Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 49

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Niederösterreich, 02. November 1619

Es ist so still. Warum höre ich nichts? Was ist passiert? Wo bin ich hier?

In Resis Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie versuchte, die Augen zu öffnen und spürte einen Widerstand an den Lidern. Um sie herum war alles dunkel. Panik stieg in ihr auf. Sie spürte, dass sie auf etwas Weichem lag und es war angenehm warm. Dennoch war irgendetwas falsch. Sie versuchte, sich aufzusetzen. In diesem Moment überkamen sie die Schmerzen.

Die Ungarin war nicht in der Lage, Arme oder Beine zu bewegen. Wenn sie sich rührte, hatte sie sofort das Gefühl, ihr Körper würde mit Nadelstichen übersät. Was war mit ihr geschehen? Resi blieb ruhig liegen und zwang sich zum Nachdenken. Nur langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Sie wusste, dass sie aus Wien geflohen war, um nach Hause zurückzukehren. Dann hatte man sie gefangen genommen.

Plötzlich fiel ihr alles wieder ein. Da waren diese furchtbaren Männer. Sie hatten sie geschlagen und sich an ihrem Körper vergangen. Der Oberst war der Schlimmste von ihnen gewesen. Collalto. Der Mörder ihrer Schwester. Vroni. Sie war tot. Resi wollte weinen, aber sie konnte es nicht. Der ungewöhnliche Druck auf ihren Augen ließ es nicht zu. Resi zwang sich, ihre rechte Hand zu ihrem Gesicht zu führen. Sie spürte eine Art Tuch, das unter ihrer Stirn festgebunden war, und schob es zur Seite.

Jetzt konnte sie etwas sehen. Zumindest schemenhaft. Über ihr war eine Decke. Sie lag also in einem Raum. Vermutlich in einem Bett. Resi rieb sich mit der Hand über das rechte Auge und sah plötzlich nichts mehr. Wie konnte das sein? Mit den Fingern strich sie über die Stirn zum linken Auge. Sofort durchzog ein stechender Schmerz ihren Kopf. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie sich so weit erholt hatte, dass sie einen zweiten Versuch unternehmen konnte, nach ihrem linken Auge zu tasten. Alles, was sie fühlte, war ein Loch. Resi öffnete den Mund und schrie so laut wie noch nie in ihrem Leben.

***

»Um Gottes Willen, Kind. Du musst dich beruhigen!«

Resi kannte die Stimme der Sprecherin nicht. Dennoch reichte die Tatsache, dass sie nicht mehr alleine war, aus, damit sie die Panik niederkämpfen konnte, die sie wie in einem Würgegriff gefangen hielt. Sie nahm die Hand von dem Auge, mit dem sie noch sehen konnte, und schaute die Fremde in der Tracht einer Nonne an.

»Dem Himmel sei Dank, dass du aufgewacht bist! Wir haben schon befürchtet, du würdest dich nie mehr erholen.«

»Wer seid ihr und wo bin ich hier?«

»Nenn mich Agnes. Wir befinden uns in einem Kloster der Benediktinerinnen. Du bist hier in Sicherheit!«

»Kann ich einen Schluck Wasser haben?«

»Natürlich, mein Kind.« Agnes gab einer jungen Schwester, die sich im Hintergrund aufhielt und die Resi bisher nicht bemerkt hatte, ein Zeichen. Sofort kam diese mit einem Krug an das Bett und hielt ihn der Ungarin an die Lippen.

»Trink langsam. Später werden wir dir noch eine warme Suppe bringen.«

»Ich habe keinen Hunger«, entgegnete Resi, der sich alleine beim Gedanken an etwas zu Essen der Magen umdrehte. Es reichte ihr völlig aus, dass sie ihren Durst hatte stillen können. Jetzt wollte sie wissen, wie sie hierhergekommen war. »Was ist passiert?«

»Du musst dich jetzt vor allem ausruhen und wieder zu Kräften kommen«, wich Agnes Resis Frage aus.

»Bitte. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich gefangen genommen wurde und fliehen konnte. Die Männer könnten aber noch in der Nähe sein.« Auch wenn die Ungarin schnell Vertrauen zu der Nonne gefunden hatte, wollte sie ihr doch nicht alles erzählen, was sie mit von Collalto und seinen Soldaten erlebt hatte. Dafür schämte sie sich viel zu sehr. Sie hoffte, dass der Spanier sie für tot hielt und nicht nach ihr suchen würde. Sicher sein konnte sie sich dessen allerdings nicht.

»Sei unbesorgt. Hier bist du sicher. Wir haben dich am Ufer der Donau gefunden. Du warst völlig unterkühlt und hattest schlimme Verletzungen. Es ist ein Wunder, dass du noch am Leben bist.« Die Schwester schaute sie traurig und voller Schmerz an.

Resi versuchte, das Mitleid zu ignorieren. »Was ist mit meinem Auge?«

»Das war leider nicht mehr zu retten. Unsere Heilerin wird dir später alles erklären. Vorher solltest du noch ein bisschen schlafen.«

»Wie lange bin ich schon hier?«

»Auch darüber sprechen wir, wenn du wieder zu Kräften gekommen bist. Fürs Erste ist es genug.«

Der strenge Blick der Nonne machte Resi klar, dass sie von ihr heute nicht mehr viel erfahren würde. Dennoch konnte sie nicht ewig in diesem Bett liegen bleiben. Noch schmerzte zwar ihr ganzer Körper, wenn sie nur versuchte, sich zu bewegen, aber das würde hoffentlich schnell besser werden.

»Wir werden dich jetzt allein lassen. Heute Abend komme ich wieder.«

»Danke«, sagte Resi leise und schloss ihr Auge. Sie spürte, dass sie bei den Schwestern in Sicherheit war und wollte jetzt ihre Gedanken sortieren. Sie fühlte, wie Agnes den Verband wieder unter ihrer Stirn festband und hörte dann, wie die Nonne mit leisen Schritten zum Ausgang ging. Die Tür wurde geschlossen und die Ungarin war wieder allein.

Viel erfahren hatte Resi von Agnes nicht. Ihr war allerdings bewusst, wie knapp sie dem Tode entkommen war. Sie hatte ein Auge verloren und würde wohl nie mehr ein normales Leben führen können. Mit Grauen dachte sie an den spanischen Offizier und dessen Männer, die sie geschlagen, getreten und sich an ihr vergangen hatten. Irgendwann war sie dann ohnmächtig geworden und erst wieder hier in diesem Zimmer erwacht.

Resis Gedanken wanderten zu Anton. Was hatte er mit Vronis Tod zu tun? Hatte er mit von Collalto gemeinsame Sache gemacht? Wenn das stimmte, war er ebenfalls ein Mörder. Von Collalto würde sterben. Die Soldaten, die sie misshandelt hatten, ebenfalls. Und auch Anton.

***

»Geht es dir jetzt besser?«

Überrascht schaute Resi in das Gesicht der Nonne, die plötzlich an ihrem Bett stand und ihr die Augenbinde abnahm, damit die Ungarin sie sehen konnte. Sie hatte nicht gehört, wie die Frau in ihr Zimmer gekommen war.

»Wie lange habe ich geschlafen? Wo ist Agnes?«

»Es ist alles gut. Die Oberin hat mich zu dir geschickt. Ich habe mich um deine Verletzungen gekümmert. Du kannst mich Maria nennen.«

»Dann könnt Ihr mir sagen, was mit meinem Auge passiert ist?«

»Leider konnte ich es nicht mehr retten. Als du hergebracht wurdest, war dein Körper mit blauen Flecken überzogen. Du hattest beide Beine gebrochen und mehrere Schnittverletzungen. Was immer sie mit dir gemacht haben, es muss furchtbar gewesen sein.«

»Das war es. Irgendwann habe ich das Bewusstsein verloren. Ich weiß nicht, was danach geschehen ist.«

»Gott hat eine schützende Hand über dich gehalten.«

»Werde ich wieder richtig laufen können?« Resi hatte Angst vor der Antwort der Nonne. Was sie bisher erfahren hatte, war schlimm genug. Die Frau hatte ihr bestätigt, dass ihr Gesicht entstellt war. Niemand würde ihr jemals wieder Arbeit geben. Sie konnte nicht mehr nach Hause zurück.

»Das müssen wir abwarten. Wir haben die Brüche geschient. Mit etwas Glück und Gottes Hilfe wachsen die Knochen wieder richtig zusammen.«

»Und wenn nicht?«

»Darüber wollen wir jetzt nicht nachdenken. Du musst jetzt etwas essen. Ich habe dir eine warme Suppe mitgebracht.«

»Ich habe keinen Hunger.«

»Versuche wenigstens ein paar Löffel. Du wirst sehen, es wird dir von Tag zu Tag besser gehen!«

»Und was dann? Ich habe kein Zuhause mehr und kann nirgendwohin.«

»Wo kommst du denn her?«

»Ich stamme aus Ungarn.«

»Was machst du dann hier?«

»Ich habe in Wien nach meiner Schwester gesucht. Sie ist tot. Jetzt habe ich niemanden mehr.«

»Mach dir darüber keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass du hier bei uns bleiben kannst. Du würdest uns eine große Freude damit machen. Arbeit gibt es im Kloster genug, und ich kann dir versichern, dass dir hier niemand etwas antun kann.«

Ich glaube nicht, dass ich das will, dachte Resi, wollte Maria aber nicht enttäuschen und antwortete deshalb nicht. Die Nonne hatte ihr wahrscheinlich das Leben gerettet. Sie wollte sie jetzt nicht traurig machen.

»Wie lange bin ich schon hier?«

»Wir haben dich vor über zwei Wochen gefunden.«

Resi war entsetzt. Hatte sie tatsächlich so lange geschlafen? »Ich dachte, es wären vielleicht ein paar Tage gewesen …«

»Du warst mehr tot als lebendig, als du am Ufer der Donau angespült worden bist.« Maria strich Resi zärtlich mit der Hand über die Stirn. »Wir haben für dich gebetet und gehofft, dass du irgendwann aufwachst.«

»Vielleicht wäre es besser, wenn ich nicht überlebt hätte.«

»So etwas darfst du nicht einmal denken! Versündige dich nicht vor dem Herrn. Er hat seine schützende Hand über dich gehalten und dir ein zweites Leben geschenkt. Dieses darfst du nicht wegwerfen. Und jetzt wird gegessen!«

***

In den nächsten Tagen erholte sich Resi langsam weiter von den Verletzungen, die ihr die Spanier beigebracht hatte. Maria kümmerte sich aufopfernd um sie, und auch Agnes schaute jeden Morgen nach ihr. Die Schmerzen in ihrem Körper ließen langsam nach. Lediglich die Beine konnte die Ungarin noch nicht bewegen. Zumindest aber durfte sie sich aufsetzen und konnte ihre Suppe alleine essen.

»Wann darf ich endlich hinaus ins Freie?«, fragte Resi am fünften Tag im Benediktinerinnenkloster, den sie bewusst erlebte.

»Sobald du deine Beine bewegen kannst.«

»Werde ich das jemals?«

»Du musst Geduld haben, mein Kind. Es geht dir doch jeden Tag besser. Lange wird es nicht mehr dauern, bis du das Bett verlassen kannst.«

»Ich liege hier schon viel zu lange!«

»Was willst du denn tun?«

»Ich würde euch gerne bei der Arbeit helfen.«

»Das musst du nicht.«

So dankbar Resi Maria auch war. Sie war es leid, den ganzen Tag in diesem Zimmer zu verbringen. Dass sie das Kloster nicht verlassen konnte, wusste sie selbst. Zumindest jetzt noch nicht. Sie musste aber bald irgendetwas tun. Je länger sie ans Bett gefesselt war, umso stärker wurde der Hass auf die Männer, die Schuld daran waren. Sie hatte ihren nackten Körper gesehen und auch die Narben, die ihr die Spanier mit ihren Messern beigebracht hatten. Die Soldaten hatten die junge Ungarin völlig verunstaltet.

Kein Mann würde sie jemals wieder ansehen. Sicher. Eine Schönheit war sie nie gewesen. Und einem Mann hatte sie, im Vergleich zu Vroni, wenig zu bieten gehabt. Jetzt war aber sicher, dass sie niemals einen Mann bekommen würde. Und damit keine Kinder. Sie war zu einem Scheusal geworden, das niemand mehr würde bei sich haben wollen. Vielleicht sollte Resi irgendwann Marias Angebot doch annehmen und für immer im Kloster bleiben. Vorher aber wollte sie sich rächen. Nur dieser Gedanke ließ sie die Tage überstehen. Die Spanier glaubten sich sicher und gingen von ihrem Tod aus. Der Tag würde kommen, an dem sie die Männer vom Gegenteil überzeugen konnte!

Von Maria wusste Resi, dass der Krieg im Land immer heftiger wurde. Die Kaiserlichen bekämpften ihre Feinde vor den Toren Wiens. Irgendwo dort würde sie auch von Collalto und seine Männer finden. Anton wollte sie sich bis zum Schluss aufheben. Er sollte als Letzter sterben. Er hatte sie verraten und ihr Vertrauen missbraucht. Der Schreiber sollte nie wieder einen hilfesuchenden Menschen derartig hintergehen können.

***

Eine weitere Woche später konnte Resi zum ersten Mal aufstehen. Zwar musste sie von Maria und einer weiteren Schwester gestützt werden, aber sie schaffte es, ein paar Schritte zu gehen. Diese Übungen setzten sie nun jeden Tag fort. Zwar bedeutete das, auch jedes Mal aufs Neue Schmerzen auszuhalten, aber Resi war fest entschlossen, bald wieder alleine zu laufen und schaffte immer ein paar Meter mehr, ohne dass sie von den Helferinnen festgehalten wurde.

Eines Morgens entdeckte sie beim Waschen ihr Spiegelbild in einem Eiszapfen. Ihr Gesicht sah furchtbar aus und war durch die Augenklappe und die Narbe, die von ihrem rechten Mundwinkel bis zum Ohr verlief, völlig entstellt. Hätte Maria sie in diesem Moment nicht gehalten, wäre Resi zusammengebrochen. Nach diesem Tag wurde ihr Hass auf ihre Peiniger noch größer. Ihr Leben hatte nur noch einen Sinn: von Collalto musste sterben.

Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner

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