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„Wie alles angefangen hat“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt – und wie der Vitus einmal gesagt habe, als sie wieder einmal in der von ihr nicht verstandenen „aperiodizität“ bei ihm gewesen sei in der nacht25 und also in jenen vormitternachtsstunden verzweifelter lustgraberei, heimlich und von niemandem gewußt, sozusagen als „gebenedeite medizin“ gegen seine „körperverlorenheit“ – „Wo hab ich dieses wort nur gehört?“ –, und die nach der erschöpfungsstummheit, wenn diese schließlich zur erschöpfungsstille geworden sei ein jedes mal, immer geendet hätten in Vitus’ kindheitserzählen, im graben „in jenem garten, jenem vergessensten, ja, und verwunschensten ort, in dem einmal niemand, niemand mehr gewesen sein wird“26, so habe der Vitus nämlich, „wortwörtlich“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, die kindheit genannt –, und wie der Vitus einmal gesagt habe, was er so gern geworden wär: „Kindheitsarchäologe, hat er gesagt“, sagt F., habe die Blaaser Kreszenz gesagt. Aber kein kindheitsarchäologe im allgemeinen, nein, das hätte ihn nicht interessiert, nie – „in keinster weise“, habe der Vitus gesagt, oder manchmal auch: „nicht im mindesten“ –, dann hätte er gleich „kindheitshistoriker“ werden können und „alles über den objektiven kamm scheren“, so habe er sich ausgedrückt; nein, kindheitserfinder im eigenen, selbstlebenserfinder, reisender in die ersten jahre hinab27, „die so voller verdichteter gegenwart sind“, habe der Vitus gesagt, daß sie „alles, was war“, daß sie all die zeit aufgesogen hätten wie ein schwarzes loch: ausgelöscht wie sein letztes werk, „damit alles bleibt, wie es gewesen ist“, habe der Vitus gesagt, und nicht erinnernd sich veränderte in ein anderes – und also verschwände. Was nicht erinnert werde, bleibe immer gleich. – Alles ausgegrabene, ja, habe noch die unschärfe der erinnerung, „diese scharfe unschärfe, Kreszenz“, habe der Vitus ein andermal gesagt, nicht scheuend die widersprüche oder die abweichungen, und sei noch auslegbar wie ein mythos, wie ein teppich oder wie der vogelflug – oder, habe er gesagt, „auch wie ein blatt tarot“: „Können Sie tarock? – Nein? – Soll ich Ihnen die zukunft weisen?“28 Denn sie habe ein tarockdeck in der tasche, „immer schon“, habe die Blaaser Kreszenz gesagt, sagt F., „sehen Sie?“; und den kellner rufend, habe sie begonnen, die karten vor sich auszulegen: zuerst den narren, dann den turm, dann den tod, „Zwei Montenegro, bitte!“, dann die sonne –29: „Wissen Sie“, habe sie gesagt, „wie sie mir meinen Jonas zerstört haben?“ Da habe ihr Jonas im kindergarten eine sonne gemalt, schwarz, ganz schwarz, kohlrabenschwarz; und da habe ihm „eine sogenannte tante“, die Tante L. habe ihm da, wie er weinend erzählt habe nach dem einschlafgebet, seine sonne zerrissen, zornig, habe er gesagt, „ganz zornig und laut“, und habe ihn angeschrien, was das denn solle, eine schwarze sonne, es gebe keine schwarzen sonnen, „Ja hast du noch nie eine sonne gesehn?“, sonnen seien gelb, oder golden, und wenn er nicht sofort eine gelbe, eine richtige sonne male, da gehe sie mit ihm hinaus und lasse ihn in die sonne schauen, „so lang“, habe sie geschrien, „bis du’s endlich begreifst“! Aber er habe ja eine nachtsonne malen wollen, in der nacht sei die sonne ja schwarz, „nicht, mama?“, sonst sähe man sie ja, wenn sie nicht schwarz wäre in der nacht! – Und nun, nachdem die Blaaser Kreszenz den Montenegro „in einem zug“ in sich hineingeschüttet gehabt habe, sagt F., habe sie erzählt, wie ihr der Vitus, nachdem sie ihm diese geschichte berichtet gehabt habe, erzählt habe, auch er habe eine schwarze sonne gemalt. „Ja, ja“, jetzt erinnere er sich, er habe immer, immer nur schwarze sonnen gemalt; eine nach der anderen, er erinnere sich: wie er im garten liege, auf dem bauch, wie er eine schwarze sonne nach der anderen male, wie seine mutter komme, wahrscheinlich habe er malend nicht gehört, wie sie ihn gerufen habe, so sehr müsse er in seine schwarzen sonnen versunken gewesen sein. „Essen, Vitus!“, jetzt erinnere er sich, wie sie sich die sonnen anschaut; eine nach der anderen habe sie in die hand genommen und sich angeschaut – und habe endlich gesagt, ihn hochhebend zu sich: „Schön, mein Vitusl, schön! Endlich malt einmal einer die sonne in der nacht – daß man sie sieht!“

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