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II. Kaiserreich Feiertage Reichsgründungstag (18. Januar)

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Die Geburtsstunde des neuen deutschen Kaiserreichs lag nicht in Berlin, sondern im Spiegelsaal des Versailler Schlosses: Am 18. Januar 1871 wurde der preußische König Wilhelm I., zum Deutschen Kaiser (ausdrücklich nicht zum „Kaiser von Deutschland“) proklamiert. Diesem Akt vorausgegangen war der preußisch-deutsche Krieg gegen Frankreich, den die deutschen Truppen mit der Gefangennahme Kaiser Napoleon III. bei Sedan/Lothringen am 2. September 1870 für sich gewinnen konnten. Die Verfassung des neuen Reiches war schon am 1. Januar 1871 in Kraft getreten, d. h. seitdem bestand das Reich staatsrechtlich. Doch der 18. Januar galt als Reichsgründungstag und war damit fortan nationaler Feiertag. Das Datum war von Otto von Bismarck, dem preußischen Ministerpräsidenten, mit Bedacht gewählt. In Preußen war der 18. Januar bereits Feiertag. 170 Jahre zuvor, also am 18. Januar 1701, hatte sich der brandenburgische Markgraf und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches Friedrich III. in Königsberg selbst als Friedrich I. zum „König in Preußen“ gekrönt. Dieser Tag markierte seitdem den Beginn des Königreichs Preußen. Jahr für Jahr wurde das preußische Ordensfest begangen, nun sollte dieser Tag zudem reichsweit an die Kaiserproklamation, an die Gründung des Deutschen Kaiserreichs und den Beginn einer neuen Epoche erinnern. Nicht nur in Berlin, am kaiserlichen Hofe und im Reichstag wurden patriotische Reden gehalten, sondern auch auf lokaler Ebene fanden Reichsgründungsfeiern statt, zu denen der jeweilige Stadtchef die Honoratioren zu einem Festessen einlud. Zum Zeremoniell des Tages in Schulen, Universitäten und staatlichen Institutionen gehörten nicht nur Gottesdienste, sondern auch Beförderungen und die Verleihung von Orden. In den Festreden wurde die Einheit und Geschlossenheit des Reiches beschworen. Gerade die Universitäten nutzen den Tag als akademischen Festtag – der 2. September, der Sedantag, schied als geeigneter Gedenktag aus, da Anfang September noch Semesterferien waren.


Abbildung 3 Proklamation des Deutschen Kaisers im Spiegelsaal des Schlosses Versailles, 18. Januar 1871; Gemälde von Anton von Werner.

Die Presse berichtete regelmäßig und ausführlich zum Reichsgründungstag, erst recht bei einem Jubiläum, etwa der Feier des 25. Jahrestages im Januar 1896:7

Des deutschen Reiches Mission

Aller Deutschen Sinn und Gedanken richten sich heute nach jenem Spiegelsaale im Versailler Königsschlosse hin, wo vor einem Viertel-jahrhundert die Wiederherstellung der deutschen Kaiserwürde durch den damaligen norddeutschen Bundeskanzler, Graf Otto v. Bismarck, vor den deutschen Fürsten, der Abordnung des norddeutschen Reichstages und den Vertretern des siegreichen Heeres dem jubelnden deutschen Volke und der erstaunten Welt feierlichst verkündet wurde. Man weiß es aus untrüglicher Zeugen Mund, wie schwer dem bescheidenen Herrscher auf Preußens Throne der Entschluss wurde, die ihm angetragene Kaiserwürde anzunehmen…Der im deutschen Volk niemals erstorbene Wunsch nach einer politischen Einigung aller Stämme zu einem kraftvollen, Achtung gebietenden Gemeinwesen ging endlich seiner Erfüllung entgegen. Der deutsche Einheitsgedanke war endlich in dem Erbkaiser aus dem hohenzollernschen Königshaus genau so, wie das der Erbkaiserpartei im Frankfurter Parlamente vorgeschwebt hatte, herrlich verkörpert. Preußen war nunmehr wirklich in Deutschland aufgegangen und zugleich an die Spitze des neuen Reiches getreten …

Das jetzige Geschlecht, das unter den schirmenden Fittichen des neuen Reiches aufgewachsen ist, das den Jammer der politischen Zerrissenheit Deutschlands nicht mehr mitempfunden hat, vermag sich in die Stimmung gar nicht mehr zurückzuversetzen, von welcher das deutsche Volk vor 25 Jahren erfüllt war, als es nun mit einem Male hieß: „Wir haben einen deutschen Kaiser wieder!“ Aber gerade deshalb ziemt es, in dieser Zeit der Erinnerungen an unvergängliche Ruhmestaten der Heeresleitung und der Staatskunst auch derer zu gedenken, die in selbstlosem Streben für Deutschlands Größe und Freiheit sich verzehrten und verbluteten …

Der erste, entscheidende Spatenstich zu diesem neuen weltgeschichtlichen Bau wurde an jenem unvergesslichen 18. Januar 1871 in Versailles vollzogen, als König Wilhelm die Würde und den Titel „Deutscher Kaiser“ annahm. Damals trat die positive Seite des Kampfes in die Erscheinung. Der Tag von Sedan schloss den Krieg im großen Stile ab; der Tag von Versailles bedeutete den äußerlichen Abschluss der politischen Arbeit im großen weltgeschichtlichen Stile. Der neue „deutsche Kaiser“, den das Volksheer durch seine unvergleichlichen kriegerischen Erfolge aus der Feuertaufe gehoben hatte, sollte indessen nichts weniger als ein neues, der alten Kette hinzugefügtes Glied sein …

Das deutsche Kaisertum findet in den nunmehr zusammen geschlossenen deutschen Gebieten sein fest umgrenztes Gebiet, über welches hinaus zu greifen nicht in seiner Absicht liegt. Deutschland gehört, wie sein erster Kanzler zu sagen pflegte, zu den „saturierten“ Staaten…Das neue deutsche Reich hat, was es an Ländermassen zu seinem staatlichen Dasein bedarf, und darum ist es ein Reich des Friedens. Ein Vierteljahrhundert hat es mit starker Hand die friedliche Entwicklung der europäischen Völkerfamilie beschützt, ja gewährleistet. An diesem gewaltigen deutschen Machtfaktor sind bisher noch alle kriegerischen Gelüste zerschellt. Man kann mit einer gewissen Sicherheit den Satz aussprechen, dass mit der Neubegründung des deutschen Reiches die Ära der großen nationalen Kriege auf absehbare Zeiten geschlossen sein dürfte …

So ist die Schöpfung des deutschen Nationalstaates nicht bloß ein ungemeiner Segen für das deutsche Volk, sondern auch eine Quelle des Heils, eine Gewähr der friedlichen Entwicklung für Europa, für die Welt geworden … Es ist allerdings im höchsten Maße kennzeichnend und vorbildlich zugleich, dass der Festtag zur Erinnerung an die Wiederaufrichtung der deutschen Kaiserwürde durch die Vollendung des Entwurfes für das Bürgerliche Gesetzbuch eingeleitet wird. Das Reich, das den Frieden nach außen hin wahrt, soll im Inneren das Recht des Bürgers sichern. Ein Recht soll fortan in deutschen Landen gelten. Auch dieser Wunsch des deutschen Volkes nach einem einheitlichen Rechte, er soll ihm endlich erfüllt werden, und wie die erhabene Gestalt Kaiser Wilhelms I. fortlebt für alle Zeiten als des Neubegründers des deutschen Reiches, so wird sich an die Regierung seines Enkels die nicht minder glorreiche Tat der Einführung eines einheitlichen deutschen bürgerlichen Rechtes knüpfen.8

Paraden in Berlin und Festveranstaltungen in ganz Deutschland würdigten die Reichseinigung von 1871. In Preußen war der 18. Januar seit Jahrzehnten „besetzt“ als „Krönungstag von Königsberg“, daher wäre auch ein anderer Tag als „neutraler“ und im ganzen Reich akzeptierter Feiertag in Frage gekommen: etwa der 10. Mai, der Tag, an dem 1871 in Frankfurt offiziell der Friedensvertrag mit Frankreich unterzeichnet worden war.

Da der Weimarer Republik ein Nationalfeiertag fehlte, wurde auch nach dem Ende der Monarchie der 18. Januar gefeiert, insbesondere 1921, als Reichspräsident Friedrich Ebert des Reichsgründungstages vor 50 Jahren gedachte. Insbesondere die Studentenschaft hielt an dem traditionsreichen Tag fest. So hieß es in den „Mitteilungen des Verbandes der deutschen Hochschulen“ für das Jahr 1923:9

Der III. Hochschultag spricht die Erwartung aus, dass nach wie vor alle deutschen Hochschulen den 18. Januar, den Tag der Reichsgründung, als einen Tag vaterländischen Gedenkens und geistiger Erhebung festhalten, um dadurch zugleich der Einheitlichkeit der deutschen Hochschulen Ausdruck zu geben.

Auch führten einige Professoren in den 1920er Jahren den Brauch weiter, anlässlich des Reichsgründungstages eine Rede zu halten. So sagte Eduard Schwartz, Professor für klassische Philologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München, in seiner Ansprache zum Reichsgründungstag 1925:10

Solange das Reich noch stand, ist der Tag seiner Gründung nur selten, bei besonderen Gelegenheiten, gefeiert; der monarchische Sinn der Deutschen zog es vor, die Geburtstage seiner Kaiser mit freudigem Hochgefühl zu begehen. Das ist alles vorüber: das Erbe Bismarcks, die Frucht langen Sehnens, Wollens und Ringens, ist nur noch eine sorgenschwere Hoffnung und eine jämmerliche Gegenwart, die zu Festen nicht begeistert. Und doch können wir uns jetzt am wenigsten dazu entschließen, den Gedenktag deutscher Größe in das gemeine Alltagsgetriebe hinabzustoßen, es wäre ein Verrat an der jetzigen Wirklichkeit, die uns geblieben ist, an der Erinnerung. Von jenen ferne gewordenen Zeiten selbst zu reden und zu hören wird freilich vielen schwer fallen und gar den Greisen, über deren Jugend die Sonne des Reiches geleuchtet hat, schließt sich der Mund … Ein anderes ist die Erinnerung an die Jahre, deren gewaltiges Geschehen uns gerade jetzt, alle zusammen und jeden einzeln, von Neuem schüttelt, wo ihre Zahlen zum ersten Male im Rhythmus der Jahrzehnte wieder abrollen und mit gebieterischem Zwange das Gedenken zurückdrängen zu den Tagen, Monaten und Jahren, in denen wir, verlassen und abgesperrt, dem wilden Hasse der uns neidenden und fürchtenden Welt Trotz geboten haben. Dass das deutsche Volk am Ende nicht seinen Feinden, sondern der eigenen Willensschwäche und Uneinigkeit erlegen ist, wird auf lange hinaus wie ein böser Dämon auf seinem Dasein lasten …

Eins aber ist nötig, für das wir selbst verantwortlich sind und das wir nicht mit träumender Hoffnung von einer ungewissen Zukunft ersehnen dürfen: wir müssen wieder ein Volk werden, das sich einen freien und einen wahrhaften Staat schafft, einen Staat, der sich zunächst innerlich, dann aber auch im wirklichen Wortsinn nicht entwaffnen lässt und imstande ist, keine fremde Übermacht in seinen Grenzen zu dulden …

Auch wenn am 18. Januar 1937 das Richtfest für ein neues Dienstgebäude der Reichskanzlei in Berchtesgaden stattfand, spielte der Tag im nationalsozialistischen Feiertagsjahr keine Rolle mehr. Das Kaiserreich existierte nicht mehr, Adolf Hitler verstand sich als „Führer“ eines neuen, des Dritten Reiches, folglich hatte der 18. Januar ausgedient. An seiner Stelle folgte die alljährliche Inszenierung des 30. Januar, der den Beginn einer neuen Epoche markierten sollte.

Hatte bereits im Jahr 1900 die Reichspost mit einer 5-Pfennig-Sonderbriefmarke an die Reichsgründung erinnert (die Unterschrift des Motivs, das die Reichsgründungsgedenkfeier 1896 im Weißen Saal des Berliner Schlosses zeigte, lautete „Ein Reich, ein Volk, ein Gott“), so gab 1971 die Deutsche Bundespost eine 30-Pfennig-Sonderbriefmarke anlässlich des 100. Jahrestags der Reichsgründung heraus; abgebildet waren der Reichsadler mit der Kaiserkrone.


Abbildung 4 Briefmarke 100. Jahrestag Reichsgründung, 1971

Zum selben Anlass erschien eine 5-DM-Gedenkmünze, die auf der Vorderseite das Reichstagsgebäude in Berlin und die Inschrift „Dem deutschen Volke“ zeigte, auf der Rückseite den deutschen Wappenadler. 30 Jahre später, im Januar 2001, brachte die Deutsche Post eine 110-Pfennig-Sonderbriefmarke zum „300. Jahrestag der Gründung des Königreichs Preußens“ heraus; es war eine der letzten Briefmarken, die in „DM-Zeiten“ erschien, ab 2002 galt auch auf Briefmarken die Cent-Angabe.


Abbildung 5 Briefmarke 300. Jahrestag Preußen, 2001

Dass Du nicht vergessest der Geschichte

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