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›UNTERNEHMEN SCHWARZ‹

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Die Tatsache, dass die Partisaneneinheiten ohne Hilfe von außen der Offensive sechs deutscher und vier italienischer Divisionen und einer erheblichen Anzahl von Tschetnik-Einheiten Widerstand geleistet hatten, war von großer politischer, strategischer und moralischer Bedeutung. Unter anderem brachte sie die Sowjetunion dazu, mit einer Note vom 2. April 1943 den Druck auf die jugoslawische Exilregierung zu erhöhen, sich von Mihailović zu distanzieren.273 Auch in britischen, von den serbischen Nationalisten enttäuschten Regierungskreisen lebte das Interesse für das Geschehen auf dem Schachbrett Balkan wieder auf. Man begann sich bewusst zu werden, dass die jugoslawischen Aufständischen eine wichtige Rolle im Falle einer Landung der Alliierten auf Sizilien spielen würden, weil sie an der Ostküste der Adria bedeutende Feindkräfte binden würden.

Mihailović indessen tat alles, um sein eigenes Grab zu schaufeln. Er verstritt sich mit W. S. Bailey, dem Leiter der britischen Mission, die seit Weihnachten 1942 London über die Absichten und operativen Möglichkeiten der Tschetniks unterrichten sollten, da er der Meinung war, dass die Engländer ihn nicht ausreichend unterstützten. Im Februar 1943 betrank er sich bei einer Taufe in einem montenegrinischen Dorf und machte seinem Herzen mit abfälligen Bemerkungen über die westlichen Alliierten Luft. Er erklärte, dass seine Feinde in erster Linie die Partisanen seien, erst danach kämen die Ustascha und die Muslime. Gegen die werde er kämpfen, und erst wenn er sie besiegt habe, werde er seine Kräfte auch gegen die Deutschen richten. Hinsichtlich der Italiener beton te er, dass sie für ihn die einzige Versorgungsquelle seien und dass ihn kein Druck der Alliierten dazu bringen werde, auf ihre Unterstützung zu verzichten.

Diese Worte kamen Churchill zu Ohren, der einen Protestbrief an die jugoslawische Regierung richtete: Sollte Mihailović seine Haltung gegenüber den Italienern und den jugoslawischen Landsleuten nicht ändern, würde sich die Regierung seiner Majestät gezwungen sehen, ihre Politik ihm gegenüber zu revidieren und sich auf andere Widerstandsgruppen zu stützen.274 Diese Warnung war mehr als eindringlich, wenngleich sie nicht verriet, dass in London bereits über verschiedene Optionen diskutiert wurde, wie man im jugoslawischen Gebiet verfahren könnte, nämlich a) die Tschetniks mit den Partisanen auszusöhnen, auch wenn man dabei russische Hilfe in Anspruch nehmen müsste; b) das jugoslawische Territorium zwischen beiden bewaffneten Gruppen so zu teilen, dass östlich des Flusses Ibar in Serbien Mihailović »herrschte« und westlich davon Tito; c) wenn das nicht möglich wäre, die Unterstützung von Mihailović auf Tito umzudirigieren. Letztere Lösung erschien der Londoner Zentrale der SOE und dem Foreign Office allerdings wenig attraktiv, denn man war sich bewusst, dass man damit Jugoslawien praktisch den Kommunisten überlassen würde. Schließlich setzte sich aber Churchill mit seiner pragmatischen Haltung durch, dass man nun einmal jene Seite unterstützen müsse, die »mehr Deutsche umbringt«.275

Inzwischen hatte Feldmarschall Alfred Jodl am 3. April einen Befehl unterzeichnet, mit dem er General Alexander Löhr in Saloniki beauftragte, gegen die jugoslawischen Aufständischen eine neue Operation zu starten, dieses Mal unter dem Namen ›Schwarz‹. »Nach der Vernichtung des kommunistischen Tito-Staates stellt sich das Problem der Vernichtung der Organisation und Struktur des nationalen ›Serbentums‹ unter Führung von Draža Mihailović, sodass wir ein Hinterland haben werden, dass im Falle einer Landung der Alliierten auf dem Balkan sauber ist.« Dabei ahnten Hitler und sein Stab nicht, dass sie das Opfer einer britischen Kriegslist waren, denn die Gerüchte um eine britische Invasion waren den deutschen Spionagediensten absichtlich unterschoben worden.276

Die Deutschen bereiteten das erwähnte Unternehmen, das am Anfang gegen die Tschetniks gerichtet war, unter größter Geheimhaltung vor und informierten die Italiener erst im letzten Augenblick, Mitte Mai, als die Militärmaschinerie unter dem Kommando der Generäle Löhr und Lüters bereits angelaufen war. Wegen Italiens Kontakten zu Mihailović, der seinerseits immer noch mit den Briten verbündet war, trauten sie ihnen nicht.277 Rudolf Lüters hatte 127 000 Soldaten zur Verfügung, wobei er sowohl auf die Elitedivision Edelweiß, die extra vom Kaukasus her verlegt worden war, als auch auf die SSDivision Prinz Eugen zählen konnte, die von Angehörigen der deutschen Minderheit im Banat gebildet wurde.278 Am Morgen des 15. Mai 1943 begann er mit dem Angriff und drang dieses Mal ohne besondere Skrupel auf das Territorium vor, das sich unter italienischer Besatzung befand. Weil sich aber bald herausstellte, dass die Tschetniks, soweit sie nicht in alle Richtungen geflohen waren, von den entrüsteten Italienern Schutz bekamen, war er gezwungen, seinen ursprünglichen Plan aufzugeben und sich gegen die Partisanen zu wenden, den »einzigen wirklichen Feind«.279 Titos Oberster Stab und die Hauptmacht seiner operativen Kräfte (annähernd 20 000 Kämpfer) wurden in der wilden Gebirgsregion des Durmitors, im Norden Montenegros zwischen den Flüssen Piva und Tara, umzingelt. Tito, der noch auf einen Waffenstillstand mit der Wehrmacht gehofft hatte, war von der Einkesselung, an der auch italienische, bulgarische und Ustascha-Einheiten beteiligt waren, überrascht. Da er mit Beginn des Krieges keinen funktionierenden Informationsdienst organisiert hatte, wurde ihm offenbar erst am 18. Mai 1943 völlig klar, dass die feindlichen Streitkräfte eine neue Offensive begonnen hatten.

Zudem hatten die Deutschen den Telegrafen-Code zwischen Tito und den Generalstäben seiner Divisionen geknackt und wussten, wo er sich aufhielt. Ihre Flugzeuge und die der Italiener konnten deshalb den Obersten Stab regelmäßig bombardieren, was unter den Mitarbeitern großes Durcheinander und Angst auslöste.280 Wieder stellte sich die Frage, wohin mit den zahlreichen Verwundeten. Gojko Nikoliš, der Vorsteher der Sanitätsabteilung beim Obersten Stab, beschreibt die Situation in seinen Memoiren äußerst kritisch: »Kaltblütigkeit, Optimismus, Selbstbewusstsein, der Glaube an die Möglichkeit unseres endgültigen Sieges, die Weigerung auch nur daran zu denken, dass die Lage für uns kritisch sein könnte, ›die Gefahr ignorieren‹ – alle diese Eigenschaften waren ein Ideal, dem die gesamte militärische Erziehung der Partisanen anhing. Aber wenn man einer solchen Erziehung nicht auch ein Körnchen kritischen Geistes beimischt, ist es zwischen Tugenden und Schwäche nur ein Schritt, dann verschließt man die Augen vor den Tatsachen. Ich denke, dass man auch auf diese Details als auf Symptome der ›Kinderkrankheiten‹ einer jungen, revolutionären Armee hinweisen muss.«281

In der Nacht vom 27. auf den 28. Mai 1943 sprangen britische Einheiten am Durmitor ab. Die Mission, die unter der Regie des Kairoer SOE und des Spe cial Intelligence Service stand, sollte die Stärke der Partisanenbewegung verifizieren, von der die Briten noch immer nur Informationen aus zweiter Hand hatten.282 Tito schrieb ihrem Kommen eine solche Bedeutung zu, dass er seinen Abzug vom Durmitor tagelang hinausschob, obwohl klar war, dass er den enger werdenden Kessel so rasch wie möglich verlassen musste. Nach Aussage von General Terzić verloren die Partisanen aufgrund der verzögerten Ankunft der Briten mehr als 7 000 Kämpfer.283

Kurz nach der Landung nahmen die Anführer der britischen Mission, Captain Bill Stuart und William Deakin, an einer Beratung teil, auf der beschlossen wurde, den Kessel über Vučevo, Sutjeska und Zelengora zu durchbrechen. Tito befahl, auch das zentrale Lazarett in derselben Richtung zu verlegen, was leichter gesagt als getan war, denn für den Transport der Verwundeten – es waren mehr als 2 000 – hatten sie etwa zwei- bis dreihundert italienische Gefangene zur Verfügung, die so entkräftet waren, dass sie sich selbst kaum fortbewegen konnten. (Später brachten die Partisanen alle um.) Es gab auch kaum ein paar Hundert Pferde.284 Es herrschte Mangel an Verpflegung, wobei von freiwilliger Beschaffung über die Volksausschüsse (zu Beginn des Aufstandes hatte Tito erklärt, kein Oberkommandierender eines Räuberheeres sein zu wollen) keine Rede sein konnte, sondern von Requirierung. Das hatte zur Folge, dass sich die Bevölkerung des Piva-Plateaus, die ohnehin so arm und vom Krieg erschöpft war, von den Partisanen ab- und den Tschetniks zuzuwenden begann.285 Der Oberste Stab beschloss am 3. Juni auf einer Beratung, die operative Hauptgruppe in zwei kleinere Gruppen teilen, zugleich aber auch die schwerer Verwundeten nicht zu transportieren, sondern sie in Höhlen und zwischen den Felsen der Piva-Schlucht zu verstecken. Es folgten Tage und Nächte voller Grauen und Chaos, als im Kriegsgewitter alles verloren schien. Zu allem Überfluss erfuhren die Deutschen von mehreren italienischen Kriegsgefangenen, denen die Flucht gelungen war, wo sich Tito aufhielt.

Mit allen Kräften stießen die Deutschen am 9. Juni 1943 in diese Richtung vor. In der Erinnerung Titos: »Sie nahmen uns schrecklich unter Feuer, intensiv, ohne Unterbrechung beschossen sie immer dieselben Punkte. Sie warfen Hundert-Kilo-Bomben. Und dann sprühten plötzlich MG-Garben um uns herum. Die Deutschen schossen von einer Anhöhe aus ungefähr fünfhundert Meter Entfernung. Da befahl ich dem Kommandanten der Vierten Brigade (auch er ist hier gefallen), seine Leute zu sammeln und den Berg einzunehmen, da sonst die Brigaden nicht vorbei könnten. Die Engländer, die bei uns waren, sahen ihn ehrfürchtig an.«286

Tito wurde im Kampf am 9. Juni 1943 an der linken Hand verwundet, als er seinen Kopf zu schützen suchte.287 Er war der einzige alliierte Oberkommandierende, der auf dem Schlachtfeld verwundet wurde. Ihm rettete sein Schäferhund Lux das Leben, der in dem Augenblick, als die Bombe wenige Fußbreit neben einer großen umgestürzten Buche explodierte, hinter der er und Davorjanka Paunović Schutz gesucht hatten, aufgesprungen war und sich an seinen Kopf gedrängt hatte. »Lux lag an meinem Kopf und presste sich mit seinem Körper eng an mein Gesicht. Er war nicht stark, er stank zum Himmel, und er war voller Läuse. Außerdem versperrte er mir die Sicht. Wir waren in großer Bedrängnis. […] Ich versuchte Lux wegzuschieben. Aber vergeblich; er hatte sich so platziert, dass er mir fast auf dem Kopf lag und sich nicht wegrühren wollte. Wenn ich ihn nicht wegzuschieben suchte, lag er ganz ruhig da; und wenn ich schob, drehte sich sein Körper sofort wieder meinem Gesicht zu wie ein voller Getreidesack. Ich wurde ungeduldig und wütend, doch ich kriegte ihn nicht weg, also ließ ich ihn gewähren. Plötzlich spürte ich inmitten des Höllenlärms, wie Lux ein Zittern überlief und er starr wurde. Ihn hatte ein Schrapnell getroffen, das sonst mir durch den Kopf gegangen wäre.« Die Explosion hatte den Hund zerrissen, ebenso Captain Stuart und Titos Begleiter, den Spanienkämpfer Vasilij Đurović, während William Deakin verwundet wurde.288 »Es hatte mich ziemlich erwischt«, erinnerte sich Tito später. Er glaubte, ins Herz getroffen zu sein. »Es ist vorbei, dachte ich.« Als er zu sich kam, verweilte sein Blick inmitten der Verwüstungen auf einem abgebrochenen Baum, auf dem traurig ein kleiner Waldvogel piepste. »Die Explosion hatte ihm ein Bein gebrochen und einen Flügel verletzt … Das Geschöpf stand auf einem Bein und flatterte mit dem Flügelchen. Dieser Anblick hat sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt …«289 Als seine Hand nach einiger Zeit ganz schwarz und steif geworden war, holte man zwei Tage später noch mehrere Granatsplitter heraus. Zwei weitere Schrapnells fand man erst 1946, als Tito wegen eines Leistenbruchs operiert wurde.290

Jahre später erzählte Tito noch folgende Anekdote aus diesen Tagen: »Ich ging mit meiner Leibwache, müde, und achtete sorgfältig auf alle feindlichen Manöver. Es regnete, in der Hand hatte ich einen Stock, auf den ich mich stützte. Plötzlich stolperte ich in der finsteren Nacht und stürzte. Meine Hände krallten sich in etwas Festes und zugleich Weiches. Gestank verbreitete sich. Ich war auf einen zerfallenden Leichnam gestürzt. Am Weg und im nassen Gras wischte und rieb ich mir die Finger ab, aber es half alles nichts, der Leichengestank wollte nicht weggehen. Wohin ich auch ging, überallhin begleitete mich dieser schreckliche Gestank.«291 Die Tragödie war aber auch nicht ohne Situationskomik: »Das war, als ich die verletzte Hand hatte. Ich trug sie in einem Verband, in der anderen hatte ich den Stock, die Maschinenpistole konnte ich nicht tragen. Wir gingen so und begegneten einem alten Mütterchen. Ich sagte zu ihr … ›Macht Platz, Mütterchen, damit die Soldaten vorbeikönnen.‹ Und sie bleibt stehen und sieht mich an: Was bist du wohl für ein Soldat, wenn du nicht einmal ein Gewehr hast?«292

Diejenigen, die am Leben geblieben waren, wurden in der Nacht vom 8. auf den 9. Juni 1943 vom Durchbruch der Ersten proletarischen Division bei Tjentište an der Sutjeska aus dem tödlichen Kessel gerettet. Zu diesem hatte sich Koča Popović ohne Wissen und Erlaubnis des Obersten Stabs entschlossen, was ihm Tito sehr übel nahm, weil es so ausgesehen hatte, als wäre er vom Schlachtfeld geflohen und hätte ihn mit der Hauptstreitmacht im Stich gelassen.293 Später verlangte er sogar, man müsse Popović und seinen Mitarbeiter Žujović dafür vor ein Kriegsgericht stellen, was Ranković nur mit Mühe verhindern konnte.294 Die Schlacht an der Sutjeska war ein einziges Leiden und Sterben, sie forderte mehr als 7 000 Tote, darunter mehrere bedeutende Kommandanten. (Die Deutschen sprechen sogar von 11 000 Gefallenen und von über 10 000–20 000 Mann, die ihr Leben durch Typhus und Hunger verloren. Ihrer Meinung nach habe es auch unter der Zivilbevölkerung mehr als 15 000 Tote gegeben.) Es wird geschätzt, dass zwischen 3 000 und 4 000 Kämpfern die Flucht Richtung Bosnien gelungen ist295, und Deakin meldete nach Kairo: »Wir konnten uns in der Nacht durch die deutschen Linien schlagen, ungefähr einen Kilometer auf der einen Seite und fünfhundert Meter auf der anderen Seite von den deutschen Stellungen entfernt. Der Kessel schloss sich kaum fünfzig Minuten nach unserem Ausbruch wieder.«296 Zunächst dachten die Deutschen, dass sie Tito gefangengenommen hätten, denn am 10. Juni telegrafierte General Lüters in diesem Sinne an den Generalstab, dass für dessen Armee »das letzte Stündlein geschlagen« habe.297 Doch das stellte sich bald als Irrtum heraus.


Tito

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