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Raum und Handel
ОглавлениеDie Europäer trafen in Asien auf eine alte und komplexe Handelswelt, die weder geopolitisch noch wirtschaftsgeografisch eine Einheit bildete. Der Aktionsradius der Kompanien, der vom Persischen Golf bis nach Japan reichte, brachte sie mit den unterschiedlichsten Klimazonen, Verkehrswegen und Ansprechpartnern in Berührung. Auf der schier unendlichen Festlandmasse bestanden traditionsreiche Staatswesen wie das Kaiserreich China, das Reich der Moguln in Indien und das safawidische Persien. Mit dem auf Abschottung bedachten Japan hatte sich ein weiterer konsolidierter Nationalstaat etabliert. Daneben existierten zahlreiche kleinere Königtümer in Südostasien sowie Stadtstaaten an den Küsten, die als Handelsemporien für die Europäer von besonderer Bedeutung waren.
Zwischen all diesen Staaten bestand ein Geflecht aus Beziehungen und Abhängigkeiten, das von Neuankömmlingen nur schwer zu durchschauen war. Bevor die chinesische Ming-Dynastie im 15. Jahrhundert abermals zu einer Abschottungspolitik zurückkehrte, die nur noch wenigen Handelshäusern der Provinz Fukien Überseekontakte gestattete, hatte sie durch gewaltige Flottenexpeditionen erfolgreich die Vasallentreue zahlreicher Herrscher bis hin nach Persien eingefordert, ohne außerhalb der eigenen Landesgrenzen eine dauerhafte Präsenz aufzubauen. In Indien herrschten die muslimischen Moguln nach dem Prinzip „divide et impera“ und standen wechselnden Allianzen hinduistischer Herrscher gegenüber. Auch in der malaiischen Inselwelt stiegen Staaten auf, deren Einflussbereiche mehr auf Vasallenverhältnissen als Gebietseroberungen beruhten. Srivijaya im 15. Jahrhundert und Majapahit im 16. Jahrhundert beherrschten so den Westen des maritimen Südostasien; Makassar und Ternate teilten sich im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert dessen Osten.
Landwege nach Asien waren in Europa seit der Antike bekannt. Christliche Missionare ebenso wie italienische Kaufleute kamen während des europäischen Mittelalters bis nach China. Die wichtigste Verbindung war die Seidenstraße, deren Hauptroute das Reich der Mitte und Zentralasien mit der syrischen Mittelmeerküste verband. Der Weg war jedoch beschwerlich und teuer. Er führte durch unwegsames Gelände wie die extrem wasserarmen Wüsten Zentralasiens sowie durch zahlreiche Städte und Reiche, deren Machthaber nicht nur den Bestand wichtiger Märkte garantierten, sondern auch den ständigen Fluss ihrer Staatseinnahmen sicherten.
Der Wunsch, einen Weg zu den Märkten Asiens zu finden, der die hohen Transaktionskosten des Landweges ebenso umging wie das faktische Marktmonopol der Venezianer im Mittelmeer, war eine der mächtigsten Triebfedern der Europäischen Expansion. Seit der Portugiese Vasco da Gama 1498 das indische Kalikut erreicht hatte, war der Seeweg nicht mehr nur theoretisch bekannt. Die Fahrt um Afrika öffnete zunächst den Portugiesen und ein Jahrhundert später den westeuropäischen Ostindien-Kompanien den Zugang zu den asiatischen Märkten; die traditionellen Karawanenwege verloren ihre Bedeutung.
Gerade für Seefahrer gliederte sich der Kontinent allein geografisch in mehrere Welten, die zwar untereinander in Beziehung standen, doch ihr jeweils eigenes Gepräge entwickelt hatten. Die Durchquerung des Indischen Ozeans eröffnete zunächst den Zugang zum Roten Meer, wo vor allem der Hafen von Mokka für europäische Handelsreisende interessant war, und zum Golf von Oman, an dem die Hafenstadt Maskat eine vergleichbare Rolle spielte. Auf der östlichen Seite des Arabischen Meeres lockte die Malabar-Küste mit ihren Handelszentren Goa, Kalikut oder Cochin sowie das Indus-Delta mit der Metropole Diu. Eine Umrundung des indischen Subkontinents führte an die Koromandel-Küste und zu den bengalischen Wirtschaftszentren. Ganz eigene maritime Räume bildeten das Südchinesische Meer und die Inselwelt des Malaiischen Archipels.
Häufig waren es nur enge Seestraßen, welche die verschiedenen maritimen Zonen Asiens miteinander verbanden. An solchen vielbefahrenen Meerengen hatten sich urbane Stapelplätze etabliert, denen es dort ein Leichtes war, den Schiffsverkehr zu kontrollieren und Profit aus ihm zu ziehen. An der Straße von Hormuz dominierte die gleichnamige Hafenstadt die lukrative Zufahrt zum Persischen Golf. Nach der englischen Eroberung 1622 übernahm Bandar Abbas diese Rolle. Andere prominente Beispiele waren Malakka an der Meerenge zwischen Sumatra und der Malaiischen Halbinsel sowie Banten an der Sunda-Straße zwischen Sumatra und Java, welche die wichtigsten Seerouten vom Indischen Ozean in die malaiischen und chinesischen Gewässer kontrollierten. Dabei blieb es nicht bei der Abschöpfung von Abgaben. Ähnlich den großen Stapelplätzen des vormodernen Europas etablierten sich hier bedeutende Handelszentren. Und auch die Europäer machten sich in den folgenden Jahrhunderten diese Standortvorteile zu Nutzen, wie das niederländische Batavia (gegründet 1619) und das britische Singapore (gegründet 1819) zeigen.
Neben den unverrückbaren Gegebenheiten des Kontinents, seiner Inseln und der Ozeane bestimmte ein weiteres Naturphänomen die Welt des asiatischen Handels: der Monsun. Im Frühjahr wehte er als Nordostmonsun von der indischen und als Nordwestmonsun von der chinesischen Küste auf das Meer hinaus. Im Herbst bescherten der Südwestmonsun auf dem Indischen Ozean und der Südostmonsun auf dem Chinesischen Meer allen, die aus dem Westen kommend die Küsten entlang bis nach Japan segelten, günstige Fahrtbedingungen. Reisen, die Indien mit China verbanden, konnten nicht in einer Saison zurückgelegt werden; in den großen Häfen am Südende der Chinesischen See mussten Kapitäne oft monatelang auf den Wechsel der Windrichtung warten.
Insbesondere im Malaiischen Archipel, der wie keine andere Region auf maritime Verbindungen angewiesen war, bestimmte das Wechselspiel der Winde den Jahresrhythmus. Bis Ende März brachte der Monsun nicht nur die jährliche Regenzeit, sondern auch günstige Winde für die West-Ost-Passage durch den Archipel und die Meerengen, die ihn mit den großen Ozeanen verbanden. Mit Beginn des Sommers blies den Seefahrern der Ostmonsun entgegen, so dass viele von ihnen eine Wartezeit dem mühseligen Kreuzen gegen den Wind vorzogen. Bis Ende Dezember hatten sich die meisten Kapitäne in ihre Heimathäfen zurückgezogen, wo sie ihre Schiffe auf die nächste Saison vorbereiteten. Im Malaiischen Archipel beeinflussten zudem die zahlreichen Inseln die Windströmungen, so dass neben der West-Ost-Richtung auch die Süd-Nord-Richtung unter das Diktat der Jahreszeiten gezwungen wurde. Auf dem südostasiatischen Festland hingegen bedeutete der jahreszeitliche Wechsel der Windrichtung einen Wechsel zwischen Land- und Seewinden. Der küstennahe Verkehr war damit erheblichen Einschränkungen unterworfen, wenn er auch nie ganz zum Erliegen kam.
Dschunke eines Mandarin. Aquarellierte Federzeichnung um 1793 von William Alexander.
Vor dem Hintergrund der geografischen Struktur des Kontinents und den Gegebenheiten des Monsuns, der gleichermaßen Verbindungen schuf wie Restriktionen auferlegte, hatten sich lange vor dem Eintreffen der Europäer verschiedene regionale Wirtschaftssysteme herausgebildet. Janet Abu-Lughod beschreibt in ihrer Rekonstruktion des mittelalterlichen Weltsystems drei Zirkel, in die sich die Handelswelt Asiens gliederte. Der erste Zirkel verband den Persischen Golf, die Arabische Halbinsel und Ostafrika mit Indien. Der zweite Zirkel stellte die Verbindung zwischen dem indischen Subkontinent und dem südostasiatischen Festland her und umfasste dabei den westlichen Teil des Malaiischen Archipels. Der gesamte Archipel war schließlich Bestandteil des dritten Zirkels, der Südostasien und China in wirtschaftliche Beziehung zueinander setzte.7
Fernand Braudel geht für das 15. Jahrhundert ebenfalls von drei traditionellen, sich überschneidenden Wirtschaftszonen in Asien aus. Hierzu zählt er einerseits den islamischen Bereich, der den Indischen Ozean, das Rote Meer und den Persischen Golf sowie den Wüstengürtel von Arabien bis China umfasst, und andererseits Indien, dessen Einflussbereich sich auf den ganzen Indik westlich und östlich von Kap Komorin erstreckte. Als dritte Wirtschaftszone führt er China an, das als Kontinentalmacht den Osten Asiens sowie als Seemacht die nördlichen Randbereiche des Pazifiks dominierte.8
Bei allen Unterschieden in den Ansätzen sind sich Abu-Lughod und Braudel in der Grundstruktur einig. Weitgehend unbestritten sind die Eigenständigkeit und Bedeutung des asiatischen Handels, ebenso seine räumliche Gliederung und die zugrunde liegende Vorrangstellung des Seeverkehrs. Beide Modelle veranschaulichen sowohl die arabische, indische sowie chinesische Dominanz in einzelnen Wirtschaftszonen als auch den überregional verbindenden Charakter dieser Räume. Insgesamt wurde der Kontinent mehrheitlich in eine umfassende räumliche Struktur einbezogen, die sich auch nach dem Eintreffen der Europäer zunächst gar nicht und später nur allmählich wandelte.
Allerdings verharrt diese Sichtweise in der Vogelperspektive, indem sich die Aufmerksamkeit ganz auf Prozesse konzentriert, die weit entfernte Räume miteinander verknüpften. Nicht nur der vorindustrielle asiatische Handel wird häufig so gesehen, sondern auch die Geschichte der ostindischen Kompanien. Ein solcher Blick kann leicht verzerrend sein, da er Entwicklungen in kleinräumigen Zusammenhängen und somit vor Ort die spezifischen Bedingungen für und die konkreten Veränderungen durch die Kompanien außer Acht lässt. Es bedarf einer dritten räumlichen Dimension, die als vertikale Ergänzung des zweidimensionalen Zirkel-Konzeptes dienen kann und Entwicklungen oder Strukturen sichtbar macht, die ansonsten von den Ereignissen auf der globalen Ebene überdeckt würden.
Handel lässt sich nicht nur sinnvoll nach Organisationsformen differenzieren, sondern auch nach Ebenen, die sich zunächst in der räumlichen Reichweite ihrer kommerziellen Akteure und der von ihnen bewegten Waren unterscheiden.9 Dadurch werden auf verschiedenen Ebenen verschieden große Räume in einen Handelszusammenhang eingebunden, wodurch die Ebenen auch unterschiedliche Funktionen hinsichtlich der einbezogenen Warenmärkte erhalten. Sie stehen keineswegs unverbunden nebeneinander, sondern sind an verschiedenen Punkten auf vielfältige Weise miteinander verknüpft und gewinnen gerade dadurch ihre Funktionalität. Solche Verbindungselemente, die den Austausch zwischen den Ebenen garantieren – seien es große Hafenstädte, Märkte in Wüstenmetropolen oder herrschaftliche Höfe –, sind für die Geschichte der Ostindien-Kompanien von besonderem Interesse.
Um die facettenreichen Erscheinungsformen des asiatischen Handels in der Frühen Neuzeit zu strukturieren, erweist sich ein Vier-Ebenen-Modell als sinnvoll. Die oberste Ebene, die Ebene des interkontinentalen Handels, war im 17. und 18. Jahrhundert vor allem die Domäne der Kompanien; in den Jahrhunderten zuvor hatten hier die Langstreckenkarawanen dominiert, wie sie auf der Seidenstraße verkehrten. Die zentrale Funktion dieser Ebene bestand in der Verbindung geografisch weit entfernter Wirtschaftsräume einer expandierenden Weltwirtschaft. Auf der zweiten Ebene spielte sich der überregionale Handel ab. Kann man heute von einer Ebene der Weltmärkte ohne scharfe Grenzen zwischen erster und zweiter Ebene sprechen, galten für die Frühe Neuzeit noch andere Bedingungen. Die Europäer begegneten einer komplexen asiatischen Handelswelt mit eigenen Märkten, Akteuren, Organisationen und Strukturen, die von sich aus wenig mit Europa zu tun hatte, aber einen ganzen Kontinent verband. Sowohl die arabische Welt wie der indische Subkontinent, das chinesische Reich und das maritime Südostasien brachten Kaufleute hervor, die in verschiedenen Handelssektoren und auf vielfältigen Wegen den asiatischen Kontinent kommerziell integrierten. Diese Handelswelt wurde mit dem Erscheinen der Europäer zur See durch viele europäische Privatiers sowie vor allem durch die Beteiligung der Kompanien, die einen beträchtlichen Teil ihrer Einnahmen aus dem innerasiatischen Handel (country trade) bezogen, beträchtlich erweitert.
Die dritte Ebene, die Ebene des regionalen Handels, umfasste überschaubarere Räume und nahm eine Schanierfunktion zwischen den Ebenen des Fernhandels und des lokalen Markthandels ein. Auf dieser Ebene wurden Waren an zentralen Marktplätzen gesammelt und für den überregionalen Handel bereitgestellt. Ebenso trafen hier umgekehrt die Güter des Fernhandels ein, um auf die einzelnen lokalen Märkte verteilt zu werden. Während sich hier eine unüberschaubare Vielzahl asiatischer Kaufleute mit den unterschiedlichsten Spezialisierungen tummelte, beteiligten sich die europäischen Kompanien nur selten unmittelbar an diesem Handel. Gleichwohl hatte er in seiner Zulieferfunktion entscheidende Bedeutung für ihre Geschichte. Ähnliches gilt für die vierte Ebene, die Ebene des lokalen Markthandels, begann doch der Weg der begehrten Luxuswaren häufig mit dem kleinen Einzelhändler vor Ort. Die konkreten Strukturen der Ebene alltäglicher Austauschbeziehungen und Versorgungsfunktionen, welche die unmittelbare Verbindung zu den Plätzen der Warenproduktion und des Konsums herstellte, blieb dem europäischen Einfluss lange Zeit weitgehend entzogen.
Die ostindischen Kompanien spielten auf mehreren Ebenen eine Rolle. Beschränkt man sich für den Augenblick auf die geografische Perspektive, bestand ihre eigentliche Aufgabe in der Verknüpfung asiatischer und europäischer Märkte und lag damit auf der ersten Ebene. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, hatten sie sich jedoch intensiv mit den Akteuren und Gegebenheiten auf den Ebenen darunter auseinanderzusetzen. Die besten Ansatzpunkte hierfür bestanden an den Verbindungselementen zwischen den Ebenen, den zentralen Marktplätzen und bedeutenden Seehäfen.
Eine Geschichte der Ostindien-Kompanien als reine Institutionengeschichte würde die komplexen Verflechtungen, deren Auswirkungen ihre historische Gestalt maßgeblich prägten, zu gering schätzen. Im Folgenden werden die Kompanien deshalb vor allem als Teilnehmer asiatischer Märkte geschildert. Hierfür ist es notwendig, zunächst ein Bild der „Gegenseite“, der asiatischen Handelswelt dieser Epoche, zu skizzieren.