Читать книгу Dass Du nicht vergessest der Geschichte - Jörg Koch - Страница 6
I. Einleitung
ОглавлениеIm Jahr 2017 bekamen die Deutschen einen Feiertag geschenkt! Das gab es zumindest im 21. Jahrhundert noch nicht. Anlässlich des Reformationsjubiläums, der 500. Wiederkehr des Thesenanschlags Luthers, hatten alle Bundesländer beschlossen, den 31. Oktober 2017, den Reformationstag, zum gesetzlichen Feiertag zu erklären. Der Reformationstag, ein Gedenktag der evangelischen Kirchen, ist bereits seit 1990 Feiertag in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Wegen der großen Bedeutung der Reformation für die Entwicklung auf dem Weg zur Aufklärung erhielt der 31. Oktober 2017 die Funktion eines bundesweiten Feiertages; neben Vertretern der Kirchen hielt auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Ansprache beim Festakt in Wittenberg.
Die Gewährung eines neuen staatlichen Feiertages in unserer Zeit ist die große Ausnahme. Zu diesen Ausnahmen gehören die Einführung des „Internationalen Frauentages“ in Thüringen (März 2019) und des „Weltkindertages“ in Berlin (Sept. 2019) als gesetzliche Feiertage. Die meisten gesetzlichen Feiertage haben eine jahrhundertealte religiöse Tradition und werden außerhalb staatlichen Einflusses begangen. Auch wenn die Bindung der Bevölkerung zur Kirche permanent abgenommen hat, überlebten bisher die in religiösen Festen wurzelnden gesetzlichen Feiertage, darunter solche, die zweitägig gefeiert werden (Ostern, Pfingsten, Weihnachten). Nur selten kam es zu einer Verlegung oder gar Abschaffung: Abgesehen vom Josefitag (19. März), der nur in Bayern Feiertag war und dort 1969 abgeschafft wurde, stand lediglich der Buß- und Bettag zur Disposition. Bußtage hatten in den deutschen Ländern eine lange Tradition, doch erst seit 1893 wurde dieser protestantische Feiertag reichsweit am Mittwoch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr begangen. Im Zweiten Weltkrieg auf einen Sonntag verlegt, wurde der Buß- und Bettag nach Kriegsende als gesetzlicher Feiertag wieder eingeführt (in Bayern bis 1981 zunächst nur in Gebieten mit überwiegend protestantischer Bevölkerung, in der DDR wurde er 1966 im Zuge der Einführung der Fünftage-Woche gestrichen).1 Ab 1990 war dieser Mittwoch im November ein deutschlandweiter Feiertag, der dann jedoch ab 1995 gestrichen wurde, um die neu eingeführte Pflegeversicherung zu finanzieren.2 Der Protest, auch von Seiten der Protestanten, blieb erstaunlich bescheiden, vielleicht, weil dieser Tag in einer eher unattraktiven Jahreszeit liegt. Weitaus heftiger waren im Oktober 2017 die Reaktionen auf den überraschenden Vorschlag des Bundesinnenministers Thomas de Maizière, einen muslimischen Feiertag einzuführen.3
Bei staatlichen Gedenkveranstaltungen, die Teil der kollektiven Erinnerungskultur werden und geworden sind, ist zu spezifizieren zwischen einem Anniversarium, einem in der Regel jährlich wiederkehrenden Gedenken („Tag der Deutschen Einheit“, 3. Oktober) und einem Jubiläum, das erst nach einer gewissen zeitlichen Distanz bzw. regelmäßig in größeren Abständen als erinnerungswürdig begangen wird, z. B. „100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges“/„Beginn der Weimarer Republik“ (2018/19) oder „70 Jahre Bundesrepublik Deutschland“ (2019). Noch sind es häufig Ereignisse, die in die Zeit des Nationalsozialismus bzw. in die unmittelbare Nachkriegszeit fallen: „80 Jahre Reichspogromnacht“ (9. November 2018), „75. Jahrestag des Attentats auf Hitler“ (20. Juli 2019), „75 Jahre Kriegsende“ (2020), 75 Jahre „Währungsreform“/„Luftbrücke“ (2023) etc. Aber auch Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte erhalten bei einem „runden“ Jahrestag zunehmend Aufmerksamkeit: „40 Jahre Deutscher Herbst“/„RAF-Attentate“ (2017), „50 Jahre Studentenunruhen“/“68“ (2018), „30 Jahre Fall der Berliner Mauer“/„Wiedervereinigung“ (2019/20).
Die Liste solch runder Gedenktage wie „400. Jahrestag des Beginns des Dreißigjährigen Krieges“ (2018) oder „vor 500 Jahren: Luther auf dem Reichstag zu Worms“ (2021), die erweitert werden könnte mit besonderen Stadtjubiläen, z. B. „1275 Jahre Fulda“ (2019) oder „900 Jahre Stadt Freiburg“ (2020), Geburtsbzw. Todestagen herausragender Persönlichkeiten wie „200. Geburtstag Karl Marx“ (2018) und „200. Geburtstag Theodor Fontanes“ (2019) oder „200. Todestag Napoleons“ (2021) ließe sich beliebig fortführen.
Gewürdigt und einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht bzw. in Erinnerung gerufen werden solche historischen Gedenktage über die Medien (Bücher, Tages-, Wochenzeitungen, Fachzeitschriften, Rundfunk, Fernsehen) mittels Dokumentationen, Spielfilmen, Reportagen, Ausstellungen, Zeitzeugenbefragungen etc. und häufig – millionenfach gedruckt und in alle Welt verschickt – über Briefmarken.
Die Vielfalt der Erinnerungsveranstaltungen, ebenso die nationalen Feiertage, bieten Anlass zur Geschichtsvermittlung und stellen die Frage nach deren Bedeutung und Funktion. Zu welcher Zeit und in welchem geschichtlichen Zusammenhang sind diese Gedenktage entstanden, welche Tradition und welchen Bedeutungswandel haben sie bisher erlebt? Welche historischen Ereignisse bleiben außer Betracht, welche werden gefeiert und in welcher Form? Welchen Stellenwert misst ihnen ein modernes Staatswesen zu, wie stark sind solche Tage im Bewusstsein der Menschen verankert? Sind diese Feste vor missbräuchlichem Umgang geschützt? Sollen Feiertage unangetastet bleiben oder darf an ihnen gerüttelt werden in Form von Auf- oder Abwertung, Verlegung oder gar Abschaffung?
Bis 1871 existierte Deutschland weder als geographische noch als politische Einheit; das deutschsprachige Mitteleuropa war geprägt durch einen bunten Flickenteppich unterschiedlich großer, souveräner Einzelstaaten und entsprechend differenziert war die politische Festkultur. Die Revolutionsfeier der Franzosen (ab 1789) hatte nur sehr vereinzelt Nachahmer gefunden. Neben den Geburtstagen der jeweiligen Herrscher waren es hauptsächlich die kirchlichen Feste und die zahlreichen Gedenktage der Heiligen, die den Menschen einen arbeitsfreien Tag bescherten. Wie stark sich der religiöse Feierstil vielerorts noch heute auf alle gesellschaftlichen Ebenen auswirkt, lässt sich daran erkennen, dass kein Schützen-, Turn- oder Musikverein bei seinen Feierlichkeiten auf einen Festgottesdienst und die anschließende Kranzniederlegung am Ehrenmal verzichtet. Der Ablauf solch nichtalltäglicher Feste war genau festgelegt und ist es weitgehend noch immer: Umzüge oder Prozessionen und Paraden, Reden, Predigten und Ansprachen sowie gemeinsame Mahlzeiten gehören zur Festveranstaltung, die das Lebensgefühl der Feiernden steigern und dabei die Gemeinschaft festigen sollen.
1814 wurde, auf Betreiben der Nationalgesinnten, in Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813), in vielen Ländern des Deutschen Bundes der 18. Oktober als ein staatsübergreifender Nationalfeiertag ausgerufen. Bei dieser „Solidaritätsfeier“ stand jedoch nicht der freie Bürger im Mittelpunkt, vielmehr die Macht und Leistung der Fürsten und ihrer Heere. Wie bei den Feiern anlässlich der Geburtstage oder Krönungsjubiläen der Herrscher sollte hierbei ein patriotisches Untertanenbewusstsein erzeugt werden, das kurzzeitig zugunsten erlebter Gemeinschaft Standesunterschiede beseitigen half.
In wirkungsvollerem Rahmen verlief das Wartburgfest von 1817, dessen Vorbild die französischen revolutionären Volksfeste und die Turnertreffen der Gefolgschaft des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahns waren. Die Jenaer Burschenschaft hatte im August 1817 Einladungsschreiben an alle protestantischen deutschen Universitäten versandt. Eingeladen wurde zu einer gemeinsamen Feier auf der Wartburg bei Eisenach anlässlich des dreihundertjährigen Reformationsjubiläums und des Gedenkens an die Völkerschlacht bei Leipzig vier Jahre zuvor. Damit sollte an der Wirkungsstätte Martin Luthers eine innere Verwandtschaft der religiösen Befreiung vom Papsttum mit der nationalen von der französischen Fremdherrschaft hergestellt werden. Doch galt die Reformation von 1517 weniger als ein religiöses, sondern eher als ein nationalpolitisches Ereignis und Geburt der Gedankenfreiheit. Auch wurde Luther mit patriotischer Frömmigkeit als Repräsentant der geistigen und politischen Selbstständigkeit des deutschen Volkes verehrt. Zu den zukunftsweisenden Forderungen dieser nationalen Demonstration und der liberalen Emanzipationsbestrebung gehörte vornehmlich die Verwirklichung der politischen, religiösen und wirtschaftlichen Einheit der deutschen Kleinstaaten. Mit dieser Forderung nach Beendigung der „Vielstaaterei“ bildete das Wartburgfest eine frühe Oppositionsveranstaltung des liberalen Bürgertums.4
Mit den restriktiven Karlsbader Beschlüssen von 1819, die erst in der Revolution von 1848 aufgehoben wurden, war die erste Phase des deutschen Nationalismus beendet. Die Repressionspolitik des österreichischen Staatskanzlers Klemens Fürst Metternich machte national denkende Intellektuelle mundtot, zerstörte die wenigen Stützen nationaler Gesinnung und hemmte jede politische Aktivität der Studenten und ihrer Professoren. 1832 fand dann mit dem Hambacher Fest bei Neustadt im Pfälzer Wald die „erste politische Volksversammlung der neueren deutschen Geschichte“ (Theodor Heuss) statt.5 Zu den Hauptforderungen dieses demokratischen Oppositionsfestes, an dem rund 30.000 Menschen teilgenommen haben sollen, gehörten erneut die liberalen Freiheitsrechte und – gegen alle partikularistischen Bestrebungen gerichtet – die Errichtung eines deutschen Nationalstaates. Träger dieser weit über seine Grenzen wirkenden Feier wie auch der pfälzischen, später ebenso der rheinischen Abgeordnetenfeste, die sich alle durch ihren Protestcharakter auszeichneten, waren Bürger verschiedener Herkunfts-, Berufs- und Altersgruppen.
Abbildung 1 Hambacher Schloss bei Neustadt/Weinstraße.
Abbildung 2 Die weithin sichtbare „Germania“, eines der bekanntesten und größten deutschen Nationaldenkmäler bei Rüdesheim/Mittelrhein.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine Festkultur, die vornehmlich von und für bestimmte Trägerschichten organisiert wurde, die aber weder eine Breitenwirkung erzielte, noch besonders öffentlichkeitswirksam war. Politische Gedenk- und Kampffeste wurden nun veranstaltet von der sich formierenden Arbeiterbewegung. Die vielfältige Festkultur der Vereine stand dem in nichts nach und schließlich organisierten auch die noch jungen Parteien feierliche Versammlungen. Neben diese, meist alljährlich in einem fest umrissenen Rahmen verlaufenden Feierlichkeiten traten pompöse Gedenkveranstaltungen von überregionaler Bedeutung. Zu diesen Festen, die sich stets auch als Forum für nationale Angelegenheiten verstanden, zählen das Kölner Dombau-Fest (1842), der 300. Todestag Luthers (1846), das Schillerfest (1859), die Einweihungsfeiern bedeutender Denkmäler wie die des Wormser Lutherdenkmals (1868), des Hermanndenkmals im Teutoburger Wald (1875), des Niederwalddenkmals/Germania bei Rüdesheim (1883) oder des Kyffhäuser-Ehrenmals (1896).
Mit der Reichsgründung 1871 begann sich die Festkultur in Deutschland grundlegend zu wandeln. Im Vordergrund der Jubelfeste standen der Kaiser und die Popularisierung der militärischen Machtüberlegenheit Preußens bzw. des Deutschen Reiches. Ein nationaler Gedenktag war der Sedantag am 2. September, dem Erinnerungstag an die kriegsentscheidende Schlacht über die französische Armee und die Gefangennahme Kaiser Napoleons III. im Spätsommer 1870. Der 2. September war offiziell kein (arbeitsfreier) Nationalfeiertag, er besaß aber im Bewusstsein der Bevölkerung eine große Bedeutung und wurde, für jeden sichtbar, als Festtag der Schulen, Behörden, Vereine und des Militärs begangen. Diese reichsweit zelebrierten Gedenkfeiern dienten als Integrationspotential für das neu geschaffene Deutsche Reich. Als arbeitsfreie Nationalfeiertage galten nun der „Reichsgründungstag“ am 18. Januar und die Geburtstage der Kaiser.
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff Nationalfeiertag üblich; bislang hießen entsprechende Feiern „Nationalfeste“ bzw. „Volksfeste“, wie auch in einer 1887 erschienenen Enzyklopädie:
Volksfeste heißen solche Feste, an denen entweder die Gesamtheit einer durch Sprache, Sitte und Regierungsform zu einem Ganzen verbundenen Bevölkerung teilnimmt (Nationalfeste), oder doch größere Kreise dieser Bevölkerung … Das Lebenselement der Volksfeste sind Öffentlichkeit, Gemeingeist und Freiheit; wie von diesen drei Gütern ihr Gedeihen abhängt, so beruht darauf auch ihre hohe politische und sittliche Bedeutung. Ihr Ursprung ist ebenso mannigfaltig als ihre Gliederung, steht aber stets mit dem Volkscharakter in Wechselwirkung und übt mithin, je nach dem Maße und Art seiner Kraft, einen zwar bestimmenden, aber wiederum durch den Volkscharakter bedingten Einfluss auf die Gestaltung der einzelnen Feste. Religion und Recht, die ältesten Grundpfeiler aller Gesittung, dann natürliche Neigungen, Verkehr und folgenreiche historische Ereignisse sind die Hauptquellen der Volksfeste von allgemeiner und weitreichender Geltung …6
Die Weimarer Republik tat sich schwer mit einem Nationalfeiertag. Je nach politischer Richtung wurde weiterhin am 18. Januar festgehalten, die linken Parteien dagegen plädierten für den 9. November als Todesstunde der Monarchie und Geburtsstunde der Republik (1918). Erst zweieinhalb Jahre nach Ausrufung der Republik kam es zu einer ersten Verfassungsfeier. Bis 1932 wurde dann alljährlich am 11. August, zum Gedenken an die Unterzeichnung der Weimarer Reichsverfassung von 1919, der Staatsfeiertag begangen. Die Akzeptanz dieses republikanisch-konstitutionellen Datums war jedoch innerhalb der Bevölkerung gering; zu belastend waren die körperlichen, seelischen und materiellen Folgen des Krieges, die einen Schatten auf die junge Republik warfen.
Ab 1933 setzte der Nationalsozialismus mit Massenveranstaltungen und Demagogie auf eine neue Form von Staatsfeiern, wobei technische Errungenschaften (rasche Verbreitung des Rundfunks) gezielt als Beeinflussung instrumentalisiert wurden. Das NS-Feiertagsjahr sah zwölf politisch motivierte Gedenktage vor, die mit pseudoreligiöser Hingabe das ganze Jahr über öffentlichkeitswirksam inszeniert wurden: Vom „Tag der Machtergreifung“ am 30. Januar über „Führers Geburtstag“ am 20. April bis hin zur „Wintersonnenwende“ am 21. Dezember. Auch der 1. Mai erhielt erstmals als „Tag der nationalen Arbeit“ den Rang eines gesetzlichen und arbeitsfreien Feiertages. Gemäß der im „Dritten Reich“ propagierten „Volksgemeinschaft“ sollte dieser Tag die „Arbeiter der Faust“ mit den „Arbeitern der Stirn“ zusammenführen. Besonderes Gewicht als Parteifest erhielt der 9. November. An diesem Tag wurde der „Gefallenen der Bewegung“ von 1923 („Hitler-Ludendorff-Putsch“) gedacht. Mit Fackelzügen und im Gleichschritt von Liedern und Märschen wurde an das Gefühl der Massen appelliert. Ob „Heldengedenktag“, der seit 1934 in inhaltsschwerer Umdeutung des Volkstrauertages als Staatsfeiertag begangen wurde, oder ein anderer Gedenktag im nationalsozialistischen Jahresablauf – alle Feiertage standen in Konkurrenz zu den kirchlichen Festtagen und wurden zur kultischen Überhöhung der Ideologie und der Institutionen des Nationalsozialismus benutzt. Vor allem die Reichsparteitage in Nürnberg, die im September stattfanden, demonstrierten auf anschauliche Weise die starke Verbundenheit der gläubigen „Gemeinde“ mit ihrem Oberhaupt gemäß der Devise „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“
Mit der Kapitulation 1945 gingen sämtliche Symbole deutscher Geschichte zu Bruch; nach staatlichen Feiern war niemandem mehr zumute. Nach dem Missbrauch selbst kirchlicher Feste durch das NS-Regime und angesichts der Besatzungszeit war es für die Politiker der jungen Bundesrepublik schwer, einen konsensfähigen Nationalfeiertag zu finden. Zwei Ereignisse, die geeignet gewesen wären, zum Feiertag der Bonner Republik erklärt zu werden, erhielten lediglich den Charakter eines mehr oder weniger stillen Gedenktages: der 8. Mai als Tag des Kriegsendes und Neubeginns 1945 und der 20. Juli als Tag des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in Anlehnung an das Attentat auf Hitler 1944.
Ein potentieller Feiertag, der 23. Mai, an dem 1949 der Parlamentarische Rat das Grundgesetz verkündete hatte (dieser Tag gilt als Geburtsstunde der Bundesrepublik), wurde, ähnlich wie der 11. August in der Weimarer Republik, ohne große Teilnahme seitens der Bevölkerung „gefeiert“. Erst der Arbeiteraufstand in der DDR am 17. Juni 1953 löste in der Bundesrepublik eine wirkliche Diskussion über einen arbeitsfreien Feiertag aus. Nach Beratungen des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen verabschiedete der Bundestag am 3. Juli 1953 das „Gesetz über den Tag der Deutschen Einheit“.
In der DDR waren es der „Internationale Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus“ am 1. Mai und der „Tag der Republik“ am 7. Oktober (Staatsgründung 1949), die mit Militärparaden als arbeitsfreie Staatsfeiertage begangen wurden, zudem gab es eine Vielzahl politischer Gedenkveranstaltungen (z. B. Jugendweihe, Internationaler Frauentag, Ehrentage für verschiedene Berufsgruppen). Besondere Aufmerksamkeit erfuhr dabei der erste Sonntag im September, der „Internationale Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg“ sowie der 9. November. Allerdings wurde an diesem Datum hauptsächlich der Revolution von 1918 gedacht, erst in den letzten Jahren ihres Bestehens erinnerte auch die DDR an das Pogrom von 1938 („Reichskristallnacht“).
In Folge der friedlichen Revolution im Herbst 1989 wurde der 17. Juni als „Tag der Einheit“ als politisch unangebracht, gar spalterisch erachtet. Gesucht wurde nun ein neuer Tag, der die breite gefühlsmäßige Zustimmung der Bevölkerung hinter sich haben sollte. Es sollte kein „von oben“ verordneter Staatsfeiertag sein, sondern ein echter „Volks“-Feiertag. Anzubieten schien sich hierfür der 9. November 1989, an dem die Öffnung der menschenverachtenden Mauer in Berlin von den DDR-Bürgern friedlich erzwungen wurde. Dieses Datum beeinflusste plötzlich die Lebenswelt aller Deutschen und war wie kein anderes als epochales Ereignis präsent. Geeignet für einen neuen Nationalfeiertag wäre auch der Tag gewesen, an dem alle Deutschen in freier Selbstbestimmung über ihre staatliche Ordnung abgestimmt hätten, doch blieb bekanntlich eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung aus. Schließlich entschied ein mehr oder weniger willkürlich gewähltes Datum: Mit der staatlichen Einigung der Bundesrepublik und der DDR am Sonntag, dem 3. Oktober 1990, löste dieser Tag laut Einigungsvertrag den 17. Juni als gesetzlichen Feiertag ab. Tatsächlich ist der „Tag der Deutschen Einheit“ durch den Bund geregelt, die Regelung aller anderen gesetzlichen Feiertage fällt dagegen in die Kompetenz der einzelnen Bundesländer.
Alle Gedenkveranstaltungen ähneln sich in ihrem Ablauf, der aus folgenden Elementen besteht: Musik (überwiegend klassische Musik bzw. Choräle), Reden/Predigten, Kranzniederlegung, Nationalhymne; zudem werden diese Feiern im Fernsehen und Rundfunk übertragen. Dass diese Tage im Jahresverlauf etwas Außergewöhnliches darstellen, wird jedem historisch und politisch noch so unbedarften Zeitgenossen augenfällig: an öffentlichen Gebäuden (Rathäuser, Gerichte, Schulen) ist die Bundesflagge gehisst.
Der vorliegende Band bietet einen Überblick über die staatlichen Feier- und Gedenktage in Deutschland seit 1871 bis zur Gegenwart. Er verweist auf den geschichtlichen Hintergrund, stellt den Wandel der Feiertagskultur dar und gibt die Diskussionen über Einführung, Verlegung und Abschaffung der Nationalfeiertage wider.
1 Allerdings haben am Buß- und Bettag in Bayern die Schüler/Schülerinnen und damit auch die Lehrer/Lehrerinnen unterrichtsfrei!
2 Nur im Freistaat Sachsen besteht der Buß- und Bettag weiterhin als arbeitsfreier Feiertag; dafür bezahlen die Arbeitnehmer einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung.
3 FAZ, 18.10.2017.
4 Vgl. Martin Hettling/Paul Nolte: Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993.
5 Joachim Kermann u.a. (Hg.): Freiheit, Einheit und Europa. Das Hambacher Fest von 1832. Ursachen, Ziele, Wirkungen, Mainz 2006.
6 Brockhaus Conversations-Lexikon, 13. Auflage, 16. Bd., Leipzig 1887, S. 325.