Jupiter zu Christus

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