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Märkte und Städte
Оглавление„Sämtliche Kulturen und Zivilisationen sind von Märkten durchsetzt, mit Läden übersät“, stellt Fernand Braudel in seinem epochalen Werk zur Weltwirtschaft fest und fährt fort: „Während der Marktflecken in die ländliche Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft eingebunden bleibt, ragt die Stadt darüber hinaus, und so zeigt die Hierarchie der Märkte letztlich die hierarchische Staffelung der Gesellschaft auf.“23 Darüber hinaus bildeten Städte und ihre Märkte die Verknüpfungspunkte von Handelsebenen und nahmen eine zentrale Stellung in den asiatischen Handelsnetzwerken ein, die ohne sie gar nicht denkbar waren. Eine solche Position brachte die Entwicklung zahlreicher zusätzlicher Funktionen mit sich, nicht zuletzt im wirtschaftlichen Bereich. Daher waren sie die zentralen, wenn nicht gar einzig möglichen Anknüpfungspunkte für die Ostindien-Kompanien.
Dies mag selbstverständlich klingen, doch ist der Umgang mit dem Begriff „Stadt“ im asiatischen Kontext nicht unproblematisch. Vielmehr bestehen ebenso zeitgenössische wie wissenschaftliche Definitionsschwierigkeiten, wenn das Bild der europäischen Stadt zum entscheidenden Maßstab wird. In Europa bestand immer eine Vorstellung davon, was eine „orientalische Stadt“ darstellt. Bei Max Weber, dem Ahnherrn systematischer Begrifflichkeit, beruht der Begriff in erster Linie auf einer negativen Definition in Abgrenzung von der europäischen Stadt, die durch ihren Verbandscharakter konstituiert wird.24 Seinen Ausdruck fand dieser Charakter in Stadtgemeinde und Bürgertum, die beide in Asien nicht vorhanden waren; ihr Fehlen wird so zum Merkmal der „orientalischen Stadt“. Max Weber bezieht sich dabei auf China, Japan und Indien, wodurch weite Bereiche der islamischen und buddhistischen Kulturkreise außen vor bleiben. Dies ist für den vorliegenden Zusammenhang insofern relevant, als dass eine am europäischen Verständnis klammernde Sichtweise sowohl die Rolle von Städten in den Handelsnetzen als auch den urbanen Charakter aller asiatischen Regionen verwischt, zumal auch rein topografische Abgrenzungsschwierigkeiten eine Rolle spielen. Der europäische Blickwinkel bringt die Gewohnheit mit sich, Städte mit Mauern, Kirchen und engen Gassen in Verbindung zu bringen. Bereits die ersten europäischen Beobachter stießen jedoch in einigen Regionen Asiens auf Siedlungsphänomene, die vielleicht in der Bevölkerungsdichte, aber kaum in der Morphologie der europäischen Gewohnheit entsprachen. Die lockere Streuung und hohe Flexibilität der Bebauung so mancher vor allem südostasiatischer Stadtareale, die in Extremfällen bis zur Verlegung einer ganzen städtischen Siedlung bei drohender Gefahr reichen konnte, macht bis heute eine eindeutige Zuweisung zu traditionell europäischen Begriffen schwierig.
Die wichtigsten urbanen Zentren und Handelsplätze Asiens vor 1600.
Um eine der Frage nach den Handelsnetzwerken Asiens angemessene Perspektive zu entwickeln, bietet sich ein Blick an, der die Funktionen von Siedlungen anstatt ihre sichtbaren Institutionen betrachtet. Die von Weber angeführten Entstehungsgrundlagen einer Stadt, nämlich Herrschaftssitz und Markt, kommen dem schon relativ nahe, wenn man diese Begriffe nicht allzu materiell denkt. Sinnvoller noch ist der Rückgriff auf das Konzept der zentralen Orte, wie es der Geograf Walter Christaller am Beispiel süddeutscher Städte entwickelt hat.25 Es bietet ein umfassenderes Verständnis, das sich nicht von kulturell vorgegebenen Kriterien bestimmen lässt und eine Dynamik erlaubt. Ein Ort kann dann als zentral angesehen werden, wenn „von den Interaktionen innerhalb einer wohldefinierten Region mindestens eine auf diesen Ort gerichtet ist. Die Zentralität eines Ortes wird gemessen mit Hilfe der Zahl der auf ihn gerichteten Interaktionen.“26 Solche konnten den unterschiedlichsten administrativen, kulturellen oder wirtschaftlichen Bereichen entstammen, von denen für die Langstreckenkaufleute und die Kompanien vor allem die ökonomischen relevant waren. Beide Gruppen waren operativ auf zentrale Orte – welchen äußeren Erscheinungsbildes auch immer – ausgerichtet. In dieser Hinsicht unterschieden sich die europäischen Kompanien wenig von ihrer asiatischen Konkurrenz; sie waren ein vor allem im urbanen Asien relevantes Phänomen, das erst für das Land bedeutsam wurde, als sie ihre Begehrlichkeiten auf Steuereinnahmen ausdehnten.
Bis Mitte des 18. Jahrhunderts, also über ihre Blütezeit als Handelsunternehmen hinweg, konzentrierten die Kompanien ihre Aktivitäten auf so genannte Emporien. Diese definiert Dietmar Rothermund als „ein[en] Marktplatz, auf dem eine Varietät an Güter[n] mehr oder weniger kontinuierlich verfügbar ist und auf dem eine Vielfalt an Käufern und Verkäufern ohne übermäßige Einschränkung unter vorhersehbaren Bedingungen von Angebot und Nachfrage zusammentreffen kann“.27 Dabei bestanden keine funktionalen Unterschiede zwischen Hafen- und Karawanenstädten, welche in wirtschaftshistorischer Sicht die gleichen Grundlagen aufwiesen, natürlich aber große morphologische wie soziokulturelle Differenzen. Solche zentralen Orte, die ihren Reichtum und ihre überregionale Bedeutung ihrer Funktion als Warenumschlagplatz verdankten, bestimmten das Gesicht der asiatischen Handelswelt und bildeten die Grundlage allen netzwerkorientierten Handels, ob von armenischen pedlars oder niederländischen Kompaniedirektoren.
Das malaiische Malakka war in diesem Zusammenhang ein Paradebeispiel für eine multiethnische, auf Kommerz ausgerichtete Stadt, die alle Charaktermerkmale einer südostasiatischen Metropole ihrer Zeit aufwies. Ihr Stadtbild wurde von der Vielzahl der hier aktiven Nationalitäten geprägt, die von den Herrschenden nicht nur geduldet, sondern bewusst gefördert wurden. Dies spiegelte sich auch in der Verwaltungsstruktur des Hafens wider. Das Amt des Hafenmeisters, des syahbandar, existierte in Malakka vierfach: Der erste war für die Gujaratis aus Indien zuständig, der zweite für die Indonesier aus Java, Sumatra und dem östlichen Archipel, der dritte für Kaufleute aus Bengalen, Pegu und Pasai und der letzte für Händler aus China und Indochina. Die wirtschaftsgeografische Lage, eine anfängliche Protektion durch China, die Politik ihrer Herrscher und die Exportmöglichkeiten des eigenen Hinterlandes, die vornehmlich in Zinn bestanden, hatten Malakka im 15. Jahrhundert zur Wirtschaftsmetropole aufsteigen lassen.28 Das Aufblühen anderer Emporien im maritimen Südostasien stand in engem Zusammenhang mit den europäisch induzierten kriegerischen Auseinandersetzungen in der Straße von Malakka, von denen insbesondere Banten auf Java und Makassar auf Sulawesi profitierten. Malakka musste einen Teil seiner Zentralität abgeben. Diesen konnten andere zentrale Orte zusätzlich auf sich ziehen – und damit auch das Interesse der verschiedenen Kaufleute.
Ein anderes Beispiel einer wirtschaftlich zentralen Stadt liefert Marco Polo mit seinem Bericht über das chinesische Quinsai (Hang-Tschou):
„Jeder der zehn Marktplätze ist von hohen Wohnhäusern umgeben, in deren Erdgeschoss die Handwerker arbeiten und die in Läden alles anbieten, Spezereien, Schmuck und Perlen, daneben schenkt man den gewürzten Reiswein aus, immer frisch und nicht teuer. Viele Straßen führen auf die Marktplätze; in einigen findet man Badeanstalten, wo man kalte Bäder nehmen kann und sich von Dienern und Dienerinnen pflegen lässt. […] Andere Straßen sind den Kurtisanen vorbehalten, von denen es so viele gibt, dass ich es gar nicht zu sagen wage. Diese bieten ihre Dienste nicht nur bei den Märkten an, wo sich gewöhnlich ihr Strich befindet, sondern überall. […] In anderen Straßen im Umkreis der Märkte haben sich Ärzte und Astrologen niedergelassen, die auch im Lesen und Schreiben und anderen Künsten Unterricht erteilen. Auf dem Marktplatz stehen auf beiden Seiten große Wachgebäude, von denen aus die kaiserlichen Beamten sofort eingreifen, falls irgendwo Streitigkeiten unter den fremden Kaufleuten oder unter Einheimischen ausbrechen. Außerdem kontrollieren sie täglich die Wachen auf den nächstgelegenen Brücken […] und ahnden Wachvergehen auf der Stelle.
Die Hauptstraße, welche, wie gesagt, die Stadt durchschneidet, wird von Gebäuden und Palästen mit ihren Gärten gesäumt, und gleich daneben arbeiten die Handwerker in ihren Läden. Zu jeder Stunde bewegen sich solche Menschenmassen, in denen jeder seinen Geschäften nachgeht, durch die Straßen, dass man kaum glaubt, dass sie hier alle leben können. Aber an jedem Markttag wimmeln die genannten Plätze von Käufern und Verkäufern, die ihre Ware auf Karren und Kähnen herbeischaffen, und alles wird verkauft. Von den umgesetzten Mengen Fleisch, Wein und Gewürzen und ähnlichem kann man sich einen Begriff machen, wenn man […] erfährt, dass der tägliche Bedarf an Pfeffer sich auf 43 Lasten belaufe, jede Last zu 223 Pfund.“29
Städtische Märkte wiesen komplexe topografische Strukturen auf, an die sich noch andere Geschäftszweige wie Gastronomie oder Prostitution anlagerten. Der einzelne, real existierende Marktplatz war natürlich vorhanden, blieb jedoch in den wenigsten Städten eine singuläre Erscheinung. Vielmehr existierten in den großen Handelsstädten zumeist mehrere Marktplätze, die auf bestimmte Warengruppen spezialisierte Märkte hervorbrachten und nicht selten von spezialisierten Brokern bestimmt wurden. Auf dieser Grundlage konnten sich auf einzelne Waren und Handwerke spezialisierte Viertel entwickeln, wie sie insbesondere für islamische Städte typisch sind. In Verbindung mit den Diasporagruppen entstanden ethnisch konstituierte Viertel mit einer weitreichenden Selbstverwaltung. Neben dem soziokulturellen Bedürfnis, unter Landsleuten zu leben, war die häufige Konzentration solcher Gruppen auf einzelne Wirtschaftszweige grundlegend für eine Struktur, die selbst unter europäischen Kolonialherren Bestand hatte. Die ethnische Segregation in asiatischen Kolonialstädten entsprang daher weniger einer kolonialen Diskriminierungspolitik, sondern hatte ihre Wurzeln in einem letztendlich traditionellen Stadtbild.
Korrespondierend zu den Netzwerken der Kaufleute und den Hierarchien der Handelsebenen entwickelten sich Netze von Handelsstädten. Diese konnten größere Regionen verbinden wie den Malaiischen Archipel, den indischen Subkontinent und die Anrainerstaaten der Seidenstraße. Einige von ihnen ragten noch darüber hinaus und spielten eine zentrale Rolle auf den oberen Handelsebenen. Sie stellten die Konstanten dar, welche die Verbindung über den ganzen Kontinent, ja sogar bis nach Europa ermöglichten, wodurch sie einerseits asiatische Langstreckenkaufleute in großer Zahl anzogen und andererseits schon im Mittelalter selbst in Europa bekannt waren. Auch die Städte in Staaten, die zur Selbstabschließung neigten, in China und Japan, verfügten stets über einige auswärtige Verbindungen und waren, wenn vielleicht auch nicht zentral, in die Stadt- und damit Handelsnetzwerke Asiens integriert.
Natürlich war der voreuropäische Handel eines ganzen Kontinents weitaus facettenreicher und vielschichtiger, als er hier auf wenigen Seiten beschrieben werden kann. Auf die Belange der Ostindien-Kompanien bezogen, ist jedoch eine zusammenfassende Bemerkung möglich. Der Asienhandel war für die Europäer in der Frühen Neuzeit mit Sicherheit ein Abenteuer, bedenkt man die schwierigen Kommunikationsbedingungen, die ganz realen Gefahren auf den Handelsrouten, die Weite der Reisen oder die Unwägbarkeiten des Klimas. Dennoch war er alles andere als undurchführbar, da auf bestehende Systeme zurückgegriffen werden konnte, die ihn bedingt berechenbar, allerdings auch sehr teuer machten.