Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 51
ОглавлениеWien, 26. November 1619
»Lange werden wir der Belagerung nicht mehr standhalten können, Eure Majestät«, erklärte Graf von Buquoy mit fester Stimme. »Die Rebellen sind uns zahlenmäßig zu stark überlegen.«
»Ihr müsst die Mauern verteidigen!«, erwiderte der Kaiser energisch. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis weitere Soldaten in Wien ankommen. Spanien hat Hilfe versprochen.«
»Müssten die Männer nicht längst hier sein?«, fragte einer der Berater.
»Sie werden kommen.« Ferdinand warf dem Sprecher einen feindseligen Blick zu. »Und kommt mir jetzt nicht wieder damit, dass wir die Stadt früher hätten verlassen sollen!«
Der kaiserliche Berater war klug genug, jetzt nichts zu erwidern. Anton sah dem Mann an, dass er genau diese Bemerkung auf der Zunge gehabt hatte. Seit Beginn der Belagerung durch Graf von Thurn und Bethlen Gábor hatte er Ferdinand immer geraten, die Stadt zu verlassen. Der hatte jedoch davon nichts hören wollen.
Der Kaiser hatte sich mit seinen Beratern und von Buquoy im Audienzzimmer versammelt, um sich über die neusten Entwicklungen informieren zu lassen. Anton saß auf seinem gewohnten Platz und beobachtete den Feldherrn. Er sah müde aus und seine Kleidung war schmutzig. Der Gestank, der von dem Oberst zu ihm herüberwehte, brannte in Antons Nase.
»Sagt den Männern, dass sie einen erhöhten Sold bekommen, wenn sie die Stadt halten!«, befahl der Kaiser.
Wie willst du die Soldaten bezahlen? Die Kassen sind leer. Ein Blick in die Gesichter der kaiserlichen Berater zeigte Anton, dass sie genauso dachten wie er.
Damit war alles gesagt. Von Buquoy stand auf, verbeugte sich leicht und verließ den Raum. Auch der Kaiser schien an einer weiteren Unterredung mit den Beratern nicht interessiert zu sein und erhob sich von seinem Platz. Wenige Minuten später war Anton alleine. Er packte seine Unterlagen zusammen und machte sich auf den Weg in die Bibliothek. Wenn es seine Zeit zuließ, wollte er später noch seine Mutter besuchen.
Nachdem Anton dem Kaiser vom Tod seines Vaters berichtet hatte, hatte der es sich nicht nehmen lassen, seine Mutter zu sich in den Audienzsaal zu rufen und ihr persönlich sein Beileid auszusprechen. Danach hatte Ferdinand alles in die Wege geleitet, damit Josef Serger ein normales Begräbnis bekam und nicht zu den anderen Toten vor der Stadtmauer gebracht wurde. Dies würde Anton dem Kaiser niemals vergessen.
Johanna Serger war nach dem Begräbnis zurück in ihr Haus gegangen. Dort hatte sie Freunde und Nachbarn, die sich um sie kümmerten. In der kleinen Kammer im Kaiserhof wäre sie die meiste Zeit über alleine gewesen. Anton hätte seine Mutter lieber in seiner Nähe behalten. So lebte er in der ständigen Angst, dass er bald auch ihren Tod zu beklagen hatte.
***
»Wenn du zwei Tage hier liegen bleibst und Ruhe gibst, wird es dir besser gehen«, sagte Anna Winter, nachdem sie Hermann das Bein verbunden hatte, und warf ihm ein freundliches Lächeln zu.
»Ich danke dir.«
Die junge Frau ging zum nächsten Verwundeten, der auf einer Liege lag und sich nicht rührte. Der Soldat war bereits versorgt worden. Ein dicker Verband umwickelte seinen kompletten Brustkorb. Anna hatte Hermann erzählt, dass der Mann von mehreren Holzsplittern getroffen worden war und wohl nicht überleben würde. Er beobachtete die Helferin, wie sie dem Verwundeten mit einem feuchten Tuch den Schweiß von der Stirn tupfte. Es beeindruckte ihn, wie aufopferungsvoll sie die Verwundeten versorgte und für jeden ein freundliches Wort übrig hatte, obwohl sie sich vor Müdigkeit selbst kaum auf den Beinen halten konnte.
Das behelfsmäßige Lazarett im Rathaus quoll über vor Verletzten. Viele würden diesen Raum nicht mehr lebend verlassen. Hermann wusste, dass er selbst spätestens am nächsten Morgen von seinem Rittmeister vom Krankenlager weggeholt werden würde. Sein Bein war unter einem Steinbrocken eingeklemmt gewesen und schmerzte entsetzlich. Da er aber in der Lage war, eine Muskete abzufeuern, würde er sich schnell auf der Stadtmauer wiederfinden, um Wien gegen die Rebellen zu verteidigen. Das käme einem Todesurteil gleich, weil der ehemalige Schmied nicht mehr in der Lage war, sich vor den feindlichen Kugeln in Sicherheit zu bringen. Darauf konnte der Rittmeister aber keine Rücksicht nehmen und würde es auch nicht tun. Es waren einfach zu wenige Soldaten in der Stadt und die Übermacht der Protestanten war erdrückend.
Die anhaltende Belagerung hatte ihre Spuren unter den Soldaten hinterlassen. Viele waren krank und hatten Fieber. Das nasskalte Wetter und das wenige Essen zehrten an den Kräften im Heer. Hinzu kamen die Seuchen.
In den letzten Tagen schien sich die Zahl der Ratten in Wien mindestens verzehnfacht zu haben. Der Kaiser hatte befohlen, riesige Massengräber ausheben zu lassen, damit die Toten nicht weiter im Freien verwesten und Krankheiten über das Heer verbreiteten. Aber es war bereits zu spät. Die Menschen berichteten von Schmerzen in der Wirbelsäule, Blindheit und Beschwerden beim Wasserlassen. Viele hatten Pusteln in den Augen, spien Blut oder waren am ganzen Körper voller Geschwülste.
Hermann vermutete, dass auch das protestantische Heer mit Seuchen und Krankheiten zu kämpfen hatte. Warum sonst konnte der alles entscheidende Angriff bisher ausgeblieben sein? Die vereinten Truppen von Bethlen Gábor und Matthias von Thurn waren so gewaltig, dass sie die Stadt irgendwann einfach überrennen mussten. Noch konnten sich die Kaiserlichen hinter den Mauern Wiens verschanzen. Bald würde von denen aber nicht mehr genug übrig sein, um ihnen Deckung zu bieten.
Hermann lehnte sich zurück und wartete auf das Donnern der Kanonen. In den letzten Tagen waren die Kämpfe in der Abenddämmerung immer am heftigsten gewesen. Heute blieb es jedoch still. Hermann glaubte nicht daran, dass diese Ruhe etwas Gutes zu bedeuten hatte.
***
Noch nie hatte Anton einen Menschen gesehen, der ein derart verwahrlostes Bild abgab, wie der Landsknecht, der an diesem Morgen gemeinsam mit von Buquoy ins Audienzzimmer des Kaisers gekommen war. Seine Hose war voller Löcher und fehlte unter dem rechten Knie ganz. Anton musste schlucken, als er das blutverkrustete und angeschwollene Schienbein des Mannes sah. Seine Weste hatte keine Knöpfe mehr und war voller Dreck.
Der Schreiber war gespannt, was der Soldat zu berichten hatte. Normal war es nicht, dass ein einfacher Landsknecht in das Audienzzimmer des Kaisers vorgelassen wurde. Auch Ferdinand rümpfte leicht die Nase, als er den verwahrlosten Mann näher betrachtete. »Was hast du mir zu berichten?«, fragte er schließlich.
»Es geht um die ungarische Armee, Eure Majestät. Bethlen Gábors Heer rüstet sich zum Aufbruch.«
»Sie wollen die Belagerung abbrechen?« Anton hatte den Kaiser bisher nur selten überrascht erlebt. Jetzt war einer dieser Augenblicke. Ferdinand schaute den Soldaten ungläubig an. »Du musst dich irren.«
»Ich versichere Euch, dass ich die Wahrheit sage, Eure Majestät. Gábor will nach Ungarn zurückkehren. Ich habe es selbst gehört.«
»Ihr wart also im feindlichen Lager?«
»Ja, Eure Majestät«, antwortete jetzt von Buquoy. »Hans Ruprecht hat beim letzten Angriff der Rebellen so getan, als würde er ins feindliche Lager überlaufen.«
»Und das haben die Rebellen geglaubt?«
»Zunächst wurde ich eingesperrt«, berichtete Ruprecht. »Später hat man mich aber zu Gábor persönlich geführt. Er wollte, dass ich ihm Auskunft über die Schwachstellen der Verteidigung gebe.«
»Was du hoffentlich nicht getan hast!«
»Natürlich nicht, Eure Majestät. Ich habe versucht, die Protestanten in eine Falle zu locken. Später hätte ich meinem Oberst genau sagen können, wo der nächste Angriff zu erwarten ist, und wir hätten die Rebellen zurückgeschlagen.«
»Was ist dann passiert?«
»Ein Reiter ist in das Lager gekommen. Ich habe nicht alles verstanden, weil die Männer Ungarisch gesprochen haben. Wie es aussieht, haben die Polen mehrere Tausend Kosaken über die Karpaten nach Oberungarn geschickt. Gábor muss zurück, um sein Land zu verteidigen.«
»Es ist nicht sein Land«, entgegnete der Kaiser mürrisch.
»Er betrachtet es aber als solches«, erklärte von Buquoy.
»Was ist mit den Böhmen?«
»Als ich die Nachricht aus Ungarn gehört habe, bin ich aus dem Lager der Rebellen geflohen, um Euch zu berichten, Eure Majestät. Ich weiß nur, dass das böhmische Heer sehr unter Kälte, Hunger und Seuchen zu leiden hat. Ohne die Ungarn werden sie die Belagerung nicht lange aufrecht halten können.«
»Ich bin dir dankbar für deine Leistung«, sagte Ferdinand und nickte dem Soldaten anerkennend zu. Dann wandte er sich an von Buquoy. »Sorgt dafür, dass er ein Bad, neue Kleidung und eine warme Mahlzeit bekommt. Dann macht ihn zum Rittmeister.«
»Vielen Dank, Eure Majestät«, sagte Ruprecht und verbeugte sich vor dem Kaiser.
Nachdem von Buquoy das Audienzzimmer gemeinsam mit seinem Soldaten verlassen hatte, ging Ferdinand zum Fenster und riss es weit auf. Anton musste sich ein Grinsen verkneifen. Der Gestank, der von dem Mann ausgegangen war, war wahrlich unerträglich gewesen.
Am Abend berichteten die Späher, dass Bethlen Gábor tatsächlich mit seinem Heer abgezogen war. Auch die Böhmen machten sich bereit, Wien zu verlassen. Die Stadt war tatsächlich erneut mit dem Schrecken davongekommen, auch wenn sie dieses Mal beinahe gefallen wäre. Anton war erleichtert. Er hoffte, dass von Thurn nicht so schnell wieder in der Lage sein würde, einen Angriff auf Wien durchzuführen. Im Gegenteil war jetzt für die Kaiserlichen der Zeitpunkt gekommen zurückzuschlagen.