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Es hieß, sie führen nach Osten, um bei der Abschaffung der polnischen Wirtschaft und beim Aufbau des Generalgouvernements zu helfen, in Steinbrüchen und beim Straßenbau. Es hieß auch, sie sollten mal richtig arbeiten lernen. Daniel erinnerte sich, dass die Partei, die seine Inhaftierung betrieben hatte, einer nationalistischen, vulgär-sozialistischen Ideologie anhing und diese im Dunst missbrauchter Festsäle verkünden ließ. Also die Juden und Sozialdemokraten und besonders die jüdischen Sozialdemokraten sollen arbeiten lernen! Als hätte er nie gearbeitet, als hätten seine Eltern nicht gerackert! Wenn er schon arbeiten musste, warum wurde er dann so behandelt? Wer arbeitet, soll essen, darf nicht frieren. Daniel rechnete mit vielem, sogar mit einer besonderen Strafe für das fehlende J im Pass. Aber dass sein Leben auf dem Spiel stand (es gab Gerüchte), glaubte er nicht. Leute umbringen, weil sie keine Vorhaut haben, weil sie das Laubhüttenfest feiern? Absurd. Er war noch jung und glaubte an die Erklärbarkeit der Welt, dass sie im Prinzip verständlich sei, wenigstens bei einem tieferen Verständnis, als ihm jetzt gegeben war. Und wie zur Bestätigung seiner Theorie kam er aus dem Übergangslager, der alten Fabrik, in ein überheiztes Büro, wo er von zwei Ledermänteln empfangen wurde, die ihn zurück in die Stadt fuhren, aber nicht in seine Wohnung, sondern in das Polizeipräsidium.

„Ich erklär dir alles später, jetzt verschwinden wir, bevor die es sich anders überlegen.“

Hartkopf hatte ihn kurz begrüßt, ihm auf den Rücken geklopft. Er drängte zum Gehen und zerrte ihn fort, so dass Daniel beinahe gefallen wäre.

„Ich möchte wenigstens meine Sachen wiederhaben!“

„Bloß kein Aufsehen! Lass die Klamotten.“

Hartkopf zog ihn über das Laminat des Präsidiums. Sie stiegen rasch die Freitreppe hinab, nachdem sie das rechteckige Portal, ein Tor wie zu einer Grabkammer, verlassen hatten. Sie hasteten entlang einer Reihe Polizeiautos und bogen in die Seitenstraße. Dort stand der dreiräderige Lieferwagen, der T2, mit dem Hartkopf gekommen war, und davor ein Polizist, der sich die Nummer notierte. Es hatte keinen Zweck, weiterzugehen und so zu tun, als gehörte einem der Wagen nicht.

„Stimmt was nicht, Meister?“

„Ihre Papiere.“

„Für Dreiräder braucht man keinen Führerschein.“

„Die Personalien.“

Der Wachtmeister blickte streng unter seinem Tschako hervor. Hartkopf zeigte die Papiere, die er im Krieg immer bei sich trug.

„Sie stehen im Halteverbot.“

„Entschuldigung. Wir hatten dienstlich in Ihrer Behörde zu tun, eine Angelegenheit betreffend, die keinen Aufschub duldet.“

„Das nächste Mal denken Sie daran.“

Der Wachmann tippte an den Tschako und schritt davon.

„Freundlicher Kerl, war nur eine harmlose Sache, Dan, wirklich.“

Jetzt erst fiel Hartkopf auf, dass mit Spielstein etwas nicht stimmte.

„Was ist denn?“

Daniel las von Hartkopfs Gesicht und sagte in das Rauschen:

„Ich kann nicht hören, sie haben mir die Ohren kaputt geschlagen.“

Hartkopf schickte den Betriebselektriker Fritz Radebusch in die Pfarrer-Gyssel-Straße, um die Sachen von Daniel zu holen, so unauffällig wie möglich. Dans Zimmer war möbliert, so dass alles, was ihm gehörte, auf das Tempo-Dreirad passte. Zwei Hausbewohner, Zeugen der Verhaftung, drückten sich an Radebusch vorbei, im Glauben, er sei eine Art Gerichtsvollzieher der Gestapo. Nachdem Fritz alle Sachen herausgeholt und untergebracht hatte, verschloss er die Wohnung und lieferte den Schlüssel bei dem Hausmeister ab, der hinter seiner Tür die Räumung verfolgt hatte und bei der Entgegennahme des Schlüssels keine Fragen stellte, als wäre es selbstverständlich, dass Menschen in dieser Zeit plötzlich verschwinden und Fremde ihr Hab und Gut davontragen. Jeder hielt sich an die Regel: Wo die Geheimpolizei war, da stellt man keine Fragen mehr.

Radebusch, der selbst allen Grund hatte, unauffällig zu leben und wenig zu reden, war rechtzeitig fertig geworden, einen Raum, kaum vier mal vier Quadratmeter, neben der Schlosserei des Kieswerkes einzurichten. Dorthin stellte er die mitgebrachten Sachen. Ab diesem Tag lebte Daniel Spielstein in dem Raum, der „Löwengrube“, zurückgezogen von der Welt, versorgt von Hartkopf, Radebusch und deren Frauen. Die ‚Organisation‘ hatte strikte Zurückgezogenheit befohlen, obwohl Daniel jetzt ordentliche Papiere besaß. Nur im Notfall möge man sich bei Herrn von Grein melden, dem Verbindungsmann, mit dem Hartkopf die Bedingungen für das Überleben Daniels ausgehandelt hatte. Der Arzt, den Daniel konsultieren wollte, war unbestimmt verzogen. Die Eintönigkeit des Dahinlebens und die Angst vor Unbekannten zögerten den Besuch eines anderen Arztes hinaus. Das Brausen in Dans Kopf hatte zwar nachgelassen, aber das Gehör blieb beschädigt. Hartkopf und Radebusch gewöhnten sich an, mit Daniel laut und artikuliert zu sprechen.

Was Daniel Spielstein blieb, war das nackte Leben, die Löwengrube und der 9-Uhr-Kaffee. Manchmal fragte er sich, woher und wieso Hartkopf die Kontakte zur Organisation hatte. Wie auch immer, er hatte sie genutzt, ihn aus der Haft zu befreien und vor einem Lager im Osten zu retten. Wer Jude war, sprach sich schnell herum. Die Leute kramten in Erinnerungen und wussten, wer den Sabbat feiert und wer in die Kirche geht. Und es gab Frauen, die untrügliche Zeichen am Fleische hätten angeben können. Aber sie hüteten sich wohl, darüber zu sprechen. Wer also hatte ihn denunziert?

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