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Privilegien und Freihandel

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Das 17. Jahrhundert gilt gemeinhin als das Jahrhundert, welches vom Merkantilismus geprägt wurde. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich weniger eine geschlossene Wirtschaftstheorie als vielmehr eine Denkrichtung, die einen Fundus an wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf ein praktisches Ziel hin bündelte und von zahlreichen zeitgenössischen Theoretikern, vor allem aber von der Mehrheit der europäischen Regierungen vertreten wurde. Dieses Denken beruhte auf einem dualen Ausgangspunkt. Einerseits, mit Blick auf das Innere des Staates, folgte es der Grundannahme einer unterbeschäftigten Wirtschaft, die zusätzlichen Einsatz von Produktionsmitteln, also von Arbeitskraft und Kapital, ohne Einfluss auf die Preisentwicklung ermöglichte. Andererseits, mit Blick auf die globalen Zusammenhänge, herrschte die Vorstellung, dass die Weltwirtschaft letztendlich ein Nullsummenspiel darstellte. Natürliche Ressourcen und Geldmittel standen aus dieser Perspektive nicht grenzenlos zur Verfügung, wobei der Geldwert völlig in Abhängigkeit vom Edelmetallgehalt der Münzen gedacht wurde. Geldvermehrung und die Steigerung der Umlaufgeschwindigkeit bedingten also eine positive Entwicklung des Wohlstandes im eigenen Land, die jedoch in der globalen Bilanz auf Kosten anderer Länder gehen musste. Eine nationale Regierung musste also darauf bedacht sein, den eigenen Anteil am Kuchen und damit die eigene Handelsbilanz so positiv wie möglich zu gestalten. Daraus entwickelte sich ein allgemein akzeptiertes Instrumentarium merkantilistischer Wirtschaftspolitik mit dem Ziel, bei Rohstoffen Importe zu stärken und Exporte zu minimieren, bei Fertigwaren eine genau umgekehrte Gewichtung zu erstreben und schließlich die Abwicklung von Dienstleistungen möglichst innerhalb der eigenen Grenzen zu halten. Hierzu diente vor allem eine Vielfalt an Handelshemmnissen in Gestalt von Zöllen und Abgaben sowie Verboten und Reglementierungen. Dabei war der Abfluss von Rohstoffen noch nicht unbedingt ein negatives Zeichen, soweit deren Wert auf andere Weise und anderen Wegen zurückfloss. Der Merkantilismus dachte dezidiert in globalen Zusammenhängen; ein multilateraler Handel war eine entscheidende Voraussetzung für ein erfolgreiches merkantilistisches Regierungsprogramm. Da eine möglichst positive Abschlussbilanz höchstes merkantilistisches Ziel eines Staates war, bedeutete diese Denkweise auch eine Legitimierung von Handelskriegen und die Schaffung von Instrumenten, die Handel und Krieg gewinnbringend vereinen konnten.

Die Ausrichtung des merkantilistischen Denkens war keineswegs einheitlich, sondern abhängig von der Ausrichtung der jeweiligen Volkswirtschaft. Während sich die meisten deutschen Staaten auf die Förderung von Gewerbe und Landwirtschaft konzentrierten und in der Peuplierungspolitik ein zentrales Instrument sahen, verlegten sich zahlreiche Staaten des westlichen und südlichen Europas auf den Handel. Zudem wurde nicht überall dem merkantilistischen Protektionismus der gleiche Stellenwert eingeräumt. Großbritannien war vor dem Hintergrund der eigenen gewerblichen Produktion von dieser Denkweise besonders geprägt. Ein Land wie die Niederlande, das seine wirtschaftliche Potenz vorrangig aus dem Re-Export bezog, während Landwirtschaft und Gewerbe vergleichsweise wenige Exportgüter anbieten konnten, war auf eine solche wirtschaftspolitische Ausrichtung weniger angewiesen. Vielmehr war es der Freihandel, der im genuinen Interesse der Eliten des erst 1581 vom habsburgischen Spanien unabhängig gewordenen Staates lag. Der protestantische Rechtsgelehrte und Politiker Hugo Grotius (1583–1645) setzte in seinem programmatischen Werk Mare Liberum von 1609 dieser Forderung ein breit beachtetes literarisches Denkmal:

„Wir wollen kurz und klar beweisen, dass die […] Vereinigten Niederlande das Recht haben, in bisher gewohnter Weise nach Indien zu fahren und dort Handel zu treiben. Wir wollen dabei die erste und gewisseste Regel des Völkerrechts zugrunde legen, deren Beweiskraft klar und unumstößlich ist: Jedes Volk kann ein anderes aufsuchen und mit ihm Geschäfte machen. So spricht Gott selbst in der Natur: er reicht nicht überall des Lebens Notdurft gleichmäßig dar, sondern will, dass die Völker sich hier durch diese, dort durch jene Vorzüge auszeichnen. Warum? Weil Gott wollte, dass der Mangel hier und die Fülle da die Menschen freundschaftlich zusammenführe, damit sie nicht glaubten, jeder könne sich selbst genügen und sie ungesellig würden. […] Wer also diese Ordnung beseitigt, beseitigt jene gepriesene Gemeinschaft des Menschengeschlechts, beseitigt die Gelegenheit, sich gegenseitig wohlzutun, verletzt endlich die Natur selbst. Denn beweist nicht die Tatsache, dass der Ozean, den Gott um die Länder gelegt hat, nach allen Richtungen hin befahrbar ist und dass die Winde […] nicht nur aus derselben Richtung, sondern aus allen möglichen Richtungen wehen, zur Genüge, dass die Natur jedem Volke gestattet hat, jedes andere Volk aufzusuchen?“30

Als quasi-offizielle Rechtsposition der Niederlande und „Grundgesetz“ ihrer Handelskompanie erregten solche Zeilen großes Aufsehen. Die englische Gegenposition verfasste bereits 1618 John Selden (1584–1654), Jurist wie Grotius, der in Mare Clausum die Rechtmäßigkeit weiträumiger Hoheitsgewässer rund um die Britischen Inseln betonte. Bei aller Rivalität unterschieden sich Briten und Niederländer jedoch kaum in der Ausgangsposition. Gemeinsam war ihnen, dass sie auf freihändlerischer Grundlage Front gegen die Weltordnung des Vertrages von Tordesillas machten, der 1494 die Welt in eine portugiesische und eine spanische Hemisphäre eingeteilt hatte.

Letztendlich waren die Kompanien allerdings nur sehr bedingt Vorkämpfer des Freihandels. Vielmehr zeichneten sie sich durch eine Janusköpfigkeit aus, die ein freihändlerisches Grundgesetz ohne Umstände mit der Forderung nach Privilegien unter einen Hut brachte. Wesentliches Charaktermerkmal der Kompanien war die Tatsache, dass sie vom jeweiligen Herrscher mittels eines gesetzgeberischen Aktes – einer Charter nach englischem oder eines Oktroi nach holländischem Sprachgebrauch – ins Leben gerufen und mit Privilegien ausgestattet wurden. In rechtshistorischer Sicht handelt es sich bei Privilegien um gesetzesgleiche Rechtstitel, die daher nur der Gesetzgeber in Form einer Urkunde an Einzelpersonen oder Gruppen von Berechtigten vergeben konnte. Neben der Berechtigung gewährte das Privileg Schutz gegen jede Zuwiderhandlung, indem es diese staatlicherseits mit Strafandrohungen belegte. Insofern war das Privileg ein Gnadenakt des Gesetzgebers und später auch die Erfüllung seiner Pflicht, dem Interesse des Staates und seiner Bürger zur Durchsetzung zu verhelfen.31

In England rief Königin Elisabeth I. mit einer Charter vom 31. Dezember 1600 die EIC zunächst für 15 Jahre ins Leben. Die Generalstände der Vereinigten Niederlande erließen 1602 ein Oktroi, das anfänglich eine Gültigkeit von 21 Jahren hatte, um bereits bestehende Ostindien-Kompanien zur VOC zusammenzuschließen. Diese beiden Rechtsakte dienten als Vorbild für zahlreiche andere Gründungen, längst nicht nur für den Ostindienhandel. Bereits 1616 folgte in Dänemark eine ostindische Kompanie, 1717 in Ostende in den spanischen Niederlanden und 1731 in Schweden. In Frankreich wurde 1664 die Compagnie des Indes unter Einfluss von Colbert auf staatliche Initiative hin gegründet. Bei diesem Sonderfall lagen alle Befugnisse aufseiten des Königs, der die Gesellschaft kontrollierte, ihre Verwaltung bestimmte und alle Gremien einzuberufen hatte. Die französische Krone trug im Gegenzug auch das wirtschaftliche Risiko. In gewisser Weise kann man in der Compagnie des Indes das merkantilistische Gegenstück zu den freihändlerisch legitimierten VOC und EIC sehen – wenn man im merkantilistischen Instrumentarienbündel die aktive Rolle des Staates besonders betonen will.


Der Innenhof des Ostindischen Hauses in Amsterdam.

Die englische Charter garantierte der EIC das alleinige Recht, mit Ostindien maritimen Handel zu treiben, und schrieb die Verpflichtung der Krone fest, für ihre Laufzeit keiner anderen Privat- oder Rechtsperson die Erlaubnis zum Asienhandel einzuräumen. Unter den Untertanen Ihrer Majestät war es nur den Mitgliedern der Kompanie oder der Kompanie selbst als Rechtsperson erlaubt, nach eigenen Regeln kommerzielle Kontakte in den Fernen Osten aufzubauen. Dieses Recht schloss eine mögliche Lizenzvergabe ausdrücklich ein. Bei Verstößen drohte eine Gefängnisstrafe, die allerdings gegen £ 1000 abgelöst werden konnte. Der Erlös illegaler Asienfahrten, die aufgedeckt werden konnten, fiel jeweils zur Hälfte an Krone und Kompanie. Dieses staatlich privilegierte Handelsmonopol behielt seine Gültigkeit bis in das Jahr 1823. Hinzu kamen in der Gründungscharter Regelungen für die Zoll- und Abgabenfreiheit der ersten vier Reisen sowie für die Ausfuhr von Silber.

Kaum anders sah das niederländische Oktroi aus. Auch der VOC wurde das Privileg erteilt, als einzige Privat- oder Rechtsperson des Landes mit Ostindien Handel treiben zu dürfen, wobei eine besondere Betonung auf den asiatischen Gewürzen lag. Die Gesellschaft musste allerdings ihr Privileg bezahlen. 1602 handelte es sich um eine Summe von 25 000 Gulden, die bei den Erneuerungen des Oktrois auf 1,5 Millionen Gulden (1647) bzw. 3 Millionen Gulden (1696 und 1700) gesteigert wurde und schließlich 3% der jährlichen Dividende (1742) erreichte. Im Unterschied zur britischen EIC, deren Freiheit Schiffe auszustatten im Kriegsfalle beschnitten werden konnte, erhielt die VOC sogar dezidiert Souveränitätsrechte. Sie konnte Gouverneure benennen, Armeen und Flotten aufstellen, Festungen errichten und völkerrechtlich bindende Verträge abschließen. Dass sie dies im Namen der Vereinigten Niederlande tat, blieb letztendlich eine Formalie; in Asien agierte die VOC auf dieser Grundlage wie ein souveräner Staat.

Die Privilegien wurden prinzipiell auf bestimmte Zeit vergeben, wodurch eine turnusmäßige Erneuerung der Charter und Oktrois notwendig wurde. König Jacob I. verlieh 1609 der EIC die perpetual succession, also die Vergabe ihrer Rechte auf Dauer mit einer Kündigungsfrist von drei Jahren. Die neue Charter von 1657 und die Reorganisation von 1709 bestätigten hinsichtlich der Privilegien, die den Kern der Kompanie ausmachten, sämtliche Rechte. Nicht anders verhielt es sich bei den niederländischen Erneuerungen der Oktrois, die zwar aufgrund des wirtschaftlichen Erfolges der Kompanie die Abgaben für das Privileg in die Höhe trieben, deren Ausgestaltung aber nicht grundsätzlich änderten.

Die Erteilung weitreichender, geografisch allerdings klar umgrenzter Privilegien an potente Interessengruppen wurde zur gängigen Vorgehensweise merkantilistisch orientierter Herrscher, um Handelsgesellschaften ins Leben zu rufen, die nach der vorherrschenden Wirtschaftsideologie dem Gesamtwohl des Staates zuträglich waren. Es entstanden privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, jedoch blieb das staatliche Interesse stets erkennbar. In England bestimmte die Regierung immerhin den governor der EIC, den man als eine Art Vorstandsvorsitzenden interpretieren kann. In den Niederlanden kam der Zusammenschluss verschiedener konkurrierender Ostindien-Kompanien zur VOC erst durch erheblichen Druck der Generalstände zustande. Und in Frankreich entstand letztendlich sogar eine königliche Kompanie.

Das wirtschaftliche Kernanliegen widerspricht nicht dem gelegentlich geäußerten Argument, dass noch ganz andere Gründe einen Herrscher bewogen haben mögen, gerade diese Form von Gesellschaft durch gerade diese Regelungen zu privilegieren. Indem mit den Fernkaufleuten die kapitalkräftigste Gruppe mit weitgehenden Privilegien ausgestattet wurde, die ihnen die Errichtung einer eigenen Militärmacht aus Flotte, Festungen und Soldaten erlaubte, konnte ein nicht unbeträchtlicher Teil der militärischen Ausgaben eines Landes privatisiert werden. Dies war im Zeitalter der frühneuzeitlichen europäischen Expansion mit ihrer hitzigen und blutigen Konkurrenz zwischen England, Frankreich, den Niederlanden und den iberischen Mächten äußerst wichtig. Ohne die gezielte Förderung ganz konkreter merkantiler Interessen durch den Herrscher wäre dies jedoch nicht möglich gewesen, weswegen der Kern der Privilegierungspolitik zur Schaffung sogenannter chartered companies nach wie vor ökonomisch bedingt war.

Das Selbstverständnis, eine privilegierte Organisation zu sein, prägte maßgeblich das Vorgehen der Kompanien in Asien. Ganz anders als in der innereuropäischen Auseinandersetzung und in der Begründung des eigenen Rechts auf ungehinderten Überseehandel waren die Kompanien hier keinesfalls Vorkämpfer des Freihandels. Angestrebt wurde aus diesem Verständnis heraus eine Monopolstellung in Asien. Dies kam nicht nur in gesetzgeberischen Maßnahmen gegen Freihändler zum Ausdruck, die als sogenannte interloper regelrecht kriminalisiert und verfolgt wurden. Auch die Festsetzung in Asien, die Verhandlungen mit den dortigen marktkontrollierenden Eliten – seien es Fürsten oder kaiserliche Bürokratien – waren stets von der Zielsetzung geprägt, sich selbst eine Stellung mit exklusiven Privilegien zu verschaffen. Dass dies angesichts der Verhältnisse in der asiatischen Handelswelt nicht immer von Erfolg gekrönt sein konnte, steht zunächst auf einem anderen Blatt.

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