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Ischak, Bischri und Aswani haben genug

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Eine dieser Vorgeschichten beginnt 2004 an einem Abend während des Fastenbrechens im Ramadan. Etliche Mubarak-Gegner hatten sich im Haus des Kairoer Intellektuellen Abul Ela al-Ramadi getroffen, sie diskutierten die alles andere als rosige Lage. Zur Begrüßung nach Sonnenuntergang hatte es erst die obligatorischen Datteln gegeben, dann gegrilltes Hammel- und Hühnerfleisch, Gemüse und Salat und natürlich frisch gebackenes Fladenbrot, dazu trank man Obstsaft, alles auf einem langen Tisch angerichtet. Zum Abschluss bot der Gastgeber den überzuckerten Brotauflauf Umm Ali an, schließlich süßen Tee oder türkischen Kaffee. Ein typisches iftar-Essen am Ende eines Fastentags.

Es war Anfang November. Unter den Mubarak-Kritikern: der ehemalige Lehrer George Ischak, mit dessen Namen Kifaja bis heute untrennbar verbunden ist, außerdem Tariq al-Bischri, bekannt als einer der wenigen unbestechlichen Richter des Landes, und der Nasserist Hamdin Sabahi, der Jahre später zweimal als Präsidentschaftskandidat antreten sollte, einmal gegen den Muslimbruder Mohamed Mursi und zwei Jahre später gegen General Abdel Fattah al-Sisi. Beide Male sollte er verlieren.

In dieser Männerrunde war man sich schnell einig. Wichtig sei es, den Protest zu bündeln, Einzelkämpfer könnten nichts ausrichten. Und vor allem: Man müsse den Protest auf die Straße bringen. In möglichst vielen Städten die Bürger zu zivilem Ungehorsam auffordern. Ein Name für diese Bewegung war schnell gefunden: kifaja – »genug«. Schließlich hatten alle genug von der Herrschaft der Mubarak-Familie.

Mit dem inzwischen einundachtzig Jahre alten George Ischak treffe ich mich im Jahr 2019 im vornehmen Interconti-Hotel Semiramis. Dieser Treffpunkt war sein Wunsch gewesen. Er wohnt gleich um die Ecke, nicht weit vom Tahrir-Platz entfernt.

»Wir haben damals beschlossen, am Tag der Menschenrechte, also am 10. Dezember, eine große Demonstration zu organisieren«, beginnt der rüstige Mann zu erzählen, als wir uns im Hotelcafé gegenübersitzen. »Die Menschen sollten vor dem Obersten Gerichtshof im Zentrum Kairos gegen die Menschenrechtsverletzungen protestieren. Bis zum 10. haben wir es nicht geschafft, aber am 12. Dezember 2004 versammelte sich ein kleines Häuflein von Protestierenden vor dem Gericht und rief: ›Nieder mit Mubarak!‹ oder ›Mubarak, du bist ein Dieb‹, schließlich war den meisten Ägyptern bekannt, dass sich die Familie Mubarak schamlos bereicherte.«

Diese Parolen, die in Ägypten so noch nie gehört worden waren, kamen einer Majestätsbeleidigung gleich. Mubaraks Ansehen war damals bereits im Schwinden, und man beobachtete mit Sorge, dass der Vater seinen Sohn Gamal als neuen Präsidenten aufbauen wollte. Doch »Nieder mit Mubarak«? Das ging vielen zu weit.

»Viele Passanten hielten uns für verrückt. Etwas musste in unseren Köpfen falsch gepolt sein. Aber dann schlossen sich immer mehr Menschen unserer Demonstration an. Am Ende waren wir über tausend.« Diese Demonstration am 12. Dezember 2004 war, so Ischak, die allererste Kundgebung, auf der in der Öffentlichkeit der Rücktritt Mubaraks gefordert wurde. Es war die Geburtsstunde der Protestbewegung in Ägypten, die sechs Jahre später in den Arabischen Frühling mündete.

Später stieß der Schriftsteller Ala al-Aswani zu der Gruppe. In seinem Roman Der Jakubijân-Bau, der 2002 erschienen war, hatte Aswani zum ersten Mal in der ägyptischen Literatur Tabuthemen wie Homosexualität, Vergewaltigung, Radikalisierung und Korruption der Mächtigen thematisiert. Dieser ägyptische Bestseller hat zweifellos mit seiner schonungslosen Offenlegung der ägyptischen Oberschicht-Bigotterie zur Mobilisierung der Jugend mit beigetragen. Tausendfach verkaufte sich das Buch in einem Land, in dem damals fast die Hälfte der Erwachsenen weder lesen noch schreiben konnte. Es war, als hätten die ägyptischen Leser nur auf einen solchen Schlüsselroman gewartet. Endlich hatte einer aufgeschrieben, worunter die Menschen schon lange litten in Ägypten.

Die Erben der Revolution

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