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ÜBERFALL AUF JUGOSLAWIEN UND DER AUFRUF ZUM WIDERSTAND

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Die neue Belgrader Regierung versuchte Hitler davon zu überzeugen, dass sie beabsichtige, dem gerade unterzeichneten Pakt treu zu bleiben. Doch der nahm die dargebotene Hand nicht an. Im Gegenteil: In der Überzeugung, dass ihm »die perfiden Serben das Messer in den Rücken gestoßen« hätten, befahl er seinen Generälen umgehend, nicht nur in Griechenland einzugreifen (wo es die Italiener vor dem Fiasko zu retten galt), sondern auch in Jugoslawien einzumarschieren.65 So startete die Wehrmacht, wie von Tito vorhergesagt, am 6. April 1941 das Unternehmen Marita gegen Griechenland und das Unternehmen Strafgericht gegen Jugoslawien. Daran änderte auch der Freundschafts- und Nichtangriffspakt zwischen der sowjetischen und jugoslawischen Regierung nichts, der am frühen Morgen desselben Tages unterzeichnet worden war. Wie sich Kardelj erinnert, planten die Kommunisten für diesen Tag in Belgrad große Kundgebungen, um die Unterzeichnung des Pakts zu feiern, aber die Deutschen kamen ihnen zuvor.66 Im Morgengrauen starteten ihre Flugzeuge von den Flugplätzen in Bulgarien, brachen ohne Kriegserklärung in den jugoslawischen Luftraum ein und bombardierten in mehreren Angriffswellen die jugoslawische Hauptstadt. Wenige Stunden später überschritt die Wehrmacht bei Maribor die jugoslawische Grenze und begann gegen Zagreb vorzurücken. Bereits am 8. April hatte die II. deutsche Armee Belgrad erreicht. In den folgenden Tagen marschierten auch italienische, ungarische und bulgarische Truppen fast ohne Widerstand in Jugoslawien ein. Die königliche Armee, die als überaus tapfer und stark galt, hatte sich völlig unvorbereitet gezeigt und brach wie ein Kartenhaus zusammen. Der Vielvölkerstaat zerfiel innerhalb weniger Tage.

Am 10. April wurde unter der Führung des Ustascha-»Poglavniks« (Führer) Ante Pavelić der Unabhängige Staat Kroatien (NDH) ausgerufen, dessen Gebiet sich auch über Bosnien und Herzegowina erstreckte, während Mitteldalmatien und die Bucht von Kotor an die Italiener fiel. Mussolini beanspruchte auch den Südteil der Banschaft Drau einschließlich Ljubljana für sich, während sich die Deutschen die slowenische Steiermark und Oberkrain und die Ungarn sich Prekmurje, das Übermurgebiet einverleibten. Die Italiener besetzten auch Montenegro und den größten Teil des Kosovo, den sie Albanien anschlossen. Zentralserbien wurde von den Deutschen besetzt und in ein Protektorat unter der Führung heimischer Kollaborateure umgewandelt. Die Vojvodina wurde den Ungarn überlassen und ein großer Teil Mazedoniens den Bulgaren. Schon am 17. April 1941 unterschrieb General Danilo Kalafatović gegenüber der Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation. Tausende jugoslawischer Soldaten waren auf der Flucht, um einer Internierung zu entgehen und nach Hause zurückzukehren. Die Deutschen machten 344 000 Gefangene, annähernd 300 000 Mann gelang es zu entkommen.67 König Peter II. und die Mehrzahl der Minister der Simović-Regierung waren nach Athen, wo noch immer britische Militäreinheiten standen, und von da aus über Palästina nach London geflüchtet.

Wie Winston Churchill kommentierte, hatten »die Jugoslawen ihre Seele gerettet «, zur Rettung ihres Staatsgebietes aber war es zu spät.68 Der Angriff der Achsenmächte gegen Jugoslawien war das Schulbeispiel eines Blitzkrieges, wobei die Deutschen vor allem an der Kontrolle der Verkehrswege nach Bulgarien und Griechenland und über Rumänien nach Südrussland interessiert waren. In Serbien selbst, aber auch in Kroatien, waren sie in erster Linie an den Bergbauregionen interessiert, wo für die Kriegsindustrie benötigtes Chrom, Bauxit und Kupfer gefördert wurde.69

In diesen bewegten Tagen stand Tito in ständigem Austausch mit Moskau. Eine der wichtigsten Errungenschaften des Jahres 1940 war nämlich die Einrichtung einer Radioverbindung zwischen Zagreb und der Komintern. Diese wurde durch Josip Kopinič-Vokšin, Spitzname Vazduh (›Luft‹), und Stella Panajotis-Bamjadzidos, eine griechische Telegrafistin, unterhalten. Sie traten als Eheleute auf und wurden das auch bald tatsächlich. Mit Hilfe Vlatko Velebits hatten sie an den Hängen Zagrebs ein geeignetes Haus mit Garten in der Nähe des Waldes – für den Fall, dass man rasch fliehen musste – gefunden. Von dort aus betrieben sie als »Mali« und »Mala« (›Kleiner‹ und ›Kleine‹) – so hatte Tito sie genannt – bis Juni 1944 eine Radiostation, die von den Deutschen nie entdeckt wurde. An dieses Zentrum waren außer der KPJ noch sieben weitere kommunistische Parteien angeschlossen, die italienische, schweizerische, österreichische, ungarische, bulgarische, griechische und slowakische.70 So begann ein überaus intensiver Nachrichtenaustausch, der zuerst über Vazduh und später während des Krieges über Sendestationen bei Titos Oberstem Stab und beim Generalstab Sloweniens einen immensen Umfang annahm. Angeblich hat Tito mit der Komintern und mit anderen sowjetischen Diensten in Moskau Hunderte von Depeschen gewechselt, von denen sogar manche seiner engsten Mitarbeiter nichts wussten. Er schrieb sie nämlich selbst und hütete sie eifersüchtig.71 »Bei Sitzungen des Politbüros«, erzählte später Ranković, »hat uns Tito aus den Depeschen, die er aus Moskau und von der Komintern bekam, nur das mitgeteilt, was er für unbedingt notwendig hielt. Keiner von uns hat jemals auch nur eine Depesche zu Gesicht bekommen. Im Krieg, während des Marsches, zog Tito, bevor er sich schlafen legte, den Stiefel aus, holte die Depeschen heraus und zog ihn wieder an. So war er sich sicher, dass sie ihm niemand stahl.« Ranković störte ein derartiges Misstrauen sehr: »Was bin ich hier? Welches ist meine Verantwortung, wenn die Depeschen aus Moskau vor mir versteckt werden?«, fragte er. Titos schroffe Antwort lautete: »Ich bin der Generalsekretär der Partei. Ich habe das Recht zu entscheiden, worüber ich dich und euch zu informieren habe.«72

Der plötzliche Zusammenbruch der jugoslawischen Streitkräfte überraschte die Kommunisten, denn auch sie hatten an den Mythos der serbischen heroischen Traditionen geglaubt. Wie im Jahre 1944 Đilas zu Manuilski sagte: »Unser Fehler war es, dass wir glaubten, dass sich der größere Teil des mit dem Generalstab verbundenen Offizierskorps gegen die Deutschen zur Wehr setzen werde. Dem war aber nicht so. Die Mehrheit ergab sich.«73 Die Führer der KPJ hatten erwartet, dass Jugoslawien einen Monat oder noch etwas länger Widerstand leisten würde, was ihnen die Möglichkeit gegeben hätte, ihre Organisationen zu verstärken und sich mit ihren zahlreichen Anhängern innerhalb der bewaffneten Streitkräfte zu verbinden. In Wirklichkeit stießen die Deutschen bei ihrem Vormarsch auf so gut wie keinen Widerstand: »Es gab keinen ernsthaften Kampf, es war ein Parademarsch«, konstatierte Đilas.74

Auf der Sitzung des Zentralkomitees der KP Jugoslawiens und der KP Kroatiens am 8. April 1941, zwei Tage bevor die Deutschen in Zagreb einmarschierten, gestand Tito seine Fehleinschätzung in Bezug auf die königliche Armee offen ein und äußerte sich auch dahingehend selbstkritisch, dass sich auch die Kommunisten in dem tragischen Geschehen der letzten Wochen nicht hervorgetan, sondern im Gegenteil die Initiative aus den Händen gegeben hätten. Nach dem Überfall der Achsenmächte auf Jugoslawien und der Besetzung stellte sich aber die Frage, welche Rolle sie in den neuen Verhältnissen überhaupt spielen sollten.75 Weil Stalin noch immer als Hitlers Verbündeter angesehen werden musste, war klar, dass sie nicht besonders viel Spielraum hatten und gegenüber den Besatzern nicht wie Feinde auftreten konnten. Andererseits waren sie davon überzeugt, dass sich die in den Krieg verwickelten imperialistischen Staaten im gegenseitigen Kampf erschöpfen würden und dass der Zeitpunkt nicht fern sei, zu dem man den selbstmörderischen Konflikt der europäischen Bourgeoisie für die sozialistische Revolution nutzbar machen könne, so wie es Lenin vor dem Ersten Weltkrieg getan hatte.76

Am 10. April, an dem Tag als unter deutscher und italienischer Protektion der Unabhängige Staat Kroatien ausgerufen wurde, gründeten die Kommunisten ein Militärkomitee mit Tito an der Spitze, das den Mitgliedern der Partei die Direktive gab, was in diesem Moment des Zerfalls des alten Staates zu tun sei: das Sammeln und Verstecken von leichten Waffen. Kurz darauf wurden auch in größeren Städten und Provinzen Militärkomitees mit dem Auftrag gegründet, die Grundstruktur der zukünftigen bewaffneten Streitkräfte zu erarbeiten (kleine Einheiten, Kompanien und Kommandokader77), und die Soldaten davon abzuhalten, sich in Gefangenschaft zu begeben, sondern sie dahingehend zu agitieren, dass sie sich stattdessen mit ihren Waffen nach Hause begaben. Am 15. April wurde ein »Aufruf an die jugoslawischen Völker« veröffentlicht, in dem der Verrat des heimischen Regimes am Volk und die Ausbreitung von Chauvinismus und Brudermord verurteilt und die Menschen aufgerufen wurden, »im Geiste nicht zu kapitulieren«, sondern den Kampf gegen den Okkupator fortzuführen. »Aus diesem blutigen imperialistischen Krieg wird eine neue Welt hervorgehen. […] Auf der wahrhaften Unabhängigkeit aller Völker Jugoslawiens wird sich eine wahrhafte brüderliche Gemeinschaft bilden …«78

»Ich denke, dass der Aufruf vom 15. April historische Bedeutung hatte«, kommentierte Tito später, »und zwar insofern, als die KPJ in diesem kritischen Moment den Massen aller Völker Jugoslawiens die gesellschaftliche Bedeutung und die Perspektiven des vor uns liegenden Kampfes gegen den faschistischen Okkupator aufgezeigt hat. […] Ohne diese klaren Perspektiven hätte unser Volksbefreiungskampf nicht den Schwung und nicht die Breite bekommen, wie er ihn erfahren hat, und nicht die Kraft, sondern wäre schnell zu einem kläglichen Widerstand verkommen, wie es in anderen Parteien Europas der Fall war. […] Mit anderen Worten, dies war jener historische Moment, der die Ablösung der führenden Gesellschaftskräfte verlangte. Die erwähnten Tatsachen bestätigen, dass die KPJ den Augenblick erfasst und mutig und ohne Zögern die historische Verantwortung für das Schicksal der jugoslawischen Völker übernommen hat.«79

Diese war keine leichte gewesen – man hätte auch beschließen können, dass es zielführender gewesen wäre, sich, statt den bewaffneten Aufstand zu wagen, auf Sabotagetätigkeit zu beschränken. »Gegen die Ausrichtung auf den bewaffneten Aufstand«, so Kardelj, »waren nicht nur ziemlich breite Kreise der demokratischen Kräfte und der linken Intelligenz, sondern auch ein Teil der Kommunisten. Es formte sich der Gedanke, dass sich die Partei und die Widerstandskräfte vor allem auf Mittel des politischen Kampfes in einer möglichen Kombination mit Diversion und Sabotage auszurichten hätten. In Verbindung damit bezeichneten manche die Festlegung der Partei auf den bewaffneten Aufstand als Abenteurertum, das den Faschisten erleichtern würde, das Volk zu vernichten. […] Einige Kommunisten meinten nämlich, dass man mit dem bewaffneten Aufstand warten müsse, bis der Krieg in seine Endphase eingetreten sei, dass man erst dann die Arbeiterklasse und andere revolutionäre Massen in den bewaffneten Aufstand gegen den Krieg und um die Macht führen dürfe.« In der Überzeugung, »dass der Raum für den revolutionären Kampf die Städte und nicht die Wälder sind«.80

An dem Tag, an dem die königliche Regierung aus dem montenegrinischen Nikšić nach Griechenland und unter britischen Schutz flüchtete, informierte Tito die Komintern von der Entscheidung des ZK der KPJ, dem Okkupator, und sei er doch so stark, Widerstand zu leisten.81

Zur Lagebeurteilung und um die Frage zu klären, wie es nach der Besetzung des Landes um die Partei stand, kam es im Mai 1941 in Zagreb zu einer Reihe von Treffen, an denen nur die Serben, Kroaten und Slowenen teilnahmen. Genossen aus Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina waren nicht anwesend, und jene aus Mazedonien unter der Führung ihres örtlichen Sekretärs Metodija Satorov-Sarlo meinten, dass es besser sei, wenn sie sich der bulgarischen kommunistischen Partei anschlössen, auch da die Sowjetunion die diplomatischen Beziehungen zur jugoslawischen Exilregierung abgebrochen und damit den Zerfall des Staates anerkannt habe.82 Auf diesen Sitzungen wurde die imperialistische Aufteilung Jugoslawiens abgelehnt und die Sorge geäußert, dass es zum Ausbruch zwischenvölkischer Konflikte kommen könne. Die Kommunisten fürchteten nämlich, dass der Hass zwischen den jugoslawischen Völkern zu einem Werkzeug in den Händen des Okkupators werden könnte und dass ihn sich auch die heimische Bourgeoisie zu Diensten machen könnte, um sich von der Schuld der Kollaboration mit den Achsenmächten reinzuwaschen. Es wurde die Losung ausgegeben, dass es die Reihen zu schließen gelte und unter dem Patronat der Partei der Kampf sowohl gegen die deutschen, italienischen und sonstigen Faschisten wie auch gegen die englischen Imperialisten aufzunehmen sei. Tito sagte auf einem der Treffen, dass man nicht länger auf die bürgerliche demokratische Revolution warten müsse, wie es die Doktrin verlange, und die Zeit für die Machtübernahme gekommen sei. Die Kommunisten müssten sich militärisch organisieren und darauf vorbereiten, denn nach dem Zusammenbruch der Besatzerregime werde sich überall die Diktatur des Proletariats durchsetzen.83

Das Telegramm, in dem Tito die Komintern über die in Zagreber Beschlüsse informierte traf in Moskau erst am 28. Juni 1941 ein, sechs Tage nach dem deutschen Angriff gegen die Sowjetunion. Dimitrow reagierte ziemlich kritisch, und antwortete, jetzt sei die Zeit für den Volksbefreiungskampf und nicht für die proletarische Revolution. Tito passte sich seinem Standpunkt natürlich an, aber nur zum Schein, mehr mit Worten als aus Überzeugung.84 »Die wahre Bedeutung dieser Depesche«, erzählte er Dedijer, »wurde uns erst später klar. Wären wir so verfahren, wie es Moskau verlangte, wäre es uns nie gelungen, unseren Aufstand zu entwickeln. Unter jugoslawischen Bedingungen hätte diese Direktive bedeutet, den Aufstand zu liquidieren, bevor er noch begonnen hatte. Denn das alte Regime mit dem König an der Spitze hatte am 6. April die jugoslawischen Völker auf Gnade und Ungnade den Eroberern überlassen, und das, was vom Staatsapparat übrig geblieben war, war in den Dienst des Okkupators übergegangen. Damit hatte das alte Regime die ganze Fülle seiner Schwächen gezeigt. Vor allem war es der tief verwurzelten Tradition der Jugoslawen untreu geworden, um die nationale Unabhängigkeit zu kämpfen, einer Tradition, die sich im Verlaufe von 150 Jahren und nicht weniger als 39 Aufständen und zehn Kriegen gegen die Versuche fremder Mächte, die jugoslawischen Völker zu unterjochen, herausgebildet hat. In Jugoslawien war es nicht möglich, sich einen Volksaufstand gegen einen Okkupator vorzustellen, der dem Volk nicht zugleich in Aussicht gestellt hätte, nach dem Krieg eine neue, im wahrsten Sinne des Wortes patriotische Verwaltung zu bekommen, die nicht zulassen würde, dass Jugoslawien, trotz seiner natürlichen Reichtümer, auch weiterhin eine gewöhnliche Halbkolonie der Großmächte bleibt, die nicht die Unterdrückung einzelner Völker zulassen würde, die nicht zulassen würde, dass die große Mehrheit des Volkes in Armut und Not lebt.«85

Mehr als den sowjetischen Regierungskreisen, war es Tito klar, dass der Weltkrieg nicht auf die Länder des kapitalistischen Lagers beschränkt bleiben würde, sondern dass sich die Deutschen auch auf einen Angriff gegen die Sowjetunion vorbereiteten. In Erwartung dieses Ereignisses, das ihm die Möglichkeit zur Realisierung seiner revolutionären Pläne geben würde, ließ er alles andere beiseite. Leo Mates, der mit ihm zusammenwohnte, sagte später, dass er ihn in diesem Augenblick als einen Menschen erlebt habe, der sich immer wieder sagte: »Ich will, ich kann und ich muss der Führer sein.«86 Er war so sehr von sich eingenommen, dass er sich nicht um die kroatischen Kommunisten kümmerte, die Banus (Vizekönig) Ivan Šubašić noch vor Kriegsbeginn in die Burg Kerestinec hatte einsperren lassen und die in die Hände der Ustascha gefallen waren, als der NDH-Staat ausgerufen wurde. Es handelte sich um etwa einhundert Linksgerichtete, unter denen es nicht an prominenten Intellektuellen mangelte. In dem Moment des Chaos, als Ante Pavelićs Regime seine Macht noch nicht gefestigt hatte, da es weder über Polizei noch Militär verfügte, sagt Vladimir Velebit in seinen Erinnerungen mit vieldeutigem Vorwurf, hätte man sie noch retten können.87

Weil es in der Hauptstadt des NDH-Staates immer gefährlicher wurde und weil es klar war, dass wegen der Begeisterung der kroatischen Massen über die endlich erlangte »Staatlichkeit« – wenn auch unter dem Schutz der Deutschen und Italiener – die Kommunisten fürs Erste keine Möglichkeit hatten, auf sie einzuwirken, beschloss die Partei das Politbüro des ZK der KPJ von Zagreb nach Belgrad zu verlegen.88

Über die verbrecherischen Absichten der Ustascha brauchte man sich keine Illusionen zu machen. Kurz nach der Machtübernahme hatten sie eine »Rassenrevolution « gegen Juden, Roma und vor allem die Serben, die 30 Prozent der Bevölkerung des neuen Staates ausmachten, in Gang gesetzt. Während Pavelić die muslimischen Bosniaken als Brüder »reinsten kroatischen Blutes« ansah und sie auch dementsprechend behandelte, ordnete er für die orthodoxen Serben ein Vernichtungsprogramm an, nach dem ein Drittel umgebracht, ein Drittel ins Ausland vertrieben und der Rest gewaltsam zum katholischen Glauben bekehrt werden sollte. Diesen Plan begannen die Ustascha sofort in die Tat umzusetzen, ohne dass sich die Katholische Kirche rechtzeitig von ihm zu distanzieren gewusst hätte. Gefangen im Netz des Nationalismus protestierte sie nicht entschlossen genug gegen die bestialischen Massaker an unschuldigen Menschen oder ihre gewaltsame »Evangelisierung«. Im Gegenteil: Zahlreiche Prälate, Pfarrer und Franziskanerpater wirkten an den Ustascha-Verbrechen mit oder beförderten sie durch ihre absolute Gleichgültigkeit.

Tito verließ Zagreb in solcher Eile, dass er nicht einmal die Geburt des eigenen Sohnes abwartete, den nach seinem Weggang Herta Haas in Windeln legte.89 Hals über Kopf reiste er am 23. Mai 1941 ab, einen Tag bevor die Grenze zwischen dem NDH-Staat und Serbien geschlossen wurde. Wie er selbst später erzählte, nicht nur aus Angst vor den Ustascha, sondern auch vor den kroatischen Kommunisten, die Gerüchten zufolge mit prominenten Vertretern des Pavelić-Regimes paktierten und beabsichtigten, die KP Kroatiens aus der KPJ herauszulösen, in der Überzeugung, dass man den Hitler-Stalin-Pakt halten müsse.90

Als Antwort auf diese separatistischen und pazifistischen Bestrebungen schrieb Tito für das Parteiblatt Srp i ćekić (›Hammer und Sichel‹) einen Artikel mit dem Titel »Warum gehören wir noch zur KPJ?«: »Seit die imperialistischen Räuber Jugoslawien überrollt und besetzt haben und der ›unabhängige‹ Staat Kroatien gegründet wurde, ist zahlreichen unserer Genossen nicht klar, warum wir Kommunisten in Kroatien, d. h. unsere KP Kroatiens, noch zur Kommunistischen Partei Jugoslawiens gehören, warum wir Flugblätter mit der Unterschrift ZK der KPJ verbreiten. […] Sie sagen, wir […] seien gegen die Freiheit und Unabhängigkeit des kroatischen Volkes und für die Wiedererrichtung Jugoslawiens in der vorherigen Form. […] Wir Kommunisten erkennen die Besetzung und Zerstückelung nicht an, weil sie nicht auf Wunsch des Volkes hin geschehen ist, sondern durch die Aggression der imperialistischen Eroberer. […] Wenn wir mit vereinten Kräften die wahre Freiheit und Unabhängigkeit erkämpft haben werden, werden wir die brüderlichen Beziehungen ordnen, wie sie uns und unseren Völkern am besten entsprechen. So, wie das die Völker der großen Sowjetunion getan haben.«91

Als er als unter der Identität Ing. Slavko Babić, Vertreter der Fa. Škoda, in Belgrad ankam, stieß er dort auf unzählige Kommunisten mit der entschlossenen Bereitschaft zum Widerstand und zur Revolution sowohl gegen den Okkupator als auch gegen die einheimische kollaborierende Bourgeoisie. Wie er im Oktober 1944 dem russischen Schriftsteller und Kriegsberichterstatter K. M. Simonow erzählte, herrschte Terror in der Stadt: »Wer sich am Abend auf der Straße zeigte, wurde erschossen.« Unter Androhung der Todesstrafe war es verboten, die Haus- oder Wohnungstür abzuschließen. Die Deutschen konnten überall hinein, wo sie wollten und wann sie wollten. Mehrere Wochen lang ging Broz schlafen ohne sich auszukleiden, mit der Pistole unter dem Kopfkissen. »Das Einzige, was mich in diesen Tagen beruhigte, war, dass ich vier Hausnummern entfernt vom Stadtkommandanten Belgrads, Generalleutnant Schröder, wohnte. Ja, das war eine Zeit, als es entweder am Leben zu bleiben oder zu sterben galt, als man nur an die Zukunft des Staates dachte und nicht eine Minute an die eigene Zukunft.«92Đilas beschrieb die Atmosphäre in der Stadt wie folgt: »Nachts Patrouillen, Dunkelheit und ständige Schießereien mal auf der einen, mal auf der anderen Seite der Stadt. Juden mit gelben Bändern und Angst und Wut, Hunger und Tod, finstere Gesichter der Bürger und fröhliche rücksichtslose deutsche Jünglinge mit Prostituierten und Fotoapparaten. Bewegung von Luftstreitkräften Richtung Griechenland und Bodentruppen Richtung Rumänien. Erste ›Gemeindeblätter‹ im Dienste des Okkupators.«93

Ende April und erneut Ende Mai meldete Tito über die sowjetische Botschaft, die in Belgrad noch amtierte, an Dimitrow (Deckname »Ded« – ›Väterchen‹), dass sich deutsche Einheiten in Richtung russische Grenzen bewegten und dass die deutschen Offiziere in Zagreb ihr Ziel auch nicht groß verheimlichten. Bei Kontakten mit der örtlichen Bourgeoisie sprächen sie offen davon, dass sie in Russland hineinschneiden würden wie das Messer in die Butter. Auf den Panzern der Wehrmacht, die durch Belgrad und über die Donau Richtung Rumänien fuhren, stand: »Nach Moskau«.94 In einer Depesche, die Tito am 13. Mai abschickte, schreibt er: »Wir organisieren Militäreinheiten, erziehen unsere Militärkader, bereiten den bewaffneten Aufstand im Falle eines Angriffs gegen die UdSSR vor.«95

Zudem brachte die Partei ein Propagandaflugblatt in Umlauf, in dem sie die Deutschen Soldaten warnte, dass der Führer beabsichtige, sie im Kampf gegen Russland zu verheizen.96 Da Stalins Haltung gegenüber jenen, die ihn vor einem baldigen Angriff warnten, äußerst kritisch war, wundert es nicht, dass diese Meldung und Titos kämpferische Einstellung in Moskau wenig willkommen war. Hinzu kam, dass im Komintern nach wie vor großes Misstrauen gegenüber Tito herrschte, wie sich auch Vladimir Bakarić später erinnerte. Für diese Leute sei er zu wenig »gehorsam« und »demütig« und zu »eigensinnig« und zu voll »eigener Ideen« gewesen.97

Allerdings findet sich in den Archiven der Komintern ein Bericht, der davon zeugt, dass nicht alle in Moskau seinen Kampfeseifer kritisch betrachteten. Das Dokument vom 29. Mai 1941 erwähnt Geheimtreffen zwischen Tito und einem Moskauer Agenten in Zagreb und Belgrad und berichtet: Die KPJ zähle 8 000 Mitglieder und 30 000 Komsomolzen (junge Mitglieder des SKOJ). Die Parteiorganisation sei unversehrt und in Kampfbereitschaft. Beim ZK seien ein Militärkomitee und ein Komitee für Diversantentätigkeit organisiert. Waffen seien vorhanden und versteckt. Im Falle eines Angriffs gegen die Sowjetunion werde die KPJ in den Kampf eintreten. Zur Auffüllung der Waffenvorräte benötigten sie von der Komintern zwischen fünf und zehntausend Dollar. »Bitte, überbringt den Genossen unsere Grüße und informiert sie, dass die Aufgaben erfüllt werden, die sich der Kommunistischen Partei Jugoslawiens gestellt haben.«98 Dabei ist anzumerken, dass sich die Kampfbereitschaft nicht nur aus der Ideologie und noch weniger aus dem blinden Glauben an die Sowjetunion speiste. Wie Koča Popović, einer der wichtigsten Führer des Aufstandes, eingesteht, »war auch viel jugendliches Rebellentum dabei …«99


Tito

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