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AUSWEITUNG DES BÜRGERKRIEGS
ОглавлениеDie Herbstoffensive, die am 29. November 1941 zum Zusammenbruch der »Sowjetrepublik« in Užice geführt hatte, war für Tito eine böse Lehre, denn sie untergrub seine Stellung bei den Partisanen. Unter anderem hatte er den Fehler begangen, sich vor Hudson als Heerführer präsentieren zu wollen, und zur Verteidigung von Užice ein Bataillon Partisanen nach Kadinjača, einem der Zugänge zur Stadt abkommandiert, obwohl klar war, dass die Offensive nicht aufzuhalten war. Das gesamte Bataillon fiel im Kampf gegen deutsche Panzer. Später wurde Kadinjača aber zu einem Mythos hochstilisiert.175 Weil Tito die Schlagkraft der Wehrmacht unterschätzt hatte, räumten die Partisaneneinheiten Užice erst im letzten Moment: Es kam zu einem derartigen Chaos und zu Gräueltaten (die Deutschen fuhren mit Panzern über die verwundeten Partisanen hinweg oder warfen sie in Bäche und erschossen sie dort), dass Dragojlo Dudić, der erste Präsident des Volksbefreiungshauptausschusses für Serbien, Tito wegen seiner Kommandoführung und weil er die Leute unnötig in den Tod geschickt hatte, öffentlich angriff.176
Angeblich war Tito derart kopflos geflohen, dass niemand wusste, wo er sich aufhielt, nicht einmal sein Adjutant Mitar Bakić. Er hatte aber Glück, dass die Deutschen seine Einheit nur bis zu den Hängen am Fluss Uvar verfolgten, wo die Grenzlinie zwischen ihrer Zone und dem italienisch besetzten Gebiet verlief.177 Das Telegramm an »Ded«, das er am 1. Dezember 1941 schickte und in dem er um militärische Hilfe über seine drei Flugplätze bat, gelangte zwar an Stalin, Molotow und Beria, löste aber keine Reaktion aus.178 Weil zu diesem Zeitpunkt die Deutschen vor Moskau standen, lautete die Frage, wie sich die sowjetischen Führer selbst helfen würden.
Infolge der Niederlage der Partisanen in Serbien schien es, als stünde das Schicksal der gesamten jugoslawischen Widerstandsbewegung auf der Kippe. »Wir hatten keine richtige Verteidigung«, sagt Kardelj, »und wir fingen einzelne Partisanen ein, um die Deutschen am Rand von Zlatibor wenigstens so lange aufzuhalten, bis wir die Verwundeten evakuiert hatten.«179
In einem Anfall von Kleinmut bot Tito am 7. Dezember 1941 im Dorf Drenovi im Sandžak auf einer Sitzung des Politbüros, an der Kardelj, Ranković, Đilas, Žujović und Lola Ribar teilnahmen, seinen Rücktritt an (es ist nicht klar, ob von der Position des Oberkommandierenden oder auch von der des Generalsekretärs der Partei). Der Vorschlag wurde natürlich zurückgewiesen, weil Moskau diese Entscheidung nicht verstanden hätte und glauben würde, dass es in der KPJ zu einer Spaltung gekommen sei. Ranković gab auch zu bedenken, dass im Falle von Titos Rücktritt alle zurücktreten müssten.180 »Im Krieg ist Tito mehrmals in große Depressionen gefallen und war demoralisiert. […] Aber sonst überblickte er eine Lage, fasste rasch Entschlüsse und war energisch in ihrer Ausführung«, sagte Ranković.181
So war es auch diesmal, obwohl die Verhältnisse in der Tat niederschmetternd waren, denn Tito hatte in diesem Augenblick weniger als 1 500 Kämpfer zur Verfügung. Doch den übriggebliebenen Führern mangelte es nicht an revolutionärem Elan: Im Lichte der jüngsten Ereignisse konstatierten sie, dass sich der bewaffnete Widerstand gegen den fremden Okkupator in einen Klassenkampf zwischen Bauern und Arbeitern auf der einen und der Bourgeoisie auf der anderen Seite verwandelt habe. Weil ihrer Meinung nach Hitlers militärischer und politischer Zusammenbruch nahe bevorstand (worauf die letzten Erfolge der sowjetischen Truppen hindeuteten – sie hatten die Deutschen vor Moskau gestoppt), stehe die zweite Etappe der Revolution kurz bevor, das behauptete jedenfalls Edvard Kardelj. Und sie waren überzeugt, dass sich auch die Imperialisten dessen bewusst waren: Gerade deshalb habe Großbritannien in Europa noch keine zweite Front aufgemacht, sondern versuche, wie der Angriff der Tschetniks gegen Užice beweise, die reaktionären Reihen zu schließen und sie gegen die revolutionären und fortschrittlichen Kräfte zu lenken. Deshalb sei es notwendig, im Kampf gegen den Okkupator auszuharren, zugleich aber mit dem einheimischen und großserbischen Klassenfeind abzurechnen.182
In Übereinstimmung mit diesen verwinkelten Gedankenkonstruktionen, auf die selbst die Meldung, dass inzwischen auch die Vereinigten Staaten auf Seiten Großbritanniens und der Sowjetunion in den Krieg eingetreten waren, keinen großen Einfluss zu haben schien, riefen Tito und seine Genossen am 21. Dezember 1941, an Stalins Geburtstag, im Dorf Rudo die Erste proletarische Brigade (später Division) ins Leben, die die offensive Speerspitze der Befreiungs- und Sozialbewegung bilden sollte. Als Reaktion auf den Umstand, dass mehrere Partisaneneinheiten zu den Tschetniks übergelaufen waren oder sich in die Wälder geflüchtet hatten, um in der Nähe ihrer Dörfer zu bleiben, beschlossen sie, einen militärischen Kernverband aufzustellen, auf den sie sich würden stützen können, »weil wir die herrlichen Arbeitertruppen Serbiens hatten «. – »Ich erinnere mich«, sagte Kardelj, »dass wir, als wir im Sandžak auf dem Zlatar waren, eine Art Parade abhielten, als Vorbereitung darauf, dass wir Brigaden aufstellen würden. […] Es herrschte ein fürchterlicher Schneesturm und außerordentlicher Frost, und die Menschen marschierten halb nackt und barfüßig und übermüdet von den schrecklichen Märschen in Kolonnen und sangen mit unglaublichem Feuer.«183 Diese Leute seien, so Tito, »in Wirklichkeit die bewaffneten Streitkräfte der Partei«.184
In die Erste proletarische Brigade wurden keine Bauern aufgenommen, sondern mehrheitlich Mitglieder der Partei und des SKOJ, denn sie sollte die Keimzelle einer regulären Revolutionsarmee bilden und sich von den Partisaneneinheiten unterscheiden.185 Nach Meinung Edvard Kardeljs hatte diese Entscheidung großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Widerstandsbewegung. »Das Auftreten der Ersten proletarischen Brigade veränderte die politische und militärische Situation in Bosnien wesentlich und machte es möglich, die negativen politischen Folgen des Falls der Republik von Užice relativ rasch durch neue Erfolge zu kompensieren. Die langfristige Wirkung lag darin, dass der Aufstand den ersten Kern einer Revolutionsarmee bekommen hatte, die in den folgenden Monaten und Jahren immer mehr die Fähigkeit gewann, Operationen größeren Ausmaßes in ganz Jugoslawien zu organisieren und – in der Schlussphase des Krieges – so große frontale Operationen gegen den Feind durchzuführen, wie sie für den Zweiten Weltkrieg kennzeichnend waren.«186
An die Spitze der Brigade, zu der 1 200 Kämpfer gehörten, wurde Koča Popović gestellt, ein Veteran aus dem spanischen Bürgerkrieg, der sie zu einer gut organisierten Stoßeinheit formte. Zusammen mit der Zweiten proletarischen Brigade, die wenige Monate später ins Leben gerufen wurde, stellte sie den Kern der revolutionären Kräfte in Bosnien und Herzegowina, in dem Gebiet also, in dem in den nächsten zwei Jahren das Gros der Tito-Armee agieren sollte.
Über den Korpsgeist der Armee sagte ihr Oberkommandierender bei der Einsetzungsfeier der Zweiten proletarischen Brigade am 1. März 1942: »Wir werden auch auf den eigenen Vater schießen – wenn er sich gegen das Volk stellt.«187Weil derartige Dinge tatsächlich vorgekommen waren, erinnerte sich Tito in späteren Jahren ungern an einige Vorkommnisse während der Revolution. Trotzdem konnte er seine Bewunderung für Menschen nicht verhehlen, die die Stärke hatten, solche Opfer zu erbringen: »Ja, das heißt Partei ergreifen.«188 Gleichzeitig muss aber auch gesagt werden, dass er selbst an keinen Gräueltaten beteiligt war. »Das, was kompromittiert«, meinte Ranković nicht ohne Vorwurf, »Todesurteile, das Niederbrennen von Dörfern, all das, was schmutzig und schlecht ist, hat er nicht unterschrieben, sondern anderen überlassen. Immer war er sich seiner historischen Rolle bewusst. Er handelte so, dass er der Sieger war, dass er recht hatte, dass er gerecht und großmütig war …«189
In dem Dorf Ivanćići berief Tito am 8. Januar 1942 eine Parteiversammlung ein, auf der beschlossen wurde, durch Verschärfung des Klassenkampfes der Revolution neuen Schwung zu geben. In einem Dokument, das vermutlich als Diskussionsgrundlage gelten sollte, hieß es, dass die KPJ ihre Taktik ändern werde: »Die Politik unserer Partei war klar und darauf konzentriert, das ganze Volk im Kampf gegen den Okkupator zu vereinen, ungeachtet der nationalen, religiösen und politischen Zugehörigkeit. Aber unsere Gegner, die großserbische Bourgeoisie und ihre Vertreter, haben die Frage der zukünftigen Ordnung [des Staates] gestellt und sind sogar so weit gegangen, dass sie sich zum Zwecke der Sicherung und Erhaltung der alten Ordnung im Kampf gegen uns mit dem Okkupator zusammengetan haben. Sie haben uns den Klassenkampf aufgezwungen, wir nehmen diesen Kampf an …«190
Nach der Flucht aus Serbien quartierte sich das Oberkommando am 25. Januar in Ostbosnien ein, in der muslimischen Kleinstadt Foča auf NDH-Territorium, wo es trotz ständiger Angriffe der deutschen Luftwaffe drei Monate blieb. Bei der Ankunft in der Stadt konnte sich Tito mit eigenen Augen davon überzeugen, was für ein Jugoslawien Mihailović vorschwebte: In der Drina schwammen Leichname von Muslimen, die von den Tschetniks hingemordet worden waren.191 Die Tatsache, dass bei den Gräueltaten die Ustascha mit den Tschetniks wetteiferten, war Wasser auf die Mühlen der Widerstandsbewegung, die sich in der neuen Umgebung bald erholte, trotz des schrecklichen Frosts und quälenden Hungers: Sie aßen fast nur Haferbrot, vermischt mit Spalten wilder Birnen, im besten Fall tranken sie »Pferdetee« – gekochte Pferdebrühe ohne Salz und Gewürze.192 Tito verlor in dieser Zeit zwar viel an Gewicht, war aber dennoch privilegiert. Er hatte nämlich eine eigene Kuh, sodass er immer genügend Milch bekam, und hatte auch seinen eigenen Koch.193 Was aber noch nicht bedeutete, dass er nicht auch die Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten des Partisanenlebens mit den anderen teilte. Josip Kopinič, der zu dieser Zeit aus Zagreb dazugestoßen war, erzählt, dass sie sich einmal wegen der Kälte eine Decke geteilt hätten. »Hast du Läuse?« habe Tito ihn gefragt. Vazduh habe geantwortet, dass er noch keine habe. Darauf Tito lachend: »Keine Angst, hier kriegst du sie, ich habe sie auch.«194
Mit Kopiničs Hilfe war es um den 7. Februar 1942 möglich, von Goražde aus eine direkte Radioverbindung des Obersten Stabes mit Moskau herzustellen, um die sich der Leiter des Chiffrierdienstes kümmerte, der Kernphysiker Pavle Savić, ehemals Assistent von Marie Curie, »ein überdurchschnittlich intelligenter Mann«.195 Unter Ausnutzung der neuen Kommunikationsmöglichkeit, mit der er sich aus der Abhängigkeit vom Zagreber Zentrum lösen konnte, sandte Tito Ende Februar 1942 zum 24. Jahrestag der Roten Armee einen begeisterten Glückwunsch, der in der Zeitschrift Kommunističeskij Internacional, aber auch in den Soviet War News, dem Bulletin der sowjetischen Botschaft in London, veröffentlicht wurde. Sein Name tauchte auf diese Weise zum ersten Mal im Westen erwähnt.196 Man musste aber bis zum Sommer warten, bis die linksgerichteten Zeitungen in Großbritannien und den USA endlich Telegramme aus Moskau bekamen, die Titos Meldungen über Schlachten der Partisanen gegen die Okkupatoren zitierten und die Kommuniqués der jugoslawischen Regierung in London der Lüge überführten, die mit denselben Schlachten renommierten, nur dass sie sie den »Tschetnik-Guerillatruppen unter General Draža Mihailović« zuschrieben.197
Weil sich das Kriegsglück mit dem Stillstand der Offensive der Wehrmacht vor Moskau zugunsten der Russen gewendet hatte, begann sich Stalin für die Partisanen Jugoslawiens zu interessieren, auch deshalb, weil die britische Regierung darauf beharrte, Tito zur Kooperation mit Mihailović zu bewegen. »Es scheint«, sagte er ironisch, »dass die jugoslawischen Partisanen ziemlich schlagkräftig sind, wenn uns die Engländer um Hilfe bitten.« Und als auch die königliche Exilregierung die gleiche Forderung erhob, fügte er hinzu: »Ihnen allein gelingt es nicht, sich mit der Partisanenbewegung in der Heimat zu einigen, und so wollen sie sie mit unserer Hilfe Mihailović unterwerfen und sie später ersticken. All das ist mit heißer Nadel gestrickt. Es handelt sich um eine gerissene, aber kindische Falle! Schade, dass wir fürs Erste mit den Partisanen nur sympathisieren, ihnen aber keine konkrete Hilfe bieten können.«198
Trotz dieser ersten Anzeichen von Sympathie kam aus Moskau bald auch Tadel. Schon im Februar war in der Komintern die Idee aufgekommen, dass die jugoslawischen Partisanen einen Appell an die europäischen Befreiungsbewegungen, in erster Linie in Frankreich und in der Tschechoslowakei, richten sollten. Tito hatte die Initiative natürlich begeistert aufgenommen und den Text verfasst, worauf aus Moskau die Mitteilung kam, dass man den Text aus Rücksicht auf die Exilregierung nicht veröffentlichen könne. Anfang März gratulierte die Komintern Tito zwar zu seinen Erfolgen, mahnte aber zugleich an, dass die »Vernichtung der faschistischen Banditen und die Befreiung vom Eroberer die Aufgabe ist, die vor allen anderen zu stehen hat«. Die Sowjetregierung sorgte sich, dass die Partisanenbewegung die Beziehungen zu den westlichen Verbündeten belasten könnte: »Bewertet die Probleme eures Kampfes nicht nur von eurem nationalen Standpunkt aus, sondern auch vom internationalen Aspekt der britisch-amerikanisch-sowjetischen Koalition.«199 – »Die Durchsicht eures gesamten Materials«, heißt es in dem Telegramm des EKKI, »erweckt den Eindruck, als würden Anhänger der britischen und der jugoslawischen Regierung mit bestimmter Berechtigung den Verdacht äußern, dass die Partisanenbewegung kommunistischen Charakter annimmt und auf eine Sowjetisierung Jugoslawiens abzielt. Warum war es zum Beispiel notwendig, eine besondere Proletarische Brigade aufzustellen? […] Gibt es neben den Kommunisten und ihren Sympathisanten nicht auch andere jugoslawische Patrioten, mit denen ihr gemeinsam gegen den Okkupator kämpfen könntet?«200 Kurzum, »Ded« riet Tito, seine bisherige Taktik gründlich zu überdenken und seine Bemühungen zu intensivieren, eine gemeinsame nationale Front aller Feinde Hitlers und Mussolinis zu bilden. Dabei wies er darauf hin, dass die Sowjetunion diplomatische Beziehungen zum jugoslawischen König und seiner Regierung unterhalte und dass jegliche gegen sie gerichtete Aktionen Schwierigkeiten mit den westlichen Verbündeten verursachen würden.201
In seiner telegrafischen Antwort erklärte Tito, dass das EKKI seine Informationen, die er in der letzten Zeit nach Moskau übermittelt hatte, falsch gedeutet habe. Die Anhänger der Londoner Regierung würden nicht offen mit dem Okkupator zusammenarbeiteten, sondern mittelbar über Nedićs Einheiten, denen sich auch Mihailovićs Tschetniks angeschlossen hätten. Das ZK der KPJ verfüge über Dokumente, die ihre verräterische Tätigkeit bewiesen. Zugleich forderte er die KPdSU auf, einen Beobachter und größere Mengen Waffen und Munition in das befreite Gebiet zu schicken, damit man alle jene bewaffnen könne, die sich dem Befreiungskampf anschlössen.202
Eine Zeit lang sah es so aus, als würde Moskau die geforderte Hilfe tatsächlich entsenden. Moša Pijade legte einen improvisierten Flugplatz auf einem Plateau unterhalb des Durmitors an, auf dem die sowjetischen Flugzeuge landen sollten. In eisiger Kälte und hohem Schnee hielten sie siebenunddreißig Nächte hindurch Wache. Keine Flugzeuge! Dimitrow setzte sich bei Molotow, Beria und Stalin ein, hatte damit aber keinen Erfolg. Alles, was er tun konnte, war Ende Mai 1942 »Rezepte« zur Herstellung von Sprengstoff zu schicken.203
Unter dem Eindruck des Tadels aus Moskau kam es zwischen Tito und Moša Pijade zu einem interessanten Meinungsaustausch. Letzterer stellte nämlich fest, dass die Komintern vielleicht Recht habe, wenn sie behauptete, »dass wir etwas weiter gegangen sind, als notwendig war«. Tito reagierte ungehalten.204 Am 6. April 1942 berief er aber doch eine Sitzung des ZK der KPJ nach Foča ein, auf der er selbst auf die Schädlichkeit »linker Abweichungen« hinwies (zu diesen war es zuvor vor allem in der Ostherzegowina und in Montenegro und in geringerem Ausmaß in der Vojvodina und in Unterkrain in Slowenien gekommen), die beunruhigende Formen annähmen: Einige serbische Parteimitglieder behaupteten sogar, dass man mit dem Eintritt in die zweite Phase der Revolution alle Bauern, Lehrer, Offiziere und Priester in den Reihen der Partisanen umbringen müsse.
Im Einklang mit »Deds« Direktiven entwarf Tito gemeinsam mit den Genossen die neue politische Richtung. Diese folgte Stalins Feststellung, dass zu diesem Zeitpunkt ein »vaterländischer Krieg« geführt werden müsse. »Das Gerede von der Weltrevolution nützt nur Hitler und schadet der Vereinigung aller antihitlerischen Kräfte.«205 Die ZK-Mitglieder beschlossen, fortan die Betonung auf die Volksbefreiung und weniger auf den Klassenkampf zu legen. Sie änderten auch ihre Haltung gegenüber den Briten und der Exilregierung und wollten diese nicht mehr aus ideologischen Gründen angreifen, sondern ausschließlich wegen der Rückendeckung, die sie den Tschetniks gab. Wobei sie dadurch, dass sie sich »Deds« Anweisungen fügten, nicht der Revolution abschworen, sondern nur die Richtigkeit der sowjetischen These anerkannten, dass man im gegebenen Moment vor allem die vaterländische Dimension des Kampfes betonen müsse. Nach außen hin wurde diese Linie im Wesentlichen durchgesetzt, auch wenn es besonders in Montenegro, in Herzegowina und in Ostbosnien weiterhin eine größere Zahl von linken Abweichlern gab. Selbst auf den Parteiversammlungen wurde nicht mehr offen über das Ziel der Einführung eines Regimes nach sowjetischem Muster gesprochen. Es blieb hinter der Losung »Keine Rückkehr zum Alten« versteckt.206
Inzwischen war die Wehrmacht zur Zweiten Offensive übergegangen und startete 1942 eine breit angelegte Operation gegen die Aufständischen in Ostbosnien. Sie lief einen Monat und wurde im Frühjahr wieder aufgenommen, diesmal unter Beteiligung der Italiener, wobei die Frage im Raum stand, ob es im Kampf gegen die Kommunisten erlaubt sei, auch die Tschetniks einzusetzen. Hitler meinte noch immer, es seien »Banditen«, mit denen man sich nicht verständigen könne, General Mario Roatta, Kommandant der italienischen Streitkräfte auf dem Balkan, hingegen behauptete, dass man in der gegenwärtigen Lage auf sie zurückgreifen müsse und sich ihrer erst dann entledigen solle, wenn sie nicht mehr von Nutzen seien. Diese Differenzen, die die gespannten Beziehungen zwischen Berlin und Rom zunehmend belasteten, blieben ungelöst. Die Italiener folgten zwar nach außen hin den Deutschen, in Wirklich keit aber setzten sie auch weiterhin auf die Tschetniks, die als milizia volontaria anticomunista ein unverzichtbares Mittel ihrer strategischen Praxis geworden waren.207
Angesichts der Angriffe der Deutschen, Italiener, Ustascha und Tschetniks gerieten die Partisanenkräfte ins Wanken. Tito versuchte sich im Dreiländereck zwischen Ostbosnien, Montenegro und Serbien zu behaupten. Dabei zeigte er sich überzeugt, dass er die Oberherrschaft nicht erlangen werde, wenn er nicht zuvor die Tschetnik-Bewegung zerschlüge, die in dieser Region viele Anhänger hatte.208 Mitte Mai 1942 verlor er aber seine Stützpunkte im befreiten Territorium um Foča. Der Rückzug aus dem kleinen Städtchen am Zusammenfluss von Drina und Čehotina am 10. und 11. Mai 1942 war unvermeidlich.
Auf Grund der schwierigen Lage verließen viele Kämpfer die Tito-Reihen und schlossen sich Mihailović an, dessen Ansehen wuchs, weil ihn sowohl die Italiener als auch die Briten unterstützten. Die Partisanen antworteten mit dem Erschießen von Deserteuren und dem Niederbrennen von Dörfern, was den Bürgerkrieg weiter anheizte. Um sich aus dieser Zwangslage zu befreien, entschloss sich Tito Mitte Juni 1942 schweren Herzens, die Einheiten, die er im Gebiet von Zelengora, Maglić und Ljubišina hatte, Richtung Bosanska Krajina zu verlegen, um so näher an Kroatien und Slowenien zu sein, wo die Widerstandsbewegung schon bedeutende Erfolge errungen hatte. In der Umgebung von Ljubljana hatte der Widerstand im Frühjahr einen derartigen Umfang angenommen, dass nicht nur der Okkupator überrascht war, »sondern auch wir selbst«, wie Kardelj in einer Nachricht an Tito notierte.209
Der Beschluss, das Gros der Partisaneneinheiten nach Westbosnien zu verlegen, war nicht leicht durchzusetzen, denn zahlreiche Angehörige des Oberkommandos widersetzten sich in der Überzeugung, dass man nach Serbien zurückkehren müsse. Aber in der Erwartung, dass die »Lage reif werde«, befahl Tito kategorisch, den Beschluss umzusetzen und rettete die Widerstandsbewegung damit wahrscheinlich vor dem Untergang.210 Dabei diente ihm die Rote Armee als Vorbild: »So wie sie sich in die Tiefen Russlands zurückgezogen hatte «, erzählte Ranković, »so zogen auch wir uns ins Zentrum Jugoslawiens zurück, nach Bosnien …«211
Der lange Marsch der Stoßtruppe (annähernd 4 500 Mann) unter ständigen Angriffen der Deutschen, Italienern, der den Tschetniks und den Ustascha begann am 22. Juni und dauerte drei Wochen. Tito nutzte dabei geschickt die Grenzlinien zwischen den deutschen und den italienischen Einheiten aus. Diese verteidigten ihre Gebiete nicht nur gegen die Partisanen sondern auch gegen Grenzüberschreitungen der jeweils anderen Truppen. Er konnte sich dabei gewiss sein, das sich die Deutschen und Italiener nicht auf eine gemeinsame Verteidigungsstrategie einigen würden.212 Dennoch, so Vladimir Dedijer, seien diese Wochen die schwierigsten in der Entwicklung des Aufstands gewesen: »Draža Mihailović strengte gemeinsam mit dem Okkupator und mit uneingeschränkter Unterstützung der königlichen Regierung in London alle Kräfte an, um die Volksbefreiungsbewegung zu vernichten«.213
Titos Verbitterung angesichts der schwierigen Lage drückt sich in einem Tele gramm aus, das Dimitrow am 24. Mai 1942 in seinem Tagebuch zitiert: »Die Lage hier ist kritisch. Die italienischen Truppen greifen unsere Partisanentruppen zusammen mit den Tschetniks von Draža Mihailović […] von allen Seiten an. Die Tschetniks kommen durch die Wälder und über die Berge, die Italiener sind motorisiert. Die Tschetniks verfügen über Unmengen Maschinenpistolen, Granatwerfer und Munition. Sie ziehen die Bauern gewaltsam ein, wer sich sträubt, wird umgebracht oder in Konzentrationslager in Albanien verschleppt. Unsere Partisanenbataillone sind von den pausenlosen Kämpfen völlig entkräftet, außerdem gibt es keine Munition mehr. Wir müssen den Großteil unserer Bataillone aus Montenegro abziehen, damit sie nicht vernichtet werden. Das Volk verflucht die jugoslawische Regierung in London, die Draža Mihailović unterstützt und auf diese Weise den Okkupatoren hilft. Von allen Seiten, von Kämpfern und aus der Bevölkerung höre ich die Frage: ›Warum schickt uns die Sowjetunion keine Hilfe, und wenn es nur einige Maschinenpistolen wären?‹«214