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10. Ende des Reisens?

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„Otto Normalverbraucher“ reiste einst (wenn auch selten) selbst in dunkelsten Zeiten. Die Nazis hatten eine eigene Tourismusorganisation: „KdF“ („Kraft durch Freude!“). Der Urlaub der „Volksgenossen“ sollte reguliert und überwacht werden. Bei Kriegsbeginn 1939 musste man das allerdings reduzieren.

„Private“ Reisen gab es dennoch. Menschen reisten mit vollgestopften Pappkoffern, Leiterwagen, trugen lange Mäntel und verzichteten niemals auf ihre Schlapphüte oder Kopftücher. Zur Bahnfahrt berechtigten diejenigen, die es sich leisten konnten, kleine Pappkärtchen, auf denen Ausgang und Ziel der Reise vermerkt waren. Diese „Fahrkarten“ konnten am „Schalter“ der Bahn erworben werden, und ein Schaffner im Zug knipste sie ab.

Ziel der Fahrt waren oft einsame und kleine Bahnhöfe, von denen aus es zu Familienangehörigen ging. Manchmal marschierten die Reisenden endlose Alleen entlang. Rechts und links davon waren Felder, die abgegrenzt waren durch Straßengräben. Irgendwann tauchte am Horizont schließlich ein kleiner Ort auf: ein Dorf oder gar ein Städtchen. Im Winter lagen die Häuschen im Schnee; im Sommer flatterte Federvieh über den Anger. Die Alten beäugten die angekommenen Fremden misstrauisch.

Die Besucher schliefen meistens bei ihren Verwandten (wo denn sonst?). Unter den Gästebetten standen Nachttöpfe oder Schüsseln, und wer größeres verrichten wollte, musste im Nachthemd über einen Hof gehen und das „Plumpsklo“ aufsuchen. Das war eine Bretterbude, in der ein Querbalken angebracht war, in dessen Mitte sich ein großes Loch befand. Die Holztür vor diesem „Donnerbalken“ war mit einem neckisch eingeschnitzten Herz verziert.

Im „Gästezimmer“ gab es kein Radio, kein TV, kein Telefon, keine Dusche, kein Safe – nichts dergleichen. Stattdessen stand auf einem Schränkchen eine weiße Emaille-Schüssel mit dunkelblauem Rand und daneben eine ebensolche Kanne, die mit Wasser gefüllt war. Hier konnte der Gast seine Morgentoilette verrichten, und wenn er Glück hatte, waren auch Handtuch, Seife und ein Spiegel da.

Angereist kamen die Besucher meist aus größeren Städten, und nach drei Tagen reisten sie wieder ab, denn: „Besuch und Fisch fängt vom dritten Tag an zu stinken.“ Für die Abreise war wichtig, den Fahrplan der Bahn zu kennen und die Umsteigebahnhöfe im Kopf zu haben.

So reisten Menschen vor Erfindung des modernen Tourismus. Das war der industrielle Massentourismus, dem Corona ein jähes Ende setzte.

Ist das Reisen damit am Ende?

Die Gründe zu reisen sind vielfältig. Es wird wiederkommen. Aber wer weiß, in welcher Form?

Wie immer: „Der Vorhang geht zu und alle Fragen bleiben offen.“

Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus

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