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I. Einleitung

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Während des Hoch- und Spätmittelalters (911 bis 1486) wurden im deutschen Reich 40 Fürsten und Grafen zu Königen erhoben (siehe Chronologie am Schluss des Buches). Diese Könige waren jedoch nicht alle sofort allgemein anerkannt. Zwar gab es durchaus die reibungslose Übergabe der Königsherrschaft vom Vater auf den Sohn, aber ebenso die Absetzung von Söhnen, die schon Mitkönige waren, durch ihre Väter. Zudem wurden Gegenkönige erhoben, gewählte und geweihte Könige abgesetzt und es fanden Doppelwahlen statt. Der Tod eines Königs bedeutete immer Unsicherheit, in der Zeit der Thronvakanz konnten ehrgeizige Fürsten ihre Ansprüche auf den Thron erheben und die einflussreichen geistlichen Fürsten wie die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, die ja nicht Könige werden konnten, trafen Absprachen und schmiedeten Bündnisse, wollten Stimmen und Zustimmung für „ihren“ Favoriten sichern. Denn das römisch-deutsche Reich entwickelte sich nicht zu einer Erbmonarchie, sondern war (spätestens) seit dem 13. Jahrhundert auch formal ein Wahlreich – die Könige wurden von Adligen und Fürsten erhoben. Die Könige waren jedoch keine Könige „von Deutschland“, sondern trugen seit Beginn des 12. Jahrhunderts regelmäßig den Titel rex Romanorum, römischer König. Die römisch-deutschen Könige verfügten über keinen genau definierbaren Herrschaftsraum und die Schwerpunkte der Königsherrschaft im Reich verschoben sich im Verlauf des Mittelalters mehrmals.

Als rex Romanorum hatte der König die Aufgabe, das „Römische Reich“, das letzte der vier Weltreiche, zu erhalten. Denn er war zudem der künftige Kaiser. Seit der Kaiserkrönung des Franken Karl im Jahr 800 und wieder mit der Kaiserweihe des Sachsen Otto I. 962 war Rom und das Papsttum ein wesentlicher Bezugspunkt für die Könige. Es waren die Päpste, die den römisch-deutschen König zum Kaiser weihten. Einige Päpste haben aus dieser Aufgabe die Ansicht abgeleitet, sie sollten die Wahl des Königs beeinflussen. Zeitweise wurde sogar postuliert, dass nur durch die Bestätigung des Papstes (Approbation) eine Königswahl gültig sei. So haben die Päpste im 13./14. Jahrhundert – zum Teil mit Erfolg – versucht, auf die Erhebung beziehungsweise Wahl des römisch-deutschen Königs Einfluss zu nehmen. Der Rombezug und das Kaisertum haben sowohl die Erhebung der Könige als auch deren Politik stark beeinflusst. Allerdings können im Folgenden die Könige als Kaiser nur insofern behandelt werden, als das Verhältnis von Papsttum und Kaisertum die Erhebungen von Fürsten zu römisch-deutschen Königen betroffen hat.

Reich – ein Wahlreich

Das Reich blieb im Hoch- und Spätmittelalter im Wesentlichen ein Wahlreich, auch wenn bei der Auswahl der Königskandidaten durchaus erbrechtliche Überlegungen eine Rolle spielten. Entscheidend war aber letztlich die Anerkennung des Königs durch die Fürsten des Reiches in Form eines wie auch immer gestalteten Anerkennungs- oder Erhebungsaktes. Bei jeder einzelnen Thronerhebung waren die aktuellen politischen Konstellationen, die Kräfteverhältnisse und der Ehrgeiz der Akteure für den Ausgang einer Thronvakanz ausschlaggebend – so gesehen war jede Erhebung ein singulärer Vorgang. Betrachtet man jedoch die Erhebungen über den langen Zeitraum von 911 bis 1486, dann werden Kontinuitäten und Strukturen dieser Praxis ebenso erkennbar wie Wandlungen und Entwicklungen. Die Erhebungen der römisch-deutschen Könige waren Kettenhandlungen. Dazu gehörte die Nominierung eines Kandidaten, in der Form a) einer Designation durch den Vater (beziehungsweise Vorgänger) oder b) durch Vorabsprachen der Wahlberechtigten. Es folgte eine „Wahl“ (electio) durch den hohen Adel und die Fürsten beziehungsweise durch die zur Wahl berechtigten Personen. Die Form dieser „Wahl“ entwickelte sich im Verlauf der Jahrhunderte von einer allgemeinen Königshuldigung zu einer rechtsförmlichen Stimmabgabe, also einer Kur. Zu einer Königserhebung gehörte auch die Zustimmung zu dieser „Wahl“ durch das bei dem Wahlvorgang anwesende Volk in Form einer Akklamation oder Vulbort. Die Weihe, Krönung und Thronsetzung des gewählten Kandidaten beendeten schließlich den Erhebungsvorgang.

Über die Jahrhunderte entwickelte sich die Wahl als geregelte Stimmabgabe zum entscheidenden Merkmal für die Erhebung eines Königs. Diese Königserhebung durch Wahl unterscheidet das deutsche Reich von den Monarchien in Frankreich und England, wo sich im Wesentlichen das Erbprinzip bei der Herrschaftsweitergabe von einem König auf den anderen durchgesetzt hatte. Die Erhebung von römisch-deutschen Königen durch Wahl hatte spezielle verfassungsrechtliche und politisch-praktische Probleme zur Folge, denn es war nicht immer genau klar, welcher Personenkreis wählen durfte, wie die Wahl durchgeführt werden sollte und nach welchem Prinzip abgestimmt werden sollte. Das Mehrheitsprinzip setzte sich erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts durch und es dauerte bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, bevor endgültig und rechtsverbindlich geklärt war, wer zu dem illustren Kreis der Königswähler gehörte.

Schwerpunkt der Darstellung: die Wahlpraxis

Die folgende Darstellung der Königserhebungen im römisch-deutschen Reich behandelt vor allem offene Nachfolgesituationen. Solche Situationen entstanden, wenn eine Königsdynastie in der männlichen Linie ausgestorben war oder wenn kein Konsens über einen Nachfolger erzielt werden konnte. Dabei kann den aktuellen politischen Hintergründen, die zu diesen Ereignissen führten, nicht ausführlich nachgegangen werden. Das Ziel der Ausführungen ist es vielmehr, anhand der Wahlpraxis die Strukturen der Königserhebungen über die fünfhundert Jahre zu beschreiben und zu analysieren sowie die Veränderungen im Zusammenwirken der zentralen Elemente bei den Erhebungen herauszuarbeiten. Hinter der Untersuchung und Darstellung der Wahlpraxis treten hier die theoretischen Reflexionen, juristischen Diskussionen und intellektuellen Debatten der Zeitgenossen zum Problem der Königserhebungen im Reich zurück. Sie werden nur punktuell einbezogen, weil sie von den jeweiligen Akteuren – Wähler und Gewählte – so gut wie nicht rezipiert wurden. Die politischen Akteure in den jeweiligen Entscheidungssituation werden beobachtet, um daran vorsichtige Überlegungen zur allmählichen Ausbildung von Verfassungsstrukturen anzustellen, die der Historiker vielleicht zu erkennen meint, während die politischen Akteure in ihrer Zeit sie aber kaum bewusst und zielgerichtet entwickelt haben.

Die deutschen Könige im Mittelalter

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