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3. Literarische Zeitschriften

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Der Ruf

In der Presselandschaft der Nachkriegszeit spielte die Zeitschrift Der Ruf eine wichtige Rolle als Sammelbecken für die junge kritische Intelligenz. Entstanden war der Ruf im März 1945 in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager. Zu seinen Redakteuren gehörten Gustav René Hocke, Alfred Andersch und Hans Werner Richter. Der Ruf strebte eine Verbindung sozialistischer und demokratischer Ideale an. Seit August 1946 erschien die Zeitschrift in Deutschland und erreichte bis zu 120. 000 Leser. Der Ruf bezog auch gegenüber der amerikanischen Besatzungsmacht eine kritische Position und wurde am 17. 4. 1947 verboten. Richter verfolgte darauf den Plan, eine neue Zeitschrift mit dem Namen Skorpion zu veröffentlichen. Am 10. 9. 1947 lasen sich die Beiträger der Probenummer im Hause der Dichterin Ilse Schneider-Lengyel ihre Manuskripte vor. Mit dieser Zusammenkunft war die Gruppe 47 geboren. Vor dem Transfer des Ruf aus den USA nach Deutschland war dort bereits 1945 eine ganze Reihe von Zeitschriften gegründet worden.

Erste Zeitschriftenlizenzen 1945

Die erste Lizenz erhielt der Aufbau, der unter der Herausgeberschaft des Kulturbundes ein Instrument der SMAD war. Zu seinen ständigen Mitarbeitern gehörten in der Anfangsphase Heinrich Mann, Friedrich Wolf, Anna Seghers, Max Bense, Victor Klemperer und Günther Weisenborn. Ab 1950 geht die demokratische Offenheit rasch verloren, der Aufbau wird unter der Leitung von Bodo Uhse zu einer orthodox-marxistischen Zeitschrift. Auf dem Terrain der amerikanischen Besatzungszone erschien ab November 1945 die Monatsschrift Die Wandlung mit dem Philosophen Karl Jaspers, dem Romanisten Werner Krauss und den Sozialwissenschaftlern Alfred Weber und Dolf Sternberger als renommierten Redakteuren. In ihr wurde ab November 1945 die berühmte Artikelserie über die Korruption der deutschen Sprache in der NS-Zeit: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen abgedruckt. Weihnachten 1945 erschien die erste französisch lizenzierte Zeitschrift mit dem Titel Die Gegenwart. Sie versuchte an den weltoffenen liberalen Journalismus der früheren Frankfurter Zeitung anzuknüpfen, mit deren Redaktion sie in den Personen von Benno Reifenberg und Bernhard Guttmann auch direkt verbunden war. Die Gegenwart widmete sich mit kritischem Engagement der Frage nach der Rolle der Universitäten im Dritten Reich. Ebenfalls im Dezember 1945 hatte die satirische Zeitschrift Ulenspiegel ihre Arbeit aufgenommen. Wolfgang Weyrauch, der Redakteur der ersten Hefte, hatte sowohl kommunistisch als auch bürgerlich orientierte Beiträger herangezogen wie etwa Bertolt Brecht, Friedrich Wolf und Johannes R. Becher einerseits, Horst Lange, Martin Kessel, August Scholtis und Hans Egon Holthusen andererseits. Die insgesamt eher linksorientierte, pazifistische Zeitschrift geriet aber zwischen die politischen Fronten und stellte im Frühjahr 1949 ihr Erscheinen ein.

Zeitschriftengründungen 1946/47

Im Frühjahr 1946 starteten Eugen Kogon, Verfasser des Standardwerks Der SS-Staat (1946), und Walter Dirks die Frankfurter Hefte. Sie strebten als Linkskatholiken eine Synthese von Christentum und Sozialismus an und diskutierten kritisch die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus. Ihre ,Zeitschrift für Kultur und Politik‘ öffnete auch Autoren wie Albrecht Goes oder Elisabeth Langgässer ihre Seiten. Im September 1946 startete Alfred Döblin seine Zeitschrift Das Goldene Tor. Döblin sah in ihr die Brücke, die Vertreter der Inneren Emigration und des Exils verbinden sollte. Entsprechend waren in ihr Exilanten wie Brecht, Stephan Hermlin, H. Mann oder Erich Fried und in Deutschland Verbliebene wie Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Weyrauch oder Wilhelm Hausenstein vertreten. Ende 1946 begann die Zweimonatszeitschrift Deutsche Beiträge in München. Ihr Anliegen war die Verbindung von Dichtung, Geisteswissenschaften und Literaturkritik. Einer ihrer Schwerpunkte lag in der Vermittlung moderner Literatur aus Frankreich und Amerika. Zu ihren Beiträgern gehörten Erich von Kahler, Goes und Albrecht Fabri. 1947 erhielt Alfred Kantorowicz gleichzeitig die amerikanische und die sowjetische Lizenz für seine Zeitschrift Ost und West. Er verwirklichte seine integrative Absicht durch den Abdruck von russischen und amerikanischen Autoren, von Exilanten wie Brecht, Ernst Bloch und Arnold Zweig neben Vertretern der Inneren Emigration wie Ricarda Huch, Langgässer und Peter Huchel, von Kommunisten wie Hermlin und Anna Seghers neben bürgerlichen Autoren wie Thomas Mann und George Bernanos. Die Brücke brach bald unter der zunehmenden Last der Weltmachtkonflikte zusammen. Schon 1949 kam das Ende für Ost und West. Noch kurzlebiger war das Projekt, auf deutschem Boden wieder eine jüdische Kulturzeitschrift herauszubringen. Zwischen den Zeiten startete 1947 in Koblenz, verschwand aber bereits im Frühjahr 1948 wieder.

Merkur und Monat

Zwei sehr erfolgreiche Zeitschriften unter den Neugründungen waren der französisch lizenzierte Merkur, der noch heute besteht und sein Konzept beibehalten hat. Er versammelt in der Regel bereits renommierte Wissenschaftler und Autoren aus ganz Europa. So gehören anfangs etwa Ernst Robert Curtius, Rudolf Kassner, Joachim Günther und Martin Heidegger zu seinen Beiträgern. Die andere Zeitschrift war Der Monat, der ab 1948 von dem amerikanischen Journalisten Melvin J. Lasky herausgegeben wurde. In seiner im Jahr zuvor auf dem Ostberliner Schriftstellerkongress gehaltenen Rede Von der geistigen Freiheit war Lasky entschieden gegen die politische Zensur aufgetreten, die die Autoren in der UdSSR behindere. Der Monat bemühte sich besonders um intellektuelle Grundsatzdebatten, die das Problem der Freiheit des Geistes berührten. Erwähnenswert ist, dass er in der unmittelbaren Nachkriegszeit viel für die Rezeption Kafkas tat. Als Fortsetzungen älterer Zeitschriften sind die Wiedergründungen der Neuen Rundschau, die gleich nach Kriegsende mit der Sondernummer zu Thomas Manns 70. Geburtstag im Juni 1945 aufwartete, der eher konservativen Deutschen Rundschau und der Weltbühne in der SBZ zu nennen.

Zeitschriften in ÖsterreichI

Österreich war am 4. 7. 1945 ebenfalls in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden, auch hier galt also Lizenzierungspflicht. Als erste trat im August 1945 in Wien die Zeitschrift Der Turm auf den Plan. Sie besaß eine religiöse Grundorientierung und plädierte für einen umstandslosen Wiederaufbau, der die Wunden rasch verschwinden lassen sollte. In der Debatte um den österreichischen Lyriker Josef Weinheber vertrat der Turm die Ansicht, dass Weinhebers Dichtung durch seine politisch opportunistische Haltung keinen Schaden genommen habe. Otto Basil gab in Wien den Plan heraus. Er vertrat einen entschieden politischen Antifaschismus und in Literatur und Kunst die klassische Moderne. Basil lud nicht nur österreichische Exilautoren wie Ernst Fischer, Theodor Kramer oder Erich Fried zur Mitarbeit ein, er fahndete auch nach neuen Stimmen, und so finden sich im Plan etwa die literarischen Debüts von Paul Celan, Hans Lebert oder Friederike Mayröcker. Ende 1945 begann die Zeitschrift Theater der Jugend ebenfalls in Wien. Ab dem Jahrgang 1947/48 nahm sie den Namen Neue Wege an. Sie war als Forum für junge Autoren gedacht und offen für neue ästhetische Verfahren. Tatsächlich wurden die Neuen Wege ab Mitte der 50er Jahre ein wichtiges Organ der sprachexperimentellen Wiener Gruppe. Schließlich sei noch die Zeitschrift Das Silberboot erwähnt, die von Ernst Schönwiese 1946 neu begründet wurde, nachdem sie 1935 schon im Ständestaat ein Jahr lang erschienen war. Schönwiese hatte seinerzeit versucht, den in Deutschland unerwünschten Autoren ein Forum zu schaffen und knüpfte daran insofern an, als Das Silberboot sich nun besonders österreichischen Exilautoren wie Hermann Broch, Berthold Viertel, Franz Theodor Csokor oder Friedrich Torberg öffnete.

Dominanz der Kulturzeitschrift

Wenn man alle diese Zeitschriften nebeneinander stellt, so fällt sofort auf, dass sie sich darin ähneln, einen Typus der Kulturzeitschrift zu verkörpern, der vom philosophischen Essay über den zeitgeschichtlichen Kommentar bis zur Buchrezension und vom klassischen literarischen Bildungsgut über die amerikanische Short story bis zur neuen lyrischen Stimme reicht. Anders gesagt: eine reine Literaturzeitschrift findet sich nicht unter den genannten, und es gab auch keine nennenswerte. Dieser Befund ergibt sich aus der allgemeinen Überzeugung dieser Jahre, dass eine völlig gesellschafts- und zeitferne Dichtung nicht den Erfordernissen der geschichtlichen Stunde entspricht, dass auch und gerade die Literatur unter der moralischen Verpflichtung steht, die demokratische Erneuerung Deutschlands zu befördern.

Zeitschriften in der Schweiz

Die Situation auf dem Zeitschriftensektor in der Schweiz bot 1945 ein völlig anderes Bild. Die bedeutenden Kulturzeitschriften der deutschsprachigen Schweiz waren lange vor oder während des Kriegs gegründet worden, 1921 die Schweizer Monatshefte, 1933 die Neue Schweizer Rundschau und 1941 Du. Nach 1945 stellte die von Hans Rudolf Hilty publizierte Zeitschrift hortulus (1951 –1964) einen ersten wichtigen Versuch dar, die literarische Moderne, angeregt durch Übersetzungen, in der Schweiz heimisch zu machen. Die Politisierungswelle, die die Schweiz in den späten 60er Jahre erreichte, führte 1969 zur Gründung der Zeitschrift drehpunkt, die anfangs von der Basler ,Gruppe Totentanz‘ (u.a. Christoph Geiser) herausgegeben wurde. Sie besteht heute noch, während die 1973 bzw. 1975 gegründeten Zeitschriften Poesie und orte ihr Erscheinen inzwischen eingestellt haben. Seit 1992 ist das besonders der avantgardistischen Lyrik verbundene Periodikum Zwischen den Zeilen des Verlegers Urs Engeler hinzugekommen.

Zeitschriften in Österreich II

Schon früh schuf sich die österreichische Avantgarde in der Zeitschrift manuskripte (1961) ein eigenes Organ. Ihr Träger war das Grazer Forum Stadtpark und ihr erster Herausgeber Alfred Kolleritsch. Daneben existierte mit Wort in der Zeit (1955–1966) eine literarische Zeitschrift, die sich zunächst als Plattform eines österreichischen Nationalbewusstseins verstand. Sie zerbrach schließlich an inneren Konflikten, nicht zuletzt ausgelöst durch die Zuwendung ihres wichtigsten Redakteurs Gerhard Fritsch zur progressiven Literatur. Als ihre modernisierte Fortsetzung kann man die 1966 gegründete Zeitschrift Literatur und Kritik betrachten. Personelle Kontinuität bestand durch die Herausgeberschaft von Rudolf Henz. Die politisch engagierten Autoren aus dem Umfeld der Grazer Autorenversammlung (GAV) schufen sich mit der ,Zeitschrift für brauchbare Texte‘ Wespennest 1969 ein eigenes Periodikum. Erster Herausgeber war der Erzähler und Publizist Josef Haslinger. Von den späteren Gründungen sind die in Graz erscheinenden Lichtungen (1980) noch nennenswert.

Westdeutsche Zeitschriftengründungen der 50er Jahre

In der BRD gab es nach dem großen Zeitschriftensterben im Gefolge der Währungsreform 1949 erst ab Mitte der 50er Jahre wieder einige wichtige Zeitschriftengründungen. Die bedeutendste unter ihnen waren die Akzente (1954) von Hans Bender und Walter Höllerer, in denen literarische Debatten geführt wurden und die bis heute kontinuierlich Autoren der Weltliteratur vorstellen. Einen ähnlichen Charakter wiesen die nur kurzlebigen Texte und Zeichen (1955–1957), die von Alfred Andersch redigiert wurden, und weisen die horen (1956) auf. Überhaupt gilt, dass dieser Typ von Zeitschrift seine Existenz weitgehend den fremdfinanzierten Schwerpunktheften zur ausländischen Literatur verdankt.

Neuere Zeitschriften

Das trifft auch auf die wichtigsten der später gegründeten Literaturzeitschriften wie Schreibheft (1977), Am Erker (1978) oder Passauer Pegasus (1983) zu. Für die aktuellen deutsch-deutschen Literaturbeziehungen war die Berliner Zeitschrift Litfaß (1977 –1995) von Bedeutung. Dass nach wie vor autonome und sehr eigenwillige Zeitschriftenkonzepte sich behaupten können, zeigt die bibliophile Berliner Kunst- und Literaturzeitschrift Herzattacke (1989), die die Tradition des Surrealismus fortzusetzen versucht. Auch Neugründungen können sich auf dem engen Zeitschriftenmarkt immer wieder etablieren, wie zuletzt das Dresdner Signum (2000) bewies. Unter den Kulturzeitschriften, zu deren Beiträgern auch viele wichtige Schriftsteller gehörten, sind die von Hildegard Brenner herausgegebene alternative (1958–1982), die viel für die Rezeption marxistischer Literaturtheorie getan hat, das von Hans Magnus Enzensberger gegründete Kursbuch (1965), Ästhetik & Kommunikation (1970), die eher kulturkonservativen Scheidewege (1971), die früh ökologische Themen aufgegriffen haben, und der Freibeuter (1979–1999) zu nennen. In der DDR waren die anfangs von Peter Huchel redigierte Zeitschrift Sinn und Form (1949) und die neue deutsche literatur (1953) die wichtigsten Periodika für die zeitgenössische Literatur. Beide haben die Wende mit neuen Redaktionen und Profilen überlebt. Ein Sonderfall in mehrerer Hinsicht ist die in Amsterdam erscheinende Zeitschrift Castrum Peregrini (1951). Ihre Gründungsgeschichte reicht in die Exilzeit zurück und sie ist bis heute dem Geist von Stefan George und der kulturstiftenden Funktion von Freundschaft verpflichtet.

Einführung in die deutschsprachige Literatur nach 1945

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