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Produzenten und Kaufleute
ОглавлениеEine langlebige wirtschaftshistorische These besagt, dass der gesamte Handel in Asien ausschließlich von pedlars getragen wurde. Sie geht auf den Niederländer Job C. van Leur zurück,14 der das Verdienst für sich beanspruchen darf, in seiner Untersuchung des frühen indonesischen Handels die wissenschaftliche Begrifflichkeit Max Webers in die Erforschung asiatischer Geschichte eingeführt zu haben. Leider konnte er die Forschung zu seinen Thesen nicht vertiefen, da er zu den zahlreichen niederländischen Opfern des Zweiten Weltkrieges im Pazifik zählte. Es war Niels Steensgaard, der seine Interpretation der Ostindien-Kompanien dezidiert auf dieses Konzept bezog und so wesentlich dazu beitrug, dass es für lange Zeit zur Grundannahme der Forschung wurde. Aus dieser Sicht begleiteten Kaufleute ihre Ware stets selbst und verkauften sie auf Märkten, deren Bedingungen wie Angebot, Nachfrage und Preisentwicklung sie vorab nicht kannten und kaum einschätzen konnten. Entsprechend blieb solchen pedlars gar nichts anderes übrig, als mit ihren Waren auf Reisen zu gehen, um vor Ort angemessen reagieren zu können. Dieser grundlegende Charakter sorgte dafür, so Steensgaard und andere Historiker in seiner Nachfolge, dass asiatische Kaufleute nicht in der Lage waren, gegen die europäischen Kompanien zu bestehen.
Ganz abgesehen von der Frage, ob Asiens Händler tatsächlich nicht haben bestehen können, ist darauf hinzuweisen, dass Asien wesentlich vielfältigere und komplexere Erscheinungsformen kannte, als es die These vom peddling trade, die so wunderbar zur Erfolgsgeschichte der Ostindien-Kompanie passt, nahelegen will. Bereits Fernand Braudel widerspricht dieser Auffassung, wenn er die Aktivitäten von Großkaufleuten, von „gehobenen Vertretern des Handels“, hervorhebt.15 Die jüngere Forschung hat inzwischen in einer Vielzahl von Fallstudien sowohl Belege für die weit verbreitete Existenz des peddling trade als auch für komplexere Handelsverbindungen gesammelt, die auch Kreditsysteme, Handelsniederlassungen und große Transportflotten aufweisen konnten. Die Charakterisierung des asiatischen Handels insgesamt als peddling trade darf inzwischen als widerlegt gelten. Dennoch ist die Vorstellung von pedlars keineswegs abwegig. Vielmehr ist ein Nebeneinander und vor allem Miteinander von „traditionellen“ und „modernen“ Elementen zu beobachten, eine vielfältige Realität, die an Komplexität der europäischen Situation zu dieser Zeit kaum nachstand.
Eine Spielart des peddling trade prägte die unterste Handelsebene, die Ebene des lokalen Markthandels, der Versorgung von Land- und Stadtbevölkerung. Hier herrschten einfache Formen vor, hier brachten die Produzenten – Bauern oder Handwerker – Grundnahrungsmittel und Alltagsgegenstände zum Verkauf. Nicht nur der gemeinsame Weg von Ware und Anbieter zum Markt war selbstverständlich, sondern auch die Kombination des Handels mit anderen Tätigkeiten. Aber auch auf den höheren Ebenen waren zahlreiche Kaufleute unterwegs, auf die vordergründig das Etikett pedlar passt. Es war durchaus möglich, dass ein Langstreckenhändler seine Waren durch den ganzen Kontinent begleitete oder an jedem Umschlagplatz sein Sortiment veränderte und auf diese Weise häufig weit mehr als ein Jahr unterwegs war. Entscheidend ist jedoch, dass die wenigsten unter ihnen allein auf sich gestellt waren. Der asiatische Langstreckenhandel basierte vielmehr auf Netzwerken, denen das Modell des peddling trade zu geringe Beachtung schenkt.
An den Knotenpunkten dieser Netzwerke, in Städten, Häfen oder Oasen, konnte der reisende Kaufmann neben dem An- und Verkauf von Waren auf Dienstleistungen für seine Versorgung und Sicherheit zurückgreifen. An den Enden der Netzwerke war er in der Regel in ein Beziehungsgeflecht eingebunden, das sich aus Geschäftspartnern und der eigenen Familie zusammensetzte. Hier entstanden komplexe Organisationsformen wie Zusammenschlüsse von Kaufleuten, die den Grundgedanken europäischer Handelskompanien sehr nahe kamen. So beteiligten sich regelmäßig Türken, Armenier, Araber, Perser und Abessinier an den Flotten, die gujaratische Kaufleute für die Reise nach Malakka, in das Zentrum des malaiischen Gewürzhandels, ausrüsteten. Auch die Reisen einzelner Schiffe, wie den seltenen schriftlichen Überlieferungen malaiischen Seehandelsrechts zu entnehmen ist,16 oder Karawanen konnten das Ergebnis der Investitionen zahlreicher Einzelinteressenten sein.
Mehr noch als die reisenden Kaufleute selbst waren Unternehmer, die sich ganz auf den Finanzmarkt spezialisiert hatten, die entscheidenden Investoren. Sie streckten zu Beginn das nötige Kapital einer Handelsreise vor, um die Investition nach Rückkehr des Händlers mit Rendite zurückerstattet zu bekommen. Dies konnte in Bereiche führen, die dem heutigen Betrachter extrem erscheinen mögen. Die Rendite betrug in Indien oder Indonesien bis zu 100%, während der Handlungsreisende nicht nur mit seinem gesamten Vermögen haftete, sondern häufig auch mit seinem Leben – worunter weniger die Todesstrafe als die Schuldsklaverei zu verstehen war. Allerdings herrschten auf den verschiedenen Handelsebenen unterschiedliche Bedingungen. Die genannten 100% waren der Kapitalzinssatz für die zweite Handelsebene, für den grenzüberschreitenden innerasiatischen Handelsverkehr. Auf der dritten, nur regional ausgerichteten Ebene waren ebenfalls Formen der Kreditwirtschaft und spezialisierte Investoren zu beobachten, allerdings zu weitaus geringeren Zinssätzen. Die Regel waren wahrscheinlich 18 bis 20%, so weit dies heute angesichts einer Handelswelt, die im Wesentlichen auf verbindlichen mündlichen Absprachen beruhte, rekonstruierbar ist.
Vor diesem Hintergrund entwickelten sich Finanzsysteme mit übergreifenden Strukturen, die Möglichkeiten der Kreditierung über den ganzen Kontinent hinweg eröffneten. In Indien spielten Geldwechsler und ihre Netzwerke schon seit dem 14. Jahrhundert die Rolle einer Bankwirtschaft, auf die später auch die Engländer zurückgriffen. Die Niederländer nutzten ebenfalls einheimische Finanzmärkte wie zeitweilig im japanischen Kyoto. Aus der Vogelperspektive betrachtet griffen verschiedene Netzwerkstrukturen ineinander, wenn reisende Kaufleute Kapital akquirierten, auf Versorgungspotenziale zugriffen und an regionale Verteilungswege für ihre Waren anknüpften. Insofern kann eine Handelsverbindung wie die Seidenstraße nicht nur in geografischer Hinsicht als komplexes Netzwerk verstanden werden.
Die Notwendigkeit des vorelektronischen Zeitalters, große Entfernungen physisch überbrücken zu müssen, um den Waren-, Kapital- und Informationsfluss aufrechtzuerhalten, führte zur Bildung von Handelsdiasporen entlang ethnischer Grenzen, die nicht selten im Laufe ihrer Entwicklung ökonomische Schwerpunkte setzten und als spezialisierte Händlergruppen das Gesicht des asiatischen Handels prägten. Vielen ihrer Mitglieder gelang es, eine herausgehobene Stellung im Herrschaftsverband ihrer Wahlheimat zu erlangen. Versteht man unter Diasporen Gruppen einer spezifischen kulturellen Identität, die als solche dauerhaft in einer fremden Gesellschaft leben, kommt rasch der Eindruck isolierter Exilanten auf. Auch wenn die Exilerfahrung vielfach eine soziokulturelle Rolle gespielt haben mag, müssen gerade aus ökonomischer Sicht die Kontakte in die Heimat oder zumindest in starke Wirtschaftszentren besonders betont werden. So griff auch die vielleicht prominenteste Gemeinschaft dieser Art, die seit der Antike aus ihrer palästinensischen Heimat vertriebenen Juden, auf große Gemeinden in wichtigen Städten wie Kairo zurück. Die meisten Diasporagruppen bildeten Netzwerke mit einer mehr oder weniger starken Anbindung an die Ursprungsgesellschaft aus, wodurch ihre starke Rolle überhaupt erst möglich wurde.
Den größten Einfluss einer Diaspora in Asien konnten die Chinesen aufbauen, die während der Frühen Neuzeit mehrheitlich aus der Küstenprovinz Fukien stammten. Dort waren sie von der wechselhaften chinesischen Außenhandelspolitik betroffen, in der nur kurze Phasen einer liberalen Öffnung von langen Perioden der Abschottung abgelöst wurden. Den großen Handelsdynastien der Region blieb wenig anderes übrig, als Außenposten in Süd- und Südostasien zu schaffen, wollten sie weiterhin ihren Geschäften nachgehen. Vor allem in Hafenstädten entstanden so Relaisstationen des chinesischen Außenhandels, über die sowohl der Export chinesischer Luxus- und Massenwaren als auch der Import teurer Naturprodukte für Küche und Medizin abgewickelt wurden. Eine bedeutende Rolle spielten indonesische und indische Gewürze, weswegen die Chinesen für die europäischen Neulinge Konkurrenten und Ansprechpartner zugleich wurden. Der chinesische Außenhandel war vor allem ein Luxushandel; dies bedeutete einerseits die Beteiligung kapitalkräftiger Kaufleute und andererseits eine Marktkompetenz in Bereichen, die für die Kompanien von Interesse waren. Der wirtschaftliche Erfolg von Diaspora-Chinesen zog beträchtlichen politischen Einfluss nach sich. Chinesen stiegen vielerorts in höchste Verwaltungsämter auf. So bekleideten sie in zahlreichen bedeutenden Emporien das Amt des Hafenmeisters (syahbandar), eine für alle Marktteilnehmer unentbehrliche Kontaktstelle.
Eine andere Gruppe mit großem wirtschaftlichen und politischen Einfluss waren die armenischen Kaufleute, die durch die stets unsichere Situation in ihrer kaukasischen Heimat in der Verstreuung lebten. Sie verfügten über ein Netz von Gemeinden, ganz ähnlich der jüdischen Diaspora, das ebenso reisende Kaufleute wie stationäre Geldgeber hervorbrachte. Armenische Investoren etwa im persischen Isfahan entwickelten weitreichende Handelsinteressen und überließen ihren reisenden Landsleuten in der Regel ein Viertel des Erlöses als Kommission. Ein beredtes Beispiel dieses Systems war der Kaufmann Hovhannès, der von Isfahan aus elf Jahre lang nach Schiras, Surat, Agra, Patna, Katmandu und Lhasa reiste und überall auf armenische Gemeinden zurückgreifen konnte.17
Zahlreiche andere Gruppen dieser Art spannen ihre kommerziellen Netze ganz oder teilweise über Asien, doch können hier nur wenige von ihnen benannt werden. Die südindischen Chettiars etablierten sich bereits vor dem Eintreffen der Handelskompanien als Finanziers und bildeten gegen Ende des 19. Jahrhunderts das vielleicht wichtigste Geldhändlernetz im kolonialen Südostasien. Ähnliches gilt für die jemenitischen Hadrami. Sie brachten in der Hochzeit des Kolonialismus weitverzweigte Handelsdynastien hervor, die ebenfalls auf Auswanderungen zumindest seit dem 17. Jahrhundert und auf noch ältere kaufmännische Strukturen im Jemen zurückgingen. Weitere Beispiele sind die tamilischen Chulia oder die gujaratischen Banyas. So existierte im 15. und 16. Jahrhundert eine gut tausendköpfige gujaratische Gemeinde in Malakka. Zu den verschiedenen Handelsdiasporen zählten auch Gruppen geringerer Reichweite wie die Seefahrer der Bugis und Makassaren von der südwestlichen Halbinsel Sulawesis, die schon vor den tiefgreifenden Veränderungen ihres Umfeldes durch die VOC über zahlreiche Gemeinden in den Häfen des Malaiischen Archipels verfügten, insbesondere auf den Molukken. Dort gesellten sich Minangkabau aus Sumatra sowie malaiische und javanische Kaufleute zu ihnen. Solche verzweigten Netzwerke bildeten das Rückgrat zahlreicher Handelsverbindungen, mit denen sich die Europäer auseinandersetzen mussten.
Wesentlich für das enge Zusammenspiel zwischen Langstreckenhandel und Warenproduktion waren die hohen Qualitätsstandards in Asien, denkt man nur an begehrte Textilien wie Seiden- und Baumwollstoffe, an hochwertige Keramik wie die chinesische Spezialität Porzellan oder an Metallwaren wie die unübertroffenen Damaszener Schwerter. Solche Leistungen galten in Europa lange Zeit als unerreichbar, woraus ein erster komparativer Vorteil der asiatischen Wirtschaft erwuchs. Auf der anderen Seite waren nach zeitgenössischen Berichten bereits damals die Lohnkosten in Asien deutlich niedriger als in Europa, wodurch ein zweiter komparativer Vorteil ins Spiel kam. Solche Gegebenheiten lockten europäische Kaufleute an, bereiteten ihnen aber gleichzeitig auch Sorgen, tat man sich doch schwer, konkurrenzfähige Gegenleistungen auf den Markt zu bringen.
Spätestens seit Karl Marx geistert der Mythos der „orientalischen Produktionsweise“ durch die westliche Wirtschaftsgeschichte und zeichnet das Bild einer in sich geschlossenen, sich selbst genügenden Dorfgemeinschaft in perfektem Gleichgewicht. Basis dieser Produktionsweise waren demzufolge kleinere agrarische Einheiten, die zusätzlich ein Heimgewerbe betrieben, oder Dorfgemeinschaften, welche die Bewirtschaftung eines gemeinsamen Landbesitzes mit gewerblicher Produktion verbanden. Kirti N. Chaudhuri betont zu Recht, dass es sich bei dieser Sichtweise in erster Linie um ein europäisches Konstrukt handelt, um ein „inverses Spiegelbild für eine industrielle Gesellschaft des aufkommenden Maschinenzeitalters, eine imaginäre Antithese, die von Historikern und europäischen Kolonialbeamten als Gegenpol zu den eigenen verstörenden Erfahrungen mit dem strukturellen Wandel in ihrer Heimat geschaffen wurde“.18
Sicherlich wurden Agrarwirtschaft und Warenproduktion an vielen Orten in Kombination betrieben. Dies gilt vor allem für Textilien. Eine Exportorientierung der Produktion ist dadurch allerdings noch lange nicht ausgeschlossen. Zudem existierten spezialisierte Werkstätten wie die Baumwollfärbereien in Indien oder die beginnenden Seidenwebereien nicht nur in China, sondern beispielsweise auch im mittelalterlichen Byzanz. Die urbane Prägung des asiatischen Kontinents verstärkte noch die Bedeutung dieser Werkstätten, deren Produktion ihren Betreiber und seine nicht selten zahlreichen Angestellten ernähren musste. Der Übergang vom Handwerker zum Unternehmer war gerade hier oft fließend.
Die Herstellung technisch anspruchsvoller Produkte, die in Europa nicht geleistet werden konnte, erforderte darüber hinaus ein Niveau, das auf der Ebene der selbstgenügsamen Dorfgemeinschaft nicht erreicht werden konnte. Neben hochwertigen Textilien und Metallwaren, die mehrere Veredelungsprozesse durchlaufen mussten, ist das Porzellan in China ein besonders augenfälliges Beispiel hierfür. In solchen Fällen konnte das Know-how selbst zur Ware werden. Entsprechend stellte Handwerkermigration ein häufiges Phänomen in der asiatischen Geschichte dar. Durch sie wurden Herstellungstechniken und gestalterische Programme über die Grenzen von Gesellschaften und Kulturkreisen hinweg transferiert. Es existierte ein reger Austausch innerhalb des indischen Subkontinents wie auch innerhalb der islamischen Welt oder zwischen China und Südostasien. Die kulturelle Gebundenheit vieler Produkte bildete hierbei keinen grundsätzlichen Widerspruch. Symbole in Ornamenten, ja ganze Bildprogramme konnten traditionell festgelegt sein – besonders starr bei einem religiösen Nexus, wie die Symbolik der buddhistischen Kunst zeigt. Grundsätzlich aber erwiesen sich die handwerklichen Künste Asiens als sehr aufnahmebereit. Dies gilt nicht nur für die großen kulturellen Transferwellen der Indisierung in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, der Islamisierung seit dem 7. Jahrhundert und der Sinisierung vornehmlich im 14. und 15. Jahrhundert, sondern auch für kleinräumigere und jüngere Austauschformen bis in die Zeit der Kompanien hinein. So fanden selbst niederländische Bildprogramme ihren Weg auf chinesische Handelskeramik. Nicht zuletzt war es die Auftragsvergabe, welche die einheimische Produktpalette beeinflusste.
Die gewerbliche Produktion Asiens hatte in den meisten Städten, aber auch Dörfern solch ein Niveau und einen Umfang erreicht, dass eine Absatzbeschränkung auf den lokalen Kontext genauso unmöglich wurde wie in Europa. Je spezieller und anspruchsvoller ein Produkt ausfiel, desto größer musste der Absatzraum sein, desto eher produzierte der Handwerker für den überregionalen Markt, vielleicht sogar für einen „Weltmarkt“. Die Entwicklung einer spezialisierten Kaufmannschaft ging Hand in Hand mit der Entwicklung spezialisierter Handwerker, wodurch wiederum eine Ausweitung der Arbeitsteilung bei der Produktion und eine zunehmende Monetarisierung des Geschäftslebens bedingt wurden. In diesem Umfeld entwickelten sich die ersten Stufen von Unternehmertum, insbesondere dort, wo Kaufleute die auf fernen Märkten benötigten Waren in Auftrag gaben. Die Komplexität der Wirtschaft berührte auch die Belange des Staates, die sich in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Kontrolle über die Aktivitäten der Untertanen und dem fiskalischen Interesse an einer blühenden Wirtschaft bewegten. Dadurch entwickelten sich sehr unterschiedliche staatliche Versuche der Reglementierung und der Abschöpfung, verknüpft mit den verschiedenen religiösen Vorstellungen vom Wirtschaften.
Das Land, welches lange die meisten Sehnsüchte der Europäer auf sich zog, hatte die größte staatliche Reglementierung aufzuweisen. Insbesondere während der Ming-Dynastie (1368–1644) etablierte China eine Wirtschaftsverfassung, die zwar insgesamt Handel und Gewerbe weder besonders behinderte noch besonders förderte, aber eindeutig am alten Agrarstaatsideal ausgerichtet war. Der Hof in Peking zeigte wenig Neigung, gezielt die Rahmenbedingungen für neue wirtschaftliche Impulse zu schaffen, vielmehr waren die Kaufleute in ein umfassendes System von Registrierung und ausdifferenzierten Branchen eingebunden. Eine eigenständige Kategorie der Kaufleute existierte nicht; Geschäftsleute mussten aus Familien stammen, die bereits in der jeweiligen Branche etabliert waren. Fernhandelskaufleute mussten sich mit ihren Waren und Routen bei lokalen Agenten registrieren lassen, ohne deren Beteiligung auch keine Geschäfte auswärtiger Kaufleute zugelassen waren. Zudem waren Kaufleute in den konfuzianisch legitimierten Ehrenkodex der Ming-Zeit eingebunden. Von ihnen wurde erwartet, dass sie ihre Waren nur zu fairen Preisen kauften und verkauften. Bei Zuwiderhandlung, beurteilt durch die lokalen Würdenträger des Staates, hing die Bestrafung von der Diskrepanz zu den üblichen Marktpreisen ab. Die Behörden führten regelmäßige Kontrollen von Preisen, Qualität und Gewichten durch. Durch Staatsmonopole auf Salz, Tee und Alaun blieb die Kontrolle über wichtige Produktionszweige in öffentlicher Hand; private Händler wurden durch staatliche Lizenzvergabe am Absatz beteiligt. In der Praxis stand der Salzhandel aufgrund extrem hoher Lizenzabgaben nur den wohlhabendsten Kaufleute offen, während das Tee-Monopol weniger selektiv gehandhabt wurde.19
Erstaunlicherweise schränkte die Registrierungspflicht die Handlungsfreiheit der Kaufleute nur in Maßen ein. Ungefähr zur Mitte ihrer Epoche gingen die Ming-Kaiser zunehmend zu einer Wirtschaftspolitik über, die Handel und Gewerbe zurückhaltender behandelte und gleichzeitig eine Stärkung der traditionellen Agrarausrichtung mit sich brachte. Auf den Handel wurden niedrigere Steuern erhoben, während der agrarischen Produktion zunehmend Abgaben aufgebürdet wurden. Eine Ausnahme bildeten Bereiche, welche die Sicherheitsinteressen des Reiches betrafen, wodurch immer wieder auch der maritime Außenhandel betroffen war. Das Verbot des Seehandels und die militärisch kontrollierte Abschottung der Küsten bildeten eine Konstante in der chinesischen Geschichte und einen wesentlichen Grund für die Herausbildung chinesischer Diasporagruppen. Daran änderten auch einige Aufsehen erregende Ausnahmen nichts, wie z. B. das staatliche Expansions-Engagement zu Beginn des 15. Jahrhunderts, als unter Admiral Cheng Ho mehrere große Flotten die Anrainer des Chinesischen Meeres und des Indischen Ozeans aufsuchten, um von deren Herrschern Anerkennung und Tribut für den „Sohn des Himmels“ einzufordern. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser beinahe gigantomanischen Unternehmungen war gering; der maritime Außenhandel blieb die Domäne der südchinesischen Kaufmannsdynastien und ihrer Außenposten.
Gemessen am chinesischen Beispiel bildeten die Stadtstaaten des maritimen Südostasiens das entgegengesetzte Extrem. In Herrschaften, die auf der Funktion von Emporien, von Stapel- und Umschlagplätzen großer Warenmengen beruhten, bestanden ganz andere existenzielle Interessen. Doch auch hier verfolgten die Herrscher ihre Interessen, indem sie bestimmte Warengruppen, gerade im Gewürzhandel, monopolisierten. Es entstanden jedoch ebenso tatsächliche Freihäfen, deren Administration darauf achtete, dass kein Marktteilnehmer die anderen übervorteilen konnte. Die initiale Zulassung zum Markt behielten sich jedoch in fast allen Fällen die Herrscher oder ihre Regierungen vor.
Ganz ähnlich, wenn auch häufig komplexer, gestaltete sich die Situation in Indien und im arabisch-persischen Raum. Auch hier waren die Kaufleute von den lokalen Autoritäten abhängig. Stand hinter diesen jedoch eine Zentralgewalt, wie im indischen Mogul-Reich oder im safawidischen Persien, konnten Konfliktsituationen zwischen lokaler und zentraler Regierungsebene auftreten. Gerade in indischen Häfen mussten sich Europäer immer wieder mit dieser Situation auseinandersetzen. Begünstigt wurden die Interessen der Händler durch den Islam, der einen ganz anderen Kodex als der chinesische Konfuzianismus vertrat. In einer kaufmännisch geprägten Umgebung entstanden, legte er ebenfalls ethische Maßstäbe an das Handeln von Kaufleuten an, betrachtete dieses jedoch als etwas grundsätzlich Förderungswürdiges.
Mit den Europäern betraten zunächst nur einige zusätzliche Gruppen die Bühne des asiatischen Handels. Man kannte sie bereits aus dem Mittelalter, wenn auch nur als Exoten. Es waren die Portugiesen, die als erste Europäer unmittelbar am Gewürzhandel teilhaben konnten. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts regelten Kontrakte den Zufluss von Pfeffer und molukkischen Gewürzen nach Europa. Von der portugiesischen Krone privilegierte Kaufmannssyndikate waren teilweise für die Einfuhr aus Asien zuständig und teilweise für die Distribution in Europa. 1591 übernahm ein Syndikat den europäischen Part des Geschäfts, bestehend aus einer portugiesischen Firma in Antwerpen, aus Fuggern, Welsern und italienischen Kaufleuten. Der Zugang zum Gewürzhandel selbst war für die westeuropäischen Handelsmächte in dreierlei Hinsicht erschwert: Hohe Transaktionskosten, die von den Abgaben für die zahlreichen lokalen Herrscher und den Aufwendungen für den Schutz der Karawanen bestimmt wurden, machten den Landweg zunehmend unattraktiv, im Mittelmeer verfügte Venedig über eine quasimonopolistische Stellung, und ebenso quasi-monopolistisch war die Verteilung der auf dem Seeweg importierten Gewürze durch Portugal und seine Kontraktnehmer organisiert. Doch vermochten die vorhandenen Angebote die Nachfrage nicht zu decken, wodurch die Entwicklung beinahe zwangsläufig auf weitere neue Akteure auf diesem Markt hinauslief: die Ostindien-Kompanien.