Читать книгу Renko - Jorin Söker - Страница 10
Steffen
Оглавление»Täusche ich mich, oder sieht Renko irgendwie krank aus?«, fragte Kai, während wir uns für das gemeinsame Training aufwärmten. Ausdauerlauf stand auf dem Plan. Eine Disziplin, in der Kai und ich immer gut abschlossen. Renko normalerweise auch. Aber Kai hatte recht: Er machte keinen fitten Eindruck.
Wir waren ein gutes Stück entfernt von ihm und seinem Teampartner am Aufwärmen, aber trotzdem sah man ihm an, dass er nicht ganz auf der Höhe war. Seine Bewegungen waren steif, wirkten vorsichtiger und bedachter als sonst.
»Hm«, brummte ich in meiner sorgfältigen Betrachtung.
»Wollen wir zu ihm gehen und fragen?«, überlegte Kai. Nebenbei machte er weitere Kniebeugen.
»Hm. Weiß nicht, sein Partner steht direkt daneben. Gestern im Büro hatte ich das Gefühl, dass er nicht so gern über sich redet, wenn der anwesend ist«, sprach ich.
Kai sah mich an und zog eine Augenbraue hoch. »Ach? Das ist aber seltsam. Gerade seinem Partner sollte er doch bedingungslos vertrauen.«
Ich zuckte nur mit den Schultern und wärmte mich ebenfalls mit Kniebeugen auf.
»Na, vielleicht kannst du ihn ja während des Laufs kurz ansprechen. Ich schätze, du kommst näher an ihn dran als ich.«
Bevor ich Kai darauf hinweisen konnte, dass während des Laufs mit Sicherheit nicht genügend Luft zum Sprechen da war und nur zu Seitenstechen führen würde, pfiff ein Schichtleiter, der das Training anführte, durch seine Pfeife und rief uns damit auf, in Startposition zu gehen.
Wir waren in etwa dreißig Leute, die an dem Ausdauerlauf teilnahmen. Es galt, in der vorgegebenen Zeit so viele Runden wie möglich auf der Aschenbahn zurückzulegen. Fünfundvierzig Minuten waren angesetzt.
Nach zwanzig Minuten hatte ich mich eingelaufen und war zufrieden mit mir. Kai hatte ich bereits hinter mir gelassen, denn er hatte die Taktik, am Ende nochmal Gas zu geben und Runden aufzuholen, während ich lieber kontinuierlich dasselbe zügige Tempo bevorzugte. Meistens waren wir zum Schluss wieder gleichauf. Ich fokussierte meinen Blick nach vorne und stellte fest, dass ich mich Renko annäherte. Obwohl es den Eindruck gemacht hatte, als würde es ihm nicht gut gehen, war er unter den Schnellsten mit dabei. Noch. Dass ich ihn aber nach der Hälfte der Zeit einholte, war unüblich, also war er wohl doch nicht so fit, wie er wirken wollte.
Mein Blick tastete die vor mir laufenden Kollegen ab, aber an Herrn Häuser, Renkos Partner, musste ich wohl schon vorbeigelaufen sein. Oder war er nach mir gestartet?
In der nächsten Runde war ich schließlich mit Renko auf einer Höhe.
»Na, alles fit?«, fragte ich, mit dem Risiko, Seitenstechen zu bekommen.
Renko blickte mich flüchtig an und nickte knapp. Er war vernünftig und sprach nicht. Ich musterte ihn von der Seite. Sein Gesicht war nass geschwitzt, seine Stirn zusammengezogen, als hätte er Kopfschmerzen. Seine Augen waren zusammengekniffen, als würde er in der Ferne irgendetwas suchen. Irgendwie gefiel mir das Bild nicht. Eigentlich war der Lauf für trainierte Leute ein entspanntes Training. Es passte nicht, dass er so angestrengt aussah.
»Wirklich alles gut?«, hakte ich daher ruhig, aber ernst nach.
Er biss die Zähne zusammen, was ich an seiner Kieferlinie sehen konnte, doch antwortete er mir nicht.
»Renko? Ehrlich jetzt. Du übernimmst dich. Lass uns mal ein Stück langsamer laufen«, redete ich weiter und spürte das erste Stechen in der Seite. Ich ignorierte es. Renko tat Selbiges mit mir.
»Verdammt, guck mich wenigstens mal an, damit ich sicher sein kann, dass alles okay ist!«, fauchte ich. Es war zwar keiner direkt vor oder hinter uns, aber ich wollte trotzdem keine Aufmerksamkeit erregen.
Nach diesen Worten wandte er den Kopf ruckartig zu mir. Wir sahen uns an, während wir weiter unser Tempo hielten. Seine Augen zeigten Trotz, aber da war noch mehr.
Mir fiel sofort auf, dass seine Wangen nicht vom Schweiß feucht waren. Es waren Tränen. Und dann erkannte ich es. Den unterdrückten Schmerz in seinen Augen.
Augenblicklich, bevor er sich dagegen sträuben konnte, packte ich seinen Arm und sorgte dafür, dass wir an den Rand der Bahn kamen. Dort drosselte ich das Tempo, bis wir schließlich standen.
»Was soll das?«, pampte er mich an und riss seinen Arm aus meinen Fingern.
Ich packte ihn stattdessen an den Schultern und sah ihm intensiv in die Augen. »Was ist los?«, fragte ich und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.
Ich weiß nicht, ob es mein Blick oder meine Worte gewesen waren, aber plötzlich sank er in meinen Händen zusammen, sodass ich fester zupacken musste, damit er nicht fiel.
»Lass mich los, ich kann nicht mehr«, drang es leise über seine Lippen.
Ich ließ locker, ging in seiner Bewegung aber mit, bis er auf dem Boden saß. Dort legte er sich hin und rollte sich zur Seite, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Verdammt, Renko! Was ist los mit dir? Sag es mir, sonst kann ich dir nicht helfen.« Ich bettelte regelrecht, als auch schon mein Schichtleiter neben mir auftauchte, gefolgt von Herrn Häuser.
Ausgerechnet der, dachte ich beim Anblick von Renkos Partner.
Bei uns angelangt, zog Thorsten, mein Schichtleiter, mich aus der Hocke und ein Stück von Renko weg. Ich kam gar nicht dazu, zu protestieren.
»Komm, lass Olaf das machen, der weiß vielleicht eher, was sein Teampartner jetzt braucht«, sprach er dabei.
»Ich glaube, er braucht einen Arzt. Es ging ihm vorhin schon nicht gut«, plapperte ich.
»Ja, ja, Olaf wird sich jetzt um ihn kümmern. Komm mit, du siehst gerade auch nicht fit aus. Hinten kannst du trinken.«
Damit deutete er in Richtung der Umkleiden. Notgedrungen machte ich mich mit ihm auf den Weg dorthin, nicht ohne nochmal einen Blick zurückzuwerfen.
Renko hatte sich wieder etwas aufgerappelt. Er saß im Gras, die Hände um die Knie geschlungen. Sein Kollege, von dem ich nun wusste, dass er Olaf hieß, hockte neben ihm und redete auf ihn ein. Renko sah alles andere als glücklich aus.
»Hey, was ist los?« Kais Worte rissen mich von dem Anblick weg. Er war schwer am Atmen, hatte seinen Lauf offenbar gerade erst unterbrochen.
»Wir klären das. Geh und lauf die restliche Zeit», scheuchte Thorsten ihn weg, noch ehe ich etwas dazu sagen konnte.
»Verdammt!«, wütete ich erneut und schleuderte mein Handtuch quer durch den Umkleideraum, in dem nur Kai und ich anwesend waren. Nach der Dusche und nachdem die anderen die Kabine verlassen hatten, hatte er wissen wollen, was denn genau passiert war.
»Ich hätte verflucht nochmal hartnäckiger sein sollen!« Lautstark machte ich mir Vorwürfe.
Kai, der solche Ausbrüche von mir eigentlich nicht kannte, bewahrte trotzdem absolut die Ruhe. Er sammelte mein Handtuch vom Boden auf und stopfte es mit in seine Tasche.
»Beruhig dich. Vielleicht ist Häuser mit ihm zum Arzt gefahren«, wandte er ein.
»Ich will mich aber nicht beruhigen!«, rief ich. »Sein Blick sagte mir ganz deutlich, dass er Hilfe braucht!«
»Steffen, er hat doch Hilfe bekommen. Häuser war bei ihm.«
»Häuser, Häuser«, äffte ich. »Er hat damit was zu tun, das wette ich!«
»Steffen! Jetzt ist aber mal gut!«, fuhr Kai härter dazwischen und baute sich warnend vor mir auf.
Mir war das egal. Ich sah ihn trotzdem nicht an.
»Olaf Häuser ist sein Partner! Wie du und ich! Er wird sich schon gut um ihn kümmern!«
»Es ist eben nicht wie bei dir und mir!«, begehrte ich weiter auf.
»Warum glaubst du das?«, hakte Kai nach, plötzlich wieder in normaler Lautstärke.
Ich kam nicht zu einer Antwort, da wir von der sich öffnenden Tür unterbrochen wurden, die durch die Heftigkeit des Schwungs gegen die Wand krachte.
»Was macht ihr hier für einen Lärm? Seid ihr noch ganz bei Trost?«
Ein gereizter Schichtleiter starrte uns an, auf eine Antwort wartend. Es sollte besser eine gute Antwort sein, denn Thorsten hasste es, wenn jemand laut wurde.
Ich setzte zum Sprechen an, um abzuwiegeln, aber Kai packte mich grob im Nacken und brachte mich damit zum Schweigen, bevor ich überhaupt einen Ton über die Lippen bekam.
»Ich glaube, Steffen hat die ganze Sache heute etwas mitgenommen. Ich kläre das in Ruhe mit ihm. Wir benehmen uns ab jetzt.«
»Wenn der da«, Thorsten zeigte auf mich, »so ausflippt, ist auf jeden Fall irgendwas. Und dieses Irgendwas will ich wissen. Ihr klärt das, ja, aber ich werde dabei sein. Den Weg in mein Büro kennt ihr ja.«
»Ist okay, wir kommen gleich«, stimmte Kai zu.
»Nein, nicht gleich. Sofort. Ich will nicht, dass ihr euch vorher absprecht. Dafür kenn ich euch zu gut. Irgendwas ist hier im Argen.«
Lauernd sah er uns an und wartete, bis wir unsere Sachen beisammen hatten, um ihm zu folgen.
»Setzt euch«, forderte Thorsten uns auf. In seinem Büro angekommen deutete er auf die zwei Stühle vor dem Schreibtisch.
Er selbst ließ sich gegenüber von uns auf seinen Schreibtischstuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust, wie er es immer tat, wenn er gespannt auf ein Gespräch war. Erwartungsvoll sah er mich an.
»Schieß los. Was war da auf dem Platz? Und wag es nicht, ›nichts‹ zu sagen.«
Ich räusperte mich. »Renko, also Herrn Pollack, ging es nicht gut, das bemerkte ich, als ich mit ihm auf einer Höhe lief. Er wollte es erst nicht zugeben und weiterlaufen. Deshalb hab ich ihn zur Seite bugsiert und angehalten.«
»Ach, da hast du wohl wieder zu deinem typischen Steffen-Modus gewechselt«, kommentierte er meine Antwort. »Ich will das aber genauer. Also verkauf mich nicht für blöd und mach den Mund auf!«, fuhr er mich barsch an.
Der Blick von Kai, der mir im Augenwinkel auffiel, zeigte ganz klar, dass ich besser auf das, was mein Schichtleiter verlangte, hören sollte.
Ich seufzte. »Wir haben seit gestern Kontakt zu Herrn Pollack, da wir ihn gefragt haben, ob er bei Mirco im Haus mit uns die Schützlinge trainieren möchte.«
Thorsten war in der Sache komplett aufgeklärt und kannte die Zusammenhänge. Mit einer Geste forderte er mich auf, weiterzusprechen.
»Na ja, jedenfalls ist uns heute Morgen aufgefallen, dass Herr Pollack ..«
»Renko, nenn ihn Renko«, warf Thorsten ein.
Verwundert darüber fuhr ich fort. »Okay. Renko sah heute Morgen nicht fit aus. Dass er das auch nicht war, zeigte sich mir deutlich, weil ich ihn einholte. Ich laufe zwar mit soliden Zeiten, aber von Renko habe ich in allen Läufen bisher immer nur die Rückansicht gesehen. Also überholte ich ihn nicht, sondern blieb auf seiner Höhe und hakte nach. Er sagte nichts, aber als er mich irgendwann ansah, bemerkte ich seine Tränen. Den Rest kennst du. Ich zog ihn beiseite und stellte ihn zur Rede. Bevor er antworten konnte, hast du mich weggezogen.«
»Hm«, äußerte Thorsten und rieb sich übers Kinn. »Und was hat das mit Olaf Häuser zu tun?«
Ich versteifte mich unwillkürlich bei dem Namen. »Ich weiß nicht, was …«, setzte ich an, wurde aber unterbrochen, weil Thorsten mit der Faust auf den Tisch donnerte.
»Steffen! Ich warne dich. Sag. Mir. Verdammt. Nochmal. Was. Das. Mit. Dem. Partner. Von. Renko. Zu. Tun. Hat.«
Ich musste schlucken. Niemals hätte ich erwartet, dass er mich so gut kannte. Wobei … Doch, eigentlich hatte ich das erwartet. »Ich traue ihm nicht.«
»Und weiter?«
»Was denn und weiter?«, fauchte ich, woraufhin Thorsten die Augen verdrehte.
»Warum wolltest du nicht, dass er sich um Renko kümmert?«
»Ich habe da doch gar nichts zu gesagt!«
»Nein, das stimmt. Es war trotzdem ersichtlich. Jedenfalls für mich, der dich gut kennt.«
Verdammt.
»Ist er dein Sub? Oder eurer?«, fragte er plötzlich. Abwechselnd sah er Kai und mich an.
Ja, Thorsten wusste von unseren Neigungen. Denn er war ebenfalls in der BDSM-Szene unterwegs. Wir hatten ihn eines Tages in einem Club getroffen. Auf den Knien vor seiner Frau. Kaum zu glauben, wenn man ihn als Schichtleiter vor sich hatte, aber Thorsten war ein Sub. Allerdings nur zu Hause in seiner Freizeit. Würden Kai und ich hier die Doms raushängen lassen, würde ihn das absolut nicht beeindrucken. Eher würde er uns eine Tracht Prügel verpassen. So submissiv wie er in seiner Freizeit sein mochte, so hart und dominant war er in seinem Job. Kai und ich hatten vollsten Respekt vor diesem Mann.
»Krieg ich da eine Antwort drauf?«, holte Thorsten mich zurück zum Geschehen.
»Nein. Also, ich meine, nein, er ist kein Sub.«
Thorsten zog die Augenbrauen hoch. »Nicht?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Kai war ebenfalls nichts bekannt.
»Komisch», hörte ich Thorsten vor sich hin brummeln, aber weiter sagte er nichts.
»Ich glaube, dass Renko seinen Teampartner nicht sonderlich gut leiden kann«, rückte ich mit der Wahrheit raus, da sich das Gespräch nun vertrauter anfühlte.
Thorsten sah wieder auf. »Das macht keinen Sinn. Als Partner im Dienst müssen sie sich absolut vertrauen können. Er hat noch nie geäußert, dass irgendwas nicht passt oder er sich bei Olaf nicht gut aufgehoben fühlt.«
»Meine Rede«, stimmte Kai ihm zu.
»Es ist aber so. Glaubt mir oder lasst es bleiben. Ich habe da gestern so einen Blick gesehen.«
»Was für einen Blick?«, fragte Thorsten nach.
»Ja, das wollte ich auch wissen. Er hat’s mir nicht verraten«, meinte Kai.
Ich stöhnte auf. »Wie soll ich das denn auch erklären, verdammt? Da war so ein Blick zu Häuser, als ich ihn zum Essen eingeladen habe. Das war so ein … Ach, keine Ahnung. Ich kann das nicht beschreiben! Ich habe ein ungutes Bauchgefühl. Punkt«, sprudelte es aus mir hervor.
»Hm«, machte Thorsten und setzte ein überlegendes Gesicht auf. »Ich kann ja Heiko, den Schichtleiter von den beiden, mal ansprechen. Vielleicht hat der was bemerkt.«
»Nein!«, wehrte ich klar ab.
»Wieso nicht?«
»Wir haben ihn fast so weit, er wollte es sich überlegen, ob er morgen mit zum Training bei Mirco kommt. Wenn er das macht, erfahre ich vielleicht was.«
»Steffen, was willst du da erfahren? Deine geschickten Verhörtaktiken funktionieren bei Renko bestimmt nicht. Der durchschaut dich vorher, ist ja schließlich auch Polizist.«
»Ich werde schon was rauskriegen. Oder besser gesagt wir«, beharrte ich. »Lass seinen Schichtleiter da raus. Bitte«, forderte ich nachdrücklich.
»Hm. Okay. Vorerst. Da ich jetzt Bescheid weiß, werde ich ein Auge auf Renko und Olaf halten. Ist zwar kein Team meiner Abteilung, aber das spielt keine Rolle. Wenn in der Partnerbeziehung irgendwas nicht stimmt, kann das Folgen für sämtliche Kollegen haben. Auch für Kollegen aus meiner Abteilung. Also geht es mich doch was an.« Er deutete wieder auf mich. »Und du gehst die Sache vorsichtig an. Wenn da ein Bauchgefühl ist, ist da auch mehr. Was das angeht, hast du mich noch nie enttäuscht. Aber hiermit gebe ich dir ausdrücklich die Anweisung, sofort mit mir zu sprechen, wenn du was rausgefunden hast; noch bevor du es Kai sagst, sollte er nicht dabei sein. Ist das klar?«
»Ja, verstanden«, grummelte ich.
»Gut. Dann geht an die Arbeit.«