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AUSEINANDERSETZUNG MIT GORKIĆ UND ARBEIT IM UNTERGRUND

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Der Streit, von dem Broz sprach, war eine Folge der Gorkić’schen Politik nach dem jüngsten Kongress der Komintern. Gorkić sah angesichts der liberaleren Verhältnisse, die seit der Ermordung König Aleksandars in Jugoslawien vorübergehend eingetreten waren, die Gelegenheit, die Direktive des VII. Kongresses umzusetzen und eine Übereinkunft mit den anderen Oppositionskräften zu erzielen, die bei den Wahlen im Mai 1935 gute Ergebnisse erzielt hatten. Zu diesem Zweck war er sogar bereit, mit den Sozialisten eine gemeinsame Liste aufzustellen. Obwohl es tatsächlich den Anschein hatte, als werde mit dem Regierungsantritt des neuen Premiers Milan Stojadinović der Druck der Polizei auf die Linke etwas nachlassen, und obwohl die Sozialisten ein radikales Programm beschlossen hatten, das die Tür für eine Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien öffnete, sperrten sich die anderen Mitglieder des ZK gegen ein derart enges Bündnis.99

Broz lenkte sich unterdessen von seiner Niederlage ab, indem er Ende August und in der ersten Septemberhälfte die jugoslawischen Delegierten auf einer längeren Reise durch die Sowjetunion begleitete. Sie besuchten große Fabriken und Kolchosen und fuhren auch in den Ural, wo sie manches sahen, was sie enttäuschte. Sie entschuldigten alles mit der Rückständigkeit Russlands und den großen Schwierigkeiten, denen sich das Land in einer feindlich gesinnten Welt gegenübersah. So auch Broz: »Meine revolutionäre Pflicht auferlegte mir damals, keine Kritik zu äußern und der ausländischen Propaganda gegen dieses Land nicht zu helfen, denn die UdSSR war schließlich der einzige Staat, wo die Revolution erfolgt war und wo es galt, den Sozialismus aufzubauen. […] In meinem Innern spielte sich ein großer Kampf gegen das ab, was ich sah, aber ich entschuldigte die russischen Kommunisten damit, dass es nicht möglich sei, alles so rasch zu bewerkstelligen, obwohl seit dem Oktober 1917 schon eine ziemlich lange Zeit vergangen war, mehr als siebzehn Jahre.«100

In Jugoslawien gingen derweil die Fraktionskämpfe unvermindert fort. Da es der jugoslawischen Polizei gelungen war, mehrere prominente Kommunisten zu verhaften, die unter Druck auch ihre Genossen verrieten, kam es im Winter 1935/36 zu zahlreichen Festnahmen. Zeitweilig befanden sich zwischen 60 und 70 Prozent aller Mitglieder hinter Gittern, sodass die Partei fast ausgemerzt war, vor allem in Montenegro, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina.101 Wie sich zeigte, war die Hoffnung auf eine Liberalisierung, die Stojadinović mit seinem Regierungsantritt geweckt hatte, verfrüht gewesen, was der Opposition innerhalb der Partei Zündstoff gegen Gorkić lieferte.

Im April 1936 sah er sich gezwungen, in der österreichischen Hauptstadt eiligst ein Plenum des ZK der KPJ einzuberufen, ohne darüber die Komintern zu informieren und ohne auf die Ankunft ihres Vertreters zu warten. Das nahm man ihm in Moskau ebenso übel wie die Tatsache, dass es ihm auf dem Plenum nicht gelang, die Richtlinien des VII. Kongresses des EKKI hinsichtlich einer Volksfront durchzusetzen. Die anwesenden Mitglieder beschlossen nämlich eine Reihe von Resolutionen, in denen sie Verhandlungen mit den Sozialisten grundsätzlich ablehnten, was Gorkić total isolierte.102 In dieser Auflösungssituation stellte das Sekretariat der Komintern am 15. August 1936 eine »große Kommission« zusammen, die einen Bericht über die »jugoslawische Frage« ausarbei ten sollte. Auf deren Sitzung bewertete Dimitrow die inneren Verhältnisse in der KPJ kritisch und erklärte es für »notwendig, andere Formen (der Aktivität) zu finden, damit die jugoslawische Partei in allen Fragen den richtigen Standpunkt einnehmen kann. Wir dürfen nicht zulassen, dass Jugoslawien ein faschistischer Staat wird.«103 Die Beschlüsse des April-Plenums wurden annulliert, und es wurde beschlossen, die Führung der Partei auszuwechseln. Gorkićs Bemühungen, eine Übereinkunft mit den anderen oppositionellen Kräften zu erreichen, wurden also gebilligt. Allerdings stellte man sich durchaus die Frage, ob er fähig sei, die Situation in den Griff zu bekommen, oder ob er sich nicht dadurch unmöglich gemacht habe, sich nicht von Anfang an mit Moskau über die richtige Politik beraten zu haben.104

Mitte März 1936 beendete Broz die Arbeit in der Komintern. Unklar bleibt, was er in den folgenden Monaten tat. Aller Wahrscheinlichkeit hat er einen Guerilla-Kurs besucht, den die Komintern als Reaktion auf den sich ausweitenden Spanischen Bürgerkrieg unter dem Namen »Partisanen-Akademie« in Rjasan organisierte.105 »Die Sache Spaniens«, hatte Stalin verkündet, »ist die Sache der gesamten fortschrittlichen Menschheit.« Um die »Konterrevolution« zu stoppen, die in Spanien mit Unterstützung Hitlers und Mussolinis und mit dem Segen des Vatikans gegen die republikanische Regierung in Madrid wütete, unterstützte er den Aufbruch in Internationalen Brigaden organisierter Freiwilliger zu den spanischen Kriegsschauplätzen.

Broz erhielt nach seiner Rückkehr den Auftrag, Freiwillige in Jugoslawien zu rekrutieren, wo er im August 1936 getarnt als eleganter österreichischer Tourist mit dem Reiseziel Dalmatien auftauchte.106 Aber schon Ende des Monats ist er offensichtlich nach Moskau zurückgekehrt, denn wir wissen, dass er an den Debatten über die Lage der KPJ aktiv beteiligt war. Gegenüber den Kaderleuten des EKKI machte er dabei Angaben über Mitglieder und Kandidaten des ZK, wobei er weder mit Kritik sparte noch ihre positiven Charakterzüge unterschlug. Jedenfalls bezeichnete er niemanden als Trotzkisten, was für den Betreffenden zu dieser Zeit in Moskau lebensgefährlich gewesen wäre.

Auf der Grundlage der erarbeiteten Vorschläge beschloss die Kommission unter dem Vorsitz von Dimitrow am 19. September, die operative Führung der KPJ nach Jugoslawien zu verlegen. Im Ausland sollte nur eine Vertretung verbleiben, die als Verbindung mit Moskau fungieren, innerhalb der Emigration wirken und Parteiliteratur herausgeben sollte. Mit der künftigen Zusammensetzung der Parteiführung betraute das Sekretariat Manuilski gemeinsam mit der Kaderabteilung.107

Eine gute Woche später, am 25. September, diskutierte das Sekretariat des EKKI, diesmal unter der Leitung von Ercoli (Palmiro Togliatti), über die »Schuld der führenden Genossen« an der Spitze der KPJ und beauftragte eine dreiköpfige Sonderkommission, die Sache zu klären.108 Für diese Kommission schrieb Broz am 16. Oktober einen langen Bericht, in dem er die bisherige Kaderpolitik der Parteiführung kritisierte und beklagte, dass man an die entscheidenden Stellen für das Wirken in der Heimat keine überprüften Leute entsandt habe, sondern solche, deren Beurteilungen aus zweiter Hand stammten. Dies habe zur Folge gehabt, dass auch Vorteilssuchende und Provokateure eingesetzt worden seien. Das ZK habe auch Einzelne, denen die Verhaftung drohte, nicht rechtzeitig zurückgezogen, mit dem Resultat, dass sie gegenüber der Polizei »gesungen« hätten. Zu den hieran Schuldigen zählte Broz vor allen Gorkić, der zu leichtgläubig sei und vorgetäuschtem Arbeitseifer aufsitze. Künftig sollten seinem Rat zufolge höchstens zwei Mitglieder im Politbüro für die Auswahl der Kader zuständig sein und sicherstellen, dass wichtige Positionen in Zukunft nur durch Genossen besetzt werden, die nicht nur wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern auch wegen ihrer Erfahrung Vertrauen verdienten. Daher sollten alle altgedienten in Moskau lebenden Kommunisten, die zudem bei den Massen bekannt seien und Verbindungen sowohl zu den Sozialdemokraten als auch zu »kleinbürgerlichen« Gruppen hätten, in die Heimat zurückgeschickt werden. Denn dort könnten sie bei der Bildung einer einheitlichen Volksfront aus Arbeitern und Antifaschisten wertvolle Hilfe leisten. Er erwähnte in diesem Zusammenhang sogar zwei Genossen, die aus der Partei ausgeschlossen worden waren. Entgegen Gorkićs Vorschlag, zwei Leute im Ausland zu belassen, sprach sich Broz dafür aus, nur einen dort zu belassen, da sich sonst zwei Machtzentren herausbilden würden, eines in Jugoslawien, eines im Ausland, die sich gegenseitig in die Quere kommen würden. Einzig Gorkić mit einem kleinen technischen Apparat und ein Genosse, der nicht Mitglied des ZK wäre und als Redakteur die Parteizeitung Proleter übernehmen würde, sollten im Ausland verbleiben.

Dieses erste schriftliche Papier Titos zum Thema Parteiorganisation überzeugte die Führung des EKKI davon, dass man sich auf Broz verlassen könne.109

Noch am selben Tag, an dem er den Bericht abgegeben hatte, am 16. Oktober 1936, wurde Broz mit einem jugoslawischen Reisepass auf den Namen Ivan D. Kisić und mit 200 Dollar in der Tasche nach Wien geschickt.110 Dass er Moskau verlassen durfte, war eine große Erleichterung für ihn. Noch Jahre später erinnerte er sich mit Dankbarkeit an Dimitrow und Pieck, die ihm geholfen hatten, »aus Moskau zu verschwinden«, wo es wegen der Stalin’schen Säuberungen immer gefährlicher wurde. Am schlimmsten waren die Nächte im Lux, wenn Leute verhaftet wurden. »Da waren die Schreie von Frauen und Kindern zu hören, dass einem die Haare zu Berge standen.«111

In der österreichischen Hauptstadt war die Lage desaströs, denn wenige Wochen vor seiner Ankunft hatte die Polizei einen Großteil der Parteiführung festgenommen, darunter Lovro Kuhar (Valič), bekannt unter seinem Schriftstellernamen Prežihov Voranc, Karel Hudomaj (Oskar) und Ivan Marić (Železar). Nach acht Tagen reiste Broz weiter nach Jugoslawien. Dort sollte er, mit neuen Vollmachten ausgestattet, die Parteiorganisation, die während der Diktatur unter König Aleksandar gelitten hatte, straffen und bei der Rekrutierung von Freiwilligen für den Spanischen Bürgerkrieg mitwirken.112

Im Dezember traf er in Wien mit Gorkić zusammen, der mit Neuigkeiten aus Moskau angereist war. Letzteren hatte die Komintern trotz aller Kritik auf dem Posten des Generalsekretärs der KPJ bestätigt und ihn sogar mit einem Vetorecht gegen jede Entscheidung der heimatlichen Parteiführung ausgestattet. Ein solches hatte es bis dato in der Kommunistischen Partei Jugoslawiens nicht gegeben. Die Komintern hatte Gorkićs Gegner auf der Linken (Ćopić, Cvijić, Hudomalj, Marić, Perović) aus dem ZK ausgeschlossen und eine neue Führung ernannt, zu der neben Rodoljub Čolaković und Sreten Žujović auch Broz gehörte. Gorkić, damals dreiunddreißig Jahre alt, strahlte vor Zufriedenheit, denn es war offen sichtlich, dass er in Moskau mächtige Fürsprecher hatte.113

Broz kam es merkwürdig vor, dass Gorkić mit einer solchen Machtfülle ausgestattet worden war, die bedeutete, dass er im Namen der Komintern nach eigenem Ermessen die politische Linie bestimmen konnte. Gorkić nutzte diese, um zu einer Zusammenarbeit mit den Kräften der jugoslawischen Opposition zu kommen, da er hoffte, dass auf diese Weise die KPJ an den Gemeindewahlen teilnehmen könne, die für Dezember 1936 angesetzt waren. Er beauftragte Broz, »um jeden Preis« ein Übereinkommen mit den Sozialisten zu erzielen, ganz gleich unter welchem Namen die Partei in der Öffentlichkeit antreten werde. Broz war mit dem Bestreben, dass man mit der Opposition ein Abkommen schließen müsse, auch wenn die Partei dabei ihre Identität verlieren sollte, nicht einverstanden, vor allem weil die Sozialisten verlangten, dass die Partei ihren illegalen Strukturen entsagen müsse. Seiner Meinung nach glich die Situation jener, die in den Jahren 1907 bis 1914 in Russland geherrscht und der sich Lenin widersetzt hatte, als nämlich die Menschewiki verlangten, man müsse die illegalen Parteikomitees »liquidieren«, um eine Zusammenarbeit mit den Liberalen zu ermöglichen.114 Allerdings fügte sich Broz, vor allem deshalb, weil die Komintern bestimmt hatte, dass er in Jugoslawien arbeiten und dafür verantwortlich sein werde, was in der Heimat geschieht.115 »Ich wollte nichts sagen, weil Gorkić alle Vollmachten hatte. Ich war zufrieden, dass ich nach Hause fahren konnte.«116

Mitte Dezember 1936 reiste er mit einem gefälschten Pass zurück nach Jugoslawien, allerdings nicht mit jenem, den Gorkić ihm besorgt hatte. Und er nahm auch nicht die Route, die ihm dieser geraten hatte, »denn oft war es vorgekommen, dass Genossen, denen Gorkić Reisedokumente besorgt hatte, festgenommen wurden, kaum waren sie an die jugoslawische Grenze gekommen…«117

Er besuchte Ljubljana, Zagreb, Belgrad und Split, um ein größeres Freiwilligen-Expeditionskorps für Spanien zu organisieren, und reiste zum Jahresende nach Prag, wohin die Führung der KPJ übersiedelt war. Hier sprach er mit Gorkić, der auch Verbindungsmann der Komintern (und des NKWD) zu den sowjetischen Vertretern auf der iberischen Halbinsel war, über das geplante Expeditionskorps.

Gorkićs Plan war, die Freiwilligen mit einem Dampfschiff von Dalmatien aus nach Spanien zu bringen. Den Transport sollte der Dalmatiner Adolf Muck (Löwi), ein Kandidat des Politbüros, organisieren, die Rekrutierung der Freiwilligen hatte er der lettischen Jüdin Breina Voss (Nenadova) in Belgrad anvertraut. Während Tito überzeugt war, man müsse die Anwerbung streng konspirativ abwickeln, hatte Breina Voss ganz anders lautende Befehle, die auf eine »breite Popularisierung« der Expedition hinausliefen. Weil sie sich dabei außerdem auf ganz andere Leute stützte als jene, die Broz im Auge hatte, kam es zwischen ihm und Gorkić zu einem heftigen Streit, der nicht zuletzt darin begründet war, dass Broz den Eindruck hatte, dass der Generalsekretär ihm mit diesen Entscheidungen das Misstrauen ausgesprochen hatte. »Ich bin für die Mobilisierung verantwortlich«, erklärte Gorkić in der Überzeugung, mit diesem großangelegten Unternehmen gegenüber der Komintern die Handlungsfähigkeit der KPJ – vor allem aber seine eigene – unter Beweis stellen zu können. »Das wird uns das Ansehen zurückbringen, das wir infolge unserer Streitereien in großem Maße verloren haben.«118

Dabei wäre ein größeres Maß an Geheimhaltung ohne Zweifel angebracht gewesen, denn die Polizei von halb Europa, einschließlich der jugoslawischen, achtete wachsam darauf, die Abreise von Freiwilligen zu den spanischen Kriegsschauplätzen zu verhindern.

Dennoch folgte Gorkić seiner eigenen Linie: Ende Februar 1937 schickte er das Schiff La Corse, das man für 750 000 Fr. gechartert hatte, in jugoslawische Gewässer, damit sich die mehreren Hundert Freiwillige einschiffen konnten.

Doch die Gendarmerie hatte Wind von der Aktion bekommen und stoppte das Schiff in der Nähe von Budva. An die fünfhundert junge montenegrinische Bauern, die sich als Freiwillige gemeldet hatten, landeten im Gefängnis.

Das war der größte Schlag gegen die Linke, die der Belgrader Regierung jemals gelungen war.119 Das Unternehmen mündete in ein noch größeres Desaster, da Muck, der zusammen mit Breina Voss festgenommen worden war, gegenüber der Polizei umfassend aussagte.

Das Scheitern der Expedition wurde Gorkić und Broz angelastet und hätte Letzteren um ein Haar den Kopf gekostet. Später sagte Tito voller Verachtung, dass es Gorkić gewesen sei, der Muck in die Parteiführung berufen habe. »Stellt euch vor, er hat einen Menschen, der Besitzer oder Geschäftsführer eines Cafés in Budva war, zum ZK-Mitglied gemacht, obwohl er in der Partei völlig unbekannt war und keinerlei Qualifikationen besaß: Er war ein Kleinbürger.«120

Nervös und erschöpft stürzte sich Broz wieder in seine Arbeit im jugoslawischen Untergrund. Obwohl er das Grauen des stalinistischen Terrors in Moskau kennengelernt und währenddessen jede Nacht erwartet hatte, von einem »unheilvollen Klopfen an der Tür«121 geweckt zu werden, war er noch immer von der Richtigkeit des sowjetischen Weges in den Sozialismus überzeugt, da ohne rücksichtslosen Kampf gegen den »Klassenfeind« die bestehenden Verhältnisse nicht grundlegend geändert werden könnten.122


Da seit dem Prozess im Jahre 1928, als alle Zeitungen sein Foto abgedruckt hatten, nicht einmal zehn Jahre vergangen waren und er sich nicht sehr verändert hatte, begann er zur Tarnung sein Haar schwarz zu färben. Manchmal tat er das aber nicht besonders gründlich. Als ihn 1938 der junge Journalist Vladimir Dedijer bei ihrer ersten Begegnung in Belgrad mit den Worten »sie hätten dich entdecken können« ansprach, antwortete er unbekümmert: »Weißt du, ich war in Eile, außerdem hatte ich nicht genug Farbe.« Dass mit dem neuen Freund ihres Sohnes nicht alles stimmte, fiel auch Dedijers Mutter auf: »Der muss gefährlich sein, so einen hatten wir bisher noch nicht im Haus. Sieh mal! Er benutzt französische Zahnpasta und tschechische Seife!«123

Aufsehen erregten bei Broz nicht nur die Toilettenartikel, sondern mehr noch der Umstand, dass er sein Leben lang Serbokroatisch mit einem nicht zu identifizierenden fremden Akzent sprach.124 Außer Deutsch und Russisch, die er allerdings auch nicht hundertprozentig beherrschte, sprach er mehr oder weniger gebrochen noch Französisch, Tschechisch, Ungarisch und Kirgisisch. In späteren Jahren verbesserte er auch sein Englisch, das er im Gefängnis zu lernen begonnen hatte, indem er The Economist las.125

Diese sprachliche Gewandtheit und zur gleichen Zeit Unsicherheit weckte immer wieder Zweifel an seiner wahren Identität. Und das nicht nur als Gerücht. Noch wenige Monate vor seinem Tod veröffentlichte die NSA in ihrem internen Bulletin »Cryptologic Spectrum« einen Artikel, in dem es hieß, dass aufgrund bestimmter phonologischer und morphologischer Eigenheiten seiner Sprechweise Tito in Wirklichkeit nicht Josip Broz sei, sondern ein Russe oder Pole, der vermutlich in den dreißiger Jahren dessen Identität angenommen habe.126 Dieser These lässt sich mit dem Argument widersprechen, dass eine Information über diesen Identitätswechsel in den Archiven der Komintern vorhanden sein müsste, was aber nicht der Fall ist. Das hielt aber auch die Sowjets nicht davon ab, Zweifel an Titos Identität zu verbreiten, wenn sie sich davon Nutzen versprachen. Im Jahre 1948, nach Titos Streit mit Stalin, behauptete Radio Moskva, der wahre Josip Broz sei 1915 an der russischen Front gefallen, seiner Uniform und seiner Papiere habe sich damals ein russischer Überläufer bemächtigt, und dabei habe es sich um einen »jüdischen Bourgeois« gehandelt.«Dieser Bourgeois aus Odessa, dessen Vater als Fellhändler die Leute betrog, dieser Abenteurer, der sieben Pässe besitzt, ist heute dabei, den Werktätigen Jugo slawiens das Fell über die Ohren zu ziehen …«127


Von der kroatischen Hauptstadt aus organisierte Broz regelmäßige Treffen in Samobor, achtzehn Kilometer westlich von Zagreb, wo es keine politische Polizei gab, sondern nur Gendarmen, die unerfahrener im Kampf gegen Kommunisten waren.128 Zu diesen Treffen kamen vor allem jüngere Leute, die ihn schon damals »Stari« – ›Alter‹ nannten. Diesen Beinamen, dessen Verwendung nur Genossen aus dem engeren Kreis erlaubt war, hatten zwei Belgrader Studenten eingeführt, Milovan Đilas, der aus einer bescheidenen montenegrinischen Familie stammte, und Ivo Lola Ribar, Sohn eines angesehenen Zagreber Anwalts und Politikers, des ersten Parlamentspräsidenten des SHS-Staates.129 Letzterem hatte Broz die Leitung des SKOJ anvertraut, der Jugendabteilung der Partei, die zu diesem Zeitpunkt keinen Sekretär hatte, und ihn bald darauf in seinen engsten Mitarbeiterkreis aufgenommen. Zwischen den drei Männern entwickelte sich eine Symbiose, die, wie Đilas sagt, fast Züge »familiärer Blutsbande « hatte.130


Tito

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