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Kapitel 5

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Mein Herz weiß, was es will, aber ich schaffe es nicht, ihm zu folgen.


Josies Taschentuch hatte ich gewaschen, notdürftig mit meinem Reisebügeleisen geglättet und wehmütig zusammen mit einer Praline und einem Kärtchen in eine kleine Schachtel gepackt und mit einer Schleife zugebunden. Ich wollte Leevi bitten, es ihr zurückzugeben, denn morgen musste ich abreisen. Es würde mir schwerfallen, von hier wegzugehen. Zurück in mein leeres Haus, in mein wirkliches Leben.

Als Leevi bis zum frühen Abend immer noch nicht aufgetaucht war, ging ich hinüber zu seinem Sommerhaus. Es schien niemand da zu sein, aber der große Holztisch und die zwei Bänke von der Familienfeier standen noch auf der Wiese. Offensichtlich ließ er sie immer da stehen. Ich setzte mich auf meinen Platz und erlebte diesen Abend in Gedanken noch einmal. Ich sah die glücklichen Gesichter vor mir, hörte sie lachen und schwatzen. Sah Leevi mit Jaana durch das hohe Gras toben. Erinnerte mich an diese unglaubliche Warmherzigkeit, die jeder in dieser Familie ausstrahlte. Niemals würde ich so eine Familie haben wie diese. Mein ganzes Leben war so scheiße gelaufen. In diesem Moment fühlte ich mich wie der einsamste Mensch auf der ganzen Welt, und wie vor zwei Tagen stiegen mir auch jetzt wieder Tränen in die Augen, nur dass ich sie dieses Mal nicht zurückhielt.

Plötzlich spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören. Er setzte sich wortlos neben mich und zog mich in seine Arme. „Let it out“, flüsterte er an meinem Ohr. Seine Stimme zu hören, so tief und weich zugleich, seine Wärme zu spüren, wirkte wie Balsam für meine Seele. Ich beruhigte mich.

Nach einer Weile nahm er einfach mein Gesicht in seine Hände und küsste mir die Tränen von den Wangen. Ich war überwältigt! So etwas hatte noch nie jemand für mich getan. Und obwohl ich mein ganzes Leben lang noch nicht in Ohnmacht gefallen war, war ich froh, dass ich jetzt saß, denn sonst hätten vermutlich meine Knie ihre Dienste versagt.

Was war das überhaupt mit ihm? Er hatte meine Hand in seine gelegt und streichelte meine Finger. Wie hypnotisiert starrte ich auf unsere Hände. Ich konnte erahnen, wie es sich anfühlen würde, wenn sich unsere Finger ineinander verschränkten. Einerseits sehnte ich mich danach, andererseits hatte ich Angst davor. Seine ganze Kraft und Wärme würden auf mich überspringen, und dann wäre es passiert, dann hätte er mir endgültig mein Herz gestohlen. – Nein, nie mehr! Nie mehr würde mir einer mein Herz stehlen! Es hatte schon zu oft Schaden genommen. Ganz langsam ballte sich meine Hand zur Faust und ich zog sie vorsichtig zurück.

„Ich habe deinen Ärmel ganz nassgeweint“, stellte ich sachlich fest.

Er antwortete nicht darauf, sondern fragte: „Was ist passiert?“

„Gar nichts, ich bin nur gerade im Selbstmitleid ertrunken“, sagte ich matt. „Ist schon wieder gut. Du wolltest noch irgendetwas wegen dem Song mit mir besprechen?“

„Yes. Ist okay, wenn ich nehme einfach deine Text?“

„Ja, schon. Trotzdem … verstehe mich bitte nicht falsch … es ist unglaublich schön, was du daraus gemacht hast, aber ich muss darüber nachdenken.“

„Okay“, er nickte. „There is no need to be in a hurry. – Think about it. It’s good. And in the meantime, I like to try something. Dann du kannst entscheiden.“

Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, und blickte ihn fragend an.

„There is this huge band-arrangement in meine Kopf“, erklärte er und tippte dabei mit seinem Zeigefinger an seine Schläfe. „Piano in the beginning and at the end, twenty-four person string orchestra, horns, a saxophone-solo in the middle and big guitars. Aki will play it perfect. Ah!“ Er schüttelte sich und hielt mir seinen Arm unter die Nase. Er hatte tatsächlich Gänsehaut. „It’ll blow you away!“, prophezeite er mir. Seine Begeisterung war absolut ansteckend. Ich lachte, zögerte, schob ihm dann aber trotzdem die kleine Schachtel zu.

„Gib das bitte Grandma Josie von mir und grüß sie ganz herzlich.“

„Du kannst ihr geben selbst, we can visit her tomorrow. Sie würde sich freuen sehr, she really likes you! Sie hat gesagt, dass du hast great soul. And Grandma is always right“, sagte er mit einem überzeugten und seligen Gesichtsausdruck.

Ich lächelte traurig. „Ich mag sie auch sehr, aber das wird leider nicht möglich sein, ich reise morgen ab.“

„What? Morgen schon?“

„Ja. Meine Ferien sind vorbei.“

„What do you want to do? We can drive to Helsinki. Ich zeige dir ein bisschen was von City and a good restaurant.“ Er rieb sich über seinen Bauch. „You can pack your bags right now und wir können bleiben in meine flat in Helsinki. It’s only twenty minutes to the airport.“

Ich nickte und lächelte ihn an, sah ihm fest in die Augen. Was für ein perfekter Plan! Was für ein perfekter Abend könnte das werden. Die ganze Nacht lang hätte ich ihn so anschauen und in seinen Augen ertrinken können … Aber dann schüttelte ich meinen Kopf und legte ihm meine Hand an die Wange. „Besser nicht.“ Und obwohl es mir das Herz brach, stand ich einfach auf und ging weg.

Auf dem Weg zu meinem Ferienhaus liefen mir schon wieder die Tränen. Ich schluchzte nicht. Sie liefen einfach so aus mir heraus, ich konnte sie nicht aufhalten. Eigentlich hatte ich des Rätsels Lösung doch vor langer Zeit schon gefunden: Es gab sie nicht, die große wahre Liebe; für mich jedenfalls nicht. Diese Erkenntnis hatte wehgetan, sehr weh, aber ich war drüber hinweggekommen. Und jetzt? Jeder Blick in seine Augen sagte mir etwas anderes.

Noch eine ganze Weile hockte ich an meinem Steg, dann ging ich hinein und packte wie ferngesteuert meine Siebensachen zusammen. Nach Essen war mir nicht zumute und ich machte mir auch nicht die Mühe, mein Nachthemd anzuziehen. In meiner Unterwäsche kroch ich unter meine Bettdecke und machte meine Augen zu. „Bitte, lieber Gott“, flehte ich in Gedanken, „lass mich einfach nur schlafen.“ Was natürlich nicht geschah. Ich dämmerte vor mich hin, wälzte mich herum und konnte mich mal wieder selber nicht verstehen.

Kurz nach fünf stand ich auf, ging unter die Dusche, zog mir frische Kleider an und versuchte, an meinem Gesicht zu retten, was noch zu retten war. Nach einem kleinen Frühstück schlich ich durch die Bäume hinüber zu Leevis Sommerhaus. Ich wollte mich doch noch gerne anständig von ihm verabschieden. In einiger Entfernung blieb ich stehen und beobachtete das Haus aufmerksam. Oben stand ein Fenster offen, aber sonst konnte ich nichts entdecken. Wie auch, um diese Uhrzeit? Er lag doch immer bis mittags im Tiefschlaf. Blödsinn, überhaupt hierher zu laufen. Ich drehte wieder um. Nur zu gerne hätte ich auch Josie noch einmal besucht. Bei ihr fiel es mir so leicht, über Dinge zu sprechen, die mich beschäftigten. Irgendwie fühlte es sich an, als würde ich sie schon ewig kennen. Und auch Mirja war so nett, sie könnte eine wirklich gute Freundin werden.

Für neun Uhr hatte ich das Taxi bestellt. Noch zweieinhalb Stunden. Ich streifte durchs Haus, schaute zum dritten Mal in allen Schränken und Schubladen nach, ob ich auch wirklich alles eingepackt hatte, trank noch einen Tee und spazierte zu meinem Steg. Wie Leevi mit dem Boot herangetuckert war. Und wie wir hier gesessen hatten, als er sich vorgestellt hatte. Seine Stimme war mir sofort durch Mark und Bein gegangen. Vielleicht sollte ich ihm eine Nachricht hinterlassen? So, wie er mir damals seine Handynummer an die Haustür gesteckt hatte, könnte ich es auch machen. Also ging ich wieder zurück ins Haus und holte Block und Stift aus meiner Tasche. Was sollte ich schreiben?

Hallo Leevi, bitte entschuldige, dass ich gestern Abend einfach so weggegangen bin. Es liegt nicht an dir. Es liegt an mir, es ist meine Schuld, ich

Weiter kam ich nicht. Wie sollte ich das erklären? Wie sollte ich ihm erklären, dass ich einfach nicht aus meiner Haut konnte? Dass ich Angst hatte, wieder verletzt und enttäuscht zu werden? Dass die verdammte Vernunft wieder einmal gesiegt hatte. Wie armselig würde sich das anhören. Er, so lustig und lebensfroh, der alles einfach anpackte und ausprobierte. Er würde das nicht verstehen. Ich würde mich nur lächerlich machen. Er wollte ja auch gar nichts von mir. Ich hatte das alles falsch interpretiert. Er würde jeden trösten und in seine Arme nehmen, der es nötig hatte und traurig war. Das war einfach seine Art. Ich knüllte den Zettel zusammen und steckte ihn in meine Hosentasche.

* * *

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