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II. Königserhebungen 911 – 1124: „Wahlen“ in Form von Huldigungen 1. Die Erhebung Konrads I. 911
ОглавлениеIm September 911 starb Ludwig das Kind, der letzte Karolinger im ostfränkischen Reich. Im Alter von sechs Jahren war er seinem Vater, Kaiser Arnolf (887–899), im Jahr 900 auf den Thron nachgefolgt. Bei seinem Tod mit siebzehn oder achtzehn Jahren hinterließ er keinen Nachfolger. Die Großen des ostfränkischen Reiches mussten einen neuen König erheben. Sie verständigten sich auf den Franken Konrad, der als enger Vertrauter der Karolinger galt. Im November 911 wurde er in Forchheim (zwischen Bamberg und Nürnberg) von Abgesandten des Adels der vier großen Stämme – Franken, Sachsen, Schwaben und Bayern – zum König erhoben, also in einer nicht weiter bekannten Weise gewählt. Nach der Wahl wurde Konrad vermutlich von Erzbischof Hatto von Mainz gesalbt. Allerdings ist die Salbung König Konrads nicht eindeutig belegt. Widukind von Corvey, der Hauptzeuge für diese Vorgänge, berichtet in seiner Sachsengeschichte von der Salbung nur beiläufig. Die auf der ostfränkischen Synode (Kirchenversammlung) in Hohenaltenheim 916 Versammelten sprachen von dem König als christus Domini, als „Gesalbten des Herren“, was indessen im übertragenen Sinn gemeint sein könnte und an die alttestamentarische Königsvorstellung anknüpfte. Widukind von Corvey behauptet auch, dass die Franken und Sachsen zuerst den mächtigen sächsischen Herzog Otto den Erlauchten gebeten hätten, sich erheben zu lassen. Der habe jedoch aus Altersgründen abgelehnt. Widukind ist der Meinung, dass schon 911 eigentlich die Sachsen die Nachfolge der Karolinger im Ostreich antreten sollten. Vermutlich behauptet Widukind deshalb, dass Otto trotz seiner Absage weiterhin die höchste Gewalt – summum imperium – ausgeübt habe. Herzog Otto ist im folgenden Jahr (912) gestorben und hinterließ einen Erben, den späteren König Heinrich I.
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Widukind von Corvey geboren um 925 trat Widukind vor 942 in das Benediktinerkloster Corvey an der Weser ein. Dort entstand zwischen 967 und 973 seine Sachsengeschichte, die er Mathilde, der Tochter Kaiser Ottos I. und Äbtissin in Quedlinburg, gewidmet hat. Nach 973 ist Widukind im Kloster gestorben.
Stammesherzöge als Machtfaktoren
Im Zusammenhang mit der Erhebung von Konrad, über deren Ablauf keine genauen Informationen vorliegen, sind die folgenden Aspekte besonders hervorzuheben: Die Ostfranken hatten ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das sie in dieser Situation gemeinsam handeln ließ, und das sie dazu bewogen hatte, eben nicht den noch regierenden Karolinger im Westen (Karl den Einfältigen, 898 – abgedankt 923) einzuladen, dem Kind Ludwig nachzufolgen. In Ostfranken konnten sich die Herzöge dank eines schwachen Königtums um 900 als politische Machtfaktoren etablieren. Sie erhoben gemeinsam einen König aus ihrer Mitte, der das ostfränkische Sonderungsbewusstsein personifizierte. Die Stammesverbände befanden sich in einem Formierungsprozess, der insbesondere in den bedrohten Grenzgebieten des ostfränkischen Reiches (Angriffe der Ungarn) dazu führte, dass sich – wie in Sachsen und in Bayern – im Wettkampf um die Führung des Stammes Familien durchsetzten, die sich durch die Organisation des Grenzkampfes bewährt hatten. Weil diesen Familien deshalb von den anderen Familien Kraft und Autorität zur Führung zugebilligt wurden, konnten sie sich schließlich an die Spitze der Stammesverbände setzen. Die Familie, sie sich in Sachsen durchgesetzt hatte, war nun eben die Familie Ottos des Erlauchten, die Liudolfinger. Im Reich hatte diese Konstellation wesentliche strukturelle Folgen, denn die Stammesherzöge waren nicht nur die wichtigsten Königsmacher, sondern auch tendenziell die Gegenspieler der Könige, wenn diese versuchten, die Stammesherzogtümer enger in das Reich, also in ihre Herrschaft zu integrieren und die Herzöge auf das Königtum zu verpflichten. Doch diese Entwicklung konnte am Beginn des 10. Jahrhunderts keiner der Akteure vorhersehen.