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Kapitel 7

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Missed opportunities!


Leevi

Es war halb zwei mittags, als ich zu mir kam. Mir war schwindelig, und ein Bautrupp hämmerte von innen Löcher in meine Schädeldecke. Gott, ich hatte gestern Abend definitiv zu viel getrunken. Ich konnte immer noch nicht begreifen, was eigentlich passiert war. Gerade noch hatte ich sie in meinen Armen getröstet, ihren unglaublichen Duft eingeatmet, und fünf Minuten später ging sie einfach weg? Sorry, aber musste ich das verstehen? In den letzten Tagen hatten wir uns doch so gut verstanden. Und als ich sie mitten in der Nacht aufgeweckt hatte. Bei dem Gedanken an diese Nacht musste ich einfach grinsen. Sie hatte zum Anbeißen ausgesehen in ihrem blau geringelten Sleepshirt, das ihr von der Schulter gerutscht war, die Strickjacke notdürftig übergeworfen, total verschlafen, barfuß, mit verwuschelten Haaren und freiem Blick auf traumhaft lange Beine. Da war auch endlich mal ihr Temperament zum Vorschein gekommen. Am liebsten hätte ich sie an mich gezogen, stürmisch geküsst und bei lebendigem Leib verspeist. Ich war mir sicher, dass unter der kühlen Oberfläche ein Vulkan vor sich hin brodelte!

Scheiße! Ich fuhr hoch und mein Kopf explodierte beinahe. Wie sollte ich sie erreichen? Ich hatte nur die Nummer vom Ferienhaus. Keine Handynummer, keine Adresse, nichts. Vorsichtig rollte ich mich aus dem Bett, stieg dann aber doch hastig in meine Jeans, zog mir irgendein T-Shirt über den Kopf und schlüpfte an der Haustür in meine Turnschuhe. Rennen konnte ich beim besten Willen nicht, mein Kopf drohte bei jedem Schritt in tausend Einzelteile zu zerspringen, aber ich steuerte auf Monas Ferienhaus zu, so schnell es mir möglich war.

Auf dem Grundstück konnte ich niemanden entdecken. Oh mein Gott, sie war schon weg! Mein Herz hämmerte wie verrückt. Ich erreichte die kleine Veranda und eilte die drei Stufen hinauf, aber die Haustür war verschlossen! Ich rüttelte am Knauf und trommelte mit der Faust an die Tür. „Mona, Mona!“ Totenstille. Ich lief um das Haus herum und versuchte, durch die geschlossenen Fenster hindurch etwas zu erkennen, aber sie war nicht mehr da.

Um Luft zu holen, ließ ich mich auf die Stufe zur Veranda sinken und raufte mir die Haare. Mona war weg, und ich hatte nichts von ihr. – Nicht ganz, ich hatte diese kleine Box, die ich Granny geben sollte, und ich hatte den Songtext. Warum war ich Idiot nicht gestern Abend noch einmal herübergelaufen? Warum hatte ich sie nicht aufgehalten? Mann, was war eigentlich los mit mir? Ich war stinksauer auf mich selbst.

„Shit!“ Ich donnerte meine Faust gegen den Holzpfosten. „Auah, ah!“ Der aufflammende Schmerz raubte mir für ein paar Sekunden den Atem, dann schlich ich nach Hause.

Nach einer ausgiebigen Dusche packte ich hastig einige Sachen zusammen. Ich konnte hier nicht länger bleiben. Ich würde Granny diese kleine Box vorbeibringen und dann eine Zeit lang abtauchen.

Auf dem Weg zum Flughafen überlegte ich mir, wohin ich eigentlich fliegen wollte. Da fiel mir Jani ein. Mein alter Kumpel Jani. Hunderte von Szenen und Bildern aus unserer Schulzeit schossen mir durch den Kopf. Was hatten wir für einen Blödsinn zusammen gemacht! Die besten Plätze im Klassenzimmer, ganz hinten, waren immer für uns reserviert. Später hatten wir uns zahlreiche Wettrennen mit den Mofas geliefert. Auch wenn er ein musikalischer Totalausfall war, hatte er uns immer geholfen unsere kleinen Auftritte vorzubereiten und zwei Mal waren wir zusammen durchgebrannt, einmal bis nach Schweden. Ja, ihm würde ich einen Überraschungsbesuch abstatten. Genau. Was für eine famose Idee! In seiner Gesellschaft würde ich ganz sicher auf andere Gedanken kommen. Vor gut zwanzig Jahren war er nach Spanien ausgewandert. Zuerst nach Madrid. Da hatte er sich einige Jahre lang als Gelegenheitsarbeiter durchgeschlagen. Dann war er nach Barcelona gegangen, hatte als Maurer gearbeitet und sich nebenbei zwei eigene Häuser gebaut, die er sehr gewinnbringend vermietete, während er selbst in einem alten Wohnwagen hauste. Als er genug Kohle zusammengespart hatte, kaufte er sich in eine Diskothek in Málaga ein, und vor fünf Jahren hatte er seinen eigenen Klub in Marbella eröffnet. Natürlich waren wir zur Eröffnung alle hingeflogen, um dort zu spielen. Meine Erinnerung an diese Woche war extrem lückenhaft. Es war lustig, dass aus uns absoluten Schulnieten doch noch etwas geworden war. Es würde jedenfalls ein Riesenspaß werden, ihn wiederzusehen.

Während der viereinhalb Stunden Flug nach Málaga versuchte ich etwas zu schlafen, aber die gut sechzig Kilometer mit dem Bus bis Marbella zogen sich endlos hin. Dann nahm ich mir ein Taxi zu Janis Klub. Er fiel aus allen Wolken, als ich plötzlich vor ihm stand.

„Leevi Tervo!“ Er stellte sein Glas ab, stand auf und hebelte mich von meinen Füßen. Dazu muss man wissen, dass Jani über zwei Meter groß und ein Schrank von einem Mann ist. „Was machst du denn hier?“

„Spontane Eingebung, ich hatte Sehnsucht nach dir“, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange, um ihn zu ärgern. Er zuckte zurück.

„He, was soll das? Trotzdem schön, dich zu sehen!“

Er drückte mich so fest, dass es eher einem Schwitzkasten gleichkam. So war er einfach; spielte immer den harten Kerl, hatte aber in Wirklichkeit ein butterweiches Herz.

„Eine Runde aufs Haus, für alle“, brüllte er und schlug mir auf die Schulter, dass ich einen halben Meter zusammensackte.

„Mein alter Kumpel Leevi aus Finnland ist hier. Begrüßt ihn mal ordentlich.“

Die Partymeute grölte, obwohl mich vermutlich kein Mensch kannte. Wildfremde Leute begrüßten mich wie einen alten Bekannten, nicht dass mir das unangenehm war, aber es war schon ein bisschen befremdlich. Ich wurde in Gespräche verwickelt und nach meinem Business gefragt. Ein paar Ladys versuchten, mich anzugraben und auf die Tanzfläche zu schleppen. Es flossen etliche Liter Bier aus der Zapfanlage und mehrfach knallten die Sektkorken.

Als es am nächsten Tag hell wurde, schleppte Jani mich mit in sein Haus. „Hotel? Willst du mich beleidigen. Du kommst mit zu mir, das ist doch klar.“

Er besaß ein Anwesen, dass ich meinen Augen kaum traute. Ich hatte zu viel getankt, das musste ich mir im nüchternen Zustand alles noch einmal ganz genau ansehen.

Circa zwölf Stunden später, es war kurz vor fünf am späten Nachmittag, trafen wir uns an seinem Pool. Ich drehte mich bestimmt schon zum zehnten Mal um die eigene Achse und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Schon wieder ein neues Haus. Wie viele hast du jetzt?“

„Meinst du hier in Marbella oder insgesamt?“

„Insgesamt.“

„Sechs. Zwei hier, zwei in Málaga und die zwei in Barcelona habe ich auch noch. Sind letztes Jahr kernsaniert worden und wieder tipptopp in Ordnung.“

„Wahnsinn.“ Ich nahm an dem reich gedeckten Tisch Platz, den vermutlich das Hauspersonal so schön hergerichtet hatte, und stützte meinen schmerzenden Kopf auf. „Ah! Ich brauche erst mal eine Kopfschmerztablette.“

Er lachte so laut, dass ich mir die Hände auf die Ohren drücken musste.

„Bekommst du, Kleiner, bekommst du. Maria!“, brüllte er nach seinem Hausmädchen. „Bringen Sie bitte eine Kopfschmerztablette für meinen Freund.“

Ein hübsches Mädchen, Anfang zwanzig, mit schwarzem Pferdeschwanz und großen braunen Augen tauchte auf und brachte mir die gewünschte Tablette. Ich schaute ihr hinterher.

„Sie ist nur das Hausmädchen. Die Betonung liegt auf nur.“ Er lachte schon wieder schallend. Ich stöhnte.

„Bitte, Jani, mein Kopf platzt gleich.“

„Was ist los mit dir? Du bist ja völlig aus der Übung. So viel haben wir doch gestern gar nicht getrunken.“

Ich rieb über meine Stirn. „Also, mir hat es gereicht.“

„Wie lange bleibst du eigentlich?“

„Zehn Tage, aber ich kann mir wirklich ein Hotel nehmen.“

„Vielleicht hörst du jetzt endlich mal auf mit dem Mist. Du bleibst hier, oder gefällt es dir nicht bei mir?“

„Spinnst du? Das ist ein absoluter Traum. Läuft dein Klub so gut, dass du so viel Kohle scheffelst?“

„Ich kann dir sagen, die Reichen sind so scharf darauf, ihr Geld loszuwerden, die feiern, bis sie umfallen.“

Er häufte sich einen Riesenberg Rührei mit Speck und zwei Bratwürstchen auf seinen Teller und fing an, alles in sich hineinzuschaufeln. Ich hielt mich erst mal an meinem Glas Wasser mit der darin aufgelösten Tablette fest. Er fragte mich über die Bandjungs und unsere letzten Auftritte aus. Als er aufgegessen hatte, stand er auf und sagte: „Okay, Kumpel. Ich muss jetzt los. Einige Dinge erledigen und dann in den Klub. Gegen zweiundzwanzig Uhr schicke ich dir den Wagen.“

„Oh nein. Danke. Lass mal. Ich brauche eine kleine Pause.“

„Was?“ Er setzte sich wieder und schaute mich entsetzt an. „Habe ich mich gerade verhört?“

„Nein, hast du nicht. Gönne mir doch mal eine kleine Auszeit. Ich will hier Urlaub machen.“

„Okay“, er rückte seinen Stuhl zurecht und setzte seine Sonnenbrille ab. „Was ist los mit dir?“

„Ich habe einen tierischen Kater und möchte einfach meine Ruhe haben.“

„Das glaube ich dir nicht. Bist du krank? Ich meine, ernstlich krank? Musst du starke Medikamente nehmen? Verträgst du deshalb nichts mehr?“

„Ich bin kerngesund.“

„Dann ist doch etwas mit der Band. Ihr habt euch gestritten. Ich habe mich gestern schon gewundert, warum die Jungs nicht mitgekommen sind.“

„Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe dir doch schon gesagt, dass es eine ganz spontane Entscheidung war, dich zu besuchen.“

„Granny! Dann muss etwas mit Granny passiert sein. Oh Gott, Josie ist gestorben. Die Welt ist um ein Original ärmer geworden. Warum hast du mich nicht angerufen? Ich wäre doch zur Beerdigung gekommen.“

Dieser Mensch konnte reden, ohne auch nur einmal Luft zu holen. „Jani, bitte! Granny geht es hervorragend. Du verpasst deine Termine“, sagte ich genervt und trank den letzten Schluck von meinem Kopfschmerzwasser aus. Er stand auf.

„Wir sprechen uns noch, Kumpel. Und ich schicke dir eine Masseuse vorbei.“

„Bloß nicht! Jani, hörst du? Bloß nicht!“, rief ich ihm hinterher.

Nachdem ich auch etwas gegessen hatte, erkundete ich das Anwesen. Es war der reinste Park mit herrlich blühenden Bäumen und Sträuchern, an denen sich etliche Bienen und Schmetterlinge tummelten. Ich ertappte mich dabei, dass ich tatsächlich stehen blieb und lauschte. Natürlich hatte sich Mona einen Scherz mit mir erlaubt, als sie behauptet hatte, dass man die Schmetterlinge flüstern hörte, aber trotzdem musste ich jetzt immer daran denken, sobald ich einen Schmetterling sah. Was ich noch sah, waren etliche Überwachungskameras, die überall auf dem Gelände verteilt waren. Ich entdeckte eine gewaltige Steintreppe, die direkt zum Strand führte, ging hinunter und spazierte eine Weile den Strand entlang. Dann setzte ich mich in den Sand, schaute auf das Meer hinaus und ließ meine Gedanken schweifen. Sie landeten immer wieder bei Mona.

Die Sonne war schon untergegangen, und bevor es ganz dunkel wurde, ging ich zurück zur Villa und lief prompt dem Wachdienst mit Hund in die Arme. Er vergewisserte sich erst über Funk, dass ich wirklich Gast des Hauses war, bevor ich weitergehen durfte.

Ich bekam ein leckeres Abendessen und um zehn Uhr rollte tatsächlich die Klublimousine auf das Anwesen. Ich schickte den Fahrer wieder weg und erkundete die Villa. In Janis Wohnzimmer entdeckte ich einen weißen Flügel! Das konnte nicht wahr sein! Ich musste laut lachen. Wer hatte wohl jemals darauf gespielt? Jani mit Sicherheit nicht. Ich setzte mich auf die Klavierbank und klimperte die Melodie zu „Magic In You“. Mona hatte „Magic In You“ geschrieben, dabei war es Magie, was sie mit mir machte. Alles an ihr faszinierte mich. Sie war aufregend und geheimnisvoll. Meine Gedanken kreisten ständig um sie. Es würde kompliziert werden. Sie in Deutschland, ich überall und nirgends. Aber ich musste sie wiedersehen, unbedingt! Ich sehnte mich so sehr danach, sie in meine Arme zu nehmen. – Und auf einmal waren so viele neue Ideen in meinem Kopf. Einzelne Worte, Sätze, Textstücke, Tonfolgen. Ich holte mein Handy, um alles, was mir einfiel, aufzunehmen. Bis zwei Uhr in der Nacht saß ich vollkommen ungestört an diesem wunderschönen Flügel, die Einfälle sprudelten nur so aus mir heraus. Heiliger Bimbam! Was für ein Klischee! Aber so war es, wirklich. Danach schlief ich mit offener Balkontür wie ein Baby für acht Stunden. Himmlisch!

Nach einem kleinen Frühstück, das mir Maria organisiert hatte, entschied ich mich, den Tag am Stand zu verbringen. Maria hatte mir erzählt, dass Jani meistens erst gegen vier Uhr nachmittags aufstand. Zu ungefähr dieser Zeit tauchte er dann auch auf.

„Was zur Hölle machst du hier?“, brüllte er von der Treppe aus schon zu mir herunter.

„Ich entspanne mich“, brüllte ich zurück.

„Entspannen kannst du, wenn du tot bist. Auf jetzt! Pack deine Sachen zusammen, wir müssen los.“

„Was? Welche Sachen?“ Ich stand auf und lief ihm entgegen.

„Deine Klamotten und alles. Wir verreisen. Mach voran, ich hab den Heli schon bestellt.“

„Bist du irre?“

„Du bist nicht krank, Granny lebt, und mit der Band ist alles in Ordnung, sagst du jedenfalls, also kann nur eine Frau dahinterstecken. Die treibe ich dir schon aus. Du bist nur ein bisschen aus der Übung, aber das kriegen wir schon wieder hin.“ Er eilte, etliche Meter vor mir, zum Haus zurück.

Also packte ich.

*

Die nächsten sieben Tage lang schleppte er mich in alle Klubs und Bars entlang der spanischen Küste. Jesus! Er war dasselbe Partytier wie eh und je. Wir verschliefen die Tage und feierten die Nächte durch. Zurück in Marbella kam dann der Hammer.

„Hast du eigentlich auch noch andere Klamotten dabei?“, fragte er mich bei unserem späten Brunch.

„Nein, wieso?“

„Wir haben heute Abend noch was vor.“

„Jani, bitte, mir bleiben nur noch zwei Tage. Nicht schon wieder eine Party.“

„Du kannst nicht kneifen. Das ist das Geilste, was du jemals erlebt hast. Ich habe seit drei Monaten nämlich auch ein Partyboot, und heute Abend richte ich eine Feier für einen Medienmogul aus Japan aus. Letzten Monat waren ein paar Scheichs aus Abu Dhabi hier, ich kann dir sagen, die haben es krachen lassen! Da lagen tatsächlich echte Edelsteine als Tischdeko herum.“

„Komm, jetzt übertreibst du aber.“ Ich konnte nur noch staunen. Jedenfalls musste ich mir neue Klamotten für den Abend kaufen, und dann ging es los. Eine Einhundert-Meter-Yacht erwartete uns im Hafen. Halleluja! Das nannte er Partyboot?! Etlichen Jetset-Ladys und -Gentlemen schüttelte ich die Hand, und Jani hatte wohl auch noch einige Damen für die alleinstehenden Herren organisiert. Mir schwante da so etwas. Ich zog ihn zur Seite. „Verdienst du damit so viel Geld? Mit Prostitution?“

„Spinnst du?“ Er wurde richtig sauer. „Ich heuere die Mädels bei einem seriösen Begleitservice an, was sie sonst noch machen, geht mich nichts an.“

„Trotzdem, das ist ätzend. So viel Silikon und falsche Fingernägel habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen.“

„Ah! Jetzt entspann dich mal! Für dich ist auch eine dabei.“ Er schlug mir auf die Brust, verdrehte seine Augen und ging zu einem Japaner hinüber, der ihm zugewinkt hatte. Ich hielt mich an meinem Whiskyglas fest und schlenderte über die Decks.

Mehrfach wurde ich von wirklich hübschen Damen angesprochen, die alle nur viel zu dick geschminkt und über die Maßen mit Geschmeide behängt waren. Mona trug lediglich ihre Armbanduhr und eine lange Kette um ihren verführerisch schönen Hals. Den Anhänger hatte ich noch nie gesehen, sie versteckte ihn stets unter ihrem Shirt. Vermutlich baumelte er an der so ziemlich schönsten Stelle der Welt herum. Ein Kellner unterbrach meine Gedankengänge.

„Möchten Sie?“ Er hielt ein Tablett mit Kanapees in seinen Händen.

„Gerne. Hm, lecker.“ Ich nahm gleich noch ein zweites, aber davon wurde ja kein Mensch satt; also machte ich mich auf den Weg zum Buffet. Dort fand ich nicht nur Sushi, Kaviar und Lobster, sondern traf auch Jani wieder. Er stellte mir eine Naturschönheit mit langen braunen Haaren vor.

„Leevi, das ist Tamara.“

„Hallo.“ Sie reichte mir mit einem vielsagenden Augenaufschlag die Hand.

„Leevi, hi!“

„Wohnst du in Marbella?“, begann sie eine unverfängliche Konversation und Jani verdrückte sich sogleich. Nach dem Essen gingen wir auf eines der Decks, die mit gemütlichen Loungemöbeln ausgestattet waren. So verbrachte ich den Abend mit Tamara und fand heraus, dass sie diesen Job machte, um ihr Medizinstudium zu finanzieren.

„Komm“, sie zog an meiner Hand, „wir gehen auch auf das Oberdeck zum Tanzen.“

„Nein danke, ich tanze nicht“, sagte ich und lächelte sie an.

„Okay, willst du lieber andere Sachen machen?“ Sie ließ sich wieder neben mich auf das weiche Polster fallen und fing an, mir über die Brust zu streichen. Ich stoppte Tamaras Hand, als sie dabei war, einen Knopf an meinem Hemd zu öffnen.

„Sorry, Tamara, aber das will ich nicht.“

„Ach komm, entspann dich, jetzt kriege ich mal so einen süßen Typen ab und du willst nicht. Das ist nicht dein Ernst?“ Sie ließ nicht locker und fummelte weiter an meinen Hemdknöpfen herum. „Wir können doch ein bisschen Spaß haben und ich könnte die extra Kohle wirklich gut gebrauchen.“

„Wofür?“, fragte ich sie und zog dabei ihre Hand von mir weg.

„Ich will nächstes Jahr unbedingt zu den Flying Doctors nach Afrika. Seit meiner Kindheit begeistert mich alles, was mit diesem Land zu tun hat.“

Offenbar hatte sie meine Abweisung akzeptiert, denn sie setzte sich aufrecht hin und sah mich mit ihren großen braunen Augen an.

„Ich verstehe“, sagte ich, „trotzdem solltest du solche Sachen nicht machen“, durchsuchte gleichzeitig aber meine Hosentaschen nach Bargeld. „Ich habe hier noch einhundertsechzig Euro, die bekommst du, wenn du mir mehr über deine Pläne erzählst und uns noch etwas zu trinken besorgst.“ Das tat sie und ich erfuhr an diesem Abend noch viele Details über die Arbeit der Flying Doctors.

*

Jani bestand darauf, mich zum Flughafen zu bringen. In der Wartehalle löcherte er mich noch einmal. „Willst du mir nicht endlich sagen, was los ist? Wir kennen uns seit über dreißig Jahren, aber so habe ich dich noch nie erlebt. Du lässt selbst eine Sahneschnitte wie Tamara einfach so abblitzen?“

„Woher weißt du das?“

„Ich weiß alles, mein Freund.“

„Ist ja auch egal. Ich muss los, Jani. Danke, für alles“, ich drückte ihn, „pass auf dich auf und mach keinen Mist.“ Er hielt mich am Arm fest.

„Du fliegst nirgendwohin, bevor du nicht geredet hast.“ Es gab keine Chance, mich aus seinem Griff zu befreien.

„Ja, du hast recht mit deiner Vermutung, es steckt eine Frau dahinter. Ich glaube, ich habe mich ernsthaft verliebt.“

„Was? Ich höre so schlecht auf dem einen Ohr.“

„Du hast mich ganz genau verstanden“, ich boxte auf seinen Brustkorb, „sie muss die Richtige für mich sein, wenn selbst du es nicht fertigbringst, dass ich sie vergessen kann, und nun lass mich endlich los.“ Das tat er.

„Sag ihr, ich hasse sie“, rief er mir nach, „sie hat aus meinem alten Saufkumpan ein Weichei gemacht.“ Sein Lachen schallte durch die ganze Halle.

*

Bald darauf saß ich wieder in meiner Wohnung in Helsinki. Auch die veränderte Umgebung und die durchaus sagenhaft organisierten Ablenkungen von Jani hatten mich nicht wirklich auf andere Gedanken bringen können. Aber ACHT neue Songs hatte ich geschrieben! Wahnsinn! Warum konnte ich eigentlich immer dann besonders gut schreiben, wenn ich total verkatert, verwirrt, müde und verzweifelt war? Das war doch alles verrückt. – Ich musste sie aufspüren, irgendwie.

Zuerst versuchte ich mein Glück bei den Vermietern des Ferienhauses, die mussten schließlich ihre Kontaktdaten haben, aber die stellten sich stur und beharrten auf Datenschutz. Ich erfand eine Notlüge und sagte, Mona habe etwas bei mir vergessen und ich wolle es ihr nachschicken. Woraufhin dieses Prachtexemplar von Vermieterin mir süffisant lächelnd vorschlug: „Bringen Sie es vorbei und ich werde es ihr nachschicken.“ Blöde Zicke!

Okay, sie war von Frankfurt aus nach Helsinki geflogen. Also bemühte ich das Internet und suchte die Flüge heraus, die am 24. August von Helsinki nach Frankfurt gestartet waren. Mit dieser Liste fuhr ich zum Airport und fragte mich durch. Ich setzte meinen ganzen Charme ein und versuchte, einige Mitarbeiterinnen, die mich kannten, mit Backstage-Tickets zu bestechen, aber ohne Erfolg, natürlich bekam ich keinerlei Auskunft über die Passagierlisten.

Mit meiner Schwester hatte sich Mona lange unterhalten und mit Granny natürlich. Zuerst stattete ich meiner Schwester einen Besuch ab, ich hatte sowieso Geschenke für Jaana und den kleinen Zwerg mitgebracht: Kastagnetten für Jaana und für Elias eine kleine Trommel. Mirja war von meinen Mitbringseln wenig begeistert, es würde den Geräuschpegel in ihrem Haus ins Unerträgliche steigern, meinte sie. Natürlich musste ich von Spanien und Jani erzählen. Mirja hatte als junges Mädchen mal ziemlich für ihn geschwärmt und schien immer noch äußerst interessiert an ihm zu sein. Aber dann drehte ich den Spieß um und versuchte sie auszufragen.

„Bevor es zu kalt wird, sollten wir noch einmal am Sommerhaus grillen.“

„Ja, unbedingt.“

Ich hatte Elias auf meinem Schoß sitzen und machte Faxen mit ihm. „Hast du eigentlich noch mal etwas von Mona gehört?“

„Nein.“

„Ihr habt euch doch gut verstanden, oder?“

„Ja, sie ist total nett. Jaana war ganz verrückt mit ihr. Weißt du noch? Sie hat die arme Mona den ganzen Abend in Beschlag genommen.“

„Ihr habt nicht zufällig Adressen ausgetauscht oder so?“

„Nein, warum fragst du?“

Als Antwort drückte ich ihr Elias in die Arme. „Bitte“, sagte ich und rümpfte meine Nase, „er stinkt.“

Jaana hatte bisher wenig Interesse an unserem Gespräch gezeigt und die ganze Zeit über, auf dem Sofa sitzend, in einem Buch gelesen, aber als Mirja mit Elias im Badezimmer verschwunden war, rutschte sie auf meinen Schoß und schmiegte ihr hellblondes, weiches Lockenköpfchen an meine Brust.

„Leevi?“

„Hm?“

„Vermisst du Mona?“

Gott, sie war so süß! Ich drückte ihr einen Kuss aufs Haar und umarmte sie ganz fest. Sie hatte also doch zugehört und offensichtlich zwischen den Zeilen gelesen. Kinder hatten einfach ein feines Gespür für Situationen, Gefühle und Stimmungen.

„Ja, Engelchen, das tue ich.“

„Dann musst du sie suchen.“

„Das habe ich vor.“

„Oder ich zaubere sie wieder her, so wie damals, als wir bei dir gefeiert haben.“

„Das wäre super.“

Sie drückte ihre Augen ganz fest zu und fuchtelte mit ihren Ärmchen durch die Luft: „Simsalabim!“

Aber außer uns zweien war nach wie vor niemand im Zimmer.

„Oh, es hat nicht geklappt“, sagte sie enttäuscht und schob ihre Unterlippe vor.

„Macht nichts, Schätzchen“, sagte ich, um sie zu trösten, „ich finde sie schon.“

In diesem Moment klopfte ihre Freundin an die Terrassentür. Sie winkte ihr zu und drückte mir noch schnell einen feuchten Kuss auf die Wange. Als sie von meinem Schoß rutschte, sagte sie: „Sei nicht traurig, ich versuche es morgen noch einmal.“ Und weg war sie. Im Hinaushüpfen wippten ihre Löckchen auf und ab. Mein Herz zog sich zusammen. Gott, war sie entzückend! Der Bursche, der ihr einmal das Herz brechen würde, konnte sich jetzt schon mal warm anziehen! – Aber das würde ihr Vater schon erledigen. Daniel war ein feiner Kerl. Kimi und ich hatten ihn auf Herz und Nieren geprüft, bevor er mit unserer Schwester zusammenkommen durfte. Und ich erlaubte ihm, mein Auto zu fahren, wenn ich außer Landes war. Eine absolute Huldigung!

So, jetzt blieb mir also nur noch Granny. Bei ihr musste ich allerdings auf der Hut sein, sie durchschaute alles und jeden sofort, und wenn sie davon Wind bekam, dass ich hinter Mona her war, würde sie mich löchern und alles bis ins kleinste Detail wissen wollen. Das wollte ich mir eigentlich ersparen.

* * *

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