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Eine diskrete Anthropologie

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Gäbe man für einen Moment der Zumutung nach, in einem einzigen Satz sagen zu müssen, worum es der Philosophie Hans Blumenbergs geht, würde er lauten: Es geht ihr um den Menschen.

Auf den ersten Blick mag diese Auskunft so allgemein wie unbefriedigend erscheinen, vielleicht stimmig, aber ohne rechten Aufschlusswert. Sie besage alles und nichts, könnte man einwenden, und sie treffe so grundsätzlich auf das Philosophieren zu, dass für ein geistiges Profil dieses Denkers wenig gewonnen ist. Die Frage nach dem Menschen sei schließlich so alt wie der Spruch des Orakels von Delphi: Erkenne dich selbst! Doch würde man auch in einem einzigen Satz zu formulieren bereit sein, im Zentrum der aristotelischen Philosophie oder des Werks von Jürgen Habermas stünde der Mensch? Das Zögern entspringt dem Unbehagen, vielschichtige Werke mit dem Spektrum ihrer Themen auf einen zwar mitlaufenden, aber nicht ausschließlichen Aspekt verengt zu sehen. Blumenbergs Werk steht in seiner Fülle an Reflexionsfeldern den genannten Philosophien in nichts nach: Phänomenologie, Metaphorologie, Mythologie, Wissenschaftsgeschichte, Philosophie der Technik und Theologiegeschichte, um nur einige zu nennen. Erst seit der postumen Veröffentlichung der Beschreibung des Menschen ist Blumenbergs kontinuierliche Beschäftigung mit anthropologischen Fragen unübersehbar geworden – aber macht sie das kognitive Gravitationszentrum aus, auf das sich alle anderen Denkbewegungen ausrichten?

Dabei fällt eine Einordnung der Philosophie Blumenbergs in gängige Disziplinen ohnehin schwer. Sie steht quer zu üblichen Situierungen in philosophische Schulen und Lehren. Diese Passungenauigkeit hat zu einem Missverhältnis von Anerkennung und Wirkung beigetragen. Blumenbergs Bücher sind einschließlich ihrer Titel legendär, spielen aber in dem, was man ohne Abfälligkeit den akademischen Betrieb nennen kann, keine prägende Rolle. In philosophischen Lexika, Handbüchern und Einführungswerken findet Blumenberg kaum eine Erwähnung. Ich gebe drei Beispiele.

Zwar hat er sich zeit seines Lebens mit der Phänomenologie Husserls beschäftigt: Seine unveröffentlichte Habilitationsschrift Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls aus dem Jahr 1950 machte den Auftakt; während seiner Münsteraner Lehrtätigkeit war eine Vorlesung ›Ausgewählte Fragen der Phänomenologie‹ fester Bestandteil der Lehre, über viele Semester hinweg; und eines der bedeutendsten Nachlasswerke, eben die Beschreibung des Menschen, widmet sich einer subtilen Auseinandersetzung mit der Phänomenologie Husserls. Dennoch werden Blumenbergs Beiträge zur Phänomenologie innerhalb der Fachdiskussionen kaum als solche registriert.

Das faszinierendste Moment an Blumenbergs Philosophie der Geschichte ist seine Hermeneutik. Sie bietet subtile Analysen des Wandels geistesgeschichtlicher Hintergründe als Bedingung der Möglichkeit, dass sich im Vordergrund erkennbare Transformationen des Selbst- und Wirklichkeitsverhältnisses des Menschen durchzusetzen vermochten. In immer wieder überraschenden Wendungen werden so auch sattsam bekannte Autoren einer innovativen Lesart unterzogen. Wenngleich die Leistungsfähigkeit dieser Hermeneutik nicht bestritten worden ist, kommen auch jüngere Gesamtdarstellungen der Geschichte der Hermeneutik ohne eine Nennung Blumenbergs aus. Obzwar von aufschließender Kraft, wird Blumenbergs Hermeneutik in der allgemeinen philosophischen Wahrnehmung von Hans-Georg Gadamers hermeneutischem Grundlagenwerk Wahrheit und Methode überdeckt. Wer hierzulande von philosophischer Hermeneutik im 20. Jahrhundert spricht, hat Blumenberg kaum im Sinn.

Die Fluchtlinien von Blumenbergs Werk laufen auf eine philosophische Anthropologie zu. Immer wieder lassen sich leitmotivisch Befragungen und Bestimmungen des Menschseins in seinen Texten auffinden. Die zentrale Kategorie der Selbsterhaltung der Vernunft als Notwendigkeit in einer auf sie nicht abgestimmten Wirklichkeit rückt seine Überlegungen in die Nähe klassischer philosophischer Anthropologien. Dennoch wird Blumenberg im Vergleich zu Arnold Gehlen, Helmuth Plessner und Max Scheler nicht zu einem ihrer bedeutenden Repräsentanten gezählt. Er hat keinen eigenen, klar umrissenen Beitrag zu ihr geleistet, der in die entsprechenden Annalen der philosophischen Anthropologiegeschichte eingegangen wäre.

Blumenbergs Denken zeichnet sich durch eine Eigenwilligkeit aus, die eine fugenfreie Einfügung in das Design der jeweiligen philosophischen Teildisziplinen vereitelt. Das hat auch damit zu tun, dass Blumenberg seine methodischen Ansätze in seinen Werken stets anwendete und am Quellenmaterial erprobte, aber kaum in eigenen Schriften vorstellte. Er hat keine expliziten Aufsätze zu seiner Hermeneutik des Hintergrundes vorgelegt, er publizierte zu Lebzeiten weder eine philosophische Anthropologie noch eine Monographie, die sich ausschließlich und unmittelbar der Phänomenologie Husserls widmete. Warum aber soll sich seine Philosophie im Kern als eine Vergewisserung über den Menschen ausweisen lassen?

Blumenbergs Art von Anthropologie hat sich der Einbettung in die klassischen Formate verweigert. Der vergleichende Blick auf jene Klassiker, welche die Anthropologie zu einer disziplinären Ausdrücklichkeit vorangetrieben haben und sie gleichsam als Wissenschaftsauftrag institutionell zu verankern vermochten, verdeckt eher Blumenbergs eigenen Zugang. Wiederum in einen Satz gefasst, lässt sich über seine Philosophie sagen: Sie verfolgt eine diskrete Anthropologie. Ich nenne sie ›diskret‹, da sie der Frage, was es mit dem Menschen auf sich hat, indirekt nachgeht. Sie ist oftmals unauffällig am Werk. Sie wendet sich zunächst dem implizit Anthropologischen in Kontexten zu, die auf den ersten Blick nichts mit der Lehre vom Menschen zu tun haben müssen. Sie fragt nach den latenten, unbemerkt vorhandenen Einschlüssen des Humanen in unseren artikulierten Wirklichkeitsbeziehungen. Überspitzt gesagt: Das Menschliche ist ein Implikat. Zwar gibt es auch im direkten Zugriff etwas über den Menschen zu sagen, aber wie dürftig sind diese Selbstauskünfte gegenüber der Fülle an Weltbeziehungen, denen man das jeweils spezifisch Menschliche erst ablesen muss.

Eine diskrete Anthropologie reagiert somit mit ihrer zurückhaltenden Beantwortung der Frage nach dem Menschen auf die Verlegenheit, dass niemand von uns auf Anhieb zu sagen vermag, was es mit dem Menschen auf sich hat, obwohl jeder von uns einer ist. Alle Anthropologie geht somit von einem befremdlichen Befund aus: »So paradox es klingt: obwohl wir Menschen sind, wissen wir nur ganz ungenau, was ›das Menschliche‹ ist.«61 Gerade der Mangel an Eindeutigkeit verlangt nun nach umwegigen Formen der Auskunft. Blumenbergs diskrete Anthropologie scheut daher jene starken Thesen, die sie von anderen referiert und in ihrer Gegenüberstellung relativiert. In der Beschreibung des Menschen listet er an die fünfzig verschiedene Annäherungen an Definitionen des Menschen auf, um eben die sich damit ausdrückende Verlegenheit zu dokumentieren, dass der Mensch nicht auf einen Begriff gebracht werden kann.62

Wie schon Blumenbergs Zettelkasten eine Materialisierung der Notwendigkeit einer Philosophie der Umwege darstellt, steht auch seine Anthropologie für ein Abschreiten der vielen Denkwege, um sich – am bedachten Gegenstand entäußernd, doch diskret – darüber zu vergewissern, was es mit dem Menschen auf sich hat. Paradox formuliert sucht die diskrete Anthropologie den Menschen in den Blick zu nehmen, indem sie ihn – zumindest zunächst – nicht zum Thema macht: »Je allgemeiner der Gegenstand ist, von dem wir sprechen«, und mit dem Menschsein ist etwas Allgemeines erfragt, »um so weniger vollziehen wir dieses Sprechen dadurch, daß wir den Gegenstand selbst im Blick zu behalten suchen, im Gegenteil: vom Allgemeinen spricht es sich am besten, indem man von ihm absieht.«63 So fragen Blumenbergs groß angelegte Relektüren der gedachten Welt expressis verbis nach dem Wandel der epochalen Wirklichkeitsverhältnisse – beiläufig hat in ihnen eine jeweilige Welt- und Selbstinterpretation des Menschen ihre mitunter nicht eigens artikulierte Gestalt gefunden. Seine Bücher handeln vom Mythos und von der Kosmologie, von der Allmacht Gottes und der Lesbarkeit der Welt, sie reflektieren die Möglichkeit einer Philosophie der Geschichte, fragen nach der Leistung des Begriffs und der Notwendigkeit der Metapher. Doch in all dem ist der Mensch stets mit erfragt. Es käme daher einer Fehleinschätzung gleich, die Beschreibung des Menschen als Blumenbergs monographisch verdichtete Anthropologie neben die thematisch anders gelagerten Bücher zu stellen. Sie ist nur der ausdrücklichste Beleg einer im gesamten Werk im Hintergrund wirksamen anthropologischen Ausrichtung.

Für diese inwendige Perspektivenausrichtung gibt es bedeutsame Selbstauskünfte Blumenbergs. Auf die Frage, was Philosophie zu leisten habe, hat er geantwortet, sie sei im Kern »nichts anderes als werdendes Selbstbewußtsein des Menschen«.64 Die innerdisziplinären Ausprägungen der Philosophie finden für ihn ihren inneren Zusammenhalt in dem Versuch einer humanen Selbstverständigung: »Ob Philosophie wesentlich als Geschichte des Geistes, als Theorie der Erkenntnis, als Anthropologie, Ethik, Ontologie oder gar als formale Logik auftritt und verstanden wird – dies alles sind im Grunde nur Spielarten des einen Willens zu dieser einen Sache: zur Sprache zu bringen, was menschlich ist und was sich im Menschlichen zeigt.«65 Blumenberg hat den anthropologischen Fluchtpunkt seines Philosophieverständnisses wiederholt herausgestellt: »Die Aufgabe, die der Philosophie im Verband der Wissenschaften zufällt, läßt sich auf ihre Funktion im geistigen Haushalt des Menschen überhaupt zurückführen. Die zahllosen Definitionen, die für die Leistung der Philosophie in ihrer Geschichte gegeben worden sind, haben ihren Kern in einer Grundformel: Philosophie ist werdendes Bewußtsein des Menschen von sich selbst.«66 Ganz gleich also, wovon die Philosophie handelt, stets handelt sie auch vom Menschen. Noch in der Hinwendung zu Gegenständen, die außerhalb des Radius einer Anthropologie zu liegen scheinen – Atome etwa oder Sterne –, kommt der Mensch mit in den Blick: »Der Mensch begreift sich nur über das, was er nicht ist, hinweg.«67 Oder anders gewendet: »Nichts, was uns die Welt zu verstehen hilft, kann vergeblich sein, unsere Welt zu verstehen.«68 Insofern besitzen alle Formen wissenschaftlicher Theorie für ihn eine latente Ausrichtung auf den Menschen: »Die Beliebigkeit des Gegenständlichen, die so weithin den ausgebildeten und spezialisierten wissenschaftlichen Betrieb kennzeichnet, darf nicht verdecken, daß alles wissenschaftliche Forschen in einer originären Bedeutsamkeit für das menschliche Dasein wurzelt«,69 schreibt Blumenberg schon in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1950.

Den Menschen als Fluchtpunkt der humanen Neugierde an der Welt anzusehen, trotz der disziplinären Ausdifferenzierung dieses Interesses, macht einen Grundzug der Moderne aus. »The proper study of mankind is Man«,70 postulierte Alexander Pope in seinem zuerst 1733 erschienenen Essay on Man. Dem Einzelnen stehe es offen, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn anziehe, heißt es in Goethes Wahlverwandtschaften, »aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch«.71 Und Ernst Cassirer sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sein Interesse an psychologischen, ontologischen und epistemologischen Fragen, an Mythos und Religion, Sprache, Kunst, Naturwissenschaft und Geschichte ergebe nichts als eine zusammengewürfelte Ansammlung aus disparaten und heterogenen Elementen. Er hielt dem entgegen, alle erwogenen Themen bildeten »letzten Endes ein einziges Thema«, sie seien »verschiedene Straßen, die zu einem gemeinsamen Mittelpunkt führen«.72 Um diesen Mittelpunkt zu bestimmen, hat Cassirer eine Philosophie der Kultur auf den Weg gebracht, in deren Zentrum der Mensch steht.

Blumenberg zeichnet daher in großen Bögen Bewusstseinsgeschichten nach, die der diskreten Anthropologie zuarbeiten. Als ein Stück historische Anthropologie sucht er gewesene Bedeutsamkeitshorizonte des Menschen zu sichern, da für ihn die moderne Einsicht in die Historizität jedes humanen Wirklichkeitsverständnisses unhintergehbar ist. Zugleich ist diese Anthropologie eine unfertige, also eine sich noch im Werden befindliche, da wir erst wissen werden, was der Mensch ist, wenn er alles gewesen sein wird, was zu sein er in der Lage war.

In der Art einer Bedeutungsarchäologie widmet sich Blumenbergs diskrete Anthropologie den Bewusstseinsschichtungen: Wie eine einzelne Person nicht einfach Erinnerungen hat, sondern ihre Erinnerungen ist, so ist auch der kulturierte Mensch – und einen anderen gibt es nicht – eingebettet in Bewusstseinsgeschichten, »in Geschichten verstrickt«,73 wie es bei Wilhelm Schapp heißt. Eine diskrete Anthropologie ist schon ihrer Konzeption nach spezifisch modern, ist doch die Neuzeit eine »Epoche des Bewußtseins«74 – um jede Spur eines Hegelianismus und mit ihm die Erwartung teleologischer Entwicklungen zu vermeiden, spricht Blumenberg von ›Bewusstsein‹ und nicht von ›Geist‹. Blumenbergs Philosophie will herausstellen und, wo nötig, zur Ausdrücklichkeit bringen, was in den Sedimenten der Bewusstseinsgeschichte des Menschen markant oder oftmals bis zur unkenntlichen Selbstverständlichkeit eingelagert ist.

Eine diskrete Anthropologie der vielen Denkwege ist letztlich von einem »geschichtlichen Respekt vor der Gleichrangigkeit der menschlichen Selbsthilfen im Weltverständnis«75 getragen. Kaum etwas hat Blumenberg mehr verachtet als die »Mediatisierung der Vergangenheit für die Gegenwart, für eine Gegenwart, für deren Relevanzforderungen, ihre Aktualitätsmaße, die nur das auf diese Gegenwart Durchschlagende gelten lassen«.76 Was er als die Geschichte der Bewusstwerdung des Menschen nachzuzeichnen sucht, setzt auf eine nacherzählbare Kontinuität, für die man keinen Fortschrittsglauben unterstellen muss. Jedes für uns lesbare Dokument aus den Tiefen der Geschichte des Menschen, wie auch jedes von uns der Nachwelt vermachte Zeugnis unserer selbst, beglaubigt die nicht korrumpierbare Verwandtschaft aller Menschen vor der Aufgabe der Selbsterhaltung. In dem Titel seines 1981 erschienenen Aufsatzbändchens Wirklichkeiten in denen wir leben hat Blumenberg das leicht übersehbar zum Ausdruck gebracht: Denn es sind ›wir‹, die in Wirklichkeiten leben. Manfred Sommer hat darauf hingewiesen, mit diesem ›wir‹ seien keinesfalls allein die Gegenwärtigen gemeint, verdanke sich doch das, was unser Leben ausmacht, in unaufhebbarer Weise unseren Vorfahren; doch auch die, die noch kommen, gehören zu diesem ›wir‹.77

Blumenbergs Blick auf die weitverzweigte Geistesgeschichte stellt also den Versuch dar, in oftmals groß angelegten Spannungsbögen nachzuerzählen, wie sich in der Bewusstseinsgeschichte zur Sprache gebracht hat oder zur Sprache bringen lässt, was menschlich ist und was sich – bisher – im Menschlichen gezeigt hat. Dadurch unterläuft seine Philosophie die akademischen Erwartungen eines Formats von Aussagen, die für eine philosophische Anthropologie unmittelbar von Relevanz sind. Ihre Postulate und Einsichten sind oftmals zu indirekt formuliert, um als genuine Beiträge auf die Frage, was der Mensch denn sei, wahrgenommen zu werden: Die Glossen zu Fontane etwa, die Ausdeutung von Gipfeltreffen prominenter Zeitgenossen, die Achtsamkeit gegenüber Anekdoten – all das droht vorschnell einer literarischen Ambition Blumenbergs zugeschlagen und somit klammheimlich um seine philosophische Bedeutung gebracht zu werden. Für Blumenberg gibt es aber nichts, was zu entlegen wäre, um nicht einer diskreten Anthropologie hilfreich sein zu können. Jeder der von ihm herangezogenen Funde belegt, »daß in der Geschichte nichts so abseitig und abwegig sein kann, wie es sein müßte, um nicht die Spur eines menschlichen Sachverhalts, einer emotionalen Last, einer Bedrängnis im Denken zu liefern«.78

Henning Ritter hat Blumenberg daher einen »Physiognomiker der vielen Gesichter des Denkens«79 genannt. Ein philosophisches Portrait des Menschen besteht für Blumenberg aus all den gewesenen und möglichen Gestalten, die das Bewusstsein von der Wirklichkeit annehmen kann. Daher hat für ihn die Tradition selbst »einen selektiven Effekt, und zwar auf das ›menschlich‹ Bedeutsame hin: was den Menschen zentral affiziert, was unabhängig von den Aussichten theoretischer Verifikation seinem Selbstverständnis zur Artikulation verhilft«.80

Die nicht erreichbare letzte Eindeutigkeit und das zugestandene Ausbleiben definitorischer Klarheit über den Menschen prägen nicht nur die Vorgehensweise einer diskreten Anthropologie, sondern auch die Art und Weise, wie sie ihre Einsichten präsentiert. Blumenbergs diskrete Anthropologie erweist sich gleichsam vom intellektuellen Temperament her als taktvoll, da sie ihre Einsichten dem Leser durch eigenen Nachvollzug anzubieten und nicht in der Gestalt von starken Thesen aufzudrängen sucht. Der in seinen Einschätzungen feinsinnige Henning Ritter hat davon gesprochen, Blumenberg lehre »Umwege zu gehen, auf denen man sich nicht verfehlen kann«.81 Vielleicht macht der diskrete Charakter dieser Art von Anthropologie, wie Blumenberg sie offeriert, einen Teil ihrer Attraktivität aus: Ganz gleich, womit Blumenberg sich beschäftigt, wartet auf den Leser die Erfahrung: Es geht zumindest indirekt und somit diskret auch um sein eigenes Leben.

Bei aller Wuchtigkeit der Bücher ist dieses Angebot dezent. Für Blumenberg ist Philosophie eine »Disziplin der Aufmerksamkeit« und dem »Dienst an der Schärfung der Wahrnehmungsfähigkeit im weitesten Sinne«82 verpflichtet. Aufmerksamkeit aber ist »geradezu eine Form von Freiheit«, die es auch im Angesprochenen zu wahren gilt: »Belehren läßt sich ohne Einbuße an Autonomie keiner, aufmerksam machen jeder.«83 Und sei es darauf, was es wohl mit dem Menschsein auf sich hat.

Hans Blumenberg

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