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7. Fazit
ОглавлениеLiest man den „Hirten des Hermas“ als Text eines Salzproduzenten, gewinnt man eine technologiehistorische Quelle, zwar begrenzten, in Anbetracht der weiteren Quellenlage aber hohen Wertes.56 Sie gibt Aufschluss über technische Verfahren, vor allem aber die technische Kenntnis- und Phantasiewelt eines präzise lokalisierbaren und datierbaren Fachmanns. Gegen die Hypothese M. Rostowzews57 bezeugt Hermas darüber hinaus die Salinenpacht noch für Hadrianisch-Antoninianische Zeit.
Die planvolle Erweiterung der frühen Turmbauvision in technologischer Perspektive legt für den zweiten Buchteil des „Hirten“, der mit vis 5 beginnt, einen mit dem Autor des Visionenbuches identischen Verfasser nahe. Engstes berufliches Umfeld ist natürlich nicht ausgeschlossen, doch bildete demgegenüber die Annahme eines einheitlichen Verfassers die deutlich einfachere Hypothese. Eine spätere redaktionelle Erweiterung theologisch Interessierter ist demgegenüber unter Verweis auf das einigende, aber nicht einheitliche Band der beiden Zentralvisionen auszuschließen: Hier scheint mir ein deutlicher Gewinn gegenüber der bisherigen Argumentationssituation erreicht zu sein. Für die Sozialgeschichte des Christentums ist über den Befund für Hermas hinaus daran zu erinnern, dass Hermas mit hoher Wahrscheinlichkeit der Bruder eines führenden Presbyters war. Der wichtigste Befund ergibt sich in einer das Christentum überschreitenden religionsgeschichtlichen Perspektive. Hermas’ Konzentration auf seine beruflich geprägte Bilderwelt ist auffällig. Sie ist umso auffälliger, als er auf der Ebene der ethisch-theologischen Argumentation gerade die Problematik des Reich-Seins, seiner ökonomischen Grundlage und der zahlreichen daraus erwachsenden Gefährdungen bevorzugt behandelt. Ein unmittelbarer logischer Widerspruch entsteht insofern nicht, als die Ausübung einer einzigen beruflichen Tätigkeit sich nach Aussage des Textes mit dem christlichen Frömmigkeitsideal verbinden lässt (53,7). Lampe hat hier auf das soziale Interesse des Hermas verwiesen. Die Reichen sind soweit von ihren Geschäften weg auf die christliche Gemeinde hin zu orientieren, dass sie die Aufgabe der Armenversorgung ernstnehmen – dieser Umorientierung dient die zweite Buße. Zugleich kann aber eine dauerhafte Unterstützung nur durch fortgesetzte Ertragstätigkeit gesichert werden – ein notwendiger Kompromiss.58 Diese im Hinblick auf das Soziale funktionalistische Erklärung muss nach dem hier herausgearbeiteten Befund um eine mentalitätsgeschichtliche Komponente erweitert, ja korrigiert werden.
In der in horizontaler, geographischer wie vertikaler, sozialer Hinsicht hochmobilen hauptstädtischen Gesellschaft spielt unterhalb der zahlenmäßig geringen Oberschicht berufliche Identität eine zentrale Rolle. Gerade in Freigelasseneninschriften – hier fassen wir in „Massenquellen“ die zumindest vertikal mobilste Gruppe 59 – spielt die Berufsangabe eine zentrale Rolle für die Selbstdarstellung.60 Das schlägt auf das Sozialverhalten durch: Die Vergesellschaftungsform der Berufskollegien bildet eine quasi natürliche, will sagen: nahezu alternativlose Form der Vergemeinschaftung.61 Das schlägt auf den religiösen Bereich durch: Da die sozialen Aktivitäten der collegia stark durch religiöse Formen (Kult, Mahlgemeinschaft) geprägt sind,62 lässt sich auch umgekehrt formulieren: Religiöse Aktivitäten spielen sich oberhalb der familialen Ebene zu großen Teilen im kollegialen Raum ab.
Hermas, so kann man formulieren, bleibt auch als Christ Salzpächter. Der Erfolg des „Hirten“ lässt nun den (vorsichtigen) Schluss zu, dass nicht nur Hermas, sondern auch sein Primärpublikum (oder zumindest signifikante Teile desselben) ebenfalls mit diesem Berufsfeld vertraut waren. Mit anderen Worten: Auch die Entscheidung für das Christentum darf nicht auf das Moment individueller Konversion beschränkt werden. Berufliche Kontexte können auch hier die Wahl vorstrukturiert haben, zumal sich berufliche Merkmale mit lokalen und sozialen überschneiden: In (wenigstens) einer Hausgemeinde in Trastevere dürften mehrere Salinenpächter oder Salinenarbeiter stärker vertreten gewesen sein und könnten das Christentum als ihr Berufskollegium gesehen haben. Auch unter diesem Aspekt mag die Mahnung zur Konzentration der eigenen beruflichen Aktivitäten einen Grund gehabt haben.
In vergleichender Perspektive stellt sich das Christentum des griechischsprachigen Hermas somit durchaus als typisch stadtrömisches dar: Persönliche Religion stellt sich als berufsassoziiertes Tun dar, das den Primat des Berufes nicht antastet. Die göttliche Offenbarung ist für den Visionär Hermas keine von außen hereinbrechende und alles in Frage stellende Macht, sondern ein durchaus in die alltägliche Vorstellungs- und Lebenswelt integrierbares Geschehen, das aus dem Salinenpächter kein religiöses Genie oder einen religiösen Spezialisten machte. Zweckmäßigerweise verabredet man sich für die größte Vision an der Arbeitsstätte, selbst an die Arkadienreise wird der Anspruch auf heimische Übernachtung gestellt (88,2). Die Struktur der religiösen Gemeinschaft wird in keiner Weise kritisiert oder übergangen; selbst in der „Hausgemeinde“ – man kann diese Aktivitäten nicht ohne weitere Argumente auf die Ebene der römischen Christenheit insgesamt verlagern – wird ein schriftlicher „Dienstweg“ eingehalten. Jeder Eindruck fehlender Öffentlichkeit wird vermieden – auch hier lassen sich für Rom typische Konzepte religiöser Autorität und der Grenzen religiöser Autonomie erkennen.