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6.

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Masrat war der jüngste Sohn des Hof- und Brennereibesitzers. Er hatte Pädagogik studiert, aber den Schuldienst früh quittiert, weil er in eine Affäre verwickelt gewesen sein soll, über die niemand offen sprach, denn es sei „Schnee vom letzten Jahr“. Trotzdem, einige munkelten von Bestechung und Verführung Minderjähriger. Er hatte sich früh der herrschenden Partei angeschlossen, weil sie seiner Auffassung von Zucht und Sitte, vom neuen Menschen, der sich höheren Zielen bedingungslos unterordnet, entgegenkam, und weil er hoffte, die Gerüchte über ihn würden dadurch endgültig verstummen. Er spürte „abartigen“ Zeitgenossen nach, Abweichlern und Zugereisten, die nicht, wie er sich ausdrückte, in „unseren Volkskörper“ gehörten. Seine Familie war alteingesessen, gut katholisch. Unter Seinesgleichen im Dorf, den Bauern, Ladenbesitzern, Kneipiers und einigen Beamten ließ er sich schon einmal gehen, warf Runden, verkündete die neue Zeit und gab zum Besten, wer nicht mehr in sie hineingehöre: alle die es „mit der internationalen Verschwörerbande halten und Schweinkram schreiben“. Dabei fielen auch Namen. Er machte gerne Andeutungen, weil er sich dann der besonderen Aufmerksamkeit sicher sein durfte. Hatte er anfangs nur Informationen aus seinem Parteizirkel durchsickern lassen, begriff er bald, dass er selbst Macht ausüben konnte, wenn er von sich aus durch erfundene Andeutungen Personen einkreiste, ohne sie zu benennen. Er beobachtete zu seiner Lust, wie solche Personen isoliert wurden, weil niemand etwas mit ihnen zu tun haben wollte. Das hatte Masrat gelernt: Man musste sich zum Apparat bekennen, je lauter, desto besser, dann durfte man ihn bedienen, und er tat, was man wollte, wenn nur die Wünsche nicht übertrieben waren, die Ziele nicht zu hoch gesteckt, nicht ins Politische, und nicht so, dass man anderen aus der Partei in die Quere kam. Er war auf dem besten Weg, sich diese Entdeckung im großen Stil nutzbar zu machen, nachdem er festgestellt hatte, dass sich selbst Behörden auf seinen Wink hin in Bewegung setzten, Menschen verhörten und verhafteten - aber ihm blieb keine Zeit dazu.

Seine Gewohnheit, an Samstagabenden in die Großstadt zu fahren, weil er, wie er tönte, am heiligen Sabbat noch Geschäfte erledigen müsse, nutzte Radebusch, um eine Rechnung zu begleichen. Er tat es mit dem Sendungsbewusstsein eines Widerstandskämpfers. Masrat ist ein kleines Würstchen, zwar ein Großkotz in Oplyr, aber in der Politik da draußen ein Niemand, er ist ein Arschloch, sagte sich Radebusch. Hat er mit seinem Gequatsche die Leute nicht ins Lager gebracht? Und was geschieht mit ihnen, wenn sie einmal dort sind? Ist je einer wiedergekommen, Jabotinsky und seine Familie, der alte Doktor Schön? Alle plötzlich abgereist, und keiner außer diesem Arsch wagt es, darüber zu sprechen. Radebusch war sich sicher, dass Masrat auch Spielstein ans Messer geliefert hatte – und zwar auf den bloßen Verdacht hin, dass Daniel Jude sei, weil er so heißt, wie er heißt, und nicht in die Kirche gehen mochte.

Fritz Radebusch kannte den Mercedes, den Masrat an den Samstagabenden eigenhändig chauffierte, einen schwarzen Dienstwagen von der Sorte, die in dieser Gegend sonst niemand fuhr. Fritz hatte die Strecke aus Oplyr hinaus Richtung Köln mehrmals mit dem Rad abgefahren, um sich die seinem Vorhaben günstige Stelle einzuprägen. Für ihn kamen zwei Punkte in Betracht, ein Heiligenhäuschen mit der schmerzensreichen Madonna unter einer Linde und eine verlassene ausgebeutete Kiesgrube, neben deren mit Stacheldraht verrammelten Zufahrt ein mannshoher Findling lag. Fritz erinnerte sich, wie die Arbeiter damals den Stein mit einem Raupenfahrzeug aus dem Sand gehoben, geschoben und an der Straße abgelegt hatten, denn die Aktion war in der Regionalpresse erörtert worden (man hatte deshalb in der Schule über Eiszeiten und schwedische Findlinge gesprochen). Dieser Stein – das war der Punkt. Die Brombeerbüsche würden ihre Schatten werfen und Fritz zusätzlich Deckung gewähren. Außerdem hatte er bei der Hand, was er zu dem Einsatz sonst noch benötigte: Baubretter und eine alte Straßensperre.

Generalprobe. Fritz versteckte das Rad und postierte sich hinter dem Findling. Noch hatte er ruhiges Blut, noch würde nichts passieren, noch lag es bei ihm, ob jemals etwas passieren würde. Scheinwerferlicht ließ sich von Weitem erkennen. Das erste stammte von einem Lieferwagen. Dann hörte er ein Motorrad noch bevor das Licht aufblitzte. Die Funzeln der Radfahrer waren kaum zu sehen, erst wenn man das Sirren der Dynamos hörte. Auf die Radfahrer musste er besonders achten. Sie sahen mehr als die Motorisierten. Fritz stand eine weitere halbe Stunde. Dann leuchtete die Madonnenlinde, ihr Wipfel erstrahlte. Es konnte kein Lastauto sein, denn der Wagen fuhr leise und war erst zu hören, als Fritz sich ducken musste, um nicht von den Scheinwerferkegeln erfasst zu werden. Fritz merkte sich die ausgeleuchteten Stellen, wo er sich keinesfalls würde aufhalten dürfen. Der schwarze Mercedes fuhr schnell, seine 80 Sachen. Fritz käme nicht darum herum, ein Hindernis auf die Straße zu werfen.

An dem Abend regnete es. Radebusch wusste nicht, ob das Wetter vorteilhaft war oder nicht, und redete sich ein, der Regen erleichtere sein Vorhaben. Fritz startete früh und wählte zunächst die entgegengesetzte Richtung, um am Rande des Vorbergs über ein wenig benutztes Sträßchen zu fahren, das am Wegekreuz in die Landstraße mündet. Dort stieg er ab und achtete darauf, dass weder seine Schuhe noch die Reifen Profilspuren hinterließen. Er betrat sorgfältig nur Weideland und stieß sein Rad in eine Hecke. Er löste seinen Brotbeutel von der Querstange und vergewisserte sich, dass sein Inhalt vollständig war. Fritz hielt sich ungefähr eine Minute an der Hecke auf und suchte mit den Augen die Felder ab. Er sah niemanden und entschloss sich deshalb loszumarschieren. Er schritt ruhig mit gesenktem Kopf und schaute sich nicht um. Wer ihn beobachtete, sollte den Eindruck eines unbekümmerten Fußgängers gewinnen, der bei diesem Wetter dafür sorgte, schnell und ohne Umwege nach Hause zu kommen.

Nach einer halben Stunde erreichte er den Findling und verschwand hinter einer Aufschüttung von Kies. Dort schlug er sein Wasser ab und nutzte die Gelegenheit zur eingehenden Prüfung des Umfeldes. Dann bezog er Posten. Er verstaute seinen Beutel am Fuß des Findlings in einer Nische, wo der Regen nicht hineinreichte. Fritz war bis auf die Haut durchnässt. Er hatte keine Vorkehrung dagegen getroffen. Es war jetzt auch seine Sorge nicht. Er beeilte sich, die Bretter und die Straßensperre heranzuschleifen, wiederum nach langem Absuchen der dunklen Ränder an Hecken und Wegen. Er war noch uneins mit sich, ob er das Brett und ein paar Steine nehmen sollte, um die Fahrt des Autos zu unterbrechen, oder die Straßensperre, die dazu diente, die Ausfahrt zu sichern, wenn die schweren Laster die Rampe vom Grund des Kieslochs heraufkeuchten und auf dem letzten Stück zur Straße beschleunigten. Die Sperre hatte er früher schon zwei- oder dreimal gesehen. Jetzt wurde ihm klar, dass er sie nicht verwenden durfte, denn sie sah nach Absicht aus und verriet etwas von der Vertrautheit mit dem Ort, den die Polizei bald vermessen würde. Er zerrte die Bretter zum Findling, dazu ein paar Steine, und schickte sich ins Warten. Wenn Masrat bei diesem Wetter nicht kommt? Dann bist du nur das Risiko eines Schnupfens eingegangen. Radebusch machte seinen Rücken krumm und ließ den Regen an sich hinablaufen. Als er hochsah, stachen ihm Scheinwerferfinger entgegen. Er konnte sich nicht entschließen, die Steine und das Brett auf die Fahrbahn zu werfen. Untätig hockte er hinter dem Findling. Er hatte Glück. Es war nicht der Mercedes. Radebusch schleppte nun die Hindernisse auf die Straße. Komme, wer wolle.

Der Mercedes hielt. Er war bei dem Regenwetter langsam gefahren und brauchte nicht scharf zu bremsen, als hätte sein Fahrer hier und an keiner anderen Stelle halten wollen. Fritz verharrte regungslos hinter dem Findling. Er schaute nicht einmal hinüber. Er wollte selbst ganz lebloser Gegenstand sein, um nicht aufzufallen. Der Fahrer stieg aus, stemmte die Hände in die Hüfte, schaute sich um, fluchte ungezwungen, etwa in der Art „verdammte Scheiße, das auch noch“. Er schob seinen Stiefel an das Brett und wollte es von der Straße schleudern, aber es gelang ihm nur, das Brett zu drehen, so dass er sich bücken musste. Er warf es mit beiden Händen auf die Seite, wo Radebusch wartete, atemlos, mit gesenkten halboffenen Augen. Fritz blickte erst auf, als die Fahrertür klappte. Kaum war der Wagen angefahren, blieb er wieder stehen. Masrat stieg aus, verbeugte sich vor dem Kühler, so schien es, griff einen von Radebuschs Steinen und reckte sich. Da endlich schoss Radebusch. Masrat stand lange suchend vor dem Auto. Die Scheinwerfer beschienen seine Hosenbeine und Schuhe. Er konnte nichts in der Richtung erkennen, aus der geschossen wurde, darum fragte er, gewissermaßen sich selbst: „Ist da jemand?“ Fast bittend. Es muss sich ja aufklären lassen, ich bitte um Aufklärung des Irrtums! Fritz feuerte ein zweites Mal. Es riss den Fahrer herum. Er griff an die Schulter, stolperte auf die Tür zu, die in Fahrtrichtung offen stand, und tauchte in die Fahrerkabine. Das Glas der Beifahrertür platzte, Splitter schossen nach innen und trafen den Fahrer am Gesicht. Radebusch hatte ein drittes Mal gefeuert. Nun glaubte das Opfer an keine erfolgreiche Flucht mehr. Er griff mit seinem linken Arm über den Schoß und fingerte nach dem Revolver, der zwischen den Sitzen klemmte. Als Masrat die Waffe in der linken Hand hielt, aus dem Wagen stieg und sich aufrichtete, um seinem unsichtbaren Gegner mit der Pistole zu trotzen, fiel der letzte Schuss. Radebusch schnappte den Beutel, verließ die Schatten der Büsche und des Findlings und stolperte in Fahrtrichtung davon. Er wurde von den Scheinwerferkegeln erfasst, bevor er rechts abbiegen konnte.

„Dich kenne ich doch. Ich kenne Sie!“

Masrat erschöpfte sich in der Empörung über den Anschlag. Er schoss nicht zurück, er staunte nur. Jetzt war Radebusch außer Sicht. Er lief hinter der alten Kiesgrube auf Gegenkurs, in die Richtung, aus der das Auto gekommen war und wo sein Fahrrad stand. Als er sein Rad gefunden hatte, überzeugte er sich davon, dass nichts fehlte.

Mombasa

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