Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 48

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Prag, 31. Oktober 1619

Noch nie hatte Magdalena die Straßen in Prag so voller Menschen erlebt. Jeder der laufen konnte, war aus seinem Haus gekommen, um die Ankunft des Kurfürsten aus der Pfalz in Prag mitzuerleben. Alle wollten den angehenden böhmischen König und seine Gemahlin Elisabeth sehen. Dabei spielte es bei den Prager Bürgern keine Rolle, welche Konfession sie hatten. Der katholische Teil der Bevölkerung war ebenso neugierig wie der protestantische.

Hinzu kamen Adelige aus dem ganzen Reich, die nach Prag gekommen waren und dort bis zur Krönung von Friedrich V. bleiben würden. Der Krieg, der in weiten Teilen Böhmens erbittert geführt wurde, trat für eine kurze Zeit in den Hintergrund.

Auch Polyxena von Lobkowitz hatte es sich nicht nehmen lassen, diesem Ereignis beizuwohnen und war mit Magdalena zur Steinbrücke gegangen, über die der Tross aus der Kurpfalz zur Prager Burg ziehen würde. Diepold würde den künftigen König gemeinsam mit dem Direktorium der Stadt im Rathaus empfangen.

Laute Schreie und eine zur Begrüßung der Pfälzer abgeschossene Salve verkündeten, dass sich der Tross um Friedrich V. nahe der Stadtmauern befand. Als das Tor geöffnet wurde, stieg der Lärm weiter an, und Magdalena musste sich die Ohren zuhalten. Sie wusste, dass nicht jeder der Prager Bürger mit der Wahl Friedrichs V. einverstanden war. Dies schien im Moment allerdings keine große Rolle zu spielen.

Die böhmischen Soldaten versuchten jetzt eine Gasse zu schaffen, durch die der Kurfürst mit seinem Gefolge ziehen konnte. Der Andrang der Massen war aber einfach zu groß. So dauerte es fast eine Stunde, bis der Tross die Steinbrücke erreichte. Friedrich V. führte den Zug auf seinem Pferd an. Die Menschen jubelten ihm zu und der künftige König winkte lächelnd zurück. Aus der ersten Kutsche hinter dem Kurfürsten schaute eine Frau heraus, die den Massen ebenfalls begeistert zuwinkte. Magdalena vermutete, dass es sich hierbei um Friedrichs Gemahlin Elisabeth handelte.

»Der Kurfürst scheint noch sehr jung zu sein«, sagte Magdalena zu Polyxena, bekam aber keine Antwort, weil ihre Bemerkung in dem Lärm unterging. Friedrich V. konnte kaum älter sein als sie selbst. Auch Elisabeth nicht. Sie entschloss sich, später mit der Gräfin darüber zu sprechen. Auch Diepold hatte sicher Einiges zu berichten, wenn er aus dem Rathaus zurückkehrte.

Wagen um Wagen fuhr an Magdalena vorbei auf die Steinbrücke. Hinzu kamen Dutzende von Reitern. Die Prager Burg konnte unmöglich der gesamten Gefolgschaft des Kurfürsten Platz bieten. Viele von ihnen würden sich auf die Stadt verteilen müssen. Bereits jetzt war es schwer, eine Unterkunft in Prag zu bekommen. Schnell würden nun alle Herbergen bis auf den letzten Platz voll sein. Nach dem Leid, das die Bürger in den letzten Monaten hatten ertragen müssen, würden sie sich jetzt freuen, wenn die vielen Gäste in der Stadt ihre Geldbörsen füllten.

Ein Teil der Bevölkerung folgte dem pfälzischen Tross, nachdem der komplett über die Steinbrücke gezogen war und die böhmischen Soldaten den Weg freigemacht hatten.

»Lass uns gehen«, sagte Polyxena zu Magdalenas Leidwesen. »Wir haben genug gesehen.«

***

Friedrich war glücklich und sein Gefühl, das Richtige zu tun, wuchs mit jedem Meter, den er sich der Prager Burg näherte. Schon auf der Reise in die böhmische Hauptstadt waren er und sein Gefolge überall freudig begrüßt worden. Was den Kurfürsten aber am Ziel seiner Reise erwartet hatte, war unbeschreiblich.

Hüte wurden geschwenkt, Hände in die Höhe gestreckt. Jeder schien den neuen König sehen und ihn grüßen zu wollen. Selbst kleine Kinder, die von ihren Müttern auf dem Arm gehalten wurden, damit sie in der Menge nicht erdrückt wurden, strahlten über das ganze Gesicht.

Das einzige Problem des Kurfürsten der Pfalz war, dass er nicht verstand, was ihm die Menschen in den Straßen zuriefen. Bisher hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, dass er kein Wort Tschechisch sprach. Jetzt begann er zu erahnen, welch große Schwierigkeiten ihm dies noch bescheren würde.

Als sie im Rathaus ankamen, wurde dem Kurfürsten und seinen engsten Vertrauten ein königlicher Empfang bereitet. Friedrich genoss es, derartig vom böhmischen Adel hofiert zu werden, sorgte sich aber gleichzeitig darum, ob die Anstrengungen für seine Gemahlin nicht doch zu groß sein könnten. Immer wieder suchte er Elisabeths Blick, die ihm jedes Mal glücklich aber müde zulächelte.

***

»Du hast mir das Leben gerettet, mein junger Freund. Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, du hättest es nicht getan.«

»Es überrascht mich, solche Worte aus dem Munde eines Mönches zu hören.«

»Ich war bereit, meinem Herrn gegenüberzutreten.«

»Vielleicht wollte er dich noch nicht zu sich holen und es gibt noch eine Aufgabe, die er für dich vorgesehen hat.«

»Womöglich. Im Moment habe ich aber wenig Hoffnung, dass ich diese Zelle noch einmal lebend verlasse.«

So sehr Philipp Bruder Jakob auch verstand, es wunderte ihn, dass der Mönch seinen Lebensmut verloren hatte. Eigentlich hätte er es sein müssen, der Philipp Mut zusprach und nicht umgekehrt. Es hatte eine ganze Woche gedauert, bis der Jesuit in der Lage gewesen war zu sprechen. Am Anfang hatte Philipp ihm in kleinen Schlucken zu trinken gegeben. Als der Mönch dann endlich aus seinem Dämmerzustand erwachte und ein paar Bissen essen konnte, war es ihm von Tag zu Tag besser gegangen.

Philipp war von seinem Mitgefangenen aus seiner eigenen Lethargie herausgerissen worden. Die Aufgabe, sich um den Kranken zu kümmern, hatte seinem eigenen Leben wieder einen Sinn gegeben. Ihn jetzt so sprechen zu hören, tat Philipp in der Seele weh.

»Die Wege des Herrn sind unergründlich«, sagte der Mönch nach einer Weile. »Vielleicht hast du recht.«

»Solange wir leben, gibt es auch Hoffnung.« Philipp erinnerte sich daran, dass er sich vor einigen Wochen selbst den Tod herbeigesehnt hatte, weil er keinen Sinn mehr in seinem Leben gesehen hatte. Bruder Jakob hatte ihm unwissentlich neuen Mut gegeben. Er glaubte noch immer nicht daran, dass seine Widersacher ihn aus dem Kerker entlassen würden. Vielleicht würde es Ferdinand aber doch gelingen, Böhmen zurückzuerobern. Schließlich war er der rechtmäßige König des Reichs.

In den Wochen ihrer gemeinsamen Gefangenschaft hatten die beiden Männer viel Zeit gehabt, sich ihre Lebensgeschichten zu erzählen. So hatte Philipp erfahren, dass Bruder Jakob aus einem kleinen Kloster an der Grenze Österreichs zu Böhmen stammte. Die Jesuiten waren von etwa vierzig Söldnern überfallen worden. Die Männer hatten den Mönchen keine Chance zur Gegenwehr gelassen. Der Abt und die meisten Brüder waren erschlagen worden. Das Kloster wurde verwüstet und niedergebrannt. Lediglich Jakob und sein Bruder Markus hatten überlebt.

Die beiden Jesuiten waren gefoltert worden. Dann hatte man sie in einem Gitterwagen nach Prag gebracht. Unterwegs waren sie von der protestantischen Bevölkerung mit Dreck und Mist beworfen und beschimpft worden. Nach einem Scharmützel war es den böhmischen Soldaten gelungen, eine Gruppe spanischer Söldner gefangen zu nehmen. Beim Verhör in der Prager Burg waren die beiden Mönche schließlich bewusstlos geworden. Bruder Markus war nicht wieder erwacht.

»Es überrascht mich, dass man uns noch immer nicht getrennt hat, sagte der Mönch und runzelte die Stirn.«

»Wie meinst du das?«

»Als man mich zu dir in die Zelle gesteckt hat, war der Kerker voll mit kaiserlichen Soldaten. Jetzt kommt es mir vor, als seien wir die einzigen Gefangenen.«

»Das ist in der Tat verwunderlich.« Bisher hatte Philipp sich über diese Frage keine Gedanken gemacht. Die spanischen Söldner waren freigelassen worden, nachdem sie sich verpflichtet hatten, für das böhmische Heer zu kämpfen. Seitdem war es sehr ruhig im Kerker der Prager Burg.

»Die Protestanten werden sicher einen Grund dafür haben«, sagte Jakob und sah seinen Freund nachdenklich an.

Philipp hatte das Gefühl, dass ihm der Jesuit etwas verschwieg, wollte den Mann aber nicht darauf ansprechen. Wenn er Geheimnisse vor ihm hatte, würde er seine Gründe dafür haben. Dennoch war der Sekretär ein wenig enttäuscht, dass ihm Bruder Jakob nicht sein volles Vertrauen schenkte.

***

»Dieser Kurfürst ist nichts weiter als eine Marionette des Direktoriums«, sagte Diepold von Lobkowitz ärgerlich und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Wie kannst du das wissen?«, entgegnete Polyxena. »Du kennst ihn ja nicht einmal einen Tag.«

»Das Direktorium gaukelt ihm etwas vor und er merkt es noch nicht einmal! Bereits seine Reiseroute durch Böhmen wurde so gelegt, dass sie durch die Gebiete des protestantischen Adels führte. Die Mitglieder des Direktoriums haben ihre Untergebenen dazu angehalten, den pfälzischen Fürsten und seine Gemahlin mit Jubel zu empfangen.«

»Friedrich ist noch sehr jung«, sagte Polyxena. »Er kann in seine Aufgabe hineinwachsen.«

»Wenn ihm die Zeit dazu bleibt«, entgegnete Diepold. »Er ist vielleicht zu jung. Ich traue es ihm nicht zu, unserer Reich in den Frieden zu führen. Von Thurns Macht ist ungebrochen. Er will den Krieg mit den Habsburgern und wird ihn nicht beenden.«

»Auf Dauer können die Protestanten nicht gewinnen!«

»Das sehen sie aber nicht ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Böhmen erneut unter den Armeen beider Lager zu leiden hat! Auch Prag wird davon nicht ausgenommen sein. Wenn der Krieg in die Stadt kommt, wird es viele Tote geben.« Trübsinnig schaute der Adlige in seinen Weinkrug.

»Wenn Ferdinand sein Königreich zurückerobert, wird er ihm den erhofften Frieden bringen!«, prophezeite seine Frau etwas hoffnungsvoller.

»Mag sein, meine Liebe. Bis dahin wird unser Volk aber noch einen sehr hohen Preis bezahlten müssen.«

»Was können wir dagegen tun?«

»Nichts. Wenn wir uns offen gegen Friedrich stellen, werden wir zwischen die Mahlsteine geraten. Wir müssen neutral bleiben und darauf hoffen, dass wir die Zeit überstehen.«

»Du meinst den Krieg?«, hakte Polyxena nach.

»Ja. Bis dahin können wir nur beten und hoffen, dass der katholische Adel in Prag nicht weitere Repressalien zu ertragen hat.«

Magdalena saß mit dem Ehepaar von Lobkowitz beim Abendessen und hörte dem Gespräch der beiden schweigend zu. Sie dachte an Philipp. Wenn Diepold recht behielt, würde ihr Ehemann vom neugewählten König keine große Hilfe zu erwarten haben. Damit löste sich ihre große Hoffnung, die sie in den Kurfürsten der Pfalz gesetzt hatte, in Nichts auf.

Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner

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