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Kapitel 3

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Wer die Gabe hat, die Seele eines anderen Menschen zu berühren, ist mit einem unschätzbaren Talent gesegnet.


Am nächsten Abend werkelte ich gerade in der Küche herum, als ich durch das Fenster ein kleines blondes Mädchen von vielleicht sieben, acht Jahren sah, das auf mein Ferienhaus zuflitzte. Das letzte Stück über die Wiese hüpfte es und rief aus vollem Halse: „Mona, Mona!“

Als ich die Eingangstür öffnete, stand sie schon vor mir.

„Bist du Mona?“, fragte sie mich, etwas außer Atem.

„Ja, bin ich, und wer bist du?“

„Ich bin Jaana. Komm, du sollst essen mit uns.“

Ohne jede Scheu packte sie meine Hand und zog mich hinter sich her. Ich konnte gerade noch die Tür hinter mir ins Schloss ziehen.

Hinter Leevis Sommerhaus stand ein großer Holztisch auf der Wiese, an dem sich offenbar die ganze Familie versammelt hatte. Jaana schleppte mich zu Leevi und sagte kichernd etwas auf Finnisch zu ihm. Er lachte, wirbelte sie durch die Luft und warf sie einem anderen Mann in die Arme.

„Hi“, begrüßte er mich. Küsschen rechts, Küsschen links. „Schön, dass du bist da.“

„Ja, danke für die spontane Einladung. Ich hatte keine andere Wahl. Jaana hat mich einfach hergeschleppt. Was hat sie gesagt?“

„Sie hat gesagt, dass sie hat gezaubert dich hierher.“

„Ah, verstehe, es sind also magische Kräfte im Spiel.“

„That may be.“ Er zwinkerte mir zu.

Ich lernte seine Mutter Sofia kennen, die gerade einen Stapel Teller aus dem Haus balancierte. Und Aki, den Gitarristen, mit Frau oder Freundin, die sich am Grill nützlich machten, ebenso seinen kleinen Bruder Lauri.

„Grandma Josie hat deutschen Papa“, erklärte mir Leevi, „du kannst sprechen Deutsch mit ihr. Überhaupt alle sprechen besser Deutsch wie ich.“ Er brachte mich zu dem großen Tisch. „Granny, das ist Mona aus Deutschland, sie macht holiday hier. Mona, das ist Granny.“

„Guten Tag“, sagte ich und lächelte diese entzückende alte Lady an, „ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.“

Die gleichen unglaublich blauen Augen wie Leevi, nur noch gepaart mit einer gehörigen Portion Lebensweisheit und Güte.

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, meine Liebe“, sagte sie mit ruhiger, warmer Stimme und tätschelte mir dabei so liebevoll die Hand, dass ich sie sofort in mein Herz schloss.

Es wurde ein wundervoller Abend. Ich saß zwischen Grandma Josie und Jaana, die sich als Leevis Nichte herausgestellt hatte. Jaana zeigte mir ihre Bücher, ich musste mit ihr malen und ein Spiel mit ihr spielen. Sie sprach erstaunlich gut Deutsch und Englisch. Mirja, Leevis Schwester, Jaanas Mutter, erklärte mir, dass sie ihre Kinder dreisprachig aufwachsen ließ. Ihr Mann Daniel sprach nur Finnisch mit ihnen, sie Englisch und Deutsch. Ihr kleiner Sohn Elias wurde gerade von ihrem Mann herumgetragen.

Mirja war unglaublich nett, sie war vier Jahre jünger als Leevi und erzählte genauso offen von sich und ihrer Familie. „Kimi, unser großer Bruder, und ich, wir sind ganz normal, sprich, wir haben gewöhnliche Berufe erlernt. Kimi ist Architekt, seine Frau auch, sie leben mit ihren zwei Töchtern in Amerika. Ich bin gelernte Krankenschwester, mein Mann ist Möbelschreiner und Restaurator.“

„Das ist ja interessant. Hat er sich auf irgendein Gebiet spezialisiert?“, hakte ich nach.

„Hauptsächlich auf Holz, Möbel, oft auch Bilderrahmen. Gemälderestauration findet er total spannend, aber er traut sich noch nicht so recht heran. Wenn du da einen Fehler machst, kannst du ihn nie wieder ausbessern.“

„Das ist eine heikle Angelegenheit“, stimmte ich ihr zu.

„Ja, wo war ich stehen geblieben? Ah, genau, also mit neunzehn habe ich meinen Mann kennengelernt, mit dreiundzwanzig geheiratet und mit neunundzwanzig meine Tochter bekommen. Nur Leevi mischt die ganze Familie auf mit seiner Musik, und es sieht so aus, als würde Lauri jetzt auch noch Talent in diese Richtung entwickeln.“ Sie zwinkerte mir lachend zu. „Ich habe Mom schon gefragt, was sie in diesen beiden Schwangerschaften anders gemacht hat.“

„Und was sagt sie?“, fragte ich belustigt.

„Sie sagt zwar, sie weiß es nicht, aber ich glaube, sie verheimlicht es uns nur.“ Wir lachten beide.

„Ihr scheint eine lustige Truppe zu sein?“

„Oh ja, wir halten fest zusammen und hängen sehr aneinander. Unser Dad ist ganz plötzlich durch eine Lungenembolie gestorben, als Lauri gerade mal zwei Jahre alt war. Mom musste dann arbeiten gehen. Kimi und Leevi haben sich viel um uns kümmern müssen. Hast du auch Geschwister?“

Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein, leider nicht, ich bin schon immer Einzelkämpferin gewesen.“

Sie nickte, sagte aber nichts dazu und war auch diskret genug, nicht näher nachzufragen.

So hatte scheinbar jede Familie ihr Päckchen zu tragen. Unter jedem Dach ein Ach, hatte meine Omi immer gesagt.

Die Männer hatten sich um den Grill geschart. Leevis Mom und Jaana flitzten herum und bewirteten alle. Jaana brachte Josie, Mirja und mir jeweils einen Teller mit einem saftigen Steak und einer reichen Auswahl an appetitlich angerichteten Salaten. Ab und zu bemerkte ich Leevis Blicke, aber wir hatten keine Gelegenheit, uns zu unterhalten. Und dann plauderte ich natürlich viel mit Josie.

In einer stillen Minute ließ ich die Szene auf mich wirken. Was für ein Idyll! Die Familie lachte und schwatzte. Etwas abseits pflückte Jaana Margeriten und Kornblumen von der Wiese. Allen schien es gut zu gehen und alle schienen Spaß zu haben. So etwas hatte ich nie erlebt. Mir traten Tränen in die Augen. Ich atmete gerade tief ein und aus, um mich zu fassen, als mir Josie heimlich unter dem Tisch ein Taschentuch in die Hand drückte. Sie schaute mich an und nickte nur schweigend. Ihr Gesicht lächelte, aber ich konnte auch tiefes Mitgefühl darin erkennen.

Gegen halb elf verabschiedeten sich Granny und Leevis Mutter. Die Runde rückte näher zusammen. Ich blieb noch eine Stunde und wollte dann auch aufbrechen. Leevi bestand darauf, mich zurückzubegleiten.

„Das ist wirklich nicht nötig, was soll mir auf den paar Schritten schon passieren? Ein Elch wird mich bestimmt nicht auffressen.“

„You never know.“ Leevi zwinkerte mir zu. „The wild nature in Finnland is dangerous!“ Er schnitt eine Grimasse.

Jaana hatte das mitbekommen und wollte mich jetzt auch unbedingt nach Hause bringen. Nachdem ich mich von allen anderen verabschiedet hatte, nahmen wir sie in unsere Mitte und gingen die paar Meter durch den Wald zu meinem Ferienhaus. Auf der kleinen Veranda verabschiedeten wir uns. Ich ging in die Hocke, um Jaana zu drücken. „Vielen Dank, dass du mich abgeholt und wieder zurückgebracht hast.“

„Das habe ich gerne gemacht“, sagte sie gewitzt. Sie war so ein süßer blonder Engel!

„Vielen Dank für die Einladung“, sagte ich zu Leevi, „es war ein ganz wunderbarer Abend.“ Und damit hatte ich nicht gelogen.

„I’m really pleased. Wirklich. Sleep well!“ Küsschen rechts, Küsschen links.

„Danke. Ihr auch.“

Ich streichelte Jaana noch einmal flüchtig über ihre Löckchen.

Sie gingen erst, als ich die Haustür hinter mir zugemacht hatte. Durchs Küchenfenster beobachtete ich sie. Leevi hatte Jaana auf seine Schultern gesetzt und trabte mit ihr durch den Wald, dass sie vor Vergnügen quiekte. So verschwanden sie aus meinem Blickfeld, aber das Lächeln auf meinem Gesicht blieb zurück.

* * *

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