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7. Rundfunk (Hörspiel, Feature)

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Das literarische Hörspiel

Die Entwicklung der Gattung Hörspiel ist naturgemäß mit dem Medium Rundfunk verknüpft. Das erklärt, dass die Blütezeit des Hörspiels bis etwa ans Ende der 50er Jahre reicht, bevor es vom Medium Fernsehen zunehmend marginalisiert wurde. In den 50er Jahren hatte das Hörspiel ein Millionenpublikum und trug nicht unerheblich zur Profilierung von Autoren wie Alfred Andersch, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll oder Friedrich Dürrenmatt bei. Günter Eich wurde sogar primär als Hörspielautor wahrgenommen und beherrschte mit ca. 50 Stücken von 1948 bis 1958 ein Jahrzehnt lang die Hörspielprogramme. Sein Hörspiel Träume (1951) vermochte es auf so eindringliche Weise, in einer Sequenz aus fünf apokalyptischen Träumen den Eintritt einer Katastrophe zu vergegenwärtigen, dass nicht wenige Hörer sich beunruhigt an die Sendeanstalten wandten und um Aufklärung baten. Stilistisch dominierte in dieser Periode das literarische Hörspiel, das ganz auf Wort und Stimme konzentriert war und nur recht sparsam Geräusche einsetzte. Im Mittelpunkt standen die Themen Krieg und Widerstand, Schuld und Sühne, Identität und moderne Existenz, die häufig in parabolischen Formen gestaltet wurden.

Feature und dokumentarisches Hörspiel

In dieser Zeit übernahmen mehrere Autoren wichtige Funktionen innerhalb des Rundfunks, so etwa Ernst Schnabel (NWDR, NDR, SFB, 1946–1965), Jens Rehn (SFB, 1950–1981), Andersch (NWDR, SDR, 1952– 1964) oder Helmut Heissenbüttel (SDR, 1957– 1981). Andersch förderte dabei die neue Hörfunkgattung des Feature, das meist in der künstlerischen Aufarbeitung von dokumentarischem Material bestand. Beim SDR schuf er dafür die Sendereihe des ,radio-essay‘, in der er z.B. die literaturhistorischen Dialogtexte von Arno Schmidt oder die Reiseessays von Wolfgang Koeppen platzierte. Die Verwendung von dokumentarischem Material innerhalb des Hörspiels trifft man bereits Mitte der 50er Jahre bei Peter Adler an, dessen Texte sich ausschließlich dem jüdischen Schicksal im 20. Jahrhundert widmen. Seine Hörspiele Die Totenmauer (1954) über das Warschauer Ghetto und Die Vergessenen (1955) über das Elend jüdischer Flüchtlinge im Paris der Nachkriegszeit bringen eine außenstehende Erzählerfigur in Kontakt mit einer ihr fremden jüdischen Welt und möchten ihre Selbstreflexionen an den Hörer vermitteln.

Das neue Hörspiel

Anfang der 60er Jahre entwickelte sich die Theorie vom ,totalen Schallspiel‘ (Knilli 1970), in dem sich die akustische Präsentation des Hörspiels von der literarischen Sprache emanzipieren sollte. An die Stelle der Verwortung traten Ton, Geräusch, Musik. Sprecherrollen lösten sich auf in Stimmpartituren, Handlungsverläufe wurden durch das Collagieren von akustischem Material abgelöst. Die Transformation des Hörspiels ins Schallspiel zog besonders Autoren aus dem Umfeld der Konkreten Poesie wie Reinhard Döhl, Franz Mon, Helmut Heissenbüttel, Oskar Pastior und Gerhard Rühm an. Ende der 60er Jahre setzte sich das ,Neue Hörspiel‘ (Schöning 1970 u. 1980) durch, das vor allem die Montage von O-Tönen als ästhetische Errungenschaft beförderte. Die Verwendung von Tondokumenten, das Erproben von Rollenspielen, die Übernahme von Techniken der Reportage und des Features führten zu einer theoretischen Neubestimmung der Funktion des Hörspiels. Das Neue Hörspiel öffnete sich den Einflüssen der Konkreten Poesie und der Pop-Kunst, seine Vertreter rezipierten die Radiotheorien von Brecht und Benjamin oder die Informationstheorie von Max Bense. Anfang der 70er Jahre wurden Hörspielautoren wie Paul Wühr, Ferdinand Kriwet, Maurizio Kagel und Urs Widmer zu ihren eigenen Regisseuren. Um dieselbe Zeit ermöglichten die Stereophonie neue Produktionsbedingungen und tragbare Aufnahmegeräte das Sammeln von O(riginal)-Tönen. Der Hörspielautor trat nun oft in der Rolle des Arrangeurs von Tondokumenten auf, die etwa zur Demonstration des öffentlichen Bewusstseins dienten. Hinsichtlich der technischen Darbietung traten die beiden Begriffe Schnitt und Collage ins Zentrum.

Hörspiel und Politik

Da das Neue Hörspiel auf ästhetischem Gebiet die Errungenschaften der Konkreten Poesie Ende der 60er Jahre unter den Bedingungen einer gesellschaftskritischen Wende nachholte, wurden diese ästhetischen Mittel in das Projekt der politischen Alphabetisierung einbezogen. Das zeigte etwa die Koproduktion Fünf Mann Menschen (1969) von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, in der auf grausam komische Weise ein ewiger Kreislauf der Gewalt bewusst schematisch vorgeführt wird. Fünf Väter bekommen Söhne, die wegen ihrer Schandtaten zum Tode verurteilt werden. Die fünf Soldaten des Exekutionspelotons werden dann ihrerseits Väter von Söhnen, an denen sich dasselbe vollziehen wird. Die fünf Mann Menschen sind jeder Individualität beraubt, tragen auch keine Eigennamen, sondern nur Nummern. Während Jandl und Mayröcker die Sprachschablonen ihres Hörspiels noch selbst verfassten, operiert das O-Ton-Hörspiel ausschließlich mit dem Arrangement vorgefundenen akustischen Materials. Die Anordnung sollte über die hergestellte Wirklichkeit aufklären. In dieser Intention bedienten sich etwa Peter O. Chotjewitz, Wolf Wondratschek, Michael Scharang, Günter Wallraff, Gerd Loschütz oder Paul Wühr des Mediums.

Hörspiel, Musik und Medien

In den 80er Jahren erobert die Musik einen immer größeren Raum innerhalb des Hörspiels. Texte werden nun häufig als Folie für musikalische Interpretationen gebraucht, wie dies etwa Heiner Goebbels mit Stücken von Heiner Müller praktizierte (z.B. Die Befreiung des Prometheus, 1985). Die Einführung des Dualen Systems 1986 führte zunächst in eine Krise des Hörspiels, das unter dem Quotendruck in den Rundfunkprogrammen weiter marginalisiert wurde. Es gab auch kaum wichtige Autoren, die Originalhörspiele verfassten. Die neuen technischen Möglichkeiten, die die Digitalisierung seit den 90er Jahren schuf, verlieh dem Hörspiel jedoch neue Impulse. Die Hörspielproduktion wurde zum Bestandteil eines multimedialen Verwertungsverbunds, der von der Liveaufführung über die Internet-Präsentation bis zur CD-Herstellung und dem Hörbuch reicht. Ein vorwiegend junges Publikum konnte durch Hörspiel-Festivals mit Eventcharakter und die Möglichkeit zur kreativen Beteiligung gewonnen werden. 1996 wurde das erste interaktive Hörspiel no point von Hartmut Geerken multimedial realisiert. Die digitale Technik ermöglichte die Etablierung einer immer noch im Wachsen begriffenen freien Hörspielszene. Deutlichster Ausdruck der Renaissance des Hörspiels ist der expandierende Markt für Hörbücher, von denen allein im Jahr 2003 ca. 7000 produziert wurden.

Hörspiel in der DDR

Das Hörspiel als genuin auf Öffentlichkeit orientierte Gattung stand in der DDR naturgemäß unter besonderer ideologischer Aufsicht. So kann es nicht überraschen, dass sich bis zum Beginn der 70er Jahre fast nur politisch konforme Stücke finden, zumal die in den 60er Jahren geführte Gattungsdiskussion das Hörspiel auf eine standardisierte, an realistischer Bühnendramatik orientierte Ästhetik festlegte. In den 50er Jahre dominierte das Agitationshörspiel im ideologischen Dienst des Kalten Kriegs. Nur Walter Karl Schweickerts Hörspiel Herhören – hier spricht Hackenberger (1954) hob sich positiv von der schematisch-propagandistischen Hörspielproduktion dieser Zeit ab. Es ist auch von technischem Interesse, weil es die Monologform ins DDR-Hörspiel einführte. Schweickert nutzte sie in diesem Stück, um die Innenansicht eines durch Krieg und Nationalsozialismus geprägten Bewusstseins ohne didaktischen Kommentar gestalten zu können. Ende der 50er Jahre entstand das Genre des Produktionsstücks, das den konkreten Aufbau des Sozialismus behandeln sollte. Eins der frühsten Beispiele nach Günther Rückers Auftakt mit Die letzte Schicht (1957) war Die Korrektur (1958) von Inge und Heiner Müller. Die Abfolge von Monolog- und Dialogszenen gibt dem Stück einen collagehaften Charakter und hebt seine dialektische Entfaltung des Themas vom realistischen Illusionsprinzip ab. Mit der NÖS-Politik verlagerte sich der Akzent vom Produktionsstück auf das Problemstück, das heißt es ging weniger um die Herausbildung sozialistischen Bewusstseins als um die Modernisierung der Produktionstechnik. Grundsätzliche Infragestellungen des politisch-ökonomischen Kurses blieben ausgeblendet, aber bei Einzelproblemen war die Handhabung dafür flexibler. Die Problemstücke der 70er und 80er Jahre, die den Spielraum systemimmanenter Kritik auszunutzen wagten, überschritten jedoch niemals die Grenzen konventioneller Hörspieldramaturgie. In den 80er Jahren erfolgte eine thematische Erweiterung der Sujets, insofern nun eine Reihe von Hörspielen über Außenseiter entstanden. In diesen Hörspielen verfiel der Außenseiter nicht mehr dem Verdikt subjektiv zurückgebliebenen Bewusstseins, sondern blieb in seiner persönlichen Würde unangetastet. Teilweise boten diese Stücke eine Aussicht auf (Re-)Integration, teilweise stellten sie den Konflikt zwischen Devianz und gesellschaftlichen Ansprüchen als unlösbar dar. Eine andere thematische Erweiterung im DDR-Hörspiel der 80er Jahre war die Öffnung für mythologische und Märchenstoffe. Es bot sich hier eine Möglichkeit, im Gewande eines fantastischen Stoffs gleichnishaft auch Kritik an der eigenen Gegenwart zu üben. Eine herausragende Stellung nehmen in diesem Genre die Märchenhörspiele von Franz Fühmann ein, die die gattungstypische moralische Antithetik der Figurengestaltung durch eine unauflösbare Widersprüchlichkeit ersetzen. Fühmann operiert dabei mit einer geschichtlichen Konkretisierung der Märchenhandlung, die es erlaubt die Motive der Figuren soziologisch und psychologisch zu entwickeln. In seinen Märchenhörspielen, am krassesten wohl im posthumen Das Blaue Licht (1986), tritt an die Stelle des Happy End ein Kreislauf von Gewalt und Rache, in dem alle Unterscheidungen von Gut und Böse hinfällig geworden sind. Ästhetisch blieb allerdings auch Fühmann in den Konventionen des realistischen Problemhörspiels stecken. So bietet das Hörspiel in der DDR weitgehend das Bild einer ,ästhetischen Monokultur‘ (vgl. Bolik 1994), an der die experimentellen Phasen der westlichen Hörspielproduktion notwendigerweise spurlos vorübergingen.

Einführung in die deutschsprachige Literatur nach 1945

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