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5. Iuppiter Dolichenus
ОглавлениеWährend sich in den übrigen römischen (wie außerrömischen) Gruppen von Iuppiter-Dolichenus-Verehrern die erkennbaren personellen Strukturen im wesentlichen auf sacerdotes oder hiereîs beschränken, bieten die Inschriften des Heiligtums auf dem Aventin, allesamt Dedikationsinschriften, eine auf den ersten Blick verwirrende Fülle von Funktionsbezeichnungen oder Rangstufen.14 Es handelt sich zunächst um sacerdotes, „Priester“, wohl mit kultischen Aufgaben. Mit kultischen Aufgaben betraut waren auch die lecticarii dei, die vielleicht nach ihrer Rolle als Statuenträger in Prozessionen benannt wurden. Des Weiteren finden sich candidati, patres candidatorum, patroni und colitores, „Verehrer“; gelegentlich tritt die Spezifikation huius loci, „dieses Ortes“, noch hinzu. Schließlich erscheint ein notarius, ein „Sekretär“, und als Anredeform fratres, „Brüder“.15 Patrone und Kandidaten stehen nach der Struktur der Texte in keinem Komplementärverhältnis, sondern gehören zwei unterschiedlichen Klassifikationssystemen an, wie im dritten Kapitel detailliert gezeigt worden ist. Hier soll nur das Wichtigste noch einmal zusammengefasst werden.
Offensichtlich ereignete sich in der personellen Struktur des Dolichenus-Kultes auf dem Aventin ein Wandel. Das zugrundeliegende Muster ist zunächst eine durch religiöse Kompetenz bestimmte Hierarchie, die vom einfachen cultor über candidati zum sacerdos aufsteigt. Es existierten weitere Funktionsträger, die mit dieser Hierarchie wohl verbunden, aber nicht klar in sie eingeordnet waren: lecticarii dei, das von Crescentianus eingenommene, aber leider unbekannte Amt, schließlich ein curator templi. Von den sacerdotes konnte einer die spezielle Funktion des pater candidatorum, eines Betreuers besonders der Kandidaten einnehmen. Diese Struktur wurde schon vor der severischen Zeit überlagert durch eine Kollegialstruktur, innerhalb derer eine größere Gruppe von patroni die führende Rolle einnahm. Religiös waren diese patroni in der Regel kaum qualifiziert. Vermutlich fielen sie allgemein unter die Kategorie der cultores, nur gelegentlich erscheinen unter ihnen candidati; sacerdotes bilden unter ihnen die Ausnahme. Autoritätsstrukturen innerhalb dieser Gruppe bildeten sich durch die Ausdifferenzierung eines Kreises von (in severischer Zeit auch so bezeichneten) principes heraus, deren kultinterner Status weniger auf ihrer religiösen Qualifikation, denn auf ihrem allgemeinen sozialen Prestige beruht haben dürfte.
Die Vielzahl der patroni mag überraschen; die Wahl eines Titels, der normalerweise einem einzelnen vorbehalten war, für alle Mitglieder eines Leitungsgremiums findet aber in der Vielzahl der für Rom nachgewiesenen jüdischen Archonten (nahezu fünfzig im Vergleich zu einem einzigen presbyter) eine Parallele. Der curator templi16 dürfte eine innerhalb dieses Kreises entwickelte Funktion darstellen. Er war kaum in die religiöse Hierarchie eingeordnet und hatte wohl die Aufgaben eines aedituus.
Die religiöse Hierarchie wird in diesen Texten nur verzerrt abgebildet. Dass die sacerdotes jeweils am Ende der Listen herausgehobener patroni auftauchen, zeigt die mangelnde Verrechenbarkeit beider Hierarchien und somit die gesunkene Bedeutung der traditionellen religiösen Hierarchie. In dieselbe Richtung weist der Titelwechsel des „Oberpriesters“. Mit notarius erhält Acacius einen von jeder religiösen Konnotation befreiten, vermutlich in der zeitgenössischen Wertung auch gegenüber dem Patronus-Titel hinsichtlich von Prestige-Assoziationen geringerwertigen Titel. Das Synonym scriba unterstreicht dies.
Möglicherweise hängt die aventinische Entwicklung mit dem Hinzutreten von Angehörigen der Ritterschicht zur Mitgliedschaft des Kultes zusammen; die Veränderung des Kreises der Beteiligten dürfte ein zentraler Faktor der Entwicklung gewesen sein.17 Von „Gemeinde“ kann am aventinischen Dolichenus-Heiligtum im soziologischen Sinne nicht gesprochen werden. Das Begriffspaar „Patrone und Kandidaten“ ist kein Synonym für „Gemeinde“, für die plebs eines Vereines, sondern bezeichnet die gehobenen Schichten der Mitgliedschaft. Die soziale Qualifikation steht an vorderster Stelle (in „Rangklassen“, wohl nach dem Senioritätsprinzip geordnet – das erklärt die konstante Reihenfolge der Nennungen über die Inschriften hinweg). Gehobene religiöse Qualifikation wird anerkannt, führt aber nur bei den reinen Spezialisten zur Namensnennung. Auffällig ist auch die Verbindung von stabilen Positionen einerseits und schnell wechselnden Namen andererseits: Dafür wird man nicht nur biologische Gründe geltend machen können, sondern auch die Stabilität der Zugehörigkeit zum Kult hinterfragen müssen.