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6. Die Königserhebung Heinrichs II. 1002
ОглавлениеKaiser Otto III. starb am 23. Januar 1002 in der Burg Paterno, unweit von Rom, am morbus italicus (Fieber, innere Geschwüre), ohne einen Erben zu hinterlassen. Anders als sein Vater Otto II. und sein Großvater Otto I. hatte er keine Gelegenheit, durch die Designation eines Sohnes eine Vorentscheidung für seine Nachfolge zu treffen. Deshalb waren die Großen des Reiches gefordert. Sie mussten aus ihren Reihen einen geeigneten Kandidaten ermitteln. Allerdings gab es keine klaren Regeln oder ein Verfahren für die Herrschaftsnachfolge, denn bis dahin stand immer ein Sohn des Königs als Nachfolger zur Verfügung. Man konnte keiner Norm oder einem Vorbild bei der Erhebung des neuen Königs folgen.
Kaiser Otto III. wollte in Aachen, seinem bevorzugten Aufenthaltsort, beigesetzt werden, und deshalb formierten seine Begleiter in Italien einen Trauerzug, der die Leiche des Kaisers über die Alpen nach Norden begleitete. Die Nachricht von der Rückkehr des toten Königs Otto aus Italien verbreitete sich schnell im Reich. Herzog Heinrich IV. von Bayern, der Urenkel König Heinrichs I., empfing den Leichenzug bei Polling (in der Nähe von Weilheim). Bischof Thietmar von Merseburg berichtet in seiner Chronik, dass Heinrich versucht habe, die hochadeligen Begleiter des Leichenzuges in Einzelgesprächen und durch Zwang dazu zu bewegen, ihn zu ihrem Herren und König zu wählen.
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Thietmar von Merseburg, Chronik, Buch IV., Cap. 50 (Übersetzung in Trillmich, Thietmar, S. 167)
Auch übernahm er die Leiche des Kaisers und die kaiserlichen Insignien mit Ausnahme der Lanze, die Erzbischof Heribert von Köln heimlich an sich gebracht und vorausgesandt hatte. Der Erzbischof wurde vorübergehend in Haft genommen, durfte dann aber unter Hinterlassung seines Bruders als Bürge (d. h., Bischof Heinrich I. von Würzburg wurde in Geiselhaft genommen) weiterziehen und schickte die heilige Lanze bald zurück. Mit Ausnahme von Bischof Siegfried (von Augsburg) war er wie alle, die der Leiche des Kaisers folgten, damals nicht für den Herzog; er suchte das auch gar nicht zu verbergen, sondern erklärte, er werde bereitwillig dem zustimmen, dem der bessere und größere Teil des Volkes sich zuwenden werde (melior et maior populi tocius pars).
Verhandlungen über die Nachfolge von Otto III.
Nach Thietmars Darstellung neigten die Fürsten also dazu, den Nachfolger von Kaiser Otto III. in einer Wahl zu bestimmen. Diese Tendenz muss Herzog Heinrich bekannt gewesen sein und deshalb versuchte er, bei den Fürsten für sich zu werben. Daneben erwies er dem toten Kaiser besondere letzte Ehren. Herzog Heinrich setzte durch, dass die Eingeweide Ottos III. in Augsburg in der Kapelle des heiligen Ulrich bestattet wurden und gab erst danach die Leiche frei. Bis an die Grenze seines Herzogtums begleitete er den Zug. Der Leichnam Ottos III. und seine Begleitung erreichten Ostern 1002 Aachen. Am Ostersonntag wurde er im Dom in der Nähe des Grabes von Karl dem Großen beigesetzt. Zu der Begräbnisfeier hatten sich auch geistliche und weltliche Große des Reiches versammelt, die weiter über die noch offene Nachfolgefrage verhandelten. Eine Mehrheit wollte Herzog Heinrich von Bayern verhindern, denn er sei für das Königsamt aus vielerlei Gründen ungeeignet. Welche Gründe dies waren, verrät der Chronist Thietmar nicht, aber wir kommen auf einige mögliche Vorbehalte noch zu sprechen.
In Aachen zeichnete sich eine breite Unterstützung für Herzog Hermann von Schwaben ab, denn seine Milde gefiel dem größten Teil des hohen Adels. Herzog Hermann wurde allgemein zugetraut, als König das Gemeinwohl sichern zu wollen, also in der Praxis die Herrschaft und Autorität der Herzöge und Grafen nicht zu beschneiden. Allerdings gelang es Herzog Heinrich, den bayerischen Adel hinter sich zu versammeln, was wohl auf seine Politik als Herzog von Bayern in der Nachfolge seines Vaters ab 995 zurückzuführen ist. Heinrichs Politik war durch die Konzentration der gesamten Rechts- und Friedenswahrung wie auch der reform-religiösen Führung in Bayern auf den Herzog als höchste Gewalt gekennzeichnet. Außer von seinen Bayern wurde Heinrich noch von den Grafen von Luxemburg unterstützt, aus deren Familie seine Gattin Kunigunde stammte.
Ekkehard I. von Meißen – ein erfolgloser Thronbewerber
Als ernsthafter Bewerber um die Krone galt außer den Herzögen Heinrich und Hermann auch der Markgraf Ekkehard I. von Meißen, der sich aber nicht durchsetzen konnte, weil er in seinem Stamm auf Widerstand traf. Das bedeutet, dass die Sachsen nicht einmütig für einen Kandidaten standen, was wiederum die Chancen Heinrichs und Hermanns vergrößerten. Markgraf Ekkehard wollte sich allerdings der Entscheidung seiner Stammesgenossen nicht beugen und okkupierte mit einigen Anhängern in der Pfalz Werla die für die Schwestern Kaiser Ottos III. vorgesehenen Plätze an der Tafel und verspeiste deren Mahl. Damit demonstrierte er zwar seinen Anspruch auf den Thron, provozierte aber auch den Zorn der Schwestern und der anderen Gäste. Ekkehard wandte sich einige Tage später nach Westen, um mit der süddeutschen Opposition gegen Herzog Heinrich von Bayern in Kontakt zu treten, und wurde unterwegs vom Hildesheimer Bischof wie ein König empfangen, aber schon am 30. April 1002 in Pöhlde ermordet. Ob der Anschlag seine Ursache in dem provozierenden und beleidigenden Verhalten Ekkehards in Werla hatte oder ob andere Gründe vorlagen, weiß unser Gewährsmann Thietmar nicht zu berichten – und so werden wir das vermutlich niemals erfahren. Erfolgreicher war hingegen der Kandidat Herzog Heinrich von Bayern. Obwohl es noch immer keinen Wahltermin gab, begab er sich nach Mainz, um sich ohne vorherige offizielle Wahlversammlung krönen zu lassen und so vollendete Tatsachen zu schaffen.
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Thietmar von Merseburg, Chronik, Buch V, Cap. 11 (Übersetzung in Trillmich, Thietmar, S. 205)
Heinrich kam „zu Anfang des Monats Juni mit den Großen der Bayern und Ostfranken nach Worms, um dort über den Rhein zu setzen und in Mainz die Königsweihe zu empfangen. Das suchte Herzog Hermann zu verhindern und verschloss ihnen jeden Zugang, wobei ihm der hochgehende Rhein zustatten kam. Herzog Heinrich aber beriet mit den Seinen hierüber, wandte sich dann scheinbar nach Bayern zurück, als glaube er nicht mehr an einen Übergang, und begab sich nach Lorsch (Reichsabtei gegenüber Worms) … Dann zog er schnell auf Mainz und setzte unbehelligt über den Rhein. Hier wurde er am 6. Juni von allen ihm Ergebenen zum König gewählt und von Willigis, dem Erzbischof des dortigen Stuhls, unter Assistenz seiner Suffraganbischöfe nach Empfang der Königssalbung gekrönt, während alle Anwesenden Lobgesänge zu Ehren Gottes anstimmten.“
Bemerkenswerter Weise fand aber keine Thronsetzung in Aachen statt. Dieser Teil der Königserhebung war seit Otto I. ein wichtiger Bestandteil der Gesamthandlung und wurde auch in der Liturgie (so etwa im Mainzer Krönungsordo von 960/62) verlangt. Aber Aachen lag im Herrschaftsbereich des Erzbischofs von Köln, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu den Anhängern Heinrichs zählte. Erzbischof Willigis von Mainz fand aber einen Ersatz, um die Einsetzung oder Einweisung des neuen Königs in die Herrschaft zu symbolisieren. In der Vita des heiligen Bernward von Hildesheim wird berichtet, dass nach der Wahl und vor der Krönung Heinrich die Heilige Lanze und mit ihr regimen et regiam potestatem (Herrschaft und Königsgewalt) empfing. Er wurde also in Mainz mit der Lanze genauso in die Herrschaft eingewiesen wie es bisher durch die Thronsetzung in Aachen geschehen war. Damit war die Nachfolgefrage faktisch zu Gunsten von Herzog Heinrich von Bayern entschieden.
Aufwertung der Salbung
Hier ist eine neue Gewichtung der verschiedenen Elemente erkennbar, die im Zusammenwirken eine Erhebung rechtmäßig machen und dem Herrscher Legitimität verleihen. Und zwar wurde die Salbung gegenüber der Designation beziehungsweise Wahl aufgewertet. Heinrich II. gab der Salbung, die sich bisher eher affirmativ verstehen ließ, einen konstitutiven Rang für ein Königtum, das von Gott hergeleitet war und unter dessen Schutz stand. Heinrich II. vertrat eine Amtsauffassung, die das Königtum in die Tradition des Alten Testaments stellte. Er knüpfte in seinem Herrschaftsverständnis zum einen an Moses an, der dem Volk die Gesetze Gottes überbrachte, und zum anderen an den ersten gesalbten König, Saul, dem Gott selbst mit der Salbung sein Volk (die Israeliten) anvertraut hatte. Der Gesalbte des Herrn war beauftragt, die Geschicke des Volkes zu lenken und es zu leiten. Als König „erbte“ Heinrich gleichsam die Herrschaft Gottes auf der Erde – aber nur als sein beauftragter Stellvertreter. Diese Auffassung setzte sich also 1002 gegen die nur zaghaft ventilierten Vorstellungen, eine Wahlentscheidung zum zentralen Merkmal der Legitimation zu machen, durch.
Heinrich II. wird als König anerkannt
Heinrich II. handelte seit seiner Salbung und Krönung in Mainz als König und als solcher zog er im Juli 1002 nach Merseburg, um von den dort versammelten Sachsen die Anerkennung seiner Königsherrschaft zu erlangen. Herzog Bernhard von Sachsen (973–1011) fragte ihn vor der Versammlung, was er ihnen zugestehen wolle. Darauf habe der König geantwortet, dass er nicht gegen ihren Wunsch und Willen, sondern nur mit ihrer Zustimmung vor ihnen im Königsornat erschienen sei. Er versprach dann, das Recht der Sachsen nicht antasten zu wollen, sondern zeitlebens streng zu beachten und ihre Wünsche so weit wie möglich zu berücksichtigen. Nach dieser Erklärung des Königs ergriff Herzog Bernhard die Heilige Lanze und legte sie Heinrich II. in die Hände, die Sachsen leisteten dem König einen Treueeid und es gab eine Festkrönung. In der älteren Forschung wurde dieser Akt in Merseburg als „Nachwahl“ bezeichnet und als eine Station der „Königserhebung in Etappen“ bewertet. In der aktuellen Forschung wird darin die nachträgliche Anerkennung eines Königs gesehen, der längst sein Amt ausübte. Am 8. September 1002 war der König in Aachen und nahm endlich auf dem Thron Karls des Großen Platz. Dort huldigten ihm die Lothringer und der Erzbischof Heribert von Köln. Herzog Hermann von Schwaben, der noch nach Heinrichs Krönung versuchte, ihn mit militärischer Macht zu schlagen, fand danach keine Unterstützung mehr und ergab sich am 1. Oktober 1002 in Bruchsal. Er bat den König als reuiger Sünder barfüßig um Verzeihung; König Heinrich II. vergab ihm und setzte ihn wieder als Herzog ein.
Was waren die Gründe für Heinrichs Erfolg? Der Herzog von Bayern war davon überzeugt, der einzige wirklich berechtigte Kandidat zu sein, weil er aus dem bayerischen Zweig der Ottonen stammte. Er war der Urenkel von König Heinrich I. und der Enkel von jenem Heinrich, der 929/30 zugunsten von Otto I. von der Thronfolge ausgeschlossen worden war und mit dem Herzogtum Bayern abgefunden wurde. Die familiäre Bindung an die bisherige Königsfamilie war für Heinrich 1002 wohl ausschlaggebend dafür, sich gleichsam für den geborenen Nachfolger Ottos III. zu halten. Die meisten anderen Fürsten sahen aber nicht die zwingende Notwendigkeit, einen engen Verwandten des verstorbenen Kaisers zu erheben, und deshalb musste Heinrich seine Ansprüche direkt und ohne auf eine Wahlversammlung zu vertrauen (er konnte nicht sicher sein, gewählt zu werden) auf andere Weise, durch die sakrale Komponente eben, durchsetzen. Dass Heinrich seinen Anspruch auf den Thron dann tatsächlich verwirklichen konnte, lag an seinem Rückhalt in Bayern und an seinem Bündnis mit Erzbischof Willigis von Mainz (975–1011) und Bischof Burchard von Worms (1000–1025). Erzbischof Willigis sah um 1000 die Dominanz der Mainzer Kirche durch die Rompolitik Ottos III. in Gefahr, der das Erzbistum offensichtlich unter die päpstliche Autorität zwingen und von Rom aus lenken wollte. Burchard von Worms war aus dem Mainzer Domkapitel hervorgegangen und stand auf der Seite des Mainzer Erzbischofs. Es war wohl deshalb kein Zufall, dass Heinrich Anfang Juni 1002 versuchte, bei Worms den Rhein zu überqueren. Heinrich habe nach der Vita des Wormser Bischofs den beiden geistlichen Würdenträgern versprochen, alles zu tun, was sie wollten, wenn sie ihn unterstützen würden, damit er König werden könne. Durch das Bündnis des künftigen Königs mit dem ehrwürdigen Erzbischof Willigis erhielt der Herrschaftsanspruch Heinrichs II. konkrete kirchliche und liturgische Unterstützung. Keiner seiner Konkurrenten hatte eine vergleichbare Unterstützung und Konzeption für die Legitimation einer Königsherrschaft unabhängig von der wie auch immer gestalteten „Wahl“. Schließlich profitierte Heinrich auch davon, dass für eine Wahl, die ja von der Mehrheit der Fürsten darunter Erzbischof Heribert von Köln (auch ein Kontrahent von Willigis) angestrebt wurde, die Formen und Regeln fehlten, so dass die Fürsten keine Handlungsgemeinschaft bildeten.