Читать книгу Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann - Страница 44

Die Kommunikationsform der Symmetrie

Оглавление

Das Prinzip des Dialogs ist die Symmetrie. Alle Gesprächspartner sind gleichberechtigt. Das Prinzip des Monologs ist dagegen die Asymmetrie. Einer spricht, die anderen hören zu. Eine monologische Situation stellt sich ein, sobald einer eine besondere Rolle einnimmt: wenn er etwas zu erzählen hat, wenn er über eine Sache mehr als andere weiß, wenn er seine Macht als Vorgesetzter oder Elternteil ausübt oder wenn er zu einer Motivations- oder Überzeugungsrede ansetzt.

Natürlich kommt die reine dialogische Form so wenig vor wie die rein monologische. Auch im Dialog tendiert immer wieder ein Gesprächspartner (wie die obigen Beispiele zeigen) dazu, das Heft an sich zu reißen und zu monologisieren. Und auch im Monolog gibt es von jeher dialogische Unterbrechungen: Applaus, Zwischenrufe, Antworten auf Fragen an das Publikum usw. Die grundsätzliche Unterscheidung zu treffen, ist dennoch wichtig, weil intuitiv die reine monologische Form für traditionelle Redeaufgaben häufig als die einzige Lösung erscheint. Man wird z.B. für eine Führung durch ein Museum engagiert und bereitet sich vor wie auf einen klassischen Vortrag, ohne andere Formen überhaupt zu überlegen.93 Dabei kann man umgekehrt vorgehen und bei der Frage anfangen, was das Publikum beizutragen hat.

Merkmale konstruktiven Redens

Rahmen: Beiträge des Publikums sind möglich. Das Ziel besteht in gemeinsamem Erzielen eines Resultats oder im Lernen und Kennenlernen. Nicht die Qualität einer einzelnen Rede steht im Vordergrund, sondern der Prozess, in dem sie stattfindet.

Diskurs: Die Rede fügt sich in einen Diskurs ein und steht gleichwertig mit anderen Beiträgen da.

Form: Gegenseitiges Zuhören wird angestrebt, ermöglicht und gefördert. Der Redner sucht den Kontakt mit dem Publikum. In der Rede werden Dialogangebote gemacht.

Argumentation: Sachentscheidungen werden mit rationaler Argumentation gestützt.

Wirkung: Gemeinsame Resultate werden aus einer argumentativen Auseinandersetzung erreicht.

Einer der Helden meines Studiums war Hans Rudolf Oswald, Ordinarius für Anorganische Chemie an der Universität Zürich.94 Ich habe seinen Vorlesungsstil bis heute in Erinnerung, obwohl meine Leidenschaft für sein Fach nie so recht erwacht ist. Aber der Kontakt, den er zu seinen Zuhörenden hatte, war beeindruckend. Und wir waren immerhin einige hundert Studienanfänger, für die Chemie nur ein Pflichtfach war, ohne das wir in unserem Hauptfach (teils Medizin, teils Biologie) nicht weiterkamen.

Es war eine der ersten Semesterwochen. Man wusste noch nicht so recht, wie eine Uni funktioniert. Zudem war die Arbeitsbelastung hoch, man eilte von einem Fach zum nächsten, von einem Übungslabor ins andere. Alle fühlten sich leicht überfordert. Da saßen wir also und warteten, dass es gleich wieder um Bindungen und Wechselwirkungen gehen würde, und wir waren wenig motiviert.

Und da tat der Professor etwas Unerwartetes: Er trat einen Schritt auf die Bankreihen zu und schaute uns, die dreihundert Greenhorns, an und dann fragte er mit seinem unverwechselbaren Berner Akzent: „Wie geht es?“

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Das Stöhnen und die Klagen begannen sofort. Er lachte und nahm das, was ihm zugerufen wurde, auf. In wenigen Sekunden hatte er ein Gespräch mit seinem Publikum angefangen, in dem er auf die Situation der jungen Leute einging und auch ein paar tröstende Worte fand.

Zu Beginn einer Vorlesung „Wie geht's?“ zu fragen, ist eine gute Idee. Es funktioniert aber nur, wenn die Frage ernst gemeint ist, wenn man den so Gefragten Zeit lässt, eine Antwort zu geben – sei sie verbal oder nonverbal. Wenn man dies tut, nimmt man ein Element der dialogischen Alltagssprache in die scheinbar monologische Situation herein, verändert die Atmosphäre und stellt eine Beziehung her, die auch den späteren Verlauf der Vorlesung bestimmen kann.

Konstruktive Rhetorik

Подняться наверх