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Kapitel 4

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Zufall?! Manche Dinge passieren einfach, und oft erkennen wir erst Jahre später einen Sinn dahinter.


Als ich am nächsten Tag gerade das Rad aus dem Schuppen holen wollte, tuckerte ein kleines Boot heran. Es war Leevi.

„Jump in, we do a little tour“, rief er mir zu.

Heute versteckte er seine Augen hinter einer Sonnenbrille, was mir überhaupt nicht gefiel.

Wir schipperten zur Mitte des Sees. Leevi stellte den Motor ab und ließ das Boot treiben. Er hatte einen gut gefüllten Picknickkorb mitgebracht und wir machten uns über die Leckereien her. Für einen Mann war er erstaunlich gut organisiert, das musste ich neidlos anerkennen. Wir unterhielten uns über den gestrigen Abend, und irgendwann fragte er nach meinen Hobbys. „Ich habe viele Hobbys. In meiner Jugend habe ich recht gut getanzt. Standard und Latein. Das waren die besten Jahre meines Lebens“, sagte ich nicht ohne Wehmut. „Weißt du, richtig zu tanzen ist wie schweben, du fühlst dich so leicht, du bist eins mit dem Rhythmus der Musik“, ich geriet ins Schwärmen, „es ist einfach himmlisch!“ Verstohlen musterte er mich.

„I can very well imagine that“, bemerkte er schmunzelnd.

„Später habe ich Tennis gespielt. Ich mag Fotografie, versuche mich in Aquarellmalerei, und ab und zu schreibe ich etwas.“ Er horchte auf.

„Was schreibst du?“

„Ich habe mal eine Kindergeschichte veröffentlicht, und hin und wieder schreibe ich einfach meine Gedanken auf. Nichts Besonderes. Es reimt sich nicht, keine Gedichte oder so.“

„Interesting, let me hear something.“ Er nahm seine Sonnenbrille ab, stützte seine Arme auf die Oberschenkel und sah mich erwartungsvoll an.

„Nein, das geht nicht, wirklich nicht. Das sind sehr persönliche Gedanken.“

Sein Blick fixierte mich und ließ mich nicht mehr los. Eine Zeit lang hielt ich ihm stand, dann musste ich lachen. „Hör auf mich so anzusehen. Bitte!“

„Ah, come on, nur kleines Stück. Irgendetwas, was du kannst sagen by heart. Nobody is here“, er breitete seine Arme aus und blickte um sich, „and the fishes are very discreet; I promise.“

Ich atmete hörbar tief aus. „Also schön“, gab ich mich geschlagen, „du gibst ja sonst doch keine Ruhe.“

In den letzten vier, fünf Jahren hatte ich auf Englisch geschrieben, keine Ahnung warum. Wenn ich es mir recht überlegte, konnten es sogar Songtexte sein, aber sie waren dilettantisch. Ich hatte keinerlei Kenntnisse darüber, wie man einen Liedtext schrieb.

Ungeduldig saß mir Leevi gegenüber. „I really listen, wirklich.“

„Ist ja schon gut, aber wehe, du lachst“, ich drohte ihm mit erhobenem Zeigefinger.

„No, no, no“, versprach er und legte dabei theatralisch drei Finger auf sein Herz.

„Es heißt Magic In You“, fing ich an. Ich sprach den Text über den See hinaus. Meine Stimme wurde immer leiser, und am Ende waren meine Worte nur noch ein Flüstern. Ich hatte irgendwohin über das Wasser geschaut und als ich jetzt zu Leevi sah … Er saß da wie versteinert, ich hatte den Eindruck, als würde er nicht einmal mehr atmen, aber nach ein paar Sekunden fragte er mit stockender Stimme: „Hast du mehr davon?“

„Ja.“

„For example?“

„Zum Beispiel Heartbeat Melody“, sagte ich. Mir war echt unbehaglich.

„Heartbeat Melody“, wiederholte er lachend meine Worte und schüttelte seinen Kopf. Er schien angestrengt über etwas nachzudenken und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dann sprang er auf, ließ den Motor an, wendete das Boot und fuhr los. „Sorry“, rief er mir über die Schulter zu, „but I need my guitar, immediately!“

An meinem Bootssteg hielt er kurz an und ich sprang schnell von Bord. „Ich melde mich“, hörte ich ihn noch sagen, und weg war er.

Stimmte es also doch, dass alle Künstler einen an der Waffel hatten? Kopfschüttelnd, aber gleichzeitig grinsend ging ich zu meinem kleinen Häuschen.

Der restliche Tag dümpelte so vor sich hin. Ich versuchte eine Entscheidung zu treffen, was ich mit meinem Haus machen sollte, das ich von meinen Großeltern geerbt hatte. Es war viel zu groß für mich alleine. Sollte ich es behalten und die zwei unteren Wohnungen vermieten oder ganz verkaufen? Oder meine Wohnung als Eigentumswohnung behalten? Ich war unschlüssig. Kurz nach dreiundzwanzig Uhr ging ich in mein Bett und schlief auch recht schnell ein.

Von irgendeinem Geräusch wachte ich auf und lauschte erst einmal. Da war es wieder. Ein Klopfen. Es klopfte jemand an die Eingangstür! Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Mit einem Auge blinzelte ich auf die Uhr: 2:23 Uhr! Und dann hörte ich eine mir inzwischen vertraute Stimme rufen: „Mona, it’s me! Open the door.“ Wieder klopfte er. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! „Ich komme“, rief ich, so laut ich konnte, stolperte die Treppe hinunter, zog meine Strickjacke vom Haken und schlüpfte hastig hinein. Ich riss die Tür auf. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, fuhr ich ihn an. „Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen.“ Er beachtete mich überhaupt nicht und quetschte sich mit einer Gitarre in der Hand an mir vorbei, marschierte geradewegs in das kleine Wohnzimmer und knipste das Licht an. Ich schmiss die Tür zu und folgte ihm im Sturmschritt. „Sag mal, was soll das? Es ist mitten in der Nacht!“ Verständnislos und eine gute, eine sehr gute Erklärung erwartend, schaute ich ihn an.

„Setz dich and listen!“, sagte er nur.

Das war ja wohl der Gipfel! Trotzdem ließ ich mich in den gegenüberstehenden Sessel fallen und zog meine Beine an.

„Are you ready?“

„Mach mich nicht verrückt“, zickte ich, „nun fang schon an zu spielen oder was immer du auch vorhast, es ist halb drei Uhr morgens!“

Er fing an zu spielen, und schon bei den ersten Akkorden richteten sich meine Härchen himmelwärts. Und dann sang er noch dazu – verschiedene Passagen aus meinem Text! Alleine die Melodie war schon so unglaublich schön. Das war ein Traum, das musste einer sein, ich würde sicher gleich aufwachen. Er hörte auf zu singen, es erklangen noch ein paar Töne von der Gitarre, und dann war es still. Vermutlich blickte er mich fragend an, aber ich starrte immer noch wie gebannt auf seine Hand und seine Finger, die die Gitarrensaiten gezupft und gespielt hatten. Ich sah, wie diese Hand die Gitarre vorsichtig auf das Sofa legte. – Immer noch absolute Stille, ich weiß nicht wie lange, bis er mit fast heiserer Stimme vorsichtig fragte: „Und, was sagst du? – Do you like it?“

Irgendwie schaffte ich es, ihn anzusehen. „Das ist unglaublich. Das sind Teile von meinem Text“, brachte ich mühsam heraus.

„Yes. Als ich hörte diese lines, something exploded in meine Kopf and then this melody startet ringing in my head.“ Er sprang auf. Und als wäre es ihm plötzlich eingefallen, dass es mitten in der Nacht war, sagte er: „We talk about the details tomorrow. Ah, no, today. Later. See you later.“

Schnappte seine Gitarre, hauchte mir einen Kuss aufs Haar und verschwand eiligst. Im Hinausgehen murmelte er noch irgendetwas, das ich als: „You are so damn sweet, wenn du bist angry“ verstand.

Ich saß noch eine Ewigkeit so da und starrte auf das Sofa. Was für eine grandiose Melodie! Am Anfang ganz zart, gleichzeitig aber so ausdrucksstark und mitreißend. Und wie gefühlvoll er den Text gesungen hatte. Dabei konnte er ihn gar nicht richtig verstehen. Na ja, die Worte natürlich schon, aber die Hintergründe nicht, das, was ich wirklich damit meinte, die Doppeldeutigkeit, das war unmöglich.

* * *

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