Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 45
ОглавлениеWien, 18. Oktober 1619
Anton hätte am liebsten einen Freudenschrei ausgestoßen, als vor ihm endlich die Tore von Wien auftauchten. Er war viel zu lang fort gewesen und sehnte sich, nachdem er in Frankfurt in so beengten Verhältnissen gelebt hatte, nach seiner geräumigen Kammer und vor allem der Bibliothek.
Außerdem wollte Anton nun unbedingt wissen, wie es Resi in der Zwischenzeit ergangen war. In der Bibliothek hatte sich sicher viel Arbeit angesammelt, und er würde in den nächsten Wochen alle Hände voll zu tun haben. Als Erstes wollte er aber einen ausführlichen Bericht über die Kaiserwahl und die anschließende Krönung verfassen.
Nach der Abreise in Frankfurt waren sie zunächst nach München gereist. Dort hatte Ferdinand II. mit Erzherzog Maximilian von Bayern einen Vertrag geschlossen, der das Kaiserreich vor den böhmischen Angriffen schützen sollte. Maximilian von Bayern sicherte zu, den Kaiser im Krieg gegen die Protestanten aus Böhmen auf eigene Kosten zu unterstützen. Im Gegenzug versprach Ferdinand dem Erzherzog die Kurwürde über die Pfalz. Damit war der Krieg nun wahrlich nicht mehr aufzuhalten. Nach den Meldungen, die in den letzten Tagen aus Böhmen und Ungarn gekommen waren, glaubte Anton daran aber ohnehin nicht mehr.
Der Chronist hoffte nun bloß, dass von Collalto schnell wieder von Wien abkommandiert wurde. Unterwegs hatte der Feldherr ihm mehrfach angedroht, sich persönlich um das Weibsbild aus Ungarn kümmern zu wollen, wenn sie zurück in Wien waren. Anton wusste nur zu gut, dass er Resi nur schwer vor dem Spanier beschützen konnte, sollte der sie tatsächlich für immer zum Schweigen bringen wollen.
Endlich passierte der Zug um Kaiser Ferdinand II. das Tor in die Stadt. Dort wurde der Regent von den Bürgern auf ein Neues mit Hochrufen und lautem Beifall begrüßt. Ferdinand genoss das Ganze sichtlich und ließ sich daher Zeit. Im Schritttempo führte er sein Pferd durch die Gassen auf den Kaiserhof zu.
Auf den ersten Blick hatte sich in Wien nicht viel verändert. Anton sah, dass zumindest im Innern der Stadt die meisten Schäden der Belagerung durch die böhmischen Stände behoben worden waren. Die zerstörten Häuser vor den Mauern der Stadt hatte man abgerissen und durch Wehrbauten ersetzt. Das nächste Mal würde Wien besser gegen einen Angriff gerüstet sein. Anton betete darum, dass dieser Tag niemals kommen würde.
Die letzten Meter ihrer Reise kamen Anton endlos vor. Er wollte jetzt so schnell wie möglich vom Pferd herunter und in die Bibliothek. Der Platz vor dem Kaiserhof war allerdings so voller Menschen, dass niemand in das Gebäude hineinkam. Die Bediensteten feierten ihren Herrn und der ließ es sich nicht nehmen, langsam an der Reihe der Menschen vorbeizureiten und deren Huldigungen anzunehmen. Dabei hatte er für jeden ein freundliches Wort übrig und dankte seinen Untertanen für die Treue.
Dann kam endlich der Moment, an dem Anton sein Pferd an den Stallknecht abgeben konnte. Nun hielt ihn nichts mehr. Er stürmte in den Palast und rannte die Treppe nach oben. Weil er dabei immer mindestens zwei Stufen auf einmal nahm, wäre er fast gestürzt. Voller Freude riss er die Tür zur Bibliothek auf.
»Ich bin wieder zurück!«
Anton blieb überrascht stehen. Er hatte Resi bereits bei den anderen Bediensteten vor dem Kaiserhof erwartet und war enttäuscht gewesen, sie dort nicht vorzufinden. Spätestens jetzt hätte sie sich ihm aber zeigen müssen. Sicherlich freute sie sich genauso über seine Rückkehr wie er selbst. In der Bibliothek war allerdings keine Menschenseele. Nicht einmal eine Kerze brannte.
War Resi am Ende doch etwas zugestoßen? Hatte von Collalto seine Drohung bereits wahrgemacht?
Voller Sorge ging Anton zu Resis Kammer. Auch dort fand er die junge Ungarin nicht. Ihre Sachen waren noch da. Sie konnte also zumindest nicht abgereist sein. Wo aber steckte sie?
Anton lief mit einem unguten Gefühl hinunter zur Küche, wo die Vorbereitungen für das kaiserliche Willkommensmahl in vollem Gange waren.
»Hat jemand Resi gesehen?«
»Heute Morgen war sie noch da«, antwortete eine der Mägde.
»Jetzt ist sie aber verschwunden«, entgegnete Anton schroff.
»Sicher ist sie in der Stadt. Das kommt häufiger vor.«
Beruhigt war Anton nach der Auskunft, die er erhalten hatte, nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, welchen Grund sie haben könnte, den Kaiserhof am Tag seiner Rückkehr zu verlassen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Anton blieb nichts anderes übrig, als sich zurück zum Kaiser zu begeben. Ferdinand hatte ihm gesagt, dass er vor dem Mahl noch die wichtigsten Schreiben durchgehen wolle. Als erster Schreiber musste er dabei anwesend sein, um sich mögliche Antworten diktieren zu lassen. Er konnte jetzt nicht weiter nach Resi suchen.
***
»Wo hast du denn gesteckt?«, rief Anton erleichtert und lief auf Resi zu, die ihm entgegenkam und ihm um den Hals fiel. »Ich habe dich überall im Kaiserhof gesucht!«
In den letzten Stunden war es ihm sehr schwer gefallen, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Nachdem die wichtigsten Schreiben beantwortet waren, hatte der Kaiser darauf bestanden, dass Anton gemeinsam mit ihm in den Festsaal ging, wo bereits alles zum Mahl gerichtet war. Der Schreiber hatte sich erst zurückziehen dürfen, als der letzte der vier Gänge abgetragen worden war. Daraufhin war er sofort wieder in die Bibliothek geeilt.
»Ich war bei deinen Eltern«, erklärte sich die junge Frau.
»Wieso? Was ist mit ihnen?«
»Dein Vater ist krank.«
»Warum? Was ist los?« Anton trat der Schweiß auf die Stirn. Hatte er sich gerade noch gefreut, dass mit der Ungarin alles in Ordnung war, brachen jetzt die Sorgen über seine Eltern über ihn herein.
»Es geht ihm bereits etwas besser«, sagte Resi zu Antons Beruhigung. »Er hatte lediglich starken Husten und Fieber. Der Hofarzt war bei ihm und hat ihm eine Arznei dagelassen.«
»Ich muss sofort zu ihm!«
»Warte bis morgen. Er wird jetzt schlafen. Deiner Mutter geht es gut. Sie pflegt ihn.«
Natürlich tut sie das. Am liebsten wäre Anton sofort aufgebrochen. Er sah aber ein, dass seine Gehilfin recht hatte. »Danke, dass du die beiden unterstützt hast.«
»Das mache ich gerne. Nun erzähl aber, wie es dir in den letzten Wochen ergangen ist!«
Anton berichtete Resi in aller Kürze von der Reise nach Frankfurt, der Kaiserwahl mit der anschließenden Krönung und den Verhandlungen in München. Im Gegenzug erfuhr er von der Ungarin, dass sich das Volk in Österreich für einen Krieg wappnete. So groß die Freude über den neugekrönten Kaiser war, die Angst war ein unsichtbarer Begleiter der Bürger in Wien. Sie alle hatten den Schrecken der feindlichen Belagerung noch in den Knochen.
Während Resi sprach, merkte Anton immer mehr, wie sehr er die Ungarin vermisst hatte. Es musste eine Möglichkeit geben, wie er die junge Frau vor von Collalto schützen konnte. Immer auf sie aufpassen konnte er nicht, und der Spanier würde sich sicher nicht davon abhalten lassen, in die Bibliothek einzudringen.
Das ist die Lösung. Plötzlich fiel Anton ein, wie er einen großen Teil seiner Sorge mit einem Schlag wegwischen konnte. Er drückte Resi fest an sich und lächelte sie dann an.
»Was hast du auf einmal?«, fragte sie irritiert.
»Ich möchte, dass du meine Frau wirst.«
»Bist du jetzt völlig übergeschnappt?« Resi wich ein Stück von Anton zurück und sah ihn entsetzt an.
Etwas mehr Freude hätte ich schon erwartet.
»Das kann unmöglich dein Ernst sein!«
»Warum nicht?«
»Weil du mich nicht heiraten kannst.«
»Wer sagt das?«
»Vermutlich jeder, den du fragst. Wenn du deine Anstellung im Kaiserhof nicht gefährden willst, musst du dir ein standesgemäßes Eheweib suchen. Ich bin eine einfache Magd aus Ungarn und noch dazu protestantisch!«
»Letzteres kann man ja ändern …« Die überzeugte Art, wie Resi seinen Antrag abgelehnt hatte, verletzte Anton. Vor einigen Monaten war sie mit Nichts nach Wien gekommen. Der Schreiber hatte erwartet, dass sie nun überglücklich auf sein Angebot reagieren würde.
»Dennoch bleibe ich ein Mädchen aus einfacher Herkunft. Deine Eltern würden einer Heirat niemals zustimmen!«
Das könnte in der Tat ein Problem werden. Trotz seines wachsenden Ärgers wusste Anton selbst, wie recht Resi mit ihren Einwänden hatte. Dennoch, von Collalto würde es nicht wagen, etwas gegen sein Eheweib zu unternehmen. Selbst der Spanier wusste, dass er damit zu viel Staub aufwirbeln würde.
»Gefällt es dir nicht in Wien?«
»Doch, Anton. Das ist aber nicht die Frage.«
»Also willst du mich nicht«, stellte Anton fest und konnte dabei einen verbitterten Klang in seiner Stimme nicht verhindern.
»Darum geht es doch gar nicht. Wie kommst du überhaupt so plötzlich auf diese Idee? Wir haben uns seit Wochen nicht gesehen!«
Resi schaute Anton aus feuchten Augen an. Der spürte jetzt erst, wie verängstigt und überfordert die junge Frau war.
»In dieser Zeit ist mir klargeworden, wie viel du mir bedeutest.« Das ist noch nicht einmal gelogen!
»Ich bin auch froh, dass du wieder hier bist. Trotzdem kann ich nicht dein Weib werden!«
»Kannst du nicht, oder willst du nicht?« Anton sah der Ungarin direkt in die Augen. Je länger er darüber nachdachte, sie zum Weib zu nehmen, umso sicherer wurde er.
»Gibst du mir etwas Zeit, darüber nachzudenken?«
»Natürlich tue ich das.«
Resi war anzusehen, wie durcheinander sie nach Antons überraschendem Antrag war. Es fiel ihr schwer, ruhig stehen zu bleiben, und ihr Gesicht war deutlich röter als sonst.
»Was liegt denn morgen an?«, wechselte die Ungarin das Thema.
»Ich will meine Eltern besuchen. Wenn du möchtest, kannst du mich begleiten.«
»Ich bleibe lieber hier …«
Anton nickte nur. Er wollte Resi nicht weiter bedrängen. Für heute hatte er ihr genug zugesetzt. Weil er müde von der Reise war und auch die ersten Stunden in Wien anstrengend für Anton gewesen waren, entschloss er sich, früh schlafen zu gehen. Resi wollte noch ein bisschen in der Bibliothek bleiben und ein paar Schriften sortieren.
***
Am nächsten Morgen sah Anton Resi nur kurz. Dabei hatte er das Gefühl, dass sie ihm bewusst aus dem Weg ging. Der Kaiser hatte seinem Schreiber für den Tag frei gegeben. Einem Besuch bei seinen Eltern stand also nichts mehr im Wege.
»Da bist du ja endlich!«, wurde Anton von seiner Mutter begrüßt. Sie hatte die Tür bereits geöffnet, bevor er anklopfen konnte. Natürlich hatten seine Eltern mitbekommen, dass der Kaiser wieder in der Stadt war und den Besuch ihres Sohnes sicherlich sehnlichst erwartet.
»Lass mich doch erst einmal hereinkommen«, sagte Anton lachend, als ihm seine Mutter noch vor der Tür in den Arm fiel.
»Wie war es in Frankfurt? Du musst mir jede Kleinigkeit genau erzählen!«
»Das werde ich. Zunächst aber möchte ich Vater begrüßen. Wie geht es ihm?«
»Er ist sehr krank. Der Husten will nicht besser werden und das Fieber ist auch wieder gestiegen.«
»Resi sagte mir, dass die Medizin des Hofarztes geholfen hat?«
»Das sah gestern auch noch so aus.«
»Kann ich zu ihm?«
»Er schläft jetzt.«
»Trotzdem möchte ich ihn gerne sehen.«
Anton wollte sich von seiner Mutter nicht davon abhalten lassen, sich selbst ein Bild davon zu machen, wie schlecht es seinem Vater wirklich ging. Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer und trat an das Bett seiner Eltern.
Josef Serger sah aus, als wäre er in den letzten drei Monaten um Jahre gealtert. Anton erschrak, als er die eingefallenen Gesichtszüge seines Vaters sah. Seine Augen waren geschlossen, aber der Mund war halb geöffnet. Die unregelmäßigen Atemzüge hörten sich an, als würde jemand im Hintergrund mit einer Kette rasseln.
»Wie lange geht das schon so?«, fragte Anton seine Mutter sorgenvoll.
»Es begann vor etwa zwei Wochen. Ab da ging es Josef jeden Tag ein bisschen schlechter.«
»Hast du ihm heute schon seine Medizin gegeben?«
»Er wollte sie nicht.«
»Was soll das heißen?«, blaffte Anton seine Mutter an, bereute es aber sofort, die Stimme erhoben zu haben, als er in ihr erschrockenes Gesicht blickte. »Entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht anschreien. Trotzdem kann ich nicht verstehen, warum er die Medizin nicht nehmen will.«
»Er sagt, dass sie ihm nicht hilft.«
»Das kann er gar nicht beurteilen. Ich werde hier warten, bis er wach wird. Dann werde ich ihm das Mittel persönlich geben und darauf achten, dass er es auch schluckt!«
Anton holte zwei Stühle ins Schlafzimmer und setzte sich direkt neben das Bett. Seine Mutter nahm neben ihm Platz. Während sie warteten, erzählte Anton von seinen Erlebnissen in Frankfurt.
»Was ist eigentlich mit Resi?«, fragte Johanna Serger, nachdem ihr Sohn seinen Bericht beendet hatte.
»Was soll mit ihr sein? Sie arbeitet für mich.«
»Und sonst ist da nichts?«
Der Blick, den seine Mutter ihm zuwarf, zeigte Anton, dass sie ihn längst durchschaut hatte. Er würde ihr nichts vormachen können.
»Die Kleine war uns eine große Hilfe, während du in Frankfurt warst und wir mögen sie sehr gerne! Du weißt aber, dass wir einer Verbindung zwischen euch beiden nicht zustimmen können.«
»Wie kommst du auf die Idee?«
»Ich kenne dich, mein Junge. Deshalb möchte ich dich warnen. Pass auf, was du tust. Du hast es in kurzer Zeit geschafft, eine sehr gute Anstellung am Kaiserhof zu finden. Die musst du dir sichern. Alles andere ist unwichtig.«
»Das weiß ich.« Anton schluckte eine weitere Bemerkung herunter. Es machte keinen Sinn, jetzt weiter mit seiner Mutter über Resi zu diskutieren, zumal die Ungarin seinen Antrag noch nicht einmal angenommen hatte. Sollte sie ihre Meinung ändern, würde ihm schon etwas einfallen, wie er seine Eltern überzeugen konnte. »Mach dir keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung.«
»Dann ist es ja gut.«
Ein plötzlicher Hustenanfall von Josef Serger lenkte die Aufmerksamkeit der beiden sofort auf den Kranken.
»Hol einen Krug Wasser«, sagte Anton zu seiner Mutter, legte den rechten Arm in den Nacken seines Vaters und half ihm, sich aufzusetzen.
Josef Serger bekam kaum Luft. Als ihm sein Eheweib zu trinken geben wollte, schob er den Krug mit einer müden Bewegung zur Seite.
»Du musst etwas trinken«, sage Anton mit fester Stimme. »Und du wirst deine Medizin nehmen!«
»Das hat keinen Sinn mehr«, antwortete sein Vater krächzend. »Ich werde sterben.«
»Nein, das wirst du nicht!« Anton füllte einen Löffel mit der Medizin und steckte ihn seinem Vater in den Mund. Dem blieb nichts anderes übrig als zu schlucken. Danach nahm er auch den Krug mit Wasser entgegen und trank.
»Morgen wird es dir bessergehen«, sagte Anton, auch wenn er seinen eigenen Worten wenig Glauben schenkte. Seine Mutter sah ihn dankbar an und half ihm dabei, Josef wieder hinzulegen.
»Ich muss jetzt gehen. Morgen komme ich wieder und bringe noch etwas von der Medizin mit!«
Anton verließ das Haus seiner Eltern mit einem sehr unguten Gefühl. Ein Blick in die Augen seines Vaters hatte ihm gereicht, um zu erkennen, wie nahe der Mann dem Tod bereits war. Er konnte nur dafür beten, dass er sich doch noch einmal erholen würde.
Als Anton die Bibliothek leer vorfand, dachte er sich zunächst nichts dabei. Dann sah er den Zettel auf seinem Schreibtisch. Der kann nur von Resi sein. Er nahm das Blatt in die Hand, las und stieß einen Schrei aus. Das kann unmöglich dein Ernst sein! Noch einmal las er die kurze Botschaft, die ihm die Ungarin hinterlassen hatte.
»Ich möchte deiner Zukunft nicht im Weg stehen. Lebe wohl.«