Читать книгу Tito - Joze Pirjevec - Страница 27

›UNTERNEHMEN WEISS‹

Оглавление

Die Deutschen waren überrascht von dem Ausmaß des Widerstandes und fürchteten, dass die Briten ihn zum Anlass nehmen würden, selbst in den Krieg auf dem Balkan einzugreifen. Zudem bestanden in der Führung der Wehrmacht Zweifel, ob Italien in der Lage war, die Küste von Triest bis Korfu zu verteidigen. Joachim von Ribbentrop notierte am 24. September 1942: »England wird auf den Balkan als das Zentrum der Unruhe blicken und die Hauptbasis für den europäischen Augenblick des Aufstandes und die Basis für die englischen Flugzeuge, U-Boote und Munition, aber auch für die englische Propaganda und den Geheimdienst. Deshalb müssen Italien und Deutschland den Raum befrieden und in ihm die Ordnung wiederherstellen.«241 Im November 1942 empfing Hitler Pavelić in seinem ukrainischen Hauptquartier in Winniza, und zwischen dem 18. und 20. Dezember fand dort eine italienisch-deutsche Konferenz statt, bei der über notwendige Maßnahmen zur Ordnung der Verhältnisse im NDH-Staat gesprochen wurde. Hitler erklärte, dass er ebenfalls die Gefahr einer britischen Landung in Südosteuropa sehe und fürchte, dass in diesem Falle auch die Türken auf der Seite der Briten in den Krieg eintreten könnten. Er sagte aber auch, dass es zu keiner Landung kommen werde, solange die Achsenmächte Rhodos, den Dodekanes, Kreta, Griechenland, Albanien und Dalmatien nebst Hinterland kontrollierten. »Alles hängt davon ab, ob es uns gelingt, den nationalistischen und kommunistischen Aufstand endgültig niederzuschlagen.«242 Bei dieser und bei einer späteren Konferenz in Rom am 3. Januar 1943 beschlossen die Deutschen und Italiener, die jugoslawischen »Widerstandsbanden« noch im Winter völlig zu vernichten, wobei man nicht nur an die Tito-Partisanen dachte, sondern auch an Mihailovićs Tschetniks, die man allerdings zuvor für einen Kampf gegen die Kommunisten instrumentalisieren wollte. General Alexander Löhr, im August 1942 zum Oberkommandierenden der deutschen Truppen in Südosteuropa ernannt, notierte in einer Zusammenfassung dieser Erörterungen, dass man »das Hinterland bis Ende März befreien« müsse.243

In dem Augenblick, in dem sich das Kriegsglück infolge der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad für die Achsenmächte wendete, begann am 20. Januar 1943 das Unternehmen Weiß oder, wie die Partisanen sagten, die Vierte Offensive. Sie sollte drei Phasen umfassen, in den ersten beiden sollte der Tito-Staat innerhalb der Grenzen des NDH vollständig eliminiert werden, die dritte Phase sollte sich gegen die Tschetniks von Mihailović in der Herzegowina und in Montenegro richten.244 Obwohl Tito in der Bihać-Republik keine allgemeine Mobilmachung befahl, erhielten die Partisanen nach ihren Erfolgen massenhaft Zulauf, sodass es möglich war, eine neue Division aufzustellen, die den Namen »dalmatinische« erhielt. Nach Plänen des Obersten Stabes sollten diese Kräfte im Frühjahr nach Montenegro und Südserbien vorstoßen, um auch in diesen Landesteilen den Aufstand erneut anzufachen und die »Konterrevolution« zu zerschlagen. Deswegen hatte Tito bereits Ende 1942 einige seiner besten Truppen vorausgeschickt, was sich als entscheidend herausstellen sollte, als er sich durch das Unternehmen Weiß in die Zange genommen sah. Dieses fiel in eine Zeit extremer Wetterverhältnisse – es herrschten minus 25 Grad Celsius –, und Tito hatte keine andere Wahl, als den Rückzug aus der Bosanska Krajina anzuordnen. Unter diesen Bedingungen stand er vor einer der schwersten Entscheidungen, was mit den annähernd 4 000 Verwundeten geschehen sollte, die in den Lazaretten in den Wäldern rings um Bihać lagen. Wenn er sie zurückließ, hätte er mit den Einheiten, die kampffähig waren, beweglich manövrieren können, das Schicksal der Verwundeten aber wäre besiegelt gewesen. Die Besatzungsmächte erkannten nämlich die Partisanen als kämpfende Partei nicht an, sondern bezeichneten sie als »Banditen«, was bedeutete, dass man sie bei einer Gefangennahme sofort erschoss.245 Als er sich entschloss, sie mitzunehmen, hängte er sich, wie Velebit sagt, einen Mühlstein um den Hals. Um das Durcheinander noch größer zu machen, schloss sich in ihrer Angst vor der Ustascha auch die lokale serbische Bevölkerung – annähernd 50 000 Menschen – den Partisanen an, die Tito ebenfalls mitnehmen musste, wenn er sie nicht auf Gnade und Ungnade dem Feind überlassen wollte, obwohl er nicht wusste, wie er sie ernähren sollte.246

Die Vierte Offensive der deutschen und italienischen Truppen sowie Einheiten ihrer Kollaborateure war vom Obersten Stab zwar erwartet worden, verfügte er doch seit Anfang Januar über Informationen über die Zusammenziehung feindlicher Truppen um Karlovac und in der Banija. Es war aber nichts unternommen worden, um sich darauf vorzubereiten bzw. die untergeordneten Dienststellen waren darüber nicht informiert worden.247 Tito hatte keine besonderen militärischen Fähigkeiten. So sagt zumindest Đilas in seiner Biografie, obwohl er während des Krieges in einem Artikel für das sowjetische Blatt Vojna i rabočij klass genau das Gegenteil behauptet hatte.248 Während der Vierten Offensive, vor allem während der Schlacht an der Rama und der Neretva, änderte er ständig seine Befehle, was leicht fatale Folgen hätte haben können. Die Schlacht nahm zwar einen guten Ausgang, aber nicht so sehr wegen der Geschicklichkeit des Oberkommandierenden, wie es die Propaganda später darstellte – die behauptete, dass es sich um die »humanste Schlacht in der Geschichte«, um eine »Schlacht für die Verwundeten« gehandelt habe –, als vielmehr wegen der Findigkeit der Kommandanten der einzelnen Einheiten. Die erkannten bald Titos mangelnde Erfahrung und begannen die Befehle den wechselnden Situationen anzupassen oder brachten ihn dazu, sie still zu korrigieren.249 Zugleich muss man aber auch Koča Popović beipflichten, der Tito alle Vorzüge eines wahren Heerführers attestierte: Geschicklichkeit, Mut, Entschlossenheit und Einfallsreichtum. »Er war, lassen Sie es mich so sagen, ein wahrer Wolf, oder wenn Sie wollen, ein Condottiere, was überhaupt, denke ich, sein Charakterzug ist. Auch in der kompliziertesten Situation wusste er einen Ausweg zu finden, ohne zu zögern Widerstand zu brechen und Gefahr vorauszusehen.«250

Am Beginn der Offensive hatte General Alexander Löhr erklärt, er werde im Land die Ruhe wiederherstellen, auch Friedhofsruhe, wenn nötig. Er hatte 105 000 Soldaten zur Verfügung, gegen die Tito nur 44 000 Kämpfer aufbieten konnte. Obwohl er über Flugzeuge, Panzer und Artillerie verfügte, die Tito nicht besaß, hatte Löhr Schwachpunkte: Die Moral seiner Einheiten war niedrig und die Waffenbrüderschaft mit den Italienern brüchig, wohingegen die Stoßkraft der Partisanen und ihre Wendigkeit groß waren. Zu Beginn des Krieges waren die deutschen Soldaten überzeugt, dass es besser sei, auf dem Balkan Dienst zu tun als an der russischen Front oder in Nordafrika. Aber nach zwei Jahren der Kämpfe geriet diese Überzeugung ins Wanken. General Lothar Rendulic, der 1943 als Befehlshaber der 2. Panzerarmee auf jugoslawisches Gebiet versetzt wurde, sagt in seinen Erinnerungen, dass bald nach seinem Eintreffen mehr als tausend Soldaten um Versetzung an andere Fronten angesucht hätten, sogar an die Ostfront, nur um dem Guerillakampf mit den »Partisanenbanden« auf dem schwierigen bosnischen Terrain zu entgehen.251

Titos Stoßtruppen nahmen am 17. Februar 1943 Prozor ein, das von der italienischen Division Murgia verteidigt wurde. Dieser Erfolg forderte eine große Anzahl Verwundeter, was ein zusätzliches Problem darstellte, denn man musste sie trotz des Fehlens von Transportmitteln und Trägern mitnehmen. Am 5. März fiel die Entscheidung, dass die Partisanenarmee die Neretva überqueren und im Gebirgsland von Nordherzegowina und Montenegro Schutz suchen werde. Titos Plan war es, die Stadt Konjic aus den Händen der Italiener zu befreien. Das würde es für die Partisanen möglich machen, bis an die asphaltierte Straße durchzubrechen, auf der dann die Kranken und Verwundeten über eine nahe gelegene Brücke in Sicherheit gebracht werden könnten. Um sich den Rücken freizuhalten, befahl Tito aber zugleich, alle anderen Brücken in diesem Abschnitt der Neretva zu zerstören. Er war der Falschmeldung aufgesessen, dass ein Angriff von 20 000 mit deutschen Waffen ausgerüsteten Tschetniks drohe. Wie später General Velimir Terzić notierte (und sich damit Titos Unmut zuzog), war die Sprengung der Brücken über die Neretva ein Riesenfehler des Oberkommandierenden, wegen dem es zu nicht geringen und völlig unnötigen Opfern kam.252

Der Widerstand der Italiener in Konjic war entschlossener als erwartet, wobei die Partisanentruppen, denen die Deutschen auf den Fersen waren, in eine Falle geraten waren, aus der man sich nur über eine halbzerstörte Brücke bei Jablanica retten konnte. In dieser verzweifelten Situation blieb Tito nichts anderes übrig, als den Rückzug über die Neretva zu befehlen, auch wenn am anderen Flussufer Tschetnik-Einheiten lauerten. Die Operation, die später als geniale »Kriegslist« gefeiert wurde, gelang: Am 9. März begannen sie über einen hölzernen Steg, der sich auf das Eisengerüst der gesprengten Brücke stützte, die Verwundeten und Kranken über den Fluss zu tragen. An dessen linkem Ufer lagen ca. 26 000 Tschetniks, größtenteils zwangsrekrutierte Bauern, die dem Druck der bis an die Zähne bewaffneten dalmatinischen und serbischen Partisanen nicht standhielten. Sie suchten ihr Heil in der Flucht, was es Titos sechstem Bataillon ermöglichte, noch in derselben Nacht die Neretva zu überqueren.

In der darauffolgenden Woche waren, trotz großer Verluste, alle Verwundeten zusammen mit den Kampfeinheiten in Sicherheit.253 Sie hatten das Glück, dass die Deutschen, die davon ausgingen, dass die Tschetniks mit ihnen fertig werden würden, nicht vorhatten, sie bis auf italienisches Gebiet zu verfolgen. In Wirklichkeit aber hatte Draža Mihailović in jenen Tagen eine Niederlage erlitten, von der er sich nie ganz erholen sollte. Er bat die Briten um Unterstützung, die ihn ihrerseits, laut Zeugnis Titos und der Genossen, ermunterten, gegen die Partisanen zu kämpfen. Für den Fall, dass sie im Frühjahr in Dalmatien landen würden, wollten sie nämlich die Küste »sauber« haben. Vor der Schlacht an der Neretva soll die BBC eine chiffrierte Nachricht abgesetzt haben, die die Partisanenführer als Einwilligung Mihailovićs zur Zusammenarbeit mit den Italienern, der Ustascha und auch den Deutschen interpretierten. »Das war die breiteste Koalition gegen eine Revolution im Zweiten Weltkrieg«, sagt Vladimir Dedijer. Als sich aber herausstellte, dass Mihailović besiegt war, zitierte die BBC in einem höhnischen Kommentar auch ein serbisches Volkslied: »Das Kriegsglück wird nicht von blanken Waffen, sondern von heroischen Herzen bezwungen.«254

Die Partisanen hatten Mihailovićs Plan zunichte gemacht, seine Kontrolle über die nationalistischen Gruppen, die über das serbische Gebiet Kroatiens, Dalmatiens und Bosniens verstreut waren, zu festigen. Er überließ Letztere ihrem Schicksal und zog sich mit seiner Hauptstreitmacht in den Sandžak zurück in der Hoffnung, die Partisanen wenigstens aus Serbien fernzuhalten.255 Wie General Löhr knapp vermerkte, »zeigen die Kämpfe unserer Tage, dass sich Mihailović als kein guter Befehlshaber erwiesen hat«.256

»In den folgenden sechs kritischen Wochen«, behauptet William Deakin, »widmeten sich Titos Streitkräfte ohne Behinderung derselben Aufgabe, die sich die Deutschen gestellt hatten […], nämlich der Liquidierung der Mihailović-Bewegung, und zwar aus demselben Grund – um sich in Erwartung der Landung der Alliierten die Kontrolle über das herzegowinische und montenegrinische Hinterland zu sichern.«257

Der Ausgang der Vierten Offensive gab den Kämpfern der Befreiungsbewegung neues Selbstbewusstsein und zeigte ihnen vor allem, dass die deutschen Truppen nicht übermächtig waren. Zugleich trug er dazu bei, dass die westlichen Alliierten die Partisanen als mögliche Verbündete anzusehen begannen.258 »Tito an der Neretva«, schreibt Milovan Đilas, »das war ein Tiger im Käfig, der bei den Italienern und Tschetniks die schwächsten Stelle im Gitter suchte, um sie zu erweitern und den Partisanen zu ermöglichen, wie ein Gewittersturm aus ihm hervorzustürzen.«259


Tito

Подняться наверх