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Sinn und Form:
Von der Humanität der Umständlichkeit

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Die großen Werke Blumenbergs sind umständlich, oftmals schwer zugänglich und unübersichtlich, sie überwältigen den Leser mit ihrem Quellen- und Deutungsreichtum. Für den Seminarbetrieb an heutigen Universitäten sind sie nahezu ungeeignet – was nicht gegen die Bücher sprechen muss. Sie sind klassisch zu nennen, da in den Büchern Die Legitimität der Neuzeit, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Die Lesbarkeit der Welt, Arbeit am Mythos, Lebenszeit und Weltzeit und Höhlenausgänge – um nur die wichtigsten zu nennen, die zwischen 1966 und 1989 erschienen sind – die Erträge jahrzehntelanger Vorarbeit ihren formvollendeten Abschluss gefunden haben. Sie sind idealtypische Verwirklichungen der von Blumenberg kultivierten Form des Philosophierens.

Wir werden uns daran gewöhnen dürfen, an Blumenbergs Schriften andere Fragen heranzutragen, als wir üblicherweise bei der Rezeption philosophischer Werke zu stellen gewohnt sind. Ich möchte das in eine These fassen, deren mögliche Verteidigung weniger von Interesse ist als ihr heuristischer Aufschlusswert: Blumenbergs Philosophie erreicht in seinen klassischen Werken eine bemerkenswert hohe Übereinstimmung von Form und Inhalt, Gestalt und Aussage. Ihnen liegen kompositorische Gestaltungsmomente zugrunde, die man in wissenschaftlicher Literatur gemeinhin nicht erwartet. Blumenbergs Philosophie, die von ihm kultivierte Form des Denkens und Schreibens, versucht bis in ihren formalen Auftritt Ausdruck jener Wirklichkeit zu sein, mit der sie es zu tun hat. Derartige Aspekte – wie thematische Spiegelungen, epische Erzählformen, die Anzahl von Kapiteln oder Buchteilen, die Zitationsweise und die Erstellung von Namenregistern – mag man vorschnell als äußerlich abtun. Wer aber Blumenbergs Philosophie nicht bis in ihre Ausgestaltung hinein verfolgt, verpasst beim Warten auf griffige Thesen und Argumente das wesentliche Moment dieser mitunter meisterlich vollzogenen Reflexionsform: Die Form ist Ausdruck des Inhalts.

Daher sind Blumenbergs oftmals umfangreiche Werke nicht abkürzbar. Als Jacob Taubes für eine Tagung den Autor des ein Jahr zuvor erschienenen Buches Die Legitimität der Neuzeit darum bat, den Kolloquiumsteilnehmern für den zu diskutierenden Teil dieses umfangreichen Werkes einen Leitfaden an die Hand zu geben und eine Kurzfassung seiner These zu erstellen, reagierte Blumenberg erbost. Er empfand es als Zumutung, das von ihm aus den Tiefen der Antike entfaltete Panorama des Epochenübergangs vom Mittelalter zur Neuzeit auf einen handhabbaren Umfang reduzieren zu sollen. Er erwehrte sich der Anfrage mit Zitaten aus der Negativen Dialektik Adornos, die zur Kenntnis zu nehmen Taubes ihm dringend angeraten hatte. »Das Wesen wird durchs Résumé des Wesentlichen verfälscht«, ist darin zu lesen, und: »Daher ist Philosophie wesentlich nicht referierbar. Sonst wäre sie überflüssig; daß sie meist sich referieren lässt, spricht gegen sie.«40

Damit kommt das Vorhaben, ein philosophisches Portrait von Hans Blumenberg zu zeichnen, scheinbar an sein Ende, bevor es begonnen hat. Jedes Buch über die Philosophie Blumenbergs, das sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit speziellen Aspekten beschränkt, sondern die Kontur dieser Philosophie im Ganzen darzustellen sucht, hat sich dem Vorwurf zu stellen, leisten zu wollen, was Blumenberg selbst verweigerte und darüber hinaus für unmöglich hielt. Philosophie ist nicht abkürzbar. Die Fülle ihrer mitunter verschlungenen Gedankenwege lässt sich nicht verknappen. Allen Einleitungsbänden zum Trotz vermag keine noch so umsichtige Zusammenfassung dem Leser die Mühe zu ersparen, eine anspruchsvolle Philosophie nur dann erfassen zu können, wenn er sich ihr in toto aussetzt und ihren Gedanken gleichsam in Echtzeit folgt. »Dazu braucht es aber viel, viel Zeit«,41 wie schon Taubes bemerkte. Wenn sich eine Philosophie auf eine Quintessenz reduzieren lässt, ist sie schlecht gedacht worden.

Aber ist nicht Blumenbergs Weigerung, eine Kurzfassung seiner Neuzeitdeutung zu bieten, wie sie jedes Werklexikon nicht unversucht lassen wird,42 lediglich Ausdruck der Eitelkeit eines Autors, der jeden einzelnen seiner Gedanken für wichtig hält? Wenn ein philosophischer Entwurf aus begründeten Argumenten besteht, warum soll dann keine systematische Zuspitzung möglich sein? Ist nicht vieles an einem philosophischen Text Beiwerk, Stilblüte und seitenfüllendes Zugeständnis an die Üblichkeiten von Textproduktionen? Man mag beim Gedanken an den Verzicht auf jede Umständlichkeit und als Inbegriff eines ›schlackenfreien‹ Textes Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus vor Augen haben – Blumenbergs Bücher bieten das Gegenteil: Sie sind umfangreich und umwegig, ja mitunter maßlos bis zur Unhöflichkeit gegenüber dem Leser. Das beginnt schon mit den Inhaltsverzeichnissen, die sich der raschen Auskunft über die behandelten Themen verweigern und somit ihren üblichen Dienst nur bedingt erfüllen. Nur der kundige Leser wird bei der Kapitelüberschrift »Im Fliegenglas« aus dem Buch Höhlenausgänge erraten, dass es dort um Wittgenstein geht. Alle übrigen haben das Kapitel erst zu lesen, bevor sich ihnen der Sinn der Überschrift erschließt. Dabei kann der Zusammenhang auch äußerst lose sein: »Vor Realschulmännern« heißt ein Kapitel aus demselben Buch, und es handelt von Ernst Mach – der am 16. April 1886 vor der Versammlung des deutschen Realschulmännervereins in Dortmund einen Vortrag hielt. In dem Buch Die Lesbarkeit der Welt lautet die Überschrift eines Kapitels »Tendenzen bei Annäherung an das neunzehnte Jahrhundert« – kein weiterer Hinweis darauf, dass es darin um das ungeheuerliche Buchprojekt der französischen Encyclopédie geht. Oder, als ein weiteres Beispiel, der vierte Teil von Arbeit am Mythos: Wenngleich es sich mit der dortigen Goethe-Interpretation um den Kern dieses Buches handelt, taucht der Name des Protagonisten in den Kapitelüberschriften nicht auf! Carl Schmitt hat in einem Akt nachholender Ausdrücklichkeit in seinem Exemplar handschriftlich gleich den Titel des ganzen Buches entsprechend geändert: Arbeit am Goethe-Mythos,43 so hätte nach ihm das Buch heißen müssen.

Was mit den Inhaltsverzeichnissen als Verrätselung beginnt, setzt sich in Blumenbergs Büchern als Ganzes fort. Sie bieten weder zu Beginn einen Ausblick auf das in ihnen Gebotene, noch fasst ein Resümée dem Leser den Ertrag zusammen. Odo Marquard hat angesichts der weit ausgreifenden Relektüren der Geistesgeschichte, die oftmals auf Hunderten von Seiten von der Antike bis in die Gegenwart führen, wertschätzend von »als gelehrte Wälzer getarnten Problemkrimis«44 gesprochen. Doch diese versuchte Nobilitierung verrät einen untergründigen Apologiebedarf: Blumenbergs Bücher, vor allem die in Rede stehenden großen Studien zur Geschichte des Denkens, sind schwer zu lesen. Seinen Erfolg beim Lesepublikum und in den Feuilletons verdankt Blumenberg vor allem den späteren essayistischen Bänden, etwa in der Bibliothek Suhrkamp. Dem idealtypischen Meisterwerk seiner philosophischen Kunst der Interpretation, der annähernd achthundert Seiten starken Genesis der kopernikanischen Welt, wurde dagegen nur ein bescheidener Erfolg zuteil. Im Grunde war das Buch ein publizistischer Misserfolg. Man braucht einen langen Atem, um in diesen Wälzern nicht stecken zu bleiben, da sie die Aufmerksamkeitsspanne des Lesers zu überfordern drohen. Man muss es nicht als Studentenschelte verstehen, wenn ich darauf hingewiesen habe, dass sich Blumenbergs Bücher kaum für den heutigen akademischen Seminarbetrieb eignen. Sie sind in der gegenwärtigen philosophischen Lehre so gut wie nicht präsent. Karl Löwith hat davon gesprochen, man habe sich durch Blumenbergs »komplizierte Denk- und Schreibweise«45 regelrecht durchzuarbeiten. Und Dieter Henrich hat Blumenbergs Bücher als Werke bezeichnet, die »durch ein gewaltiges Arsenal von Kenntnissen zu schwer erschließbaren Massiven hochgesteigert«46 worden sind. Um in der Metapher zu bleiben: Bei der Lektüre droht dem Leser in der Steilwand des Denkens der Absturz.

In Blumenbergs Hauptwerken, also seinen großen epochengenetischen Problemgeschichten, finden sich unter den vielen Quellen in hohem Umfang auch Autoren, die so entlegen sind, dass selbst Philosophen von Profession regelmäßig werden nachschlagen müssen, um wen es sich da eigentlich handelt. So reizvoll die derart gebotenen Entdeckungsmöglichkeiten für den neugierigen Leser sind – ich selbst verdanke viele der Erstkontakte mit Büchern und Autoren der Geistesgeschichte den Vorlesungen und den Büchern Blumenbergs –, so erweisen sich die heranzitierten fremden, darf man es so sagen: befremdlichen Autoren doch auch als eine Schwelle, die zu überwinden Voraussetzung dafür ist, in ein Buch Blumenbergs hineinzufinden. So wird in den Höhlenausgängen etwa ausführlich Arnobius behandelt, ohne dass dieser Verfasser eines Höhlengleichnisses eigens vorgestellt wird. Blumenberg hat sich offensiv der Anforderung verweigert, dem Leser entgegenzukommen. Dafür gibt es einen anekdotischen Beleg: Als in einer seiner Vorlesungen ein Student sich erlaubte zu fragen, wie man einen von Blumenberg erwähnten Autor schreibt – um wen es sich dabei handelte, vermag ich nicht mehr zu sagen, da ich den Namen seinerzeit selbst auch nicht korrekt zu notieren in der Lage war –, ging Blumenberg für kurze Zeit dazu über, jeden in der Vorlesung auftauchenden Namen umständlich zu buchstabieren und anzuschreiben, auch etwa den Namen Kants, sodass niemand mehr nachzufragen sich traute.47

Die Bücher Blumenbergs erweisen sich daher als besonders und als sonderbar. Sie seien in der Philosophie nicht anschlussfähig, lautet eine Kritik. Sie gehörten zu dem Originellsten, was die deutschsprachige Philosophie nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgebracht hat, entgegnen die Verteidiger. Selbst wenn Blumenberg das Etikett des gelehrtesten deutschen Philosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angeheftet wird, ist nicht recht klar, ob die von ihm gepflegte Denkform von Vor- oder Nachteil für das Philosophieren ist. Hat hier jemand die Gelehrsamkeit als literarischer Stilist kultiviert, da ihm die fortune fehlte, mit systematischen Impulsen in der Philosophie zu reüssieren?

Es könnte der Einwand erhoben werden, derartige Überlegungen täten in der Philosophie nichts zur Sache. Die Bedeutung von Kants Kritik der reinen Vernunft hängt nicht von dem Stil ab, in dem sie verfasst ist. Die Zugänglichkeit eines Werkes ist zweitrangig gegenüber der systematischen Relevanz seines Beitrags zur Lösung philosophischer Probleme. In der Tat ergibt die Lesbarkeit eines Werkes kein Qualitätskriterium – wer wollte behaupten, Passagen bei Hegel oder Fichte seien dadurch disqualifiziert, dass sie nur schwer den Weg zu einem Lesepublikum jenseits des engen Radius der Fachleute finden?

Doch es verhält sich bei Blumenberg anders. Seine Bücher sind Ausdruck einer von ihm kultivierten Denkform. Ihre Umständlichkeit ist die Verwirklichung einer Kultur der Umwege, die den gedanklichen Kurzschluss zu vermeiden sucht. Kultur besteht für Blumenberg geradezu in der »Auffindung und Anlage, der Beschreibung und Empfehlung, der Aufwertung und Prämiierung der Umwege. Daher hat die Kultur einerseits den Anschein mangelnder Rationalität; denn im strengsten Sinne erhält nur der kürzeste Weg das Gütesiegel der Vernunft, und alles rechts und links daran entlang und vorbei ist das der Stringenz nach Überflüssige, das sich der Frage nach seiner Existenzberechtigung so schwer zu stellen vermag. Die Umwege sind es aber, die der Kultur die Funktion der Humanisierung des Lebens geben.«48 Es gibt daher keine formelhaften Verdichtungen seiner Positionen jenseits des nahezu barocken Dickichts seiner Gedanken. »Den Zeitgenossen der Bewunderung schneller Entschlüsse und markanter Großhandlungen ist ferngerückt, daß Umständlichkeit gnädig sein kann.«49 Wer die Philosophie Blumenbergs verstehen will, hat sich der Gestalt, in der sie sich nicht nur präsentiert, sondern vielmehr vollzieht, auszusetzen.

Sucht der kürzeste Weg die Schnelligkeit, ist Blumenbergs Schreibstil darauf angelegt, das Lesetempo auszubremsen, um jene Nachdenklichkeit zu ermöglichen, deren Feind der Zeitdruck ist. Das lässt sich konkret beobachten, wenn man einen beliebigen Anfangssatz eines seiner Texte heranzieht und auf die Umständlichkeit seiner Gedankenführung achtet: »Der sehend werdende Blindgeborene ist ein Typus der Aufklärung, gerade weil sie an die biblischen Wunder des Sehendmachenden nicht glauben darf, nur ihre eigenen Starstecher als Bewirkende eines Ereignisses kennt, an dem sich die Dogmatiken der Theoretiker der Vernunft scheiden.«50 Wer in diesem Anfangssatz nur ein Ärgernis ausmacht, muss sich nicht vom Gegenteil überzeugen, aber fragen lassen, ob er nicht eine genaue Beachtung von Wittgensteins Bemerkung darstellt, im Rennen der Philosophie gewinne, wer am langsamsten laufen kann oder der das Ziel zuletzt erreicht?51

Eine derartige philosophische Apologie der Umständlichkeit mag man unmittelbar in Zweifel ziehen. Warum sollen sich verdichtende Formeln als nicht möglich erweisen? Blumenberg hat sich der aphoristischen Kürze mittels Bildung prägnanter Sätze ja selbst bedient. ›Die Neuzeit ist die antignostische humane Selbstbehauptung gegen den voluntaristischen Allmachtsgott des späten Mittelalters‹, so könnte eine Formel lauten, die die Grundthese der Legitimität der Neuzeit benennt. Entscheidend ist aber, wie wenig mit einer solchen Formel gewonnen und wie viel verloren ist. Denn Blumenberg erweist seine Qualität als Interpret stets dicht an dem, was man ein wenig respektlos das ›historische Material‹ nennen könnte. Die gebotene Formel wird erst dann reizvoll und bedeutsam, wenn sie als Schlüssel genommen wird, bekannte und entlegenere Quellen neu aufzuschließen. Die formelhafte Abstraktion bleibt nur dann fruchtbar, wenn sie den Bezug zu den Quellen, denen sie sich verdankt, nicht preisgibt. Die Faszination des Buches Die Legitimität der Neuzeit erschließt sich nicht durch ein Referieren fluchtpunktartiger Resultate, sondern erst durch die Anwendung problemgeschichtlicher Grundannahmen auf die innovative Relektüre bekannter Autoren wie Augustinus, Nikolaus von Kues oder Giordano Bruno. Erst wer mit der Allmachtslehre von Wilhelm von Ockham vertraut ist, erkennt die Brillanz der Deutung Blumenbergs, die so ungewöhnlich war, dass die Mediaevistik sich auf Jahrzehnte genötigt sah, sich zu ihr zu verhalten. Man hat also mühsam zu durchdenken, was ›Neuzeit‹, was antike ›Gnosis‹ und deren spätmittelalterliche Wiederkehr, was ›humane Selbstbehauptung‹ und ›theologischer Voluntarismus‹ bedeuten. Dazu braucht es Hunderte von gelesenen Seiten und Monate, mitunter Jahre der kontinuierlichen Auseinandersetzung. Eine auf Thesen reduzierte Abkürzung, die diese Gedankenwege als Blaupause zur Verfügung zu stellen können meint, führt bei den Texten Blumenbergs stets zur Verkümmerung des Gedankens, nicht zur Verdichtung.

Diese Kultur der Umständlichkeit, die dem Leser Gedankenumwege nicht erspart, folgt der Einsicht Kants, man könne nicht Philosophie, sondern nur philosophieren lernen.52 Die philosophische Tradition kennt vornehmlich das Genre des Dialogs, um den Leser durch den Disput über verschiedene mögliche Standpunkte in das Philosophieren durch Mitdenken hineinzuziehen. Man denke an die platonischen Dialoge, in denen die Begriffsstutzigkeit des Sokrates regelmäßig zum Ausgangspunkt philosophischer Reflexionen im Rahmen des ringenden Gesprächs wird. Oder man nehme David Humes Dialogues Concerning Natural Religion, deren Meisterleistung in der gelungenen Konfrontation verschiedener Deutungen der Natur Gottes und ihrer Erkennbarkeit besteht. Philosophie ist gemeinsame Beratung – consilium – und daher im Kern dialogisch. Davon kann bei Blumenberg auf den ersten Blick nicht die Rede sein. Er wendet sich in seinen Texten an keinen Leser, sie erscheinen wie endlose Monologe. In der Tat hat Blumenberg seine Texte nicht geschrieben, sondern diktiert. Und dennoch sind seine Schriften durch die wohldosierte Überforderung des Lesers Einladungen zum Mitdenken und zum Wiederlesen. Marcel Reich-Ranicki hat über den von ihm sehr geschätzten Siegfried Lenz gesagt, er gehöre zu jenen Schriftstellern, die den Lesern nicht nachlaufen, sondern sie zwingen, ihm zu folgen. Das trifft auch auf Blumenberg zu. Und doch gibt es eine Differenz zu der schönen Kennzeichnung von Siegfried Lenz aus dem Munde Reich-Ranickis: Lenz, so führt der Literaturkritiker in seiner Laudatio auf den Goethe-Preisträger aus, schreibe nie mit dem Rücken zum Publikum, und er strebe einen Pakt mit den Lesern an.53 Blumenberg aber ist einen Pakt mit der Philosophie eingegangen: Ihr ist er verpflichtet, nicht dem Leser. Doch noch in der Rücksichtslosigkeit gegenüber dessen Erwartungen und Aufmerksamkeitsspannen steckt die Einladung zum Philosophieren. Indem Blumenberg als Autor seinem Publikum das Entgegenkommen versagt, zwingt er es, ihm in das Philosophieren zu folgen. Und das lohnt sich, wie schon Jacob Taubes bemerkte: »Jedenfalls geschieht etwas bei Blumenberg das wichtig ist.«54

Es gibt also keinen Hauptweg, der durch das Werk Blumenbergs führt. Das Netz an Nebenwegen verlangt vom Leser, Umwege bereitwillig in Kauf zu nehmen, um dieses Œuvre zu kartographieren. Darin gleicht es dem mäandernden Strom der Geschichte. Abkürzungen sind hier wie dort nicht zu finden. Die Geschichte ist als Umwegskultur eine »Ausschöpfung der Welt«.55 In dem Fragebogen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. Juni 1982 gab Blumenberg eine Stelle aus Henrik Ibsens Peer Gynt als Motto an: »Mach einen Umweg, Peer, geh außen rum!«56

Wenn die Eingangsannahme sich als belastungsfähig erweisen sollte, dass sich in der formalen Umständlichkeit der großen Werke Blumenbergs dessen Philosophie und die von ihr reflektierte Wirklichkeit in der ihr eigenen Unübersichtlichkeit abbilden, dann ist eben diese Umständlichkeit nichts Äußeres, gar Ärgerliches, das man zugunsten einer verschlankten Darstellung überwinden könnte. Im Mythos hat Blumenberg den ersten Ausdruck eines Abbaus des Absolutismus erkannt. Ihm gelingt die Entspannung eines angespannten Weltverhältnisses eben durch das, was er »als kategoriale Bestimmung mythologischer Formen ihre ›Umständlichkeit‹« nennt: »Allmacht verwehrt es im Grunde, von ihrem Träger eine Geschichte zu erzählen. Geschichten sind, topographisch vorgestellt, immer Umwege, während absolute Macht sich im Diagramm der kürzesten Verbindung zweier Punkte auslegt.«57 Die Umständlichkeit des Mythos ist ein »Abschwächungsprinzip des Absolutismus der Mächte«.58

Indem Blumenberg Bewusstseinsgeschichten ›erzählt‹ – als problemgeschichtliche Relektüren der europäischen Geistesgeschichte –, leistet seine Philosophie auf ihre Weise Absolutismusabbau: gegen die Übermacht der Wirklichkeit, des Gottes, der Geschichte oder was sonst immer sich als übermächtig erweisen sollte. Seine Philosophie ist nicht anders zu haben als in der Gestalt, die sie angenommen hat. Sie begnügt sich nicht damit, über die notwendigen Selbsterhaltungsleistungen des Menschen zu reden – aus theoretischer Distanz der akuten Unbetroffenheit –, sie will selbst Teil dieser Anstrengung sein.

Die Umständlichkeit dieses philosophischen Werkes ist daher auch Ausdruck eines humanen Anspruches: Blumenberg möchte nicht durchschaut werden. »Denn jemanden zu durchschauen heißt im strikten Sinne, zu sein oder sein zu können wie er. Darin liegt die Zudringlichkeit, die jedermann abwehrt, der sich nicht gefallen läßt, durchschaut zu werden.«59 Blumenbergs gesamtes, nach Originalität strebendes Werk und seine unverkennbare Art zu philosophieren sind eine »Abwehr gegen das Durchschautwerden«,60 wie es die formelhafte Verdichtung, die Quintessenz des Ganzen und das Fazit unternehmen.

Dennoch lassen sich die Konturen dieses philosophischen Denkens zeichnen. Es erweist sich als möglich, wie in Aussicht gestellt, Hinweise zu geben, was Blumenberg macht und wie er es macht, um von ihnen aus leichter in die Fülle des kaum zu Referierenden einsteigen zu können. Dazu ist es sinnvoll, einen günstigen Ausgangspunkt zu wählen und einen perspektivischen Fluchtpunkt festzulegen, um Wege durch das labyrinthische Werk Blumenbergs aufzutun.

Hans Blumenberg

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