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12. Dezember 2017

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Ich flog nach Elektroluchs. Rainer hatte Alchemist Teaz verfolgt und wusste, in welchem Hotel er wohnte; in einem abgeschiedenen Fünf-Sterne-Ressort direkt am Meer.

Beim Einchecken am Nürnberger Flughafen wurde ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Reisewarnung für Elektroluchs rausgegeben worden war. Beim Landeanflug sah ich Rauchsäulen und brennende Häuser. Ich trank Cola aus einem durchsichtigen Plastikbecher. Die Klimaanlage kühlte und ich hatte Druck auf meinen Ohren. Ich war einer von vier Passagieren, die nach Elektroluchs flogen. Während das Flugzeug zum Gate rollte, machte der Pilot eine Durchsage: »Meine Damen und Herren, da draußen herrscht Ausnahmezustand. Wer sich auf den Straßen aufhält, läuft Gefahr, festgenommen zu werden. Nehmen Sie sich unbedingt Taxis. Regeln Sie, was Sie zu regeln haben, und fliegen Sie umgehend zurück. So mache ich das auch. Es ist ungewöhnlich schwül und es hat fast 20 Grad.«

In Rainers WG wurde ich von seiner Mitbewohnerin Lucy empfangen. Sie meinte, Rainer sei gerade unterwegs, würde aber gegen Abend wieder zurückkommen. Sie zeigte mir Rainers Zimmer. An den Wänden hingen Poster von Seth Rollins, Becky Lynch, Alchemist Teaz und Randy Orton. Ich drehte die Heizung auf, legte mich auf den Teppich und verfolgte auf meinem Phone eine Kundgebung im Stadtzentrum von Elektroluchs. Es gab einen Livestream. Eine Philosophin sprach darüber, dass wir alle verloren gehen würden, nur der Geruch von Rauch und die Flucht vor den Einsatzkräften würden uns mit der Wirklichkeit verbinden. Gerade ergebe sich die Chance, das ganze Dämmmaterial aus uns selbst zu entfernen. Es gehe wieder darum, Forderungen zu stellen, sagte die Philosophin, obwohl völlig unklar sei, wer sich dafür zuständig erklären würde, sie zu erfüllen. Dann sprach sie über real empowerment und fügte hinzu, dass der Widerstand nicht kleinzukriegen sei, weil er die Transmutation der Psyche fordere. Auch die unverhoffte Unterstützung von Alchemist Teaz hätte dazu beigetragen, dass die klaustrophobische Gegenwart um psychospirituelle Dimensionen erweitert worden wäre. Angeblich marodiere Alchemist Teaz gerade jetzt um die Blocks. Zumindest habe sie das gehört.

Alchemist Teaz @alchemistteazy · 11. Dezember 2017 it’s primary perception bitches

»Das ist alles nur ein Marketingschachzug«, sagte Lucy, die breitbeinig in der Tür stand. Sie trug eine schwarze Strumpfhose und ein Shirt. Sie lächelte mich an. »Willst du mitrauchen?«, fragte sie und hielt einen Joint hoch.

Wir setzten uns in die Küche. Eine graue Katze kam angelaufen und hüpfte auf meine Oberschenkel. Auf dem Tisch stand eine Lavalampe. Die Fenster waren mit Tüchern verhüllt. Auf dem Kühlschrank befand sich ein digitaler Bilderrahmen, in dem eine Slideshow lief; Urlaubsbilder, Schnappschüsse von unterwegs, Memes.

»Wie meinst du das?«, fragte ich.

»Hier ist Street Credibility zu holen, weißt du, das unterscheidet Elektroluchs von allen anderen Städten, weil das Setting ist die Realität, nichts ist geskriptet und nichts ist abgesichert, richtig roh, verstehst du?«

Die Katze schnurrte, ich kraulte ihren Kopf.

»Es werden Menschen sterben, bald schon«, sagte Lucy.

»Ja«, sagte ich, »niemand tut irgendwas.«

»Wenn du in Elektroluchs als Escort arbeitest, siehst du alles.«

»Arbeitest du als Escort?«, fragte ich.

Lucy schaute mich an, hob langsam die Augenbrauen und kicherte resigniert.

»Rainer arbeitet als Escort, wusstest du das nicht?«

»Nein«, sagte ich. »Ich habe ihn in Nürnberg mal auf einer Party kennengelernt und wir haben nur manchmal gechattet und uns wegen Wrestling ausgetauscht.«

»Dann kannst du dich freuen«, sagte sie.

Wir kochten Tee und sprachen noch eine Weile über Symptome (das Thema ihrer Doktorarbeit in Psychologie). Bevor ich mich zurückzog, passierten zwei Sachen: Zuerst schlief Lucy ein, mitten in einem Satz über ihre Mutter. Und dann fiel die Katze in Ohnmacht. Ich schätze, sie war high. Sie rollte einfach von meinen Knien. Der Aufprall weckte sie wieder. Ich hatte nicht schnell genug reagiert. Sie schaute mich an und gähnte. Ich trug sie aus der Küche und streichelte sie noch ein bisschen.

Entkommen

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