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Der Langpaß-Odysseus

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Die aufgeregte Gegenwart kannte bis vor kurzem keinen verhaßteren und gröber geschmähten Fußballer als den Münchner Lothar M. Kein anderer mußte sich derart ausdauernd beleidigen, veräppeln, in den »Schlamm der schmierigsten Halbweltanschauung« (Karl Kraus) hinabzerren und mit allerlei eilfertig dämlichem Spruchwerk belästigen lassen. Gewiß, er, der geniale Langpaßschläger und weitblickende, unbekannte Horizonte des Fußballs abschreitende und die Räume des Rasens gewandt und geschwind durchmessende Stratege von odysseischen Gnaden, er, der Bubenparvenü, er, der später aus Pumas Obhut gen Mönchengladbach entlassene Bolzer und Renner und Grätscher und flinke Läufer, er, der Übersicht wahrende Lothar M., zwischenzeitlich Italiens geliebter Sohn und, Gott sei hoch gepriesen, zurückgekehrter Bayernlibero, er lieferte schon den einen oder anderen Anlaß, um sich über ihn zu echauffieren. Zu affig und affektiert hantierte er vor aller Welt mit geschätzten zwanzig Handys herum, und seine riefenstahlaffine Ablichtung zugunsten der Kreditkartenfirma American Express hätte wirklich nicht sein müssen. Das tat weh, das schmerzte.

Freilich, wenig dürfte leichter sein, als Fußballer zu imitieren und ihren Dialekt zum psychischen Defekt zu erklären. Was W. Boning und die neudeutsche Comedyblase bzgl. Lothar M. wider Willen dokumentierten, war nichts anderes als die schäbige Einfallslosigkeit eines Kabarettistenschmus, der inferiorer ist als jeder zusammengestotterte Satz eines Fußballers, der Fußball spielen und nicht klug daherreden können muß. Daß Lothar M. durch seinen Auftritt gegen die brillanten Jugoslawen just ihnen die kärglichen Darstellungsmittel entzog, freut uns.

Seltsames ist gleichwohl geschehen. Einer, den sie zum Prototypen des Dummklumpens erkoren hatten, wird plötzlich allenthalben gehätschelt, gepriesen und gelobt. Vergessen scheint, woran sich die Claque jahrelang delektierte: an Lothar M.s zuweilen narrischer Posierlust, seiner röhrenden rhetorischen Rastlosigkeit, seinem rauschhaften Geschnatter. Immer dann, wenn er die vom Bundesligabetrieb erzwungene Selbstkontrolle verlor und herumkrabölkte, bis die Kameralinsen beschlugen, kreischten sich die Schmöcke ins Fäustchen und hauten sich die Schenkel blau: Seht her, welch wunderbaren Tölpel er uns gibt!

Eigentlich wäre es gerechtfertigt, akkurat jetzt jenen Lothar M. zu schmähen, dessen Anhänger ich immer war; jetzt, da ihn alle liebgewonnen haben, weil er dem waghalsigen Projekt Weltmeisterschaft als wahrscheinlich vom HErrn persönlich gesandter Retter doch noch Perspektiven zu geben vermag. Nein, nun wär’s eigentlich zu spät, einen zu loben, der ganz und gar nicht ist, was sie aus ihm machten, auch wenn ich lediglich erahne, daß er »ein Guter«, wie die Mittelfranken sagen, sein muß.

Der geschätzte Fachkollege Fritz Eckenga, Bayern-Verächter und Borussen-Addict, erzählt, im Umfeld der Münchner Bayern redeten die Leut’ hinter vorgehaltener Hand über Lothar M. äußerst respektvoll. Paradox: Der, der angeblich die Boulevardpresse mit »Internas« (Matthäus) füttert und seine Kollegen anschwärzt, darf nur unter strengster Geheimhaltung geachtet werden. Womöglich zehren seine Kritiker von solcher Schizophrenie. Thomas Helmer hätte Lothar M. nach Veröffentlichung des Tagebuchs nicht despektierlich einen »Kranken« rufen können, hätte Lothar M. Lobbies, die ihn schätzten für das, was er wohl verkörpert, nämlich vor allem »keinen Linkmichel« (Andy Brehme). »Ja, das tut einem weh«, sagt Lothar M. heute, »weil man ja weiß, wie man eigentlich ist.«

Ich kann für mich in Anspruch nehmen, bereits Fan von Lothar M. gewesen zu sein, als meine Altersgenossen störrisch auf Hubert Kah oder Christiane F. schielten und aus ihrer merkwürdigen Zuneigung ein gerüttelt Maß an Prestigemehrwert schöpften. Dieser Tage trüge kaum Neues zur Diskussion bei, wer Lothar M.s mitunter beinahe rührende Offenherzigkeit priese, seinen sich nach Anerkennung verzehrenden Mitteilungscharakter, der stets Gefahr läuft, tapsig zu wirken. So angepaßt Lothar M. einem dünkt, so unangepaßt dürfte er tatsächlich sein, »lauter wie kein zweiter« (Günther Koch). Und daß er nun die Klappe hält und jedermann scheinheilig seine neuen »Tugenden« rühmt – »über alle Diskussionen erhaben« nennt ihn plötzlich das ZDF-WM-Studio –, ist, das ganze Klinsmann-Gedengel beiseite, der echte Skandal – für welchen allerdings der Blick eines Thomas Helmer entschädigte, als Bundestrainer Vogts im Jugoslawienspiel nicht ihn, sondern die Nummer acht auf ihren Einsatz vorbereitete und Jugendspielerhändler Helmer darob wie verkniffen-knieselig dreinschaute. Doch, das hat mir gefallen.

Vom PLAYBOY (7/1998) über sein Verhältnis zu Berti Vogts befragt, mit dem er 1979 bei Borussia Mönchengladbach trainiert hatte, antwortete Lothar M.: »Ich hab’ ihn gleich umgetreten. Deswegen habe ich einen Vertrag bekommen.«

Eben – »seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.« (Matthäus 10,16)

Fußball! Vorfälle von 1996-2007

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