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Wie geht Doppelpaß?

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Nachdem man die Systemtheorie erfunden hatte und die flott aufs Rad gesprungenen Adepten des durch seine in den frühen siebziger Jahren mit Prof. Habermas ausgefochtenen Duelle weit über die Grenzen Westfalens hinaus bekanntgewordenen Niklas Luhmann aber schon bald auch nichts mehr zu tun hatten, weil von der »Liebe« (Luhmann) bis zur »Aufklärung« (Luhmann) alles abgehandelt und somit guter Rat teuer war in einer der führenden Sparten der deutschen Soziologie, packte erst zögernd, im Laufe der Zeit aber immer nachdrücklicher zunächst der Spiritus rector selbst die Klärung der Frage an, wie es eigentlich um das Verhältnis von Soziologie und Fußball bestellt, genauer: wie denn nun im Grunde genommen der Fußballsport als System einzustufen sei. Luhmanns vorläufige Antwort während der WM 1990 in der FAZ: »Sein System hat keinen Zweck, aber es ist bistabil, man kann gewinnen und verlieren.«

Als der Titel schließlich eingefahren worden war, nutzte Professor Hartmut Esser (Universität Mannheim) die landesweit gelöste und dem Fußballexpertenwesen deshalb gewogene Stimmung, um sich noch einmal einläßlicher und wie ausgelassen zu fragen, was den Doppelpaß »als soziales System« auszeichne und wie er infolgedessen funktioniere.

Schon kurz darauf geschah es dann, daß sich der Professor Esser über einen im Auftrag der Zeitschrift für Soziologie (April 1991) verfaßten Aufsatz sehr nachhaltig für den »Doppelpaß als soziales System« verwendete, mit der präzisen Prämisse, daß »Doppelpässe weder sinnlos sein können, noch daß ihr Mißlingen möglich wäre«.

Voilà. Scharf auf klare und distinkte Gedanken ist zumal der gebildete Fußballfan angesichts der unvermindert »neuen Unübersichtlichkeit« (Habermas), die allenthalben den Verstand bedrückt; nach schlagenden Evidenzen verlangen desgleichen die am kaum bis zum erlösenden Ende durchdachten Dekonstruktivismus oder Neo- resp. Poststrukturalismus wie belämmert herumlaborierenden akademischen Nachwuchskräfte, und es ist leicht einzusehen: »Doppelpässe sind […] auf sich selbst bezogene und sich selbst tragende Konstruktionen.«

Was heißt das aber jetzt im näheren? Vorderhand: Kantische bzw. kantianische Erkenntnistheorie ist obsolet. Warum? Leider hilft sie »als begriffliche Anstrengung, als selbstreferentielle und selbsttragende Architektonik von Leitdifferenzen und Vergleichsmöglichkeiten« den Fußball und seinen prozessualen Kernbereich, den Doppelpaß, nicht zu durchschauen. Wer einen solchen Befund akzeptiert, findet sein Glück in der widerspruchsfreien Schönheit eines Doppelpasses. Er ist, was nie mißlingen kann. Er »ist ein Prozeß, der – über alle kooperativen und antagonistischen Episoden hinweg – eben solange prozessiert, wie er prozessiert, dieses dann aber auch tatsächlich tut«.

Gewiß, es mag ein Wagnis sein, den Doppelpaß als autopoetisches Ganzes in den Griff bekommen zu wollen. Essers »Überlegungen gehen [jedoch] davon aus, daß es Doppelpässe gibt«. Und es gibt sie wirklich. Wer wollte es bezweifeln. Esser nicht. »Damit ein Doppelpaß existieren kann, muß es ihn erst einmal geben«, und »erst ein Doppelpaß ist – ganz radikal systemtheoretisch gedacht – ein Doppelpaß«.

Mögliche Einwände dahingehend, ob Essers Ausführungen zum Doppelpaß denn in die komplette Systemtotalität des Fußballs vorstießen, wären ohne jeden Zweifel im großen und ganzen haltlos. Bombensichere Erkenntnis gewinnt, wer Ganzes und Teil in ihrer reziprok-innigen Gemeinschaftlichkeit in den Blick nimmt und dann »als prozessuale Oberfläche jener integrationistisch-holistischen Version eines Gesamt« versteht, dessen Sinn sich in der ganzheitlichen Betrachtung aller potentiellen doppelpaßspezifischen Aktionen erschließt. »Das Weltganze bzw. das Ganze der Menschheit (und im speziellen Fall: […] das eingeübte Idealbild eines überaus gelungenen Doppelpasses)« hat selbstverständlich »als Ganzes (im Akteur auf dem Rasen) noch im verunglücktesten Ansatz präsent zu sein«.

Der Doppelpaß geht nie und nimmer in die Binsen. »Sinn hat Sinn, und Doppelpaß ist Doppelpaß. Das bleibt.« Am Paradigmenwechsel vom Fußballmarxismus der siebziger Jahre zur systemtheoretischen Doppelpaßtheorie wird somit die Engstirnigkeit jeder »humanistischen Engführung des Sinnbegriffes« deutlich. Unvermeidlich mündet das »Theorem der Autokatalyse von Ordnung durch doppelte Kontingenz« im Zuge »quadrierter Kontingenz« zwischen »dem sozialen System Doppelpaß einerseits und den psychischen Systemen Burgsmüller und Bratseth […] andererseits« in das entschiedenste und abschließend »deutlich verschärfte Unmöglichkeitstheorem«, was besagt: »Doppelpässe können weder sinnlos sein, noch können sie mißlingen.«

Das nehmen wir erleichtert hin, genauso wie die Tatsache, daß »ebensowenig wie Doppelpässe […] auch systemtheoretische Analysen nicht mißlingen«, die des Professors Esser schon mal dreimal nicht.

Fußball! Vorfälle von 1996-2007

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