Читать книгу Fußball! Vorfälle von 1996-2007 - Jürgen Roth - Страница 15
Mit Hammer und Stöckchen
ОглавлениеMadrid, Stadion Bernabéu, 1. April 1998, ein Tor bricht zusammen.
90.000 Zuschauer warten gespannt auf den Anpfiff des Champions-League-Halbfinalhinspiels zwischen Real und Borussia Dortmund. Doch das Tor wackelt, sinkt, stürzt.
4 blaugewandete, 3 graubraune Herren eilen herzu und ein metallicblauer Herr. Reporter Reif redet. Schon steht es wieder, indes auf wacklig’ Beinen nur.
Ein Schwenk, ein Rund. Unerhörte Stille, 21 Uhr, eine Viertelstunde nach vorgesehenem Spielbeginn. Im kurzen, satten Grase liegt er majestätisch unbeeindruckt, der Hammer, der helfende, »du Instrument / des Aufbaus / und des Abbaus« (F. W. Bernstein), der Hammer, du häßlich’ und auch hoffnungsspendend stählern’ Ding, du rabiater und ruhender Knecht der Verantwortlichennatur.
Schlaff und stumm hängt das Netz, Kanthölzer versprechen Rettung als an Bruchstellen eingeführte Notstandbeine, matt das Netz gesunken zu etwas abendfeuchtem Boden, reifbestreutem Rasen hinab.
»Jetzt das Ganze noch ins Lot gebracht!« frohlockt M. Reif, nein, das sieht man, das geht ja nicht! Abbruch droht wie weiland (3. April 1971) nach Herbert Laumens Borussentorbeschädigung gegen die Werderaner, nein, der Anpfiff schon dräut vereitelt zu werden durch den Fall des Tores.
»Das sah wie eine relativ saubere Schnittstelle aus. Könnte es theoretisch auch Sabotage gewesen sein?« fragt im UEFA-himmelblauen Studio Herr Jauch den Dortmundborussen und gelernten Kupferschmied Toni Schumacher. – »Nein, ich glaube nicht Sabotage.«
Helfen »Streichhölzchen« bei etwaigen späteren vielleicht ja »Lattenkrachern«? 3 Blaue und 1 Grauer knuddeln am noch immer sehr schamvoll trauertragend laschen und fast traurigen Netz herum, das Tor, es steht, provisorisch bloß. »Da herrscht schon jede Menge Hektik und Nervosität in den Katakomben, man spürt das körperlich«, berichtet Potofski live »in Color« (Reif), Teddy de Beer beruhigt die etwas nachdrücklicher aufgewühlte Stimmung: »Wir wollen uns mal auf die Spanier verlassen, daß die hier in der Lage sind, ’n Tor zu reparieren und da vielleicht ’nen Nagel reinzuhauen.«
Der Nagel tät’ ja nichts. Rein nichts! »Im Moment sieht’s ziemlich bitter aus«, sagt Teddy, das Tor klappt abermals und nun, scheint’s, endgültig und entkräftet zusammen, platt liegt es da, 3 Blaue und 1 Olivgrauer zurren wieder etwas und tupfen oder tippen, 6 Schwarze stehen, gut im Raum verteilt, sinnend, praktisch grübelnd herum.
»Also, schweißen wär’ jetzt groß angesagt«, rät der alte Kupferschmied. Eine Spachtel sehen wir, verzagtes Picken, eine Gummizange, man klopft ein wenig. Schutzlos nacktes Gestänge, gebrochen, tragen 5 Männer plötzlich weg.
»Jetzt müssen spanische Heimwerker schnell ein neues Tor schnitzen«, empfiehlt Herr Jauch. Wir müssen beinah’ weinen schon. Dunkel klafft das Pfostenloch, das Netz verweilt, allein.
21.18 Uhr, »das große Buch der Fußballgeschichte muß um ein neues Kapitel erweitert werden« (Jauch), der Hammer, jetzt von links und eher leicht von oben schräg das Bilde füllend, schläft. »Also, reinhauen wird nicht gehen.« (Reif) Was dann? »Jetzt fummeln die«, sagt Reif, »an dem Netz herum, das ist so wie Fischer«, »genau«, jauchzt Jauch, »spanische Fischer.« – »Ja.« (Reif) Das neue Tor kommt nicht.
Es lacht die deutsche Runde kugelpfundig herzlich frisch, sie haben solche Schwierigkeiten nicht. Wieder fällt da replaymäßig elendig das Tor von rechts, knickt ein, zieht linke Seite zügig nach und patscht ganz unsympathisch hin. »Das ist wirklich wie ein Dorfverein.« (Jauch)
Es ist zu Madrid aber vieles stark »marode und verrottet« (Schumacher), kein Leben mehr jetzt auf dem bläßlich grünen Felde, weit dehnet sich die fahle Fläche unbespielt, das Netz ruht still. Milchig schwimmt diffuses Licht. »Achtung, er nimmt den Hammer weg! Aus!« ruft Reif.
Nun gehe man ein neues holen, ein Standtor wohl, und lasse das alte im Stich und in den Katakomben. »Achtung, die Blauen sind wieder da!« schreit Reif, er sieht am besten, von oben laut herab, das Netz, man knödelt, faltet es zusammen, schleppet es hinfort. »Holzbeine sollten das werden«, deutet Reif die Szene, »aber das war dann nix.«
»Ich habe gerade gesehen«, schaltet Potofski flink sich dazwischen, »daß man gerade ein Tor zusammenhaut, aber niemand darf photographieren, ein geheimes Tor«, und nun wird es ja schon hereingetragen, es verhakt sich a bißerl im Sicherheitszaun, das Standtor, 18 tapfere Mannen hängen dran und zieh’n und zerren für die Wende der Ereignisse. Hölzer, Heringe. Und Haken auch. Und der Schiri zweifelt erst, hebt dann den Daumen doch, sagt ja zum »Trainingstor«, zum Hilfs-, zum Nottor aus den Höhlen Bernabéus, zum Ersatz- und Rettungstor.
»Da ist wieder unser Mann mit dem Hämmerchen, unser Berufsfischer«, quiekt Reif, die Spanaken aber und die blöden Funktionäre schaffen frisch erstrahlend festen Blikkes am Netz und spannen es, das Netz, das müde, legen Steine auf die neuen Toresfüße, noch wird geflickt, damit es ein Gesicht auch hat, »wie die messen!« jodelt Jauch, »mein lieber Schwan, Bezirksliga!« prustet Reif, es geht ihm einer ab: »Ooohhh Gottt!«
Die Sache wird ein »Nachspiel« haben.