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8. Gegenkönige im 11. Jahrhundert: Rudolf von Schwaben (1077)und Hermann von Salm (1081)
ОглавлениеHeinrich IV. im Konflikt mit den Sachsen
Die Erhebung von zwei Gegenkönigen gegen den Salier Heinrich IV. durch oppositionelle geistliche und weltliche Fürsten war eine Folge der Konflikte, die um den Charakter der Königsherrschaft im Allgemeinen und die Herrschaftspraxis des Saliers in Sachsen seit Ende der 1060er Jahre geführt wurden. In Sachsen organisierte sich seit Anfang der 1070er Jahre eine Opposition gegen den König, der unter anderem Erzbischof Werner von Magdeburg, Bischof Burchard II. von Halberstadt und Otto von Northeim angehörten. Sie wehrten sich gegen eine Politik des Königs, mit der er versuchte, Sachsen stärker unter seine Kontrolle zu bringen und alte Rechte des Stammes durch neue Gesetze zu ersetzen. Besonderes Misstrauen weckte bei den Sachsen der von Heinrich IV. forcierte Bau von Höhenburgen, die zudem noch mit königlichen Gefolgsleuten aus Südwestdeutschland besetzt wurden. Kritisiert wurden auch die an den Königshof zu leistenden Abgaben wegen der häufigen Königsaufenthalte, denn der Hof musste aus dem Land versorgt werden. Die Gegenwart des Königs wurde zunehmend nicht mehr als eine Auszeichnung, sondern als eine Belastung empfunden. Alles in allem entsprach Heinrichs IV. Politik in den Augen der führenden Sachsen nicht dem Verhalten eines gerechten Königs, sie erschien vielmehr als „Tyrannis“. Heinrich IV. war in ihren Augen kein gerechter Herrscher, sondern Friedensstörer und Gewalttäter, gegen den sie Widerstand leisten mussten. Im Jahr 1073 eröffneten die Sachsen den militärischen Konflikt und Heinrich musste von der Harzburg fliehen. Aber am 9. Juni 1075 gelang den Truppen des Königs ein Sieg über ein Heer aus Sachsen und Thüringern bei Homburg an der Unstrut. Heinrich IV. blieb seiner Linie treu und verweigerte den Gegnern eine milde Behandlung. Die Anführer wurden in Haft gehalten, ihre Lehen und Eigengüter eingezogen. So sah sich der König Mitte der 1070er Jahre im Vorteil, aber die Ursachen der Unzufriedenheit waren nicht beseitigt. Der Widerstandswille der Sachsen war ungebrochen.
Heinrich IV. im Konflikt mit Papst Gregor VII.
Ein weiteres Konfliktfeld für Heinrich IV. entstand durch die Auseinandersetzung mit Papst Gregor VII. um die Investiturfrage, also die Frage, ob der König Geistliche (Bischöfe, Äbte) in ihre Ämter einweisen dürfe (vgl. auch Kapitel III.4). Die Kirchenreformer in Rom hielten diese Praxis für nicht zulässig und wollten die Kirche von Laieneinfluss befreien. Als nun Heinrich IV. entgegen seiner dem Papst gegebenen Absichtserklärungen 1075 in Mailand sowie in Fermo und Spoleto neue Bischöfe einsetzte, reagierte Gregor VII. (1073–1085) mit der Zurückweisung der Maßnahmen. Und als schließlich im Januar 1076 in Rom ein Schreiben des Königs eintraf, in dem der Papst aufgefordert wurde, sein Amt niederzulegen, reagierte Gregor VII., indem er im März 1076 in Form eines feierlichen Gebetes König Heinrich IV. für abgesetzt und exkommuniziert erklärte. Die dem Salier geleisteten Treueeide wurden für ungültig erklärt, niemand sollte Heinrich IV. mehr als König dienen. Das hatte es bis dahin nicht gegeben; der Papst tat in den Augen der Anhänger König Heinrichs IV. nichts anderes, als die Weltordnung schlechthin in Frage zu stellen.
Unterdessen formierte sich die Opposition in Sachsen, die Heinrich IV. 1073 und 1075 niedergeschlagen hatte, erneut. Und auch die süddeutschen Fürsten erklärten sich gegen den König und verbündeten sich mit dem Papst. Die Führer der Opposition und die Legaten des Papstes nahmen Verhandlungen über die Absetzung des Königs auf. Im Herbst 1076 lagen sich der König in Oppenheim und die Opposition in Tribur am Rhein gegenüber. Heinrich konnte verhindern, dass eine Neuwahl des Königs stattfand, weil er dem Papst versprach, gehorsam zu sein, Buße zu leisten und Genugtuung zu geben. Die Fürsten beschlossen aber, zur Neuwahl zu schreiten, wenn Heinrich IV. sich nicht binnen eines Jahres vom Bann lösen könnte. Gleichzeitig luden sie den Papst schon für den Februar 1077 zu Verhandlungen und einer Versammlung nach Augsburg ein, wo er über den Streit zwischen den Fürsten und Heinrich IV. richten sollte. Doch diese Versammlung fand nicht statt, denn nun ergriff Heinrich die Initiative und zog dem Papst, der sich auf den Weg von Rom nach Augsburg gemacht hatte, entgegen. Heinrich IV. und Gregor VII. trafen schließlich bei der Burg Canossa zusammen, in die sich der Papst von Mantua aus geflüchtet hatte, weil in seinem Lager unklare Vorstellungen über die Absichten des Königs herrschten. Gregor schloss einen Angriff des Königs, der von den oberitalienischen Bischöfen unterstützt wurde, nicht aus. Doch Heinrich war entschlossen, ohne die Anwendung von Gewalt den Papst umzustimmen, indem er ihn in seiner Funktion als Priester unter Druck setzte und sich als ein reuiger Sünder präsentierte, dem die Wiederaufnahme in die christliche Gemeinschaft nicht verwehrt werden durfte. Heinrich stand drei Tage barfuß und in einem Büßergewand vor dem Burgtor. Er flehte mit vielen Tränen den Papst um Erbarmen an. Die Beobachter der Situation hatten Mitleid mit dem Büßer und baten den Papst um Gnade für Heinrich. Sie waren über die Haltung Gregors VII. verwundert und einige meinten gar, er handle nicht wie ein strenger Papst, sondern beinahe so grausam wie ein Tyrann. So blieb dem Papst keine andere Wahl, als Heinrich vom Bann zu lösen und in die Gemeinschaft der Christen wieder aufzunehmen. Heinrich konnte somit wieder anerkannt als König agieren und – besonders wichtig – die Treue seiner Fürsten fordern. Er hatte damit auch der Opposition einen wichtigen Handlungsgrund genommen, denn deren Bündnis mit dem Papst hatte für sie allen Wert verloren.
Gegenkönig Rudolf von Schwaben
Doch der weltlichpolitische Widerstand gegen Heinrich im Reich mit dem Schwerpunkt in Sachsen blieb auch nach Canossa groß, was sich nicht zuletzt darin manifestierte, dass die oppositionellen Fürsten trotz der Lösung Heinrichs IV. vom Bann im März 1077 Herzog Rudolf von Schwaben als Gegenkönig wählten. Die Opposition sah in Heinrich IV. nach wie vor einen Tyrannen und keine Integrationsfigur für das Reich mehr. Und es machte für sie offenbar keinen Unterschied, dass Heinrich IV. nun nicht mehr gebannt war und sie ihm wieder Treue und Gehorsam schuldeten. Es war ihr Bestreben, dem Reich einen Herrscher zu geben, mit dem alle einverstanden waren und der sich in seiner Herrschaftspraxis um den Konsens der Sachsen bemühte. Das Königtum sollte auf die Rechtswahrung verpflichtet werden. Weil Heinrich IV. dies hartnäckig verweigerte, sollte er abgelöst werden. So wurde die Wahl von den weltlichen Adeligen gegen den Rat der päpstlichen Legaten unternommen, die allerdings Schwierigkeiten hatten, die Entscheidung des Papstes in Cannossa zu vermitteln. Über die Versammlung, an der keineswegs alle Fürsten und Adeligen des Reiches, sondern nur Abgesandte aus Schwaben und Sachsen, einige Reformbischöfe und zwei Legaten des Papstes teilnahmen, berichten Paul von Bernried in seiner Vita Papst Gregors VII. und der Sachse Bruno in seinem „Buch vom Sachsenkrieg“. Bruno gibt Auskunft über die Frage des Verhältnisses von König und Königswählern. Deutlich wird, dass nur in Form einer freien Wahl die Wahrung der sächsischen Stammesrechte und ein Gehorsamsversprechen des neuen Königs sichergestellt werden konnte.
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Bruno, Buch vom Sachsenkrieg, Cap. 91 (Übersetzung in Schmale, Quellen Heinrich IV, S. 335)
Auch wurde unter Zustimmung aller gebilligt und durch die Autorität des Papstes bestätigt, dass die königliche Gewalt niemandem, wie es bisher Brauch gewesen, als Erbe zufallen sollte; vielmehr solle der Sohn des Königs, auch wenn er noch so würdig sei, eher durch spontane Wahl als durch Sukzession König werden. Wenn der Sohn des Königs aber nicht würdig sei, oder das Volk ihn nicht wolle, so soll es in der Macht des Volkes stehen, den zum König zu machen, den es wolle.
Herzog Rudolf bestätigte diese Auffassung, mit der der Amtscharakter des Königtums betont wurde. Es ist dem Inhaber nur zur Verwaltung übergeben, es ist nicht in seinem Besitz. Die Legitimation für die Übernahme der Herrschaft beruht nicht auf dem Erbprinzip, sondern geht vom Wahlakt der Fürsten aus. Sie entscheiden demnach jedes Mal über den Nachfolger des Königs. Die Eignung, Idoneität, des Kandidaten wurde geprüft und auch der Amtsinhaber musste diese Eignung durch sein Handeln immer wieder unter Beweis stellen.
Dieser Aspekt wurde von den Fürsten schon 1053 angeführt. In dem Jahr erklärten sie sich nämlich nur unter diesem Vorbehalt bereit, den Sohn Heinrichs III. als seinen Nachfolger anzuerkennen. Zusammengenommen kann man aus den Bedingungen, die die Fürsten 1053 und 1076/77 an Thronanwärter und Erhebungsmodalitäten formulierten, erkennen, dass diese Fürsten eine bestimmte Vorstellung von ihrer Aufgabe im Reich hatten und eine bestimmte Vorstellung von dem Verhältnis zwischen Fürsten und Königtum. Sie verstanden sich als Träger des Reiches und hatten die Pflicht, einen ungeeigneten König abzusetzen. Herzog Rudolf bestätigte diese Ansichten und wurde am 26. März 1077 von Erzbischof Siegfried von Mainz geweiht. Er konnte sich jedoch nicht gegen König Heinrich IV. durchsetzen. Sein Handlungsspielraum als Gegenkönig blieb auf Sachsen beschränkt. Sein Ziel war es, seinen Rivalen auf dem Schlachtfeld zu stellen und dort zu besiegen. Im Oktober 1080 gewann er mit seinen Truppen gegen das Aufgebot von König Heinrich eine Schlacht an der Elster. Er wurde jedoch an der rechten Hand verwundet und ist an dieser Wunde gestorben. Weil Rudolf mit der rechten Hand König Heinrich IV. einen Treueeid geleistet hatte, den er mit seiner Erhebung zum Gegenkönig gebrochen hatte, sahen Zeitgenossen darin ein Gottesurteil. Rudolf wurde für die Auflehnung gegen den legitimen, von Gott gewollten König bestraft.
Gegenkönig Hermann von Salm
Sein Nachfolger als Gegenkönig, Graf Hermann von Salm, wurde am 6. August 1081 in Ochsenfurt von einer kleinen Fürstenversammlung (vermutlich nur Sachsen und Schwaben) erhoben und in Goslar am 26. Dezember 1081 von Erzbischof Siegfried von Mainz geweiht. Es ist nicht bekannt, ob auch Hermann auf die Erblichkeit der Königswürde in seiner Familie verzichten musste oder das schon vorausgesetzt wurde. Wenn man aber berücksichtigt, dass König Heinrich IV. im Jahr 1081 seine Königsherrschaft gerade durch die erbliche Würde (hereditaria dignitas) legitimiert sah, dann liegt es nahe, anzunehmen, dass die Wähler Hermanns das Prinzip der freien Wahl als ausschlaggebend für die Königserhebung ansahen und das Erbrecht einer Familie am Königsthron ablehnten. Aber Hermann und seine Wähler mussten nicht mehr gegen Heinrich IV. kämpfen, der es nicht wagte, noch einmal das Kernland des Widerstandes zu betreten. Seit 1085 hatte der König wieder Einfluss in Sachsen, aber er blieb auf Distanz und die Opposition konnte um 1100 zufrieden registrieren, dass sich das salische Königtum ganz aus Sachsen zurückgezogen hatte. Als Hermann 1088 starb, endete mit seinem Königtum höchstens eine Episode in der Reichsgeschichte. Aber es bleibt festzuhalten, dass seine Wahl ohne Rücksicht auf Verwandtschaft mit einer königsfähigen Dynastie erfolgte, das Prinzip von 1077 konsequent weiter entwickelt wurde. Aber weil die Stämme im Verlauf des 12. Jahrhunderts ihren Einfluss auf die Königswahl verloren, konnte das an die sächsische Stammestradition gebundene Wahlprinzip nicht direkt weiter wirken.
Heinrich IV. im Konflikt mit seinen Söhnen
Seit 1084 Kaiser, ließ Heinrich IV. 1087 seinen Sohn Konrad in Aachen zum König krönen. Der wechselte aber 1093 in das Lager der Gegner des Kaisers, nahm Verbindung mit Papst Urban II. auf und ließ sich zum König von Italien krönen. Warum? Am wahrscheinlichsten ist, dass Konrad seine Nachfolge im Reich gefährdet sah, weil die Reformer an der Kurie in Rom die Nachfolgeregelung seines gebannten Vaters nicht anerkennen würden. Die salische Königsidee, die sich in den Generationen seit Konrad II. herausgebildet hatte, nach der die Königsherrschaft in der gottgewollten Erbfolge innerhalb des salischen Hauses weitergegeben werden sollte, verlor an Überzeugungskraft. Das salische Dynastiedenken und die Vorstellung vom Erbrecht als Legitimationsfaktor für die Thronfolge und Behauptung der Herrschaft waren in Gefahr, wenn der Sohn des Herrschers diese Legitimation als nicht ausreichend erachtete. Heinrich IV. ließ 1098 Konrad durch einen Fürstenbeschluss absetzen und an seiner Stelle seinen jüngeren Sohn Heinrich wählen und krönen. Der musste schwören, das Leben und die Sicherheit seines kaiserlichen Vaters nicht zu bedrohen und sich auch nicht in die Regierung einzumischen. Am 6. Januar 1099 wurde er in Aachen zum König Heinrich V. gekrönt. Heinrich V. jedoch stellte sich an die Spitze der letzten Opposition gegen den alten Kaiser, dem aus dem Hochadel die Bevorzugung der Ministerialität vorgeworfen wurde, und nahm ihn 1105 gefangen. Heinrich V. zwang seinen Vater zunächst, ihm die Reichsinsignien zu übergeben und dann Anfang 1106 in Ingelheim, auf den Thron zu verzichten. Am 5. Januar 1106 erhielt Heinrich V. von Erzbischof Ruthard in Mainz die Reichsinsignien und nahm die Huldigung der Adeligen entgegen. Damit hatte er offiziell die Regierung angetreten. Aber Kaiser Heinrich IV. gab nicht auf, konnte aus der Gefangenschaft entkommen und nach Lüttich flüchten. Wenn er noch Pläne hegte, um seinen Thron mit militärischer Gewalt zurückzuerobern, wurden diese durch eine Krankheit verhindert. Heinrich IV. starb am 7. August 1106 in Lüttich.