Читать книгу Bergbaukonflikte in Cajamarca, Peru, und gesellschaftlichpolitische Entwicklung - Josef Lustenberger - Страница 7

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1. Einleitung

„Perú – país minero“ begrüsst die peruanischen Sociedad Nacional de Minería, Petróleo y Energía (SNMPE) den Besucher auf ihrer Internetseite.1 Bergbau spielte in der Geschichte Perus schon immer eine Rolle. Gold war das explizite Motiv der Spanier für die Conquista im 16. und 17. Jh. Die Silberminen von Potosí im heutigen Bolivien erzählen von der Ausbeutung der Menschen und Rohstoffe Südamerikas durch die europäischen Eroberer.

Im modernen Peru nimmt der Bergbau seit rund zwei Jahrzehnten eine zunehmend wichtige Rolle ein, Persönlichkeiten aus Politik und Ökonomie sehen im modernen industriellen Bergbau den eigentlichen Motor des peruanischen Wirtschaftswachstums. Die Regierung Alberto Fujimoris realisierte in den 1990er Jahren ein Liberalisierungsprogramm, um die katastrophale wirtschaftliche Lage zu überwinden. Die extrahierende Industrie sollte zum Wirtschaftsaufschwung beitragen, indem sie ausländisches Kapital ins Land brachte. Die für ausländische Investoren geradezu idealen Bedingungen machten Peru für kapitalintensive Grossprojekte attraktiv. Die bergbaufreundlichen Reformen in Peru fielen zusammen mit einer global steigenden Nachfrage nach Metallen, auch nach Edelmetallen wie Gold. Schliesslich war es ab den frühen 1990er Jahren technisch möglich, durch Tagbergbau und Lixiviation2 Goldvorkommen mit Gewinn auszubeuten, die früher nicht rentabel abgebaut werden konnten.

1992 begann Minera Yanacocha SA in Cajamarca Gold abzubauen. Yanacocha diente Fujimori als Vorzeigeprojekt: Nach Jahren des Bürgerkriegs, der Hyperinflation und des wirtschaftlichen Niederganges gelang es Peru, ausländisches Kapital ins Land zu holen und damit die grösste Goldmine in Südamerika zu installieren.

Die Installation von Minera Yanacocha hat für die bis dahin beschauliche Kleinstadt und die Landschaft Cajamarca tiefgreifende wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen. Das drückte sich ab Ende der 1990er Jahre zunehmend in sozialen Konflikten aus. Ich bezeichne diese Konflikte in dieser Arbeit als Bergbaukonflikte. Die Region Cajamarca gehört seither zu den konfliktträchtigsten Regionen Perus.

Minera Yanacocha in Cajamarca ist nicht nur ein Beispiel eines der vielen Bergbaukonflikte in Peru, in Südamerika, oder in Entwicklungs- und Schwellenländern allgemein, sondern wegen seiner Dimension und der Installation in den frühen 1990er Jahren zugleich auch ein Modell, das sich in ähnlicher Weise dutzendfach wiederholt hat.

1.1 Fragen

Viele Politikerinnen und Politiker preisen Bergbau im Allgemeinen und die Projekte von Minera Yanacocha im Speziellen als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung Perus. Ökonominnen und Ökonomen jedoch beantworten die Frage kontrovers, ob und inwiefern Bergbau und die Projekte von Minera Yanacocha zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Wirtschaftswissenschaften fokussieren im Falle von Yanacocha einerseits auf den Beitrag des Unternehmens zum nationalen Wirtschaftswachstum Perus und andererseits auf die Auswirkungen des Bergbaus auf die Armut, die in Cajamarca stark verbreitete ist.

Ich frage in dieser Arbeit nach den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen, die der Bergbau und die damit verbundenen Konflikte bewirken. Welche Auswirkungen hat das Unternehmen Minera Yanacocha auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung Cajamarcas? Ich betrachte dabei Indikatoren der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, die Fachleute in Cajamarca und Peru immer wieder als mangelhaft kritisieren. Es sind dies ein faktisch nicht durchgesetzter Rechtsstaat, Verletzung der Menschenrechte, schwache Institutionen, nur formelle Partizipation, eine schwache Zivilgesellschaft, Zentralisierung, Korruption und Klientelismus, das Fehlen einer verankerten Konfliktkultur, fehlende Visionen von Entwicklung, ein Mangel an vertrauenswürdigen Informationen und eine gespaltene Gesellschaft.

Den theoretischen Hintergrund dieser Arbeit bildet die These des Soziologen Georg Simmel, wonach Konflikte eine Form der Vergesellschaftung sind.3 Simmel nimmt Konflikte vor allem als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung wahr. Dieser Befund drückt sich in der öffentlichen Meinung über die Funktion von Konflikten aus – auch in Peru: Konflikte sind eine Chance. Sie fördern die gesellschaftliche Entwicklung. So untersuche ich in dieser Arbeit die Fragen: Tragen die Bergbaukonflikte in Cajamarca tatsächlich zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung bei? Wie tun sie das allenfalls? Welche Wechselwirkungen hat die gesellschaftliche Entwicklung auf die Bergbaukonflikte? Welche Faktoren prägen die Dynamik zwischen Bergbau und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?

1.2 Aufbau

Ich vermittle im zweiten Kapitel einen Überblick über den Forschungsstand und die Literatur über Bergbaukonflikte in Peru und Südamerika im Allgemeinen und in Cajamarca im Speziellen. Im dritten Kapitel folgen Überlegungen zu Methoden, die ich in dieser Untersuchung anwende. Im vierten Kapitel bespreche ich die theoretischen Zugänge dieser Arbeit. Ich stelle dabei auch die für diese Arbeit grundlegende These des Soziologen Georg Simmel vor, dass soziale Konflikte als Motor der Vergesellschaftung dienen.

In den folgenden Kapiteln analysiere ich die Bergbaukonflikte in Cajamarca. Im fünften Kapitel geht es um Ort und Zeit, also um den Kontext der Bergbaukonflikte in Cajamarca seit den frühen 1990er Jahren. Im sechsten Kapitel analysiere ich die Konfliktparteien und deren Positionen. Den Ausgang bildet ein dreipoliges Modell der Konfliktparteien bei Bergbaukonflikten: die lokale Bevölkerung, der Staat und das Unternehmen Minera Yanacocha. Im siebten Kapitel differenziere ich die Konfliktgegenstände: Es geht um Ressourcen, allen voran um Wasser und Arbeit. Im achten Kapitel stelle ich die Geschichte der Bergbaukonflikte in Cajamarca dar. Dabei konzentriere ich mich auf diejenigen Konflikte, in die das Unternehmen Minera Yanacocha involviert war oder ist. Minera Yanacocha war über lange Zeit das einzige Unternehmen, das in Cajamarca Bergbau betrieb. Nach der Installation von weiteren Minen durch andere internationale Unternehmen hat Minera Yanacocha den Monopolstatus verloren, bleibt jedoch weiterhin das mit Abstand grösste und einflussreichste Bergbauunternehmen in der Region Cajamarca.

Im neunten Kapitel (Bergbau, Konflikte und Entwicklung in Cajamarca) untersuche ich Auswirkungen des Bergbaus und der Bergbaukonflikte auf die Entwicklung von Gesellschaft und Politik. Ich frage, ob und wie die Bergbaukonflikte in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen die Entwicklung beeinflussen.

Im zehnten Kapitel formuliere ich zwei Erzählungen über Minera Yanacocha, die Bergbaukonflikte und Entwicklung in Cajamarca, die sich weitgehend widersprechend gegenüberstehen. Dabei interessiert mich, wo es zwischen der bergbaufreundlichen und der bergbaufeindlichen Erzählung Gemeinsamkeiten gibt und welche Widersprüche die Wissenschaft und ein aufgeklärter Diskurs klären können. Im elften Kapitel beantworte ich meine leitenden Fragen und ziehe ein abschliessendes Fazit.

Ich benutze eine geschlechter-gerechte Sprache. So brauche ich weitgehend die weiblichen und die männlichen Formen, zum Beispiel „Campesinas und Campesinos“. Das macht den Text gelegentlich etwas schwerfällig.

Der geschlechter-gerechte Sprachgebrauch soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Politik und öffentliches Engagement in Peru weitgehend eine Angelegenheit von Männern ist. Das betrifft insbesondere die ländlichen Provinzen, Distrikte und Gemeinden. Einzelne Frauen ragen jedoch durch ihr Engagement heraus.

Der Begriff „Behörde“ umschreibt sowohl Politikerinnen und Politiker, die durch Volkswahl ein exekutives Amt ausüben, wie die der Exekutive unterstellte Verwaltung. Die Verwaltung verfügt in Peru über weniger bürokratische Kompetenzen und Erfahrungen, da die Verwaltungsangestellten weitgehend mit den ihnen vorgesetzten Politikerinnen und Politikern ihre Funktion übernehmen und bei deren Abgang auch wieder aufgeben müssen.

Die vorliegende Dissertation zur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie legte ich der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel vor. Prof. em. Dr. Ueli Mäder betreute und begutachtete das Promotionsprojekt. Prof. Dr. Elísio Macamo übernahm das Korreferat.

1 www.snmpe.org.pe, letztmals konsultiert am 03.11.2012. Der Verband unterhält auch einen Blog mit dem Titel www.perupaisminero.org, letztmals konsultiert am 03.11.2012.

2 Ich brauche in dieser Arbeit den im Spanischen üblichen Begriff Lixiviation, auch wenn der aus dem Lateinischen stammende Begriff kein offizielles deutsches Fremdwort ist. Lixiviation kann auf Deutsch mit Auslaugung, auf Englisch mit Leaching oder Heap leaching übersetzt werden. Ich erkläre das Verfahren der Lixiviation im Unterkapitel 8.1.4.

3 Vgl. das Kapitel 4.2 Konflikte fördern Sozialisation, Georg Simmel

Bergbaukonflikte in Cajamarca, Peru, und gesellschaftlichpolitische Entwicklung

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