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Erschlagen in Eschwege

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Wenn ich mich nicht täusche, sind dieser Tage auf bundesdeutschen Straßen mehr Engländer denn je unterwegs. Sie begegnen mir dutzend-, beinahe hundertfach, ob in Krefeld oder in Frankfurt am Main. Nur in Eschwege nicht, wohin es die Herren Gsella, Schiffner, Sonneborn und mich verschlug, um während des Open-Flair-Festivals die EM-Begegnung Rußland – Deutschland vor einem erlesenen, satiregeschulten Publikum live zu kommentieren und simultan zu deuten.

Wir hatten uns durch nächtelanges Studium einschlägiger Gazetten die erforderlichen Hintergrundinformationen (Sexaffären, Harnsäurewerte) beschafft, eine feine Dialogregie entworfen und gewagte Witzstafetten geprobt. Z. B. wollten wir die russischen Spieler mit Namen wie Oblomow, Gontscharow, Majakowski und Müller belegen, und vor dem Spiel fiel mir noch ein, daß der Ball durch den berühmten russischen Kreisel »wie am Kanonenschnürchen« rolle, während Herr Sonneborn die schlechte deutsche Bilanz gegen Rußland dahingehend zu erklären gedachte, daß Stalingrad doppelt gezählt werde.

Alles schien sehr schön ausgedacht, die Crew schien bester Laune zu sein. Teilweise magenverstimmt (Gsella, ich) enterten wir um fünf vor vier die Bühne des mit dreihundert Mann vollbesetzten Bierzeltes, manch ein versonnen schmunzelnder Hippie und friedvolle Menschen ließen die Innentemperatur auf 53 Grad Celsius ansteigen. Jubel brach aus, als Schiffner zum ersten-, zum zweitenmal den linken Läufer Ziege »Pickel-Ziege« nannte. Und als Herr Gsella über Pickel-Zieges platzende Ekzeme zu dozieren begann, erklangen starke Gunstbezeugungen: »Werdet ihr dafür bezahlt?« – »Wir wollen Rubenbauer!«

Es waren keine Engländer und keine Russen, diese Menschen, die da saßen und Fußball sehen wollten, ab Minute fünfzehn aber nicht mehr uns. Nach einer halben Stunde bemängelte man, daß Gsella und ich während der lang und länger werdenden Sprechpausen rauchten, ich vernahm sogar einen Ausdruck (»Arschlöcher«), obschon wir konsequent die Russen lobten (»Trotzki, Stalin, prima gemacht!«) und das deutsche Team in schärfster Satirikermanier miesmachten (»Pickel-Ziege verzogen«).

Ob wir zur zweiten Halbzeit überhaupt wieder raus sollten, fragten wir uns im Backstagebereich, Gsella aber stapfte tapfer voran und brillierte mit liebevollen Scherzen über nicht vorgesehene Igel auf dem Spielfeld, die in Arztkoffern verstaut würden. Das gutgelaunte Publikum jaulte und sang: »Maul halten!« Zehn Minuten vor Schluß sagten wir: »Wir halten jetzt mal das Maul.« Beifallssturm.

Nach dem Abpfiff analysierten wir unsere rasante Performance bei Bier und Schnittchen, da stürmte der besoffene Quetschgitarrist einer Eschweger Provinzkapelle (Die Beds oder Die Bads) die Backstagezone, griff in eine auf dem Tisch stehende Obstschale und bewarf uns mit frischen Früchten. Seine Bierflasche sollte Sonneborn erschießen, wurde von ihm jedoch mit dem linken Hoden pariert. Schiffner erlitt mehrere Kiwitreffer, voll ins hämisch grinsende Satirikergesicht, und unter schmählichen Reden zog der schweinisch schnaubende Dorfgitarrero Gsella und mir Bananen über den Scheitel, sprang schließlich Sonneborn an und würgte ihn. Gott sei Dank hatte wenigstens Klinsmann zweimal getroffen, so war der Mensch allein.

Der Himmel schickte einen Securityschrank. Er packte den Stier am Strunznacken und warf ihn hochkant vors Zelt. Wenige Augenblicke später, die »Szene« beruhigte sich leicht, merkte ich gerade noch rechtzeitig, wie ein Dolch häßlich ratschend durch die ledrige Plane stieß und schon an meinem Rücken spitzelte.

Bevor wir alle hinterrücks niedergestreckt werden sollten, eskortierte uns die Wachmannschaft zum Pkw. Mit qualmenden Reifen fegten wir über das steinige Festivalgelände und entkamen in die Innenstadt.

Beim Milchkaffee schüttelten wir uns den Schmutz, den Haß und das Gespött aus den lädierten Knochen. Gsellas Resümee: »Ich war selbst überrascht über meine gute Leistung.«

Sicher, wir hatten eine Menge »Staub« aufgewirbelt. Trotzdem frage ich Sie: Hat das noch was mit Sport zu tun?

Fußball! Vorfälle von 1996-2007

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