Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg Band 1-3: Der Winterkönig / Der tolle Halberstädter / Der Hexenbrenner - Jörg Olbrich - Страница 50
ОглавлениеPrag, 04. November 1619
»Wer von euch ist Philipp Fabricius?«, fragte der Wärter und schaute die beiden Gefangenen sichtlich ungehalten an.
»Ich«, antwortete Philipp leicht zögernd.
»Folge mir!«
Überrascht stand Philipp auf und verließ nach dem Wärter, der am Morgen zu den beiden Gefangenen gekommen war, die Zelle. »Wohin bringt Ihr mich?«
»Das wirst du noch früh genug erfahren.«
»Es wundert mich nur, dass ich nach Monaten der Gefangenschaft plötzlich abgeholt werde.«
Der Wärter hob drohend die Faust und schaute Philipp feindselig an. »Sei still. Von mir wirst du keine Antworten bekommen.«
Das ist ja mal was Neues. Philipp war es gewohnt, dass die Wärter in der Prager Burg nicht mit ihm sprechen wollten. Es ergab wenig Sinn, dem Mann weitere Fragen zu stellen. Wenn er ihn nicht wütend machen wollte, war es besser zu schweigen. Dabei platzte er fast vor Neugierde. Natürlich gab es einen triftigen Grund, warum man ihn an diesem Morgen aus der Zelle abführte. Philipp konnte sich aber absolut nicht vorstellen, welchen.
Aus seiner Zeit als Sekretär der Prager Statthalter kannte Philipp die Gänge, durch die man ihn führte, nur zu gut. Dass man ihn aber in den Raum brachte, in dem früher sein Arbeitsplatz gewesen war, überraschte ihn dann doch. Schaudernd ging er an dem Fenster vorbei, aus dem er vor eineinhalb Jahren gemeinsam mit den Statthaltern Martinitz und Slavata herausgeworfen worden war. Nach diesem Tag hatte sich alles geändert, und Philipps Leben war auf den Kopf gestellt worden. Außer Magdalena war ihm in dieser Zeit nichts Gutes widerfahren. Der ehemalige Sekretär verspürte einen Stich im Herzen, als er an sein Eheweib dachte. Wie war es ihr in den langen Monaten ergangen? Bestand noch Hoffnung, dass sich die beiden jemals wiedersehen würden?
In der böhmischen Hofkanzlei wurde Philipp von einem ihm unbekannten Mann und zwei Landsknechten empfangen. Dem Äußeren nach, stammte der Fremde nicht aus Böhmen. Philipp vermutete daher, dass er es mit einem Mitglied des Hofstands von Friedrich V. zu tun hatte. Die mit goldenen Stickereien verzierte Kleidung aus feinem Samt zeigten ihm, dass er eine wichtige Person war.
»Mein Name ist Richard Schwarzenbeck«, stellte sich der Fremde vor.
»Was wollt Ihr von mir?«, kam Philipp direkt zur Sache. Er ging davon aus, dass dem Mann bekannt war, mit wem er es zu tun hatte. Jetzt wollte er wissen, warum man ihn nach so langer Zeit, in der nichts geschehen war, aus der Zelle geholt hatte.
»Zunächst kann ich Euch beruhigen. Ich habe Euch nicht in böswilliger Absicht zu mir bringen lassen. Ich habe in Frankfurt einen guten Freund von Euch getroffen. Er versicherte mir, dass Ihr unschuldig seid, und ich glaube ihm.«
»Dann werdet Ihr für meine Freilassung sorgen?«, fragte Philipp misstrauisch.
»Ganz so einfach ist es nicht.«
Natürlich nicht. Philipp war klar, dass es sich bei dem guten Freund nur um Anton handeln konnte. Vermutlich hatte er sich in Frankfurt an Schwarzenbeck gewandt, um ihm zu helfen. Was hatte der Schreiber aus Wien für einen Plan ausgeheckt? Wie wollte er seinen Kollegen aus dem Kerker freibekommen?
»Ich möchte Euch einen Handel vorschlagen.«
»Einen Handel?« Philipp schaute sein Gegenüber irritiert an. »Ich besitze nichts, was ich Euch anbieten könnte.« Sein Misstrauen wuchs an. Als die Sprache auf Anton gekommen war, hatte Philipp für einen kurzen Moment Hoffnung geschöpft. Jetzt wurde ihm klar, dass Schwarzenbeck ihm nicht uneigennützig helfen wollte. Er war sehr gespannt, welche Gegenleistung für seine Freiheit von ihm erwartet wurde.
»Es geht um den Jesuiten.«
»Ihr meint Bruder Jakob?«
»Wenn das sein Name ist, ja.«
»Was wollt Ihr von ihm?«
»Er weiß Dinge, die für uns von großem Interesse sind.«
Philipp war überrascht. Er konnte sich nicht vorstellen, was sein Mitgefangener der letzten Wochen mit Schwarzenbeck zu tun haben könnte. Wenn der etwas von dem Mönch wissen wollte, konnte er ihn auch direkt selbst fragen. Als er den Mann darauf hinwies, lachte der nur.
»Glaubt nicht, dass die beiden Jesuiten nicht befragt worden sind, bevor man sie zu Euch in die Zelle steckte. Beide haben geschwiegen.«
»Vielleicht wussten sie die Antworten auf Eure Fragen nicht«, sagte Philipp. »Bruder Markus starb, kurz nachdem er zu mir gebracht wurde. Auch Bruder Jakob würde heute nicht mehr leben, wenn ich ihn nicht versorgt hätte.«
»Das Kloster wurde nicht zufällig überfallen. Der Abt besaß wichtige Dokumente. Unsere Männer haben alles durchsucht, konnten das geheime Archiv des Klosters aber nicht finden.«
»Markus und Jakob waren einfache Mönche. Sicher waren sie nicht in alle Geheimnisse des Klosters eingeweiht!«
»Das ist möglich. Dennoch glaube ich, dass der Jesuit eine höhere Stellung im Kloster hatte, als er Euch gegenüber zugibt.«
»Warum sollte er das tun? Ich bin nicht sein Feind.«
»Einem Jesuiten kann man nicht trauen. Nicht einmal in Eurer Lage.«
»Nehmen wir an, Ihr habt Recht und Jakob weiß, wo sich dieses Archiv befindet. Was habe ich mit der Sache zu tun?«
»Das ist ganz einfach. Findet die Antwort auf meine Fragen heraus und sagt mir, wie ich an die gesuchten Dokumente komme. Im Gegenzug sorge ich für Eure Freilassung.«
»Das ist alles?«
»Ja. Seid Ihr einverstanden?«
In Philipps Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er wollte seinen neu gewonnen Freund nicht hintergehen. Auf der anderen Seite war Schwarzenbecks Angebot sehr verlockend. Wenn Bruder Jakob tatsächlich nicht aufrichtig zu Philipp gewesen war, warum sollte er ihn dann schonen? Andererseits wusste er nicht, ob er wirklich einen Mann verraten konnte, dem er ein paar Wochen zuvor noch das Leben gerettet hatte.
»Ich werde darüber nachdenken.«
***
Gemeinsam mit tausenden von Prager Bürgern und Gästen, die wegen der Krönung des neuen Königs in die Stadt gekommen waren, stand Magdalena auf dem Vorplatz des Veitsdoms. Polyxena gehörte aufgrund ihres Standes gemeinsam mit Diepold zu den Gästen, die der Krönungszeremonie beiwohnen durften. Sie selbst hatte lange überlegt, ob sie im Anwesen der von Lobkowitzes bleiben, oder sich unter das Volk vor dem Veitsdom mischen sollte. Es war das erste Mal seit Philipps Gefangennahme, dass sie alleine in die Stadt ging.
Als sie vor sich die Prager Burg sah, dachte Magdalena an ihren Ehemann, der irgendwo im Kerker des Gebäudes saß und auf seine Freilassung wartete. Nach den Aussagen Diepolds über den Kurfürsten der Pfalz glaubte sie nicht mehr daran, dass der Tag, an dem sie Philipp endlich wieder in die Arme schließen konnte, nähergekommen war.
Nur mit Mühe gelang es ihr, die Tränen zurückzuhalten. Auf keinen Fall wollte sie von einem der anderen Menschen auf dem Platz angesprochen werden und die Frage beantworten müssen, warum sie traurig war, wo es in dieser Stunde doch allen Grund zum Feiern gab.
Aus dem Stimmengewirr um sich herum erkannte Magdalena, dass auch viele Anhänger aus der Kurpfalz auf dem Platz waren. Sie verstand deren Sprache nicht, sah den Menschen aber an, wie freudig sie auf das Erscheinen ihres Königs warteten. Die Meinungen in der Prager Bevölkerung dagegen waren zwiegespalten. Nicht alle waren froh über die Entscheidung, Friedrich V. zum böhmischen König zu wählen. Keiner wagte es aber, sich lautstark gegen den Kurfürsten zu äußern. Auch wenn die Stimmung auf dem Platz sehr friedlich war, standen überall Landsknechte bereit, um sofort eingreifen zu können, wenn es unter der Bevölkerung zu einem Tumult kam.
Endlich kam der Moment, auf den alle Menschen auf dem Platz warteten. Das Tor zum Veitsdom öffnete sich und eine der Stadtwachen verkündete lautstark, dass der König jeden Moment ins Freie treten würde.
Magdalena spürte ein Kribbeln auf ihren Armen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas Ähnliches gesehen. Gespannt starrte sie auf den Dom. Weil sie sehr weit hinten stand, konnte sie nicht sehen, ob jemand aus der Kirche herauskam oder nicht.
Plötzlich entbrannte vor den Toren der Kirche ein regelrechter Jubelsturm. Friedrich V. hatte den Veitsdom also verlassen und zeigte sich seinem Volk.
Die nachfolgenden Stunden erlebte Magdalena wie in einem Wachtraum. Die Menschen feierten ihren König und auch diejenigen, die nicht für den Kurfürsten der Pfalz waren, freuten sich über Fleisch und Brot, das von den Herolden der Stadt im Volk verteilt wurde.
Als sie schließlich zum Haus der von Lobkowitzes zurückkehrte, begann es bereits zu dämmern. Polyxena und Diepold waren noch nicht zurück und würden wohl noch einige Zeit bei den Feierlichkeiten verbringen. Später erfuhr sie von ihrer Gastgeberin, dass die Zeremonie und der anschließende Empfang noch um einiges prächtiger und sicher auch kostspieliger gewesen war, als bei der Krönung Ferdinands zum böhmischen König 2 Jahre zuvor.
***
»Du hättest Elisabeth sehen müssen«, regte sich Polyxena auf. Ihr Gesicht zeigte rote Flecken und ihre sonst tadellos sitzende Kleidung war verrutscht.
»Was ist denn passiert?«, fragte Magdalena überrascht. Sie hatte noch nie erlebt, dass die Gräfin derart außer sich war wie an diesem Tag. Polyxena kam gerade von der Zeremonie zurück, in der Elisabeth zur böhmischen Königin gekrönt worden war. Magdalena war dieses Mal im Haus geblieben. In den letzten drei Tagen war es in Prag zu zahlreichen Streitigkeiten zwischen den katholischen und den evangelischen Bürgern der Stadt gekommen, die unterschiedlich auf ihren neuen König reagierten. Auch Männer aus der Gefolgschaft Friedrichs waren in einige Schlägereien verwickelt gewesen, die inzwischen in den Schänken in Prag zu der Tagesordnung gehörten. Magdalena hatte Angst, ungewollt in eine dieser Auseinandersetzungen hineinzugeraten und deshalb darauf verzichtet, an der Feier anlässlich Elisabeths Krönung teilzunehmen.
»Es ist einer Königin nicht würdig, sich in der Öffentlichkeit so unzüchtig zu zeigen!«, regte sich Polyxena weiter auf. »Schon gar nicht bei ihrer eigenen Krönungszeremonie!«
»Was hat sie den getan?«, fragte Magdalena, die den Grund für Polyxenas Aufregung nicht verstand, erneut.
»Getan hat sie nichts. Sie stand da und hat die Zeremonie lächelnd über sich ergehen lassen.«
»Warum regt Ihr Euch dann so auf?«
»Es war das Kleid!« Polyxenas Gesicht schien noch röter zu werden und die Gräfin musste tief durchatmen. »Reifröcke mögen in England modern sein, sind hier aber völlig fehl am Platz. Das Dekolleté war ein Skandal und passte besser zu einer Dirne, als zu einer Königin!«
»Übertreibt Ihr da nicht ein bisschen?«, fragte Magdalena und musste sich ein Lachen verkneifen. Sie wusste, wie streng ihre Herrin in diesen Dingen war, und konnte sich gut vorstellen, dass sie die kleinste Verfehlung der Königin als Anlass nahm, sich darüber auszulassen.
»Nein. Du musst bedenken, dass Elisabeth kurz vor der Niederkunft ihres vierten Kindes steht!«
»Das ist aber doch erfreulich«, sagte Magdalena.
»Darum geht es nicht. Elisabeth muss lernen, wie sich eine Königin zu verhalten hat! Stell dir vor, sie hat sogar ihren Untertanen die Hand geschüttelt! Ich kenne die Gepflogenheiten am englischen Hof nicht. Von einer Prinzessin kann man aber ja wohl erwarten, dass sie sich an die Sitten ihres Reiches anpasst!«
Wieder musste sich Magdalena ein Lachen verkneifen, das Polyxenas Wut sicherlich auf sie selbst gezogen hätte. Die Gräfin wetterte noch eine Stunde weiter und beruhigte sich erst, als sie ihrem Gemahl, der kurz nach ihr von der Feier im Rathaus zurückkehrte, ihren Unmut über die Königin ausführlich dargelegt hatte.
Später in ihrem Bett dachte Magdalena wie jeden Abend an Philipp. Die großen Hoffnungen, die sie auf den Kurfürsten der Pfalz und seine Gemahlin gesetzt hatte, waren bitter enttäuscht worden. Ihr blieb nichts, als weiter zu beten und zu hoffen, dass ihr Ehemann seinen Mut nicht verlor.
***
»Sie wollen also, dass du mich aushorchst«, sagte Bruder Jakob und sah Philipp mit bitterer Miene an.
»Schwarzenbeck sagte etwas von einem Versteck im Kloster, von dem nur du weißt, wo es ist.«
»Nur deshalb lebe ich noch«, erwiderte der Mönch nickend.
»Wie meinst du das?«
»Wenn ich den Protestanten sage, was sie wissen wollen, werden sie mich umbringen.«
»Du warst fast tot, als man dich zu mir brachte!«
»Das mag sein. Aber glaubst du, sie hätten zugelassen, dass du mir hilfst, wenn sie mich nicht mehr brauchen würden?«
»Du hast nicht einmal mir etwas von dem Versteck erzählt!«
»Es ist besser, wenn du nicht weißt, wo sich die Dokumente befinden.«
»Warum? Was steht in den Schriften?«
»Auch das solltest du besser nicht wissen.«
Philipp sah den Jesuiten skeptisch an. Dass Jakob ihm so wenig Vertrauen schenkte, grämte ihn mehr, als er dem Mönch gegenüber zugeben wollte. Was konnte so wichtig sein, dass er nicht einmal ihn einweihen wollte?
»Vertraue mir, mein junger Freund. Es ist besser, wenn du das Geheimnis meines Klosters nicht kennst. Das Wissen darum würde dir nur den Tod bringen.«
»Oder die Freiheit …«
»Nein, Philipp. Dieser Schwarzenbeck wird dich nicht freilassen. Wenn ich dir sage, was in den Dokumenten steht, werden die Protestanten nicht das Risiko eingehen, dich am Leben zu lassen.«
»Es reicht, wenn ich ihnen sage, wo das Versteck ist.« Philipp sah nicht ein, dass er wegen eines Geheimnisses, das er noch nicht einmal kannte, in diesem Kerker bleiben sollte. Der Jesuit konnte ihm helfen, hier herauszukommen. Nach allem, was er selbst für Jakob getan hatte, wäre es nicht mehr als richtig, wenn er ihm jetzt half? Philipp glaubte ihm jetzt auch nicht mehr, dass er ein einfacher Bruder im Kloster gewesen war. Sicherlich waren nicht alle Mönche über die Geheimnisse darin eingeweiht!
»Wie stehst du zu Ferdinand?«, fragte Philipp plötzlich.
»Ich bin dem Kaiser treu ergeben. Was soll diese Frage jetzt?« In den letzten Wochen hatte der Jesuit Philipp erzählt, was in der Zeit nach seiner Gefangennahme geschehen war. Daher wusste er von der Krönung in Frankfurt und dem sich immer ausweitendem Krieg.
»Der Inhalt der Schriften wird den Habsburgern großen Schaden einbringen, wenn er an die Öffentlichkeit kommt. Die Schriften dürfen den Protestanten auf keinen Fall in die Hände fallen!«, gestand der Mönch mit einem Seufzen.
»Ich habe nie von deinem Kloster gehört. Wenn die Dokumente tatsächlich so wichtig sind, warum bringt Ferdinand sie dann nicht in Sicherheit?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er von ihrer Existenz weiß. Wir haben bisher immer darauf vertraut, dass niemand in einer so kleinen Gemeinschaft nach den Dokumenten suchen würde.«
»Da habt ihr euch ganz offensichtlich geirrt.« Warum konnte er ihm nicht einfach die Wahrheit sagen? Wenn das Geheimnis wirklich so brisant war, würde er es natürlich für sich behalten! Es ärgerte Philipp, dass Jakob ihm einen Verrat am Kaiser zutraute. Den restlichen Tag sprachen die beiden Männer kein Wort mehr miteinander. Schwarzenbeck hatte mit seinem Angebot einen Keil zwischen sie getrieben. Es lag nun an dem Mönch, dafür zu sorgen, dass er nicht tiefer in ihre Freundschaft eindrang.